Abschrift.
U I
110/25
15 XV 738/28
Im Namen der Republik!
Vor dem Landesgericht in Strafsachen I Wien als
Berufungsgericht hat gemäss der die Verhandlung anordnenden
Verfügung vom 19. August
1925 am 9. Oktober 1925 unter dem
Vorsitz des Hofrates Dr. Ehrenreich
im Beisein des Hofrates Gottfried
im Beisein des Hofrates Neuwirth
im Beisein des L.G.R. Dr. Moyrisch
und der Offztin Weber
In Abwesenheit der
Privatankläger Karl
Kraus und MarieTurnowsky
In Gegenwart des Vertreters
Dr. Oskar
Samek
In Abwesenheit des
Angeklagten Dr. Marc Siegelberg
In Abwesenheit des
Verteidigers Dr. Samuel Schlesinger für
Dr. Valentin Rosenfeld S.V.31
3.21
die Verhandlung über die Berufung der
Privatankläger
im Punkte
der Strafe und des Angeklagten im Punkte der
Schuld
Strafe und
Nichtigkeit gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes Wien vom 22. Juli 1925
Geschäftszahl U I 110/25/10
stattgefunden. Das Gericht hat über den
Antrag der Berufungs
werber ihrer eigenen Berufung Folge
zu geben und die gegneri
sche Berufung abzuweisen
10. Oktober 1925 nach öffentlicher Verhandlung zu Recht
erkannt:
Der Berufung des Angeklagten Dr. Marc
Siegelberg
wird insofern stattgegeben,
als das angefochtene Urteil auf
gehoben wird und es wird in
der Sache zu Recht erkannt:
Dr. Marc Siegelberg, geboren am 24. Juni 1925, verh.
verantwortlicher
Schriftleiter der Zeitung „Die Stunde“
ist schuldig am 20. März
1925 in Wien die Übertretung des
§ 45 Abs. 1 Zl. 3 des Urheberrechtsgesetzes dadurch begangen
zu haben, dass er als
verantwortlicher Schriftleiter der
Zeitung „Die Stunde“ die an jenem Tage ausgegebene Nr. 610
dieser Zeitung, in der ein
durch nachträgliche Retouchierung
entstelltes
Fotographieporträt der beiden Privatankläger
Karl Kraus und
Marie Turnowsky ohne deren Zustimmung
nach
gebildet
war, erscheinen liess, somit diese Porträts ver
öffentlichte und ihre
Nachbildungen in Vertrieb setzte und
hiedurch über
Fotographieporträts ohne Zustimmung der dar
gestellten Personen unter
das Urheberrecht fallende Verfügung
traf.
Hiefür wird der Angeklagte
Dr. Marc Siegelberg gemäss
§ 45 Abs. 2 Urheberrechtsgesetz im
Rahmen des Strafsatzes
des
§ 30 Pr.G. zu einer Geldstrafe von 20.– S (zwanzig Schil
linge)
verurteilt, an deren Stelle im Falle der Unein
bringlichkeit die Strafe des
Arrestes in der Dauer von 48
Stunden zu treten hätte.
Durch diese Straferhöhung wird auch
der Berufung der beiden
Privatankläger Folge gegeben.
Gemäss der § 389, 390 a ST.P.O. hat der Verurteilte
die Kosten des
Strafverfahrens in beiden Instanzen so wie
die des Strafvollzuges zu
ersetzen.
Gründe:
Der Erstrichter hat festgestellt, dass in der am
20. März 1925 erschienen Nummer 610 der Zeitung „Die Stunde“
die auf fotomechanischen
Wege hergestellte Nachbildung einesFotographieporträts
der beiden Privatankläger enthalten ist.
Laut des Impressums war der
Angeklagte Dr. Siegelberg zu je
ner Zeit verantwortlicher
Schriftleiter der genannten Zeitung.
Dass die Privatankläger zur
Veröffentlichung ihrer Porträts
ihre Zustimmung nicht
erteilt haben, wurde von der Verteidigung
stillschweigend zugegeben. Die von ihr vorgebrachte
Verantwortung des Angeklagten, dass dieser das inkriminierte
Bild nicht zum Druck befördert und vor der
Drucklegung nicht
gesehen
habe, ist nicht widerlegt worden. Der Erstrichter
hat
daher mit Recht als erwiesen angenommen, dass der objek
tive Tatbestand der
Übertretung des § 45 Abs. 1 Zl. 3 Urheberrechtsgesetz
vorliegt, er war jedoch der Ansicht, dass
der Angeklagte nur wegen Vernachlässigung der pflichtgemässen
Obsorge nach § 30 Pr.G. verurteilt werden könne.
Dieser Rechtsanschauung
vemag der Gerichtshof nicht bei
zupflichten. Eine
Verurteilung des verantwortlichen Schrift
leiters einer Zeitung, deren
Inhalt eine strafbare Handlung
begründet, wegen Vernachlässigung der pflichtgemässen Sorg
falt im Sinne des § 30 Pr.G. tritt nur dann ein, wenn er
nicht als Täter oder
Mitschuldiger strafbar ist. Im gege
benen Falle erachtet der Gerichtshof die Täterschaft des
verantwortlichen Schriftleiters für erwiesen. Zu dessen
Auf
gaben
gehört es, jede Zeitungsnummer vor ihrer Ausgabe
darauf zu prüfen, ob ihr
Erscheinen mit Rücksicht auf den
veröffentlichten Inhalt
gesetzlich zulässig ist. Findet er,
dass durch einen darin
enthaltenen Artikel oder durch ein
darin aufgenommenes Bild das
Strafgesetz verletzt wird, so
hat er die Ausgabe dieser Nummer zu verhindern. Unterlässt
er diese Prüfung oder
Verhinderung ohne durch einen unab
wendbaren Umstand verhindert
gewesen zu sein, so trägt er
Schuld an dem Erscheinen der Zeitungsnummer und an der Ver
öffentlichung dieses
Inhaltes. Der verantwortliche Schrift
leiter einer Zeitung, in der
Fotographieporträts lebender
oder verstorbener Personen veröffentlicht werden – dass dies
in der Zeitung, „Die Stunde“ regelmässig geschieht,
ist
gerichtsbekannt –
muss sich insbesondere vergewissern, ob
die nach § 45 Abs. 1 Zl. 3 im Zusammenhange mit § 35 Urheberrechtsgesetz zur
Veröffentlichung des fotographischen Werkes
zu seiner Nachbildung und
zum Vertrieb der Nachbildungen
erforderlichen Zustimmung der dargestellten Person oder ihren
Erben erfolgt ist oder
nicht. Dies ist keineswegs die Zu
mutung einer unmöglichen
oder besonders schwierigen Leistung.
Unterlässt der
verantwortliche Schriftleiter diese Ermittlung
und kommt es infolge dessen
zur Veröffentlichung eines Fo
tographieporträts in der
Zeitung ohne Zustimmung der darge
stellten Personen, so ist
diese Veröffentlichung durch die
Nachlässigkeit des
verantwortlichen Schriftleiters verschul
det. Zur Begehung der
Übertretung des § 45 Abs. 1 Zl. 3
Urheberrechtsgesetz genügt
die Schuldform der Fahrlässigkeit.
Böser Vorsatz ist nicht
erforderlich. Übertretungen sind durch
die Bestimmung des § 238 St.G. in der Regel auch bei Fahr
lässigkeit zurechenbar. Eine
Ausnahme ist für das in Rede
stehende Delikt nicht statuiert. Wer daher durch seine Nach
lässigkeit Schuld daran ist,
dass ein Fotographieporträt in
einer Zeitung veröffentlicht wurde, ohne dass die Zustimmung
der dargestellten Personen
oder ihrer Erben vorlag, hat sich
als Täter der Übertretung
des § 45 Urheberrechtsgesetz
schuldig gemacht. Im
gegebenen Falle wurde dieses Gesetz
durch die Ausgabe der das
Bild der beiden
Privatankläger
enthaltenen Zeitungsnummer
mehrfach verletzt, dass das Fo
tographieporträt nicht nur
veröffentlicht wurde, sondern
seine Nachbildungen auch in Vertrieb gesetzt worden sind,
dass die Zeitungsnummern an
das Publikum verkauft wurden. Dass
der verantwortliche
Schriftleiter durch Unterlassung der
pflichtgemässen Obsorge
unter Umständen als Täter der durch
das Erscheinen der Zeitung
begangenen strafbaren Handlung
verantwortlich ist, hat der oberste
Gerichtshof in einem
dem vorliegenden ähnlichen Falle in der Entscheidung vom
9. Jänner 1921 (Sammlung Nr
3809) ausgesprochen. Es handelte
sich um eine nach Art. VIII des Ges. vom 17. Dezember 1862R.g.Bl. Nr 8 aus
dem Jahre 1863 unzulässige Veröffentlichung.
In den Gründen dieser
Entscheidung heisst es: „Die Straf
barkeit wird durch die wenn auch nur culpos gesetzte Ver
öffentlichung begründet
…. Bereits in dem passiven Verhalten
des Angeklagten im Bezug
auf die Einschaltung der inkri
minierten Artikel in die
von ihm redigierte Zeitung liegt
jener Grad von
Fahrlässigkeit, der die Zurechnung des
ihm zur Last gelegten
Deliktes als gerechtfertigt erscheinen
lässt …. Die blosse
Tatsache, dass er von der Veröffentlichung
dieses Artikels nichts
gewusst hat, kann ihn nicht exculpie
ren. Die von ihm damit
eingestandene Vernachlässigung über
nommener Pflichten
erschöpft den Begriff strafrechtlich
relevanter
culpa.“ Aus diesen Gründen musste das angefoch
tene Urteil aufgehoben und
der Übertretung des § 45 Abs. 1Zl. 3 Urheberrechtsgesetz schuldig gesprochen werden. Dieses
Gesetz bezweckt nicht den
Schutz eines Urheberrechtes, son
dern den eines
Persönlichkeitsrechtes, Individualrechtes, das
als „Recht am eigenen
Bilde“ bezeichnet wird, ohne Rücksicht
darauf, ob an dem Porträt
ein Urheberrecht besteht oder
nicht. Solange die dargestellte Person lebt, ist ihre Zu
stimmung und nach ihrem Tode
ist die ihrer Erben zur Ver
öffentlichung oder
Nachbildung ihrer Fotographieporträts
notwendig.
Bei der Bemessung der Strafe
wurde der Grundsatz
des
Verbotes der reformatio in pejus – seitens der Privat
ankläger gegen die
Subsummierung der Straftat unter § 30Pr.G. kein Rechtsmittel ergriffen worden – insoweit zu be
rücksichtigen, als der im
Vergleich zum Strafrahmen des § 45Urheberrechtsgesetz engere des § 30 Pr.G. nicht überschritten
werden durfte. Innerhalb
dieses Strafrahmens wurde der
Strafberufung der Privatankläger stattgegeben, indem die
Strafe auf 20.– S erhöht
wurde. Hiebei wurden als mildernde
Umstände die
Unbescholtenheit des Angeklagten und das
Geständ
nis
des Tatsächlichen gewertet, denen als Erschwerungs-
gründe kränkende
Entstellung des Bildes des Privatanklägers
Karl Kraus die
zweifache Begehung des Deliktes gegen zwei
Personen gegenüberstanden.
Diese Erschwerungsgründe erach
tete der Gerichtshof als überwiegend. Der Ausspruch über
die Kosten des
Strafverfahrens ist die gesetzliche Folge
der Verurteilung des
Angeklagten.
Der Vorsitzende:
Dr. Ehrenreich
der Schriftführer:
Weber