Der arme Heinrich. Textgeschichtliche elektronische Ausgabe

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Dies ist der arme Heinrich, Gott mache uns ihm gleich

Ein Ritter war so gelehrt,
dass er an den Büchern lesen konnte,
was er daran geschrieben fand.
Der hieß Hartman
und war ein Dienstmann von Aue.
Der unternahm eine Schau
in sämtlichen Büchern,
an denen er zu suchen anfing,
ob er etwas fände,
womit er schwere Stunden
sanfter machen könnte
mit Sachen, von denen sicher war,
dass es zu Gottes Ehren taugte,
und womit er sich vermöchte
bei den Leuten beliebt zu machen.
Hier beginnt er, uns zu deuten und zu verdeutschen
eine Rede, die er geschrieben fand.
Er hat sich deshalb mit Namen genannt,
dass er mit seiner Arbeit,
die er für dieses Buch angelegt hat,
nicht etwa ohne Lohn bliebe;
wenn einer es nach seinem Ableben
sagen hört oder liest,
dass er ein Gebet sende
um der Seele Heil, hin zu Gott.
Er behauptet, der sei sein eigner Bote
und erlöse sich selbst damit,
wenn er für des andern Sünde bete.
Er hat uns diese Geschichte gelesen,
wie dass da ein Herr gewesen wäre
zu Schwaben gesessen,
an dem nichts vergessen worden war
an all der Tugend,
die ein Ritter in seiner Jugend,
haben soll, zu ganzem Lob.
Von niemand sprach man so gut
in all den Reichen –
er hatte wahrlich
Geburt und Klugheit,
seine Tugend, die reichte sehr weit.
Wie vollkommen das, was er hatte, auch sein mochte,
so war seine Geburt makellos,
andern Fürsten vergleichbar.
Und doch ging sein Reichtum
von Geburt und Hab und Gut
nicht so weit wie der von Ehre und Gemüt.
Sein Name, der war bekannt:
Er hieß Heinrich
und war von Aue geboren.
Sein Herz, das hatte abgeschworen
allem Falsch und allem Bäurischen,
und sehr genau hielt er diesen Eid,
stetig bis an sein Ende.
Ohne jeden Fehler
stands um seine Geburt und sein Leben,
ihm war recht nach Wunsch gegeben.
Die weltlichen Ehren
wusste er wohl zu vermehren
mit mancherlei Tugend.
Er war eine Blüte der Jugend,
ein Spiegelglas der Weltfreude,
ein Diamant steter Treue.


Er war freigiebig mit Hab und Gut,
ein Löwe, was seinen Mut anging,
ein Schutzschild seiner Verwandten,
eine ausgeglichene Waage der Freigiebigkeit,
nichts an ihm ward zuviel noch zu wenig,
Arbeit trug er wie eine Last,
die Ehre überm Rücken,
er war eine Brücke für Rat und Hilfe,
und sang so wohl von Minne –
ganz so wusste er zu gewinnen
der Welt Lob und ihren Preis.
Er was schön, jung, höfisch und klug.
Als der Herr Heinrich
sich also so erfreute
an Ehren und Hab und Gut
und an frohem Mute,
und in Wertschätzung lebte,
in dieser Süße schwebte,
in der Wonne der Welt,
da war er über all sein Geschlecht
erhöht und geehrt –
das ward ihm alsbald verkehrt!
Er ward ganz jäh heruntergeknickt.
An ihm ward so gezeigt,
(grad wie an Absalom,
der die üppig-eitle Krone
und auch die Süße der Welt
unter die Füße riss,
von seiner höchsten Wertschätzung
in ein schmähliches Leid)
wie es da an einer Stelle heißt:
›Media vita
in morte sumus‹ –
das bedeutet uns folgendes:
dass wir in dem Tode schweben,
wenn wir uns im allerbesten Leben wähnen.
Dieser Welt Festigkeit
und Beständigkeit und Blütezeit,
die allerhöchste Menschenmacht,
die steht ohne Meisterschaft da.
Das können wir an der Kerze sehen,
es geschieht wie ein wahres Bildnis davon,
dass sie nämlich zur Asche wird
vor uns, während sie Licht gebiert.
Wir sind aus zerbrechlichem Material!
Ihr könnt darauf warten, wie unser Lachen
im Weinen erlischt.
Unser Honig ist gemischt
mit bitterer Galle.
Unsere Blüte, die muss fallen,
wenn wir wähnen, dass uns alles zum Besten steht.
Das wird an dem Herrn Heinrich offenbar.
Als er in seiner höchsten Würde
lebte auf dieser Erde,




da ergriff ihn der Aussatz.
Als man des wahren Gottes Zucht
an seinem Leibe sah –
Männern wie Frauen
ward er widerwärtig.
Bedenkt, wie angenehm
er ehedem der Welt gewesen ist –
genauso ward er ihr missliebig,
so dass man ihn höchst ungern sah,
wie es auch Hiob geschah,
dem edlen und so reichen und mächtigen,
der dermaßen jammervoll
mitten in seinem besten Heil
dem Miste zuteil ward.






Das litt Hiob, der Gute,
mit geduldigem Gemüt.
Was ihm an Leiden geschah
um der Seelenruhe willen,
das Siechtum und die Schmach,
die Hiob von den Leuten erlitt,
dafür lobte er Gott und freute sich.
Da tat der arme Heinrich
leider nirgends dergleichen.
Er ward traurig und unfroh.
Sein Honig ward zu Galle,
seine Blüte musste fallen,
zu Heu ward ihm sein grünes Gras.
Der ehedem der Welt Feuer war,
seine schwebende Freude versank ihm,
sein schwimmendes Herz, das ertrank ihm,
eine trübe Wolkendecke
bedeckte seiner Sonne Blitze,
ein schneller, bittrer Donnerschlag,
der zerbrach ihm seinen Mittag,
sei Morgenstern, der erlosch –
ungerne duldete er das
und schämte sich gar sehr,
dass er so große Ehre
hinter sich lassen musste.
Verflucht und verwünscht
ward gar oft der Tag,
auf den seine Geburt fiel.
Ein wenig freute er sich jedoch
dennoch über einen Trost,
dass ihm oft gesagt wurde,
dass ein und die selbe Krankheit
überaus misslich wäre,
und in etlichen Fällen heilbar.
Da ward sein Muten und Achten
in mancher Hinsicht fester
und dachte, dass er wäre
doch vielleicht heilbar.
Darauf reiste er also schnell,
um der Ärzte Rat einzuholen,
nach Montpellier.
Dort fand er so schnell
leider nichts als den Untrost,
dass er nimmer erlöst würde.
Das hörte er sehr ungern
und reiste nach Salerno.


Da befahl er alsbald zu suchen
nach den besten Magistern, die man fand.
Der sagte ihm da als Information:
er wäre heilbar
und bliebe doch für immer ungeheilt.
›Herr Magister, wie kann das sein?‹
sprach der arme Heinrich.
›Warum veruntröstet ihr mich?

Bin ich heilbar,
seht, so werde ich geheilt.
Mir wird nichts abverlangt
an Gut noch an Mühe,
das ich mich nicht wohl beizubringen traue,
egal, was es ist,










es sei denn, ihr wollt euer Recht brechen,
und wollt mir zurückweisen
sowohl mein Silber wie mein Gold.
Ich mache euch mir so hold,
dass ihr mich sehr gerne heilt.‹
›Der Wille dazu wäre mir nicht verwehrt‹,
sprach aber der Magister darauf,
›wäre die Arznei so,
dass man sie wohlfeil fände
oder dass man sie könnte
gegen irgendwas erwerben,
ich ließ euch nicht ins Verderben gehen.
Aber leider ist es nicht möglich.
Deshalb muss euch meine Hilfe
ohne meine Schuld versagt bleiben.
Ihr müsstet ein Mädchen haben,
voll heiratsfähig,
die des Willens wäre,
dass sie gerne den Tod litte,
dass man sie zwischen ihren Brüsten aufschnitte.
Nun ist das in der Welt nicht üblich,

dass eine das für euch tun wird.
Nichts anderes gehört nämlich dazu
als der reinen Maid Herzblut;
Das wäre gut für eure Krankheit.‹
Drauf sprach der arme Heinrich,
das wäre ganz unmöglich,

der gerne für ihn stürbe
und selber ganz ins Verderben ginge.
›Gott, der muss der Arzt sein,
oder ich bleibe für immer ungeheilt.‹
So also ward ihm sein Trost genommen,
um dessentwillen er hierhergekommen war.
Da hatte er im selben Augenblick
für seines Leibes Heilung
keine Hoffnung mehr für sich.
Sein bittres Herz ward so verletzt
und auch sein Jammer dermaßen groß,
dass ihn die Zeit gänzlich verdross,
dass er noch irgend länger leben sollte.
Er reiste heim und begann herzugeben
all sein fahrendes Gut,
recht als wenn ihn sein eignes Gemüt
und kluger Rat gelehrt hätte,
wie er ers zum allerbesten wenden könnte.

Er machte nach guter Überlegung
seine armen Freunde reich
und half auch fremden Armen,
auf dass sich Gott erbarmen ließe,
gnädiglich, über der Seele Heil.
Den Klöstern gab er das beste,
und gleich auch seinen liebsten Freunden,
denen er Städte und Ländereien anbefahl.
Grad so tat er von sich
all seine fahrende Habe
und floh alsbald die Leute,
weit weg auf eine wilde Rodung.
Als er sich von den Leuten zurückgezogen hatte
und weit weg in einen Wald geflohen war –






der eben diese Rodung
in dem wilden Wald bebaute,
das war ein freier Bauer,
der viel Glück abbekommen hatte
und kein Ungemach,
wie es andern Bauern geschah,
die schlechter mit Herren versehen waren,
indem die darauf bestanden,
dass sie Steuer gäben und auch die Abgabe.
Was dieser Bauer freiwillig tat,
das nahm sein Herr für gut.
Außerdem beschützte er ihn in allem,
so dass er irgendwelche Last
von fremder Gewalt nie erlitt.
Daher war in den Reichen
unter allen seinesgleichen
kein Bauer so reich und mächtig.
Zu dem zog sich der arme Heinrich zurück.
Alles, was er ihm vorher erspart hatte –
wie wohl ihm das jetzt vergoldet ward!








Gott hatte dem Meier gegeben
ein in jeder Hinsicht reines Leben.
Er hatte einen Leib, der gut arbeitete,
und ein Weib, das sich gut kümmerte.
Dazu hatte er schöne Kinder,
die des Mannes ganze Freude sind.
Unter denen zog er ein Mädchen auf,
wie uns dies Buch gesagt hat,
wohl von zwölf Jahren.
Sie wusste sich gut zu gebärden,
so recht von Grund auf gut.
Sie wollte niemals auch nur
einen Fußbreit von ihrem Herrn weichen.
Um seine Huld und seinen Gruß
diente sie ihm allerwege
mit ihrer grundguten Pflege.
Die andern sannen darauf,
dass sie ihn recht taktvoll
wohl meiden konnten.
Sie hingegen flog zu allen Stunden
zu ihm und sonst nirgends hin.
Sie war seine einzige Kurzweil
und war auch so angenehm,
dass sie wohl passen würde
als Kind zu einem Kaiser.
Mit schöner Ansehnlichkeit
hatte sie ihr Gemüt
mit reiner Kindesgüte
an ihren kranken Herrn gewandt,
dass man sie selten woanders fand,
als zu seinen Füßen.
Mit süßer Unmuße
wohnte sie ihrem Herrn bei.
Dazu liebte er sie,
womit ers nur vermochte,
und was der Maid taugte
zu ihrem kindlichen Spiel,
das schaffte er herbei, und viel davon.


er kaufte ihr, was nur irgend feil war:
Gürtel und Haarbänder,
Spiegel und Fingerringe,
was jungen Mädchen halt angenehm sein sollte.
Mit Dienst brachte sie es dahin,
dass er ihr so hold ward,
dass er sie nicht anders als Gemahlchen hieß.
Oh weh, wie selten ließ ihn da
die gute Maid alleine!
Er dünkte sie besonders rein.
Wie sehr ihr das aber rieten
diese seine Jungmädcheneinkäufe,
so kam ihr doch zu allermeist
als Gottesgabe ein süßer Geist.
Ihr Dienst war so von Grund auf gut,
während der arme Heinrich
das drei Jahre aushielt:
Gott quälte äußerst schmerzhaft
seinen Leib mit großen Schmerzen.
Eines Tages saßen der Meier und sein Weib
und ihre Tochter, die Maid,
wie uns dies Buch gesagt hat,
in Muße beieinander
und weinten über das Leid ihres Herrn,
das beklagten sie, das machte ihnen Not –
sie fürchteten, dass ihres Herrn Tod
sie von Anfang an schmerzlich verletzen würde
und wahrscheinlich auch vertreiben
von allem ihrem Hab und Gut,
und auch, dass von härterem Gemüt
ein anderer Herr würde.
Sie klagten dermaßen schmerzvoll,
dass besagter Bauer
seinem Herrn Fragen zu stellen begann.
Er sprach: ›Mein überaus geliebter Herr,
wenn es mit euern Hulden sein könnte,
so würde ich gerne von euch wissen:
So viel es auch zu Salerno
Magister der Arzetei gibt,
dass euch die Kunst von keinem
zu eurer Gesundung
nie nicht verhelfen konnte!
Lieber Herr, das nimmt mich wunder.‹
Darauf holte der arme Heinrich
einen tiefen Seufzer vom Herzen,
den jammervollen Schmerz,
den zeigte er mit den Augen.
Er sprach: ›Freund, das ist nicht zu leugnen,


dass ich diesen beschämenden Spott
um Gottes Willen verdient habe.
Du weißt gut, dass hierbevor
mein Tor weit offen stand,
mit mancherhand Wonne.
Es hatte in meinem Geschlechte
niemand seinen Willen besser als ich –
und doch war das ganz unmöglich!
Ich hatt all meinen Willen mit den Damen.
Und ja, ich bemerkte das schier gar nicht:
Der mir dieses Wunschleben
in seiner Gnade gegeben hat,
als mir mein Hof so weit offen stand,
wieʼs aller Welt Toren machen,
denen da ihr dummer Verstand rät,
dass sie Ehre und Hab und Gut
ohne, ja wider Gott haben wollen –
grad so betrog mich mein dummer Wahn!




Als darüber der hohe Gott verdrießlich wurde,
verschloss er mir der Seligkeit Pforte,
da komme ich leider nimmer hin,
das hat mir mein dummer Sinn verloren.
Nun hat mir Gott Rache auferlegt:
Die schmachvolle Krankheit,
die niemand ablösen kann.
Zur Schmach werd ich nun den Üblen,
die Tüchtigen mögen mich nicht.
Wie schwach er auch ist, der mich sieht,
um wieviel übler muss ich noch sein.
Gerade jetzt lässt du offenbar werden


die große Treue, die du hast,
dass du mich Kranken bei dir lässt,
wie wenig du vor mir fliehst,
wie du mich kaum scheust,
egal wie gern ich bei dir bin,
egal wieviel deiner Hoffnung an mir hängt.
Du würdest wohl über meinen Tod hinwegsehen.
Wessen Unwert und wessen Not
ward mehr und größer in der Welt?
Vordem war ich dein Herr,
jetzt bin ich, der deiner bedarf.
Liebster Freund, jetzt erkaufst du,
mein Gemahlchen, und dein Weib
an mir das ewige Leben,
dass du mich Kranken bei dir lässt.
Was du von mir wissen wolltest,
das sag ich dir sehr gerne:
Ich konnte zu Salerno
nirgends einen Magister finden,
der sich meiner annehmen
durfte oder wollte,
mit der Heilung, die mich sollte
von meiner Seuche genesen lassen.
das muss eine solche Sache sein,
dass sie kein Mensch in der Welt
mit keinerlei Habe erwerben kann.
Mir ward nichts anderes gesagt:
Ich müsste eine Jungfrau haben,
die die Absicht hätte,
dass sie nicht anstünde
freiwillig und gern den Tod zu erleiden,
dadurch dass man sie zwischen ihren Brüsten aufschnitte.


Nun wäre das unmöglich,
dass jemals eine um meinetwillen
freiwillig den Tod leide.
Daher muss ich diese schamvolle Not
tragen bis an mein Ende.
Das Gott mir schnell senden möge!‹
Was er seinem Meier gesagt hatte,
das hörte ihre Tochter, die Jungfrau.
Zu der Zeit hatte die Allersüßeste
die Füße ihres kranken Herrn
in ihrem Schoße stehen.
Was konnte sich noch fügen
zu ihrem kindlichen Gemüte
als aller Engel Güte.
Sie merkte sich die Rede vollständig,
und nahm in ihrem Herzen wahr,
was sie nie aus ihrem Herzen herausließ,
bis sie des Nachts schlafen ging.
Zu ihres Vaters Füßen lag sie da
und ihrer Mutter, wie üblich.
Als sie beide schliefen,
so manchen tiefen Seufzer
holte sie vom Herzen;
den jammervollen Schmerz
zeigte sie mit den Augen.
Das war nicht zu leugnen:
Ihr Jammer, der ward dermaßen groß,
dass ihr der Augenregen floss
auf der Schlafenden Füße.
Da erwachten die Süßen,
als sie die Tränen bemerkten
fingen sie an und fragten,
was ihr geschehen wäre,
oder welche Art Beschwernis
sie so heimlich beklagte.
Oh weh, wie ungern sagte sie das,
und nur, weil der Vater von ihr verlangte,
mit Treue wie mit Bitten,
dass sie es ihnen sagen musste.
Sie sprach: ›Ihr könntet wohl mit mir klagen.
Was kann schlimmer für uns sein
als das mit unserm Herrn!
Sollen wir den nicht mehr sehen
und auch mit ihm verlieren
Hab und Gut und Ehre?
Wahrlich, wir bekommen nimmermehr
so einen guten Herrn,
der uns tut, was er uns tut.‹
Sie sprachen: ›Tochter, du hast recht.
Nun nützt uns nicht mehr als ein Haar
unser Weinen und unsre Klage.
Liebes Kind, schweig davon!
Es ist uns grad so leid wie dir,
nur können wir ihm jetzt leider nicht
zustatten kommen.
Gott, der hat ihn uns genommen –
hätte das jemand anders getan,
der müsste unsern Fluch haben.‹
So ward sie da zum Schweigen gebracht.
Diese Nacht blieb sie unfroh,
bis an den andern Tag.
Was aber jemand auch machte,
es kam ihr dies niemals aus dem Herzen,
bis dass sie wieder schlafen ging,
des Nachts, wie gewöhnlich.


Sie hatte wieder ein Bad bereit
mit weinenden Augen.
Sie trug ganz im Geheimen
zunächst ihrem Gemüte
die einfältigste Güte,
die kein einziger Mann je vernommen hatte:
Wo hätte je ein Kind so gehandelt,
dass sie sich restlos dazu entschloss,
sollte sie den andern Tag erleben,
dass sie jetzt und im Handumdrehen ihr Leben
für ihren Herrn geben wollte?
Von diesem Vorhaben ward sie dann
leichten Mutes und froh
und hatte keine Beschwernis mehr,
außer einer Klage, die ihr weh tat:
Es war ihre größte Sorge,
wenn sie’s am Morgen
ihrem Herrn sagen würde,
sie fürchtete, dass er verzagen würde;
und wenn sie es ihnen allen kund tun würde,
dass sie im selben Moment
keine Erlaubnis finden würde.
Daher ward im Augenblick
ihre Ungebärdigkeit so groß,
dass ihr Mutter davon,
und ihr Vater, aufgeweckt ward,
wie in der Nacht zuvor.
Sie richteten sich auf zu ihr,
sie sprachen: ›Schau, was ist los mit dir?
Du bist doch albern,
dass du dir so viele Beschwernis
in deine Klage genommen hast,
für die keiner ein Ende absehen kann.
Warum lässt du uns nicht schlafen?‹
Und so fingen sie an, die Maid zu beschimpfen:
Was ihr die Rede denn taugte,
die niemand konnte
ihr abwenden noch ihr entsprechen.
So wähnten sie, die Süße
für den Augenblick zum Schweigen gebracht zu haben.
Ihr Wille war ihnen ganz unbekannt.
Daher antwortete ihnen die schöne Maid:
›Wie uns mein Herr gesagt hat,
den traue ich mich ganz gewiss zu retten,
es sei denn, ihr wollt mir das verwehren.
Ich bin eine Jungfrau, ich habe den Mut,
ich bin gut als seine Arznei.
Ehe ich ihn dem Verderben überließe,
wollte ich eher für ihn sterben.‹
Von dem Gedanken wurden dann
beide traurig und unfroh,
ihre Mutter und ihr Vater.
Seine Tochter, die bat er,
dass sie diese Rede unterließe
und ihrem Herrn nur das verhieße,
das sie auch leisten konnte,
denn für dies war sie nicht tüchtig genug.
Er sprach: ›Tochter, du bist ein Kind.
Deine Reue, die wird
zu groß sein an diesen Dingen,
du wirst sie nicht vollbringen können.
Der Tod ist so sanft nicht,
wie dir dein dummer Wahn vorgaukelt.


Wenn es an den Moment geht,
dass da keine Hilfe mehr ist,
dass du sterben musst –
könntest du dann erreichen,
dass du weiter am Leben bliebst,
dann bist du noch nie in ein Leid geraten.
Halt also den Mund!
Und dass du mir damit ab sofort
nimmermehr laut wirst –
oder es geht dir auf die Haut!‹
Hier wähnte er sie dann
mit Bitte wie mit Drohen
zum Schweigen gebracht zu haben. Das konnte er nicht!
Daher antwortete ihm die Tochter,
sie sprach: ›Vater, wie unerfahren ich sein mag,
so wohnt mir doch Witz bei.
Was ihr mir von dieser Not sagt –
ich weiß wohl, dass der Tod des Leibes
stark ist und strenge.
Wenn aber einer auf Dauer
mit Ungemach leben muss,
so ist dem auch nicht allzu wohl.
Und wenn einer nicht danach ringt,
dass er auf den Altar bringt
den Leib, mit großer Not,
so wird er doch auf den Tod liegen,
und hat er dann die Seele verloren,
so wäre ihm besser, wenn er nie geboren wäre.
Das traue ich mich ganz alleine wohl zu verhüten
und als Dummchen den besseren Weg zu nehmen.
Mir ist ein Ziel gegeben,
dass ich Gott dafür loben will,
dass ich den kleinen Leib hingeben kann
um das ewige Leben.
Das sollt ihr mir nicht verleiden.
Ich will für mich und für euch beide
einen sehr guten Weg damit gehen.
Ich allein trau mich damit zu behüten
vor Schaden und vor Leid,
wie ich euch auseinandersetzen werde:
Wir haben Ehre und Hab und Gut,
das heißt: den Mut meines Herzens!
Denn nie hat er uns zu Leide gesprochen
und uns das Gut nicht abgenommen.
So lange er uns leben wird,
steht unsere Sache gut.
Lassen wir ihn hinsterben,
so werden wir verderben.
Ich will uns also den am Leben halten
mit so guten Absichten,
dass wir alle gerettet sind.
Nun gönnt mirs, denn es muss sein.‹
Die Mutter sprach weinend,
als sie den Ernst des Kindes sah:
›Bedenke, Tochter, liebes Kind,
wie groß die Mühen sind,
die ich für dich erlitten habe.
Lass mich einen bessern Lohn empfangen,
als ich dich sprechen höre.
Du wirst mir das Herz brechen.
Mach mir die Rede ein wenig sanfter.
Du wirst all dein Heil
an mir verwirken vor Gott.
Gedenkst du an sein Gebot?
Denn tatsächlich hat er geboten und gebeten,
dass man Mutter und Vater
Ehre erbieten solle,
und verheißt das als Belohnung:
Dass das der Seele Rettung werde
und ein langes Leben auf Erden.
Du behauptest, du wollest dein Leben
um unser zweier Freude hingeben;
Damit wirst du uns beiden
das Leben schmerzlich verleiden.
Dass dein Vater und ich
gerne leben, das ist um deinetwillen.




Du sollst, meine liebe Tochter,
unser beider Freude sein,
unsere Liebe ohne Leid,
unser Licht der Augenweide,
unsrer Herzen Wonne,
eine Blüte unter deinem Geschlecht,
ein Stab unsers Alters.
Lässt du uns über deinem Grab
stehen aus deiner eignen Schuld,
so bist du von Gottes Huld
für alle Zeit geschieden.
Das wirst du an uns beiden verdienen!
Willst du uns, Tochter, gut sein,
so sollst du solche Rede und auch die Absicht
um unsers Herrn Huld willen sein lassen,
wie ich sie von dir vernommen habe.‹
Sie sprach: ›Mutter, ich traue dir
und meinem Vater für mich
all die Gnaden wohl zu,
die Vater und Mutter
einem Kind gewähren,
wie ich das wohl erfahre
von euch beiden jeden einzelnen Tag.
Von Gottes Gnaden habe ich
Seele und einen schönen Leib,
über mich lobt Mann und Weib
und alle, die mich zu sehen kriegen,
dass ich das schönste Mädchen sei,
das sie je gesehen haben.
Wem soll ich diese Gnaden zusprechen,
wenn nicht euch, nächst Gott?
Ich will aus seinem Gebote
nimmer kommen, wenn Gott es will,
denn das ist selber sein Gebot.


Ich dulde es ohne Reue.
Ich will aber auch meine Treue
an mir selber nicht vergessen.
Das Maß liegt darin:
Wer einen andern so erfreut hat,
dass er selber unfroh dasteht,
dass er einen andern krönt
und sich selbst verhöhnt –
solcher Treue, der sei gar zu viel.
Mit Recht will ich euch daher folgen,
dass ich euch Treue leiste;
und die allermeiste mir selber.


Mutter, hochglückseliges Weib,
da ich nun Seele und Leib
von euer zweier Gnaden habe,
lasst mich in Gottes Hulden stehen,
dass ich sie beide möge
von dem Teufel scheiden
und sie möge zum Himmel geben.
Das Leben dieser schwachen Welt,
das ist der Seele Verlust.
Bis jetzt hat mich das Gelüsten ja
noch nicht angerührt,
das da zur Hölle führt.
Dafür will ich Gott Dank sagen,
dass er mir in meinen jungen Tagen
wohl den Witz gegeben hat,
dass ich auf dieses zerbrechliche Leben
nur sehr wenig achthabe.
Ich will mich genau so rein
in Gottes Gewalt überantworten.
Ich fürchte, wenn ich alt würde,
dass mich die Süße der Welt
unter die Füße zerren würde,
wie sie schon manchen gezerrt hat,
der zur Hölle betrogen wird.
So würde ich leichtlich Gott versagt!
Dem muss das immer geklagt sein,
dass ich bis morgen leben soll.
Diese Welt gefällt mir nicht gut,
was an ihr angenehm ist, ist große Mühe,
ihr meistes Lieb ein Herzeleid,

ihr süßer Lohn eine bittere Not,
ihr langes Leben ist der jähe Tod,
nichts Gewisses haben wir jetzt mehr,
als heute wohl und morgen weh
und doch am Ende tot.
Mutter, das ist eine große Not!
Geburt hat nun keinen Bestand, noch Hab und Gut,
Schönheit, Stärke, kluger Sinn.
Nun nützt Tugend und Ehre
vor dem Tod nicht mehr.
Deine Ungeburt und Untugend,
unser Leben und unsre Jugend,
das ist ein Leben und ist ein Staub,
unsre Beständigkeit bibbert wie ein Laub,
wir sind ein Nebel und ein Rauch.
Der ist ein missgeschaffner Depp,
es sei Weib oder Mann,
der sich darauf nicht besinnen kann
und einer ist, der dieser Welt folgt.
Tatsächlich ist uns über den faulen Mist
das Seidentuch gebreitet,
wen das Blitzen verführt,
der ist zur Hölle geboren
und hat nicht weniger verloren
als die Seele und den Leib!
Mutter, hochglückseliges Weib,
denkt an mütterliche Treue
und besänftigt euer Bedauern,
das ihr für mich habt,
so besinnt sich auch mein Vater.
Der ist ein so kluger Mann,
dass er hohe Glückseligkeit wohl vergönnt.
Ihr wisst jetzt ganz gut, dass ihr
eure Freude mit mir
nicht länger behalten könnt,
Wenn ich am Leben bleibe,
ein wenig länger bei euch,
zwei Jahre oder drei,
so ist mein lieber Herr tot –
so kommen wir in so große Not,
dass uns das Gemüt schwer wird,
und dass ihr dann ein so großes Gut
mir nicht mitgeben könnt
so dass ich wahrscheinlich schlechter leben müsste,
dass euch lieber wär, wenn ich tot wäre.
Nun, schweigen wir von dieser großen Not,
dass die uns nicht etwas Schmerzliches antut
und uns mein lieber Herr
so lange leben möge,
dass ihr mich einem Manne geben könnt,
der für mich reich genug und würdig ist,
so ist geschehen, was ihr beide begehrt,
so wähnt ihr, mir sei wohl geschehen.
Mein Sinn aber hat mir andres gesagt:
wird er mir lieb, ist das eine Not,
wird er mir leid, ist das der Tod.
So habe ich für alle Zeit Leid.
und bin mit mancher Mühseligkeit
von der Angenehmheit geschieden
und lebe in solchem Zusammenhang,
dass mancher Dame wirr wird
und sie an Freuden irr wird.
Nun bin ich euch doch sehr vertraut,
glückselige Leute,
das wendet mir zum Guten
und verfahrt nach meiner Absicht,
versetzt mich in den Zustand voller Unterstützung,
der da nimmermehr vergeht.
Mich begehrt ein reicher und mächtiger Bauer,
dem ich mein Leib und Leben gönne –
wahrhaftig, dem sollt ihr mich geben,
so ist mein Leben wohl bestellt;
dessen Pflug geht eben und wohl,
sein Hof ist mit allem und jedem ausgestattet,
da müht sich ab kein Ross noch Rind
noch die weinenden Kinder,
denen ist zu heiß nicht noch zu kalt,
da wird an Jahren niemand alt,
wer alt ist, der wird jünger,
da gibt es weder Durst noch Hunger,
da ist weder Hass noch Neid,
nichts als Maienwetter alle Zeit,
da gibtʼs keinerlei Anstrengung
nichts als große Liebe ohne Leid –
zu dem will ich mich zurückziehen,
und will den Ackerbau fliehen,
den der Schauer und der Hagel niederschlägt,
und die Wasserwogen runterwaschen,
alles, worum der Mensch je gerungen hat.
Das Jahr, das ist ihnen so lang –
was er erarbeiten kann,
das nimmt vielleicht ein halber Tag.
Solchen Ackerbau will ich sein lassen,
der sei von mir verflucht!







Ich will mich halten

an unsern Herren Jesu Christ,
dessen Gnade so beständig ist,
dass sie nimmermehr zergeht,
und dass er gegen mich Arme hat
dermaßen gute Minne
wie zu einer reichen und mächtigen Königin.


Wollt ihr mir mein Heil verhindern,
wahrlich, ich lass euch gutenteils
eher um mich weinen.
Ich will mir augenscheinlich machen,
was ich mir selber schuldig bin.
Wahrlich, ich will für immer dahin,
wo ich voll Freude finde
Ihr habt noch mehr Kinder,
die lasst eure Freude sein.
Um Gottes willen, tröstet euch über mich
diese kurze Frist und die Zeit,
die so schnell enden wird.
Morgen hilft uns mein Gott
heraus aus jeder Art von Not.
Wir werden vom Tod genesen,
und ich weit besser als ihr.
Es kann mir niemand verwehren,
dass ich wohl erretten will und werde
meinen Herrn und mich.
Mutter, ich hörte dich
vorhin klagen und sprechen,
es täte deinem Herzen weh,
solltest du über meinem Grabe stehen.
Das wird dir sehr wohl erspart,
du stehst nicht über meinem Grab.
Dort, wo mir der Tod geschieht,
das lässt dich niemand sehen.
Es soll zu Salerno geschehen.‹


Als sie das Mädchen sahen
geradewegs in den Tod eilen,
und dass sie so klüglich sprach
und alles menschliche Recht brach,
fingen sie miteinander an dafürzuhalten,
dass diese Klugheit und diesen Sinn
nicht hervorzubringen wüsste
die Zunge im Munde eines Kindes.
Sie stellten fest, dass der Heilige Geist
der Verfasser der Rede wäre,
der sich auch um Sankt Nikolaus gekümmert hatte,
als er in seiner Wiege lag
und ihn die Klugheit lehrte,
dass er zu Gott wandte
sein kindlich Gemüte.
Sie bedachten sich in ihrer Güte,
dass sie nicht wollten
noch auch sollten verwehren,
was sie auf sich genommen hatte.
Ihr wäre der Einfall von Gott gekommen.
Vor Jammer wurde ihnen der Leib kalt,
dass der Meier und sein Weib
saßen in dem Bette,
so dass sie vergaßen
ihre Sprachen und ihre Sinne,
aus Minne für das Kind,
in eben diesem Augenblick,
so dass sie nicht mehr wussten
ein einziges Wort auszusprechen.
Das Gesagte begann zu zerbrechen
die Mutter, vor Leid.
Da saßen sie nun beide


und dachten, was ihnen guttäte.
Nun konnte ihr niemand
ihren Willen verwehren und ihre Absicht
(dass das nicht besonders gut wäre),
so dass sieʼs ihr gönnten,
weil sie nicht wussten,
wie ihr jemals besser beizukommen.
Würden sie gehässig auf die Rede reagieren,
das konnte ihnen bei ihrem Herren
schmerzhaften Schaden zufügen,
und sie würden nichts weiter damit gewinnen.
Denn mit freiwilliger Zustimmung
sagten sie beide dann,
dass sie über ihre Rede froh wären
und dass es sie bei reiflicher Überlegung dünkte
nichts als getreu und gut.
Darüber freute sich die schöne Jungfer.
Als es ein wenig Tag geworden war,
da ging sie dahin, wo ihr Herr schlief.
Da rief ihm sein Gemahlchen zu:
›Lieber Herr, schlaft ihr?‹
›Nein, Gemahlchen, was ist los?
Wie bist du heute so früh dran!‹
Sie sprach: ›Da zwingt mich dazu
der Jammer über eure Krankheit.‹
›Das weiß ich wohl, das ist dir leid!
Das hast du wohl an mir gezeigt
und Gott soll es dir vergelten!
Nun ist aber Hilfe nicht möglich.‹
›Traun, mein lieber Herr!
Dafür wird es viel gute Hilfe geben!
Wenn es um eure Dinge so bestellt ist,
dass ich euch zu helfen vermag,
säume ich damit nicht einen Tag.
Ihr habt uns folgendes gesagt:
Wenn ihr eine Maid hättet,
die freiwillig den Tod leiden würde,
dann werdet ihr damit genesen.
Die will ich selber gerne sein.
Euer Leben ist mehr nütze als das meine.
Gott muss es geklagt sein,
dass ihr es so lange verschwiegen habt.
Wär es mir vor drei Jahren bekannt gewesen,
wäret ihr nun wohl gesund.‹
Da dankte ihr der Herr
wirklich sehr dafür.


Er sprach: ›Gemahlchen, tatsächlich ist der Tod
nicht eine so sanfte Not,
wie du dir das gedacht hast.
Du hast mich wohl das innewerden lassen:
Wäre es dir möglich – du hülfest mir.
Damit tust du genug für mich.


Ich sollte kein Begehren an dich richten,
du kannst mich, Madame, nicht retten.
Was du jetzt gesagt hast –
diese Treue, die du mir zukommen lässt,
die vergelte dir Gott!
Das gäbe einen Spott für die Leute hier:
Dass ich mich ab jetzt
der Medizin hingeben würde
und das bei mir nicht verfinge,
wie es vielleicht ergehen könnte.
Du tust wie die Kinder,
die vorschnellen Gemüts sind.
Was ihnen in den Sinn kommt,
es sei übel oder gut,
damit kann’s ihnen nicht schnell genug gehen
und danach reut es sie.
Gemahlchen, grad so tust du.
Wenn dir jetzt nach etwas zumute wäre
und wenn es einer von dir annehmen wollte
und wenn man es gut zuendebringen sollte,
so könntest du es doch bereuen!‹
Dass sie sich noch
bedächte, darum bat er.
›Deine Mutter und dein Vater,
die können, Madame, dich nicht entbehren.
Ich will ihr Leid nicht begehren
dafür, dass sie immer gnädig mit mir waren.
Was sie beide dir raten,
liebes Kind, dem folge du.‹
Dann lachte er jetzt dazu,
weil er sich nur wenig dessen versah,
das ihm seitdem tatsächlich geschah.

Ihr Vater und ihre Mutter, jedes,
die sprachen alle beide hierauf:
›Treuen, lieber Herr,
ihr habt uns ganz viel
geliebt und geehrt –
es wäre wohl nicht verkehrt,
wir lohntens euch mit Gutem:
unsere Tochter ist fest entschlossen,
dass sie den Tod für euch erduldet.
Nun gönnen wir euch das wohl,
wir haben sie aus diesem Grund hergebracht.
Wir haben sie aus diesem Grund hergebracht:
Es ist heute der dritte Tag,
dass sie uns immer wieder in den Ohren lag,
dass wir ihr das gönnen sollten.
Nun hat sie es an uns gefunden!
Gott lasse euch mit ihr genesen.
Für euch wollen wir ohne sie sein.‹
Als nun sein Gemahlchen dargeboten hatte
ihren Tod für seine Krankheit,
als er ihren rechten Ernst sah,
da ward großes Ungemach,
trauriges Gebaren
und missliche Beschwernis
erhob sich da unter ihnen,
zwischen dem Kind und den dreien.




Da begann auch der Herr
mit solchem Schmerz zu bedenken
die Treue des Kindes –
ihn ergriff eine solche Traurigkeit,
dass er sie an seine Brust drückte.
Dass er sie nicht küsste,
das ließ er wegen seiner Krankheit.
Danach ergriff ihn ein süßes Leid,
dass er zu zweifeln begann,

ob es ihm besser erlassen oder getan wäre.





Am Ende da bedachte sich
ihr Herr, der arme Heinrich,
und hob an, ihnen zu sagen:
Großen Dank, ihnen allen dreien,
für die Treue und alles Gute.
Die Maid ward reich im Gemüt,
als er ihr gerne folgte.
Sie bereiten sich für Salerno vor
so schnell, wie sie konnten.
Was dem Mädchen gut zupass kam,
das war bald bereit,
sowohl Pferd wie Kleid,
was sie vor dieser Zeit nie getragen hatte,
Hermelin und Samt;
den besten Zobel, den man fand,
der war das Gewand des Mädchens.
Sie leuchtete schon so schön in schwacher Kleidung –
so dass sie jetzt jedem Wunsch vollkomen standhält.
Niemand wüsste euch restlos zu sagen
von ihres Herzens Trauer und auch von ihrer Klage,
von der Mutter grimmigem Leid
und auch von des Vaters Müh und Last,


als sie ihr liebes Kind von sich weg,
in aller Gesundheit, hinführten,
in einen so gewissen Tod.
Nur dass ihnen diese Not sanfter machte
die reine Gottesgüte,
von der auch die Entschlossenheit
für das kleine Kind herkam,
dass es den Tod gerne auf sich nahm.
Es war auf ihren Rat hin so gekommen;
damit war von ihnen genommen
so mancherlei Beschwernis,
denn sonst wäre es ein Wunder gewesen,
dass ihnen das Herz nicht brach.
Ungemach war ihnen Liebe
und sie hatten keine Art von Not
um den Tod ihres lieben Kindes.
So reiste nach Salerno,
fröhlich und gerne,
die Maid mit ihrem Herrn.
Sie beklagte nichts so schmerzlich
wie dass der Weg so lang war,
dass sie so lang am Leben blieb.
Als er auf das Feld kam vor die Stadt,
bat er Gott inniglich,
dass seine Reise erfolgreich sein möge;
dass er ein so weites Land
hinter sich lassen musste,
dafür bat er Gott noch auf der Straße;
oder dass sie mit irgendwelchen Unehren
heimkehren müssten.
Darauf antwortete ihm die schöne Maid,
sie sprach: ›Herr, es ist euch wohl gesagt,
wer Leib und Leben hat und Hab und Gut,
der soll auch haben steten Mut
und soll Gott vor Augen haben,
so kannʼs ihm nimmer misslingen.
Nun tut noch dies, darin folgt mir,
lasst eure Zweifelgier!
Gott gibt euch eure Gesundheit zurück,
ihr gewinnt ein volles Fundament für Hab und Gut.‹
Als er sie dann gebracht hatte
dahin, wo er gedacht hatte,
und wo er seinen Magister fand,
da ward ihnen sofort
bestätigt und mitgeteilt:
er hätte eine Jungfrau mitgebracht,
wie er ihm aufgetragen hatte;
dazu ließ er sie ihn sehen.
Das dünkte den ganz unbillig;
er sprach: ›Kind, hast du dir
diese Rede selber genommen,
oder bist du dazu gekommen
durch die Drohung deines Herrn?‹
Darauf antwortete sie ihm so,
dass sie ganz allein diese Rede
von ihrem Herzen hätte.
Das nahm ihn mächtig wunder.
Er wies sie besonders
und eindringlich darauf hin
und fragte, ob ihr ihr Herr
diese Rede herausgedroht hätte;
er sprach: ›Kind, es ist nötig für dich,
dass du dich noch besser bedenkst.
Ich sage dir aufrichtig warum:
Wie du den Tod leiden musst,
wenn du das nicht freiwillig tust,
so ist dein junger Leib tot
und es nützt uns nicht soviel wie ein Brot.
Nun verbirg mir deinen Willen nicht!
Ich sage dir, wie dir geschehen wird:
Ich ziehe dich aus und du stehst entblößt da
und deine Scham ist riesengroß,
die du dann mit Recht hast,
wenn du nackt vor mir stehst.
Ich binde dir Bein und Arm –
sieh zu, ob dich dein schöner Leib erbarmt!
Ich sag dir von deinen Schmerzen:
Ich schneide dich auf das Herz zu
und breche es lebendig aus dir heraus –
Mein Fräulein, nun sage mir,
wieʼs um deinen Willen in der Hinsicht steht.
Nie geschah einem Kinde so weh,
wie dir von mir geschehen muss.
Dass ich das tun soll und sehen,
das macht mir große Sorge.
Sieh, was das mit deinem Leibe macht.
Reut es dich auch nur um Haaresbreite,
so haben wir all unsere Arbeit
und du Leib und Leben verloren!‹
So also ward sie hoch und teuer beschworen,
dass sie sich als standhaft erkennen
oder davon zurücktreten sollte.
Darauf antwortete ihm die schöne Maid;






sie sprach: ›ich bin ein klein bisschen verzagt,




mir ist ein Zweifel aufgekommen;
wisst ihr, wie der beschaffen ist?
Ich fürchte, dass unsre Arbeit
wegen eurer großen Verzagtheit
steckenbleibt.
Wennʼs nicht besser für ein Weib passte:
Ihr seid ein Hasenfuß!
Wie ist euere Angst so groß,
bloß weil ich sterben soll.
Wahrlich, ihr behandelt nicht wohl
eure Kunst und eure Meisterschaft!
Ich bin ein Mädchen und habe die Kraft;
traut ihr euch, mich zu schneiden,
ich trau mich’s wohl erleiden.
Ihr sagt mir viel von solchen Nöten
und wähnt daher, dass ich den Tod
mit umso mehr Furcht leiden würde.
Dabei habt ihr mir etwas zuliebe getan
und lockt mich erst richtig fest dazu.
Ich weiß wohl, für wen ich es tu.
Es soll in dessen Namen geschehen,
der starken Dienst wohl erkennt;
er lässt ihn nicht ungelohnt.
Ich weiß wohl, was Gott selber davon sagt:
Wer schweren Dienst leiste,
des Lohn sei der allermeiste!
Diesen grimmigen Tod
und diese beängstigende Not
und diese missliche Arbeit,
von der ihr mir vorhin gesagt habt,
die hatte ich von euch und auch ohne euch wohl gehört.
Ich wäre gewiss nicht hierhergekommen,
wenn ich mich nicht wüsste
an Treuen so fest,
dass ich es wohl erdulden werde.
Mir ist, bei eurer Huld,
schwächliche Furcht ganz und gar benommen
und ein so fester Mut aufgekommen,
dass ich so beängstigt hier stehe,
wie wenn ich zu einem Tanze gehen sollte.
Ich bin mir selber dermaßen hold,
ich gebe mein Kupfer für Gold her,
wie groß auch meine Angst ist,
der Tod kann sich im Nu
an meinem Leib vollenden;
mich dünkt, dass der eine Tag
nicht zu teuer gegeben sei
um das ewige leben.






Um Gottes Willen endet es beizeiten.
Lasst sehen, ob ihr ein Meister seid.‹






Da erfuhr er, dass sie wäre
wandelbar genug,
da brachte er sie dahin,
zurück zu dem kranken Mann.


Er sprach: "Herr, habt fröhlichen Sinn,
eure Maid, die ist gut.
Ich mache euch gleich gesund.‹
Im Augenblick führte er sie von dannen
in sein privates Gemach,
wo ihn niemand sah.
Einen Riegel warf er vor die Tür,
der arme Heinrich blieb draußen.
Er wollte ihn nicht sehen lassen,
wie es mit ihr zuende ging.
In der Kemenate,
die er gut ausgestattet
und medizinisch gut fand,
da hieß er sie sogleic
das Kleid ablegen.
Darüber war sie froh und wohlgelaunt;
eh er das Wort ganz ausgesprochen hatte,
entblößte sie ihren Busen
und riss die Kleider aus den Nähten.
Solcherart blieb sie ohne Kleidung
vollständig bloß vor ihm stehen
und schämte sich um keine Haaresbreite.
Als er sie so schön sah,
sagte er sich in seinem Herzen,
dass solche créature
der Welt kostbar wäre.
So sehr erbarmte sie ihn,
dass ihm der Mut und der Sinn
bei ihr beinahe verzagt war.
Da sah die schöne Maid auch schon
einen Tisch neben ihr stehen,
auf den er sie gehen hieß.
Der Sprung war hoch und weit,
mit dem die Maid auf den Tisch sprang.
Darauf band er sie ganz fest.
Dann nahm er in die Hand
ein Messer, das da daneben lag,
wie ers zu solchen Dingen zu tun pflegte,
das war scharf und breit,
nur dass es nicht so gut schnitt,
wie ihm lieb gewesen wäre.
Da sie nicht länger am Leben bleiben sollte,
da erbarmte ihn ihre Not.
Er wollte ihr den Tod sanft machen.
Da lag da auch daneben ein
gutgeeigneter Wetzstein.
Daran begann er zu streichen,
so recht gleichmäßig.
Als er das Streichen hörte,
zerstörte seine Freude ganz und gar
der arme Heinrich davor;
er lag außen bei der Tür
und dachte an des Kindes Treue.
Sie begann ihn schmerzlich zu reuen
und es erbarmte ihn so schmerzlich,
dass er sie nimmermehr
lebendig sehen sollte.
Er begann zu suchen und zu spähen,
bis dass er neben sich fand
ein Loch durch die Wand gehen.
Da sah er sie augenblicklich,
nackt und gebunden.








Als er sie so schön ansah,
sprach er zu sich selber:
›Du hast einen einfältigen Gedanken,
dein Sinn ist leider schwach geworden,




dass du dieses schmachvolle Leben,
das dir Gott gegeben hat,
nicht geduldig trägst,
und du doch nicht recht weißt,
ob dich des Kindes Tod retten wird.
Was dir Gott beschert hat,
das lass alles geschehen!
Du kannst ihren Tod nicht ansehen.‹
Die Rede ließ er alsbald.
Er begann, an die Wand zu klopfen
und befahl, ihn da reinzulassen.
Da sprach der Magister: ›Ich bin
nicht in der Muße dazu,
dass ich euch auftu.


Wartet, bis dies ergangen ist!‹
›Nicht doch, Herr Magister! sprecht vorher mit mir!‹


Er ging und ließ ihn ein.
Da ging der arme Heinrich hin,
wo er sie gebunden sah.
Dann sprach er zu dem Magister:
›Ihr sollt sie wieder aufstehn lassen.
Die Bezahlung, die wir vereinbart haben,
die will ich euch sehr gern geben.
Ihr sollt das Mädchen leben lassen.
Ihr Leib, der ist so liebenswert,
weißgott, nun kann ich
ihren Tod nicht ansehen.
Gottes Wille möge geschehen!‹
Er sprach: "Herr, wollt ihr solche Treue pflegen,
dass ihr euch des Mädchens annehmen wollt,
lieber Herr, dann tut das.
Ihr Wille, der ist gar gut,
euch eure Not aus der Welt zu schaffen,
dafür müsste sie auf den Tod liegen.‹
Der arme Heinrich sprach darauf:
›Eher wollt ich dies Ungemach
mehr als tausend Jahre dulden.
Ich bestätige euch fürwahr, Herr Magister,
dass ihr mir nichts erweist als Gutes.‹
Er wurde fröhlichen Gemüts,
als er die Maid sollte leben lassen.
So ward ihr Leib und Leben gegeben,
dass sie den Tod nicht erlitt.



Der Magister schnitt die Bande auf
und reichte ihr die Kleider.
Da geschah einem Kinde nie größeres Leid.
Als das Mädchen da sah,
dass ihr das Sterben nicht geschah,
da war sie damit voll Beschwernis.
Sie brach ihre Zucht und ihre Sitte.
Sie schlug sich gegen die Brust,
sie hatte Leid genug,
sie raufte und kratzte sich,
ihr Gebaren war so jammervoll,
dass niemand das gesehen hätte,
ohne dass ihm das Weinen gekommen wäre.
Und laut schrie sie:
›Oh weh mir und oh weh,
dass ich je geboren ward.
Nun erst habe ich verloren
die reiche Himmelskrone.
Die wäre mir zum Lohne
heut gegeben um die Not.
Nun bin ich erst recht tot!
Oh weh, gnädiglicher Christ,
was ist uns an Ehren genommen,
meinem Herrn und mir!
Nun entbehrt er und entbehre ich
der Ehren, die uns zugedacht waren,
wenn dies vollbracht worden wäre,
so wäre ihm der Leib genesen
und ich müsste immer heilig sein!‹
Wieviel sie auch bettelte um ihren Tod,
es bereitete ihr zusätzlich solche Not,
als niemand nach ihrem Willen tat,
weder auf Drohen noch auf Bitten.
Da erhob sich ein Schelten,
sie sprach: ›Ich muss entgelten
meines Herrn Zagheit.
Wahr haben mir die Leute gesagt
und ich habʼs auch selbst wohl gesehen:
Ich hörte die Leute behaupten,
mein Herr wäre zuverlässig und gut
und trüge festen Mannesmut.
Das weiß Gott wohl – sie haben gelogen,
die Welt war schon immer mit ihm betrogen.
Er war all seine Tage
und ist noch heute ein Weltfeigling.











Dass ihm eines Kindes Tod
hülfe aus aller Art von Not;
das ihm ohne Sünde wäre
und ohne ein Laster,
das traut er sich nicht erdulden.
Sieh, Herr, aus welchem Grunde
erschrakt ihr, als man mich band?
Nun war doch eine feste Wand
zwischen euch und mir.
Das weiß Gott, nun wagt ihr
nicht, einen fremden Tod zu sehen!
Ich will euch getreulich versichern,
dass euch niemand etwas tut,
das nicht nütze und gut für euch wäre;
falls ihr es in eurer Treue lasst,
das ist eine sehr schwache Hilfe.
Gott wird euch nicht dafür danken.
das ist gar zu viel an Treue
und an Verletzung meines Herzens.
Ihr braucht nimmermehr,
weder mir noch jemand anderm, klagen.
Ich will es euch aufrichtig sagen:
Weist ihr das Arztbuch zurück,
das weiß Gott wohl, mir ist es gleich,
wie lange euch Gott den Leib quält,
wenn ihr mir jetzt nicht folgen wollt.‹




Was sie nun auch an Schelten aufwand,
der arme Heinrich nahm es entgegen,
geduldig und im Guten,
wie das ein höfischer Ritter soll,
dem es an ganzer Tugend nie gefehlt hat.
Als der unnachgiebige Fremde
seinen Arzt bezahlt hatte
und seine junge Dame angekleidet,


da reiste er in sein Heimatland.
Auch wenn er das erkannt hatte,
dass er daheim finden würde,
aus allgemeinem Mund,
nichts als Lästern und Spotten.
Das aber überließ er alles Gott.
Dann hatte sich auch die schöne Maid
völlig ausgeweint und ausgeklagt,
schmerzlich bis an den Tod von Leib und Leben.
Da erkannte ihre Treue und ihre Not
cordis spectator,
da niemandes Herzenstor
je von Anfang an verschlossen ist,
der durch seine süße Handwerkskunst
das an ihr zu tun geruhte,
dass er sie in Versuchung führte,
so recht und unbedingt
wie auch Hiob, den reichen und mächtigen.






Da gedachte unser Herre Christ,
wie lieb ihm Treue ist,
und schied sie darauf beide
von allem ihrem Leide




und machte den Herrn noch unterwegs
durch die Pflege unsers Herrgotts
ohne irgendeinen Zweifel
an seinem Leibe gesund,

dass er dermaßen gut genas,
wie er vor zwanzig Jahren gewesen war.
Als die Zeichen geschehen waren,
wie wir dies Buch sagen hören,
da die Wahrheit geschrieben steht,
da ward nicht länger geschwiegen.









Es gingen Nachrichten durchs Land,
dass genesen wäre
der gute Herr Heinrich.
Darüber freuten sich die Leute alle,
es sei denn, jemanden hätte der Neid gepackt,
der seit Adams Zeiten
in der Welt nie zum Erliegen kam
und weiterbesteht bis an den Sühnetag.
Seine Freunde, die besten,
die von seiner Ankunft wussten,
die ritten und gingen ihm,
ihn zu empfangen,
wohl drei Tage entgegen.
Sie glaubten der Aussage von niemandem,
nur ihren eignen Augen.
Sie erblickten das Geheimnis Gottes
an seinem schönen Leib.
Dem Meier und seinem Weibe –
wenn man sie nicht ihres Rechts berauben wollte
ihr sollt es wohl glauben,
dass sie nicht daheim blieben.
Die Freude bleibt für immer ungeschrieben,
die sie beide hatten,
als Gott ihnen dazu verholfen hatte,

dass beide gesund waren,
ihre Tochter und ihr Herr.





Als sie dahin eilen sollten,
wo sie sie empfangen mussten,
war der Gruß besetzt
mit seltsamen Verhaltensstücken:
mit dreifach großer Freude,
so dass das Lachen begoss
der Regen von den Augen.
Daran ist nichts Erlogenes.




Sie küssten ihrer Tochter Mund
viel mehr als dreimal.
Auch empfingen ihn die Schwaben
mit herrlicher Gaben.
Es war ein eigenwilliger Gruß,
das muss ein jeder Mann zugeben,


so dass größere Freude nie ward.
Wie es bei ihrer Heimkunft
dann weiterging
oder wie sie ihn empfingen –
was kann ich mehr davon sprechen:
Er wurde viel reicher und mächtiger als ehedem
an Hab und Gut und an Ehren.
Das begann er alles zu wenden,
freiwillig, hin zu Gott,
und sein Begehr war, seinem Gebot mehr zu entsprechen,
mehr als er ehedem tat.
Daher blieben sie an Ort und Stelle,
der Meier und die Meierin.
Die hatten um ihn sehr wohl
verdient Ehre und Gut.
Nie wurde er so schwachmütig,
dass es sich ihm nicht zum Rechten wandte:
Auf der Stelle übergab er ihnen als Eigentum
den Boden und die Leute,
die ganze weite Rodung,
wo er als Kranker gelegen hatte.
Da verhielt er sich seiner Gnade entsprechend:


wie gegenüber einer Dame und besser –
das gebot ihm das Recht,
auch sein tugendhaftes Gemüt;
er war getreu und gut.
Da begannen ihm die Weisen,
Ratschläge vorzutragen und Lobeshymnen
von wegen ehelicher Freite.
Ein Rat kam nicht zusammen.
Er sagte ihnen allen, wie ihm zumute wäre.
Er sprach, wenn es sie gut dünke,
wollte er eine Versammlung einberufen
und dann das Gespräch zuendebringen.




Wie schnell bekam er da zusammen
Freunde, Verwandte, Dienstmannen,
und tat ihnen das allensamt kund.
Drauf sprach man wie aus einem Munde,
es wäre gut und an der Zeit.
Drauf erhob sich ein großes Streiten
im Rate der Anwesenden,
der eine redete her, der andre hin,
wiesʼs die Leute halt machten,
wo man raten sollte.


Ihr Rat, der taugte nichts.
Drauf sprach der Herr Heinrich:
›Nun ist euch allen wohlbekannt,
dass ich vor kurzem noch war
äußerst unangenehm
und der Welt widerwärtig.
Nun habe ich einen gesunden Leib,
nun scheut mich weder Mann noch Weib,
nach dem Gebot unsers Herren.
Nun ratet mir alle um Gottes Willen,
von dem ich die Gnade habe,
die Gott an mir getan hat,

wie ich ihm das vergelte.‹
Sie sprachen: ›Nehmt euch in den Sinn,
dass euch Leib und Leben und Hab und Gut,
dazu euer stetes Gemüt,
immerdar untertan sei!‹
Sein Gemahlchen stand dabei,
die er gar liebevoll ansah.
Er umfing sie und sprach:
›Hiermit ist euch allen gesagt und ausgebreitet,
dass durch dieses schöne Mädchen
mein Leib gesund geworden ist,
die ihr hier vor euch stehen seht.
Sie ist nun aber ebenso frei wie ich.
Nun rät mir all mein Sinnen,
dass ich sie zu meiner Herrin mache –
gebe Gott, dass es euch zupasskommt!

Wenn es aber so nicht vor sich gehen kann,
merkt das und habt keine falsche Hoffnung,
so will und werde ich ohne Weib bleiben,
denn ich habe Ehre und Leib und Leben
nur, weil sie der Grund dafür ist,
durch die Huld unseres Herrn.
So bitte ich euch alle,
dass es euch wohlgefalle.‹


Das dünkte sie ganz recht..
Da waren genügend Pfaffen,
die gaben sie ihm zur Ehefrau nach dem Gesetz.

Nach weltlicher Wonne
wollten sie beide nicht.
Die Zuversicht zweier Engel
schien an ihnen beiden auf,
als sie sich trennen mussten.
Er hätte sie schon beschlafen
nach üblichem Verhalten der Welt –
vor Gott aber tröstete er sich damit,
dass er sich in ein Kloster begab
und sich befahl der freien
Gottesmutter Sankt Marien –
in ein Domstift in der Nähe.
Was hätte er je besseres tun können!
Da verdienten sie beide gleichermaßen
das himmlische Reich des Herrn.
Solcher Lohn mög uns allen
zur Letze zufallen,
wie sie ihn da entgegennahmen.
Dazu helf uns Gott, Amen,
durch seiner Marter Ehr!
Nun ist der Red nicht mehr.