Geschäftszahl U I 3/23
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Im Namen der Republik!
Das Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht hat heute in
Gegenwart
des
Privatanklägers Karl Kraus
und seines Vertreters Dr.
Oskar Samek
in Abwesenheit
des Angeklagten Karl Schiffleitner
und in Gegenwart
des Verteidigers Dr. Heinrich Foglar-Deinhartstein
über die Anklage verhandelt,
die der Privatankläger
gegen Karl Schiffleitner
26. J. verh,
verantwortlicher Redakteur der
„Reichspost“
wegen der Übertretung des
§ 23 Preß Ges.
erhoben hatte,
und über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Betstrafung und
ver
öffentlichung der Berichtigung
zu Recht erkannt: I. wird
festgestellt: von der Berichtigung, die
der Privatankläger mit Bezug auf den mit der Ueberschrift „EinKreislauf“ in der
Nummer 319 der „Reichspost“ vom
29./XI.1922
abgedruckten
Artikel dem verantwortlichen Redakteur Karl Schiffleitner
der erwähnten Zeitung zur Veröffentlichung zukommen ließ,
sind zu veröffentlichen:
30. November
An den verantwortlichen Redakteur der „Reichspost“
Wien VIII. Strozzigasse
Gemäss § 23 P.G. werden Sie aufgefordert, die folgende Berichti
gung des in Nr. 319 der „Reichspost“ vom 29.
November 1922
erschienenen, meinen Mandanten
betreffenden Artikels „Ein Kreislauf“
abzudrucken:
Es ist unwahr, dass es in
der im Novemberheft der „Fackel“
veröffentlichten Rede
heisst, Karl Kraus sei
„einst“ durch den
leidigen Zufall der Geburt in die jüdische Glaubensgenossenschaft
geraten. Wahr ist, dass es
dort heisst, er habe „einst die jüdi
sche
Glaubensgenossenschaft“, in die er durch den leidigen Zufall
der Geburt geraten war,
„verlassen“. Es ist unwahr,
dass es dort
heisst, er habe
eine Zeitlang „der bequemen Konfessionslosigkeit“
gehuldigt. Wahr ist, dass es
dort heisst, er habe sich „nach einer
Zeit der bequemen und
nie genug gewürdigten Konfessionslosigkeit
von einem Teufel in den
Schoß der alleinseligmachenden Kirchen ver
führen
lassen“. Es ist unwahr, dass es dort heisst, er habe dies
„ohne
zwingenden Grund“ des Glaubens oder des Geschäftes getan.
Wahr ist, dass es dort
heisst: „Man mag mich verdammen, weil ich
ohne einen zwingenden
Grund, sei es der speziell in die katholische
Richtung gewandte
Glaube, sei es das häufigere Motiv politischen
oder sozialen Strebens,
also jener Konversion, die die Konversion
eines Geschäftes ist,
sie vollzogen habe.“ Es ist unwahr, dass es
dort heisst: Kraus „wurde also Katholik und blieb es
wunderbarer Weise noch
während des Weltkrieges“. Wahr ist, dass
der Satz lautet: „Wie dem immer sei, ich wurde
Katholik und ich blieb
es
wunderbarer Weise noch während des Weltkrieges …“. Es ist un
wahr, dass es
dort heisst, nun aber sehe er sich „genötigt,
wieder aus
der
katholischen Kirche auszutreten, hauptsächlich aus Antisemitismus“.
Wahr ist, dass der Satz mit
den Worten schliesst: „sehe ich mich
genötigt, aus der
katholischen Kirche auszutreten, nicht nur
aus Gründen einer
Menschlichkeit, die bei den Hirten in so schlech
ter Obhut
ist, sondern hauptsächlich aus Antisemitismus“. Es ist
unwahr, dass es dort heisst:
und endlich „war die katholische Kirche
nicht einmal zu einem
Bannstrahl gegen die Dynasten zu haben“.
Wahr ist, dass der Satz mit
den Worten beginnt: „Aber nicht genug
an dem: die katholische
Kirche, die nicht einmal einem konstenlosen
Bannstrahl gegen die
Dynasten zu haben war, welche den Völkern das
Ultimatum der Pest und
der Syphilis überbracht haben ........“
Dr Samek
II. Karl Schiffleitner wird verpflichtet, diesen Teil der
Berichti
gung
in der nächsten oder zweitnächsten Nummer nach Zustellung
des Urteiles in demselben
Teile der genannten Zeitung und in der
gleichen Schrift, wie die zu
berichtigende Mitteilung ohne Ent
gelt zu
veröffentlichen. Würde die genannte Zeitung den oben
festgesetzten Teil der
Berichtigung spätestens in der zweitnäch
sten Nummer die
nach Zustellung des Urteiles erscheinen wird, nicht
bringen, so darf diese
Zeitung nicht mehr erscheinen.
III. Karl Schiffleitner wird von der Anklage
wegen Uebertretung
nach § 23 Press Ges., angeblich begangen dadurch, dass er als ver
antwortlicher
Redakteur der genannten Zeitung sich grundlos wei
gerte, die ihm
mit Bezug auf den mit der Ueberschrift „Ein Kreislauf“ in der Nr. 319 der
„Reichspost“ vom 29./XI. 1922 zugekomme
ne Berichtigung
zu veröffentlichen, gemäß
§ 259/3 St.P.O.
freigesprochen.
Gründe:
Bei der Urteilsfällung waren
für das Gericht nachstehende Erwä
gungen
maßgebend:
Die ganze Berichtigung gliedert sich in 7 Punkte; die ersten
6,
beginnend mit den Worten „Es ist
unwahr, dass es im Novemberheft ......“
und schließend „Syphilis
überbracht zu haben“ entsprechend nach
der Ansicht des Gerichtes vollständig dem Gesetze. Sie
sind
reine
Tatsachenberichtigungen, es handelt sich nämlich darum, ob
die in der Reichspost
angeführten Teile einer in der Nr. 601 –607 (November 1922) der
„Fackel“ abgedruckten Rede, tatsäch
lich in der
genannten Nummer der Fackel gestanden sind.
In der Berichtigung ist
stets gesagt, welche Stellen richtig und
welche unrichtig sind, ob
die Zitierung bestimmter Worte, die
in der fraglichen in der
„Fackel“ abgedruckten Rede
enthaltenen
sind, im
inkriminierten Artikel der
„Reichspost“ vorgenommen wurde
oder
nicht, ist eine Tatsache und kann als solche berichtigt werden.
Anders verhält es sich nach
der Anschauung des Gerichtes hin
sichtlich des
Punktes 7 „Es ist
unwahr, daß eifrige Anlehnungen …
……. zur Wahrscheinlichkeit machen …… wahr ist ……. die
Rede
ist.“
Dieser Punkt entspricht nicht dem Gesetz, denn die Berichtigung
enthält in diesem Punkte nicht eine Berichtigung mitgeteil-
ter Tatsachen, da der
Umstand, daß eifrige Anlehnungen etwas zur
Wahrscheinlichkeit machen, eine Meinung und keine Tatsache ist,
selbst wenn es richtig sein
mag, dass dieser Meinung Tatsachen zugrun
de liegen. Der
Punkt 7 ist daher nicht berichtigungsfähig.
Da die Berichtigung auch Stellen (Punkt 7 der Berichtigung) ent
hält,
die nicht eine Berichtigung mitgeteilter Tatsachen sind,
so konnte ihre
Veröffentlichung daher in der vorliegenden Form
vom Beschuldigten abgelehnt werden und das Gericht hatte im Sinne
des § 24 (3) festzustellen, was von der Berichtigung zu veröffentlichen
ist, und den Beschuldigten freizusprechen.
Wien, am 13. Jänner 1923
[Unterschrift]
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