Karl Kraus (×)


Abschrift!


Eing. am 7. Aug. 25 U I 110/25
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An das
Strafbezirksgericht I.
Wien.


Laut Poststempel
5./8.25. aufgegeben


Privatankläger
Karl Kraus u Marie Turnowsky
durch:
Dr Oskar Samek, Rechtsanwalt
in Wien


Beschuldigter
Dr Marc Siegelberg
durch:
Dr Valentin Rosenfeld
Wien I. Wipplingerstr. 21
Telefon 61-3-21 u 64-3-26


wegen § 30 Pr.Ges. einfach


Berufungsausführung
des Beschuldigten.


Die gegen das hg. Urteil vom 22. Juli 1925
U I 110/25/10 rechtzeitig angemeldete
Berufung führe ich im Punkte der
Nichtigkeit im Folgenden aus:


Das Urteil ist nach § 468Ziffer 3 (§ 281 Zahl 9a) nichtig. Der
§ 30 Pressgesetz bestimmt, daß der
verantwortliche Redakteur einer
Zeitung für die Vernachlässigung
der Sorgfalt verantwortlich ist,
bei deren pflichtgemässer An
wendung die Aufnahme eines
strafbaren Inhaltes in der
Druckschrift unterblieben wäre.


Daraus geht klar und
deutlich hervor, daß der ver
antwortliche Redakteur nur
für jene strafbaren Handlungen
verantwortlich ist, die durch
den Inhalt einer Druckschrift
begründet werden. Eine solche
strafbare Handlung ist aber
im vorliegenden Falle gar
nicht inkriminiert worden.


Eine solche wäre vorgelegen,
wenn die Privatankläger inkrimi
niert hätten, daß sie durch das
Bild beleidigt worden sind.


Sie haben aber nicht den
Inhalt des Artikels, bezw. der
Photographie, inkriminiert, sondern
lediglich die Art der Erwerbung
der Photographie inkriminiert.
Dafür haftet der verantwortliche Redakteur keinesfalls.
Kein verantwortlicher Redakteur
könnte seiner Aufgabe gerecht
werden, wenn er bei jedem
in der Zeitung erschienenen Bilde
und bei jedem Bilde unter
suchen müßte, ob der Autor
oder der Verfügungsberechtigte
die Zustimmung zur Publikation
gegeben habe. Das Gesetz
beschränkt eben seine Verpflichtung
auf die Überwachung des Inhalts
und nur für diesen ist er
verantwortlich.


Daraus geht eindeutig und
zweifelsfrei hervor, daß das
Vergehen gegen das Urheberrecht,
bezw. eine Übertretung desselben
dem verantwortlichen Redakteur
als eine Vernachlässigung der
pflichtgemässen Sorgfalt nach
§ 30 Pressgesetz nicht zur Last
gelegt werden kann.


Die Berufung punkto
Nichtigkeit ist somit begründet.


Dr. Marc Siegelberg
durch
Rosenfeld


Wien, am 6. Aug. 1925
Rekommandiert.