U I
286/25
G.Z. Bl. XV 176/26
10
Im Namen der Republik
Österreich!
Vor dem Landesgericht in Strafsachen I Wien als
Berufungsgericht hat gemäß
der die Verhandlung
anordnenden Vefügung vom 21. Januar 1926 an
unter dem Vorsitz des Hofrates Gottfried
im Beisein des Hofrates Heidrich
Hofrates Neuwirth
Hofrates Dr. Moldauer
und des Offztin Weber als Schriftführers
in Abwesenheit des
Privatanklägers Karl Kraus
in Anwesenheit dessen
Vertreters Dr. Oskar Samek
(o.V. 12.12.25) in
Anwesenheit des Angeklagten
Dr. Fritz Kaufmann und in Abwesenehit des
Ange
klagten
Anton Kuh und
des Verteidigers Dr. Friedrich Schnepp für Anton Kuh
(o.V. 17.I.26) die
Verhandlung über die Berufung
des Privatanklägers pto. Nichtigkeit gegen
das
Urteil des Strafbezirksgerichtes I Wien
vom 21. Jänner 1926 G.Z. U I
286/25/5 stattgefunden.
Das
Gericht hat über den Antrag des klägerischenVertreters der Berufung des
Privatanklägers Folge
zu geben und den des Verteidigers für zurück
zuweisen.
Am 2. März 1926 nach
öffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:
Der Berufung des Privatanklägers wird
Folge gegeben, das Urteil nach § 475/3St.P.O. aufgehoben und dem Bezirksgericht
aufgetragen sich der
Verhandlung und
Urteilsfällung zu unterziehen.
Der Ausspruch über die
Kosten wird
der Entscheidung
vorbehalten.
Gründe:
Das Berufungsgericht erachtet den
Nichtigkeitsgrund nach § 281 Zl. 6 und 468/3St.P.O. für gegeben, da das Bezirksgericht
zur Entscheidung der
vorliegenden Sache
zuständig
erscheint. Unter Anklage steht
die Beschimpfung des Privatanklägers
durch den Ausdruck
Vortragsaffe in den
Nummern 778 und 858 der Stunde vom
10. Oktober 1925 bezw. 20.
Jänner 1926, wofür
Anton Kuh und Dr. Fritz Kaufmann, Letzterer
als verantwortlicher
Schriftleiter gemäß
§ 496 St.G. verantwortlich gemacht wurden.
Ob für letzteren die
Verantwortung im
Sinn dieser
Gesetzesstelle ganz oder
teilweise nach § 30 Pr.G. in Frage kommt,
ist für die Entscheidung der
Zuständigkeits
frage unentscheidend, ebenso auch die
Art der Erledigung der bei
der Hauptver-
handlung am 21. Jänner 1926
ausgedehnten
Anklage auf
die Äußerung des Anton Kuh:
„Ich bedaure nämlich durch den
Umstand,
daß Karl Kraus
den Ausdruck Vortragsaffe
als Schmähung und nicht als Ehrenbeleidigung
qualifiziert hat, mir
sonach nicht die
Möglichkeit geboten hat den Wahrheits
beweis darüber zu führen
ob er in
der Tat ein
Vortragsaffe ist, bestreiten zu
müssen, daß ich ihn
gemeint habe.“ Die
Bezeichnung eines Menschen als Affe öffentlich
in einer Zeitung ist
zweifellos eine
Beschimpfung,
denn durch diese Bezeichnung
wird dem Beleidigten die Mißachtung seitens
des Täters zum Ausdruck
gebracht und
derselbe in
seiner Menschenwürde und
Selbstachtung in der Öffentlichkeit herabgesetzt.
Die Beleidigung erfolgte
durch die Form und
nicht
durch den Inhalt der beleidigenden
Äußerung. Bei einer
mündlichen Beleidigung
ist
maßgebend wie der Zuhörer die Äußerung
im Zusammenhange mit anderen
gleich
zeitigen Äußerungen des Beleidigers auf
fassen muß. Das gleiche gilt
vom Leser
einer durch
Druckschrift begangenen Be
leidigung. Im vorliegenden
Falle be-
schäftigte sich Kuh zuerst mit denjenigen,
die seinen Namen zur
Zielscheibe ihres
Spottes
gemacht haben, bezeichnet dann den
neuesten Witzbold dieser Art
als Vor
tragsaffen
und fügt daran noch einige
Worte, die wieder an seine einleitende
Bemerkungen anknüpfen. Von
dem ganzen
Aufsatz in den
beiden vorerwähnten Zeitungs
blättern ist blos das Wort
Vortragsaffe
inkriminiert, wozu der Privatankläger
ohne weiters berechtigt
erscheint. Was voraus
geht und nachfolgt, blieb
außer Klage.
Es ist daher
nicht zu untersuchen ob das
Vorausgehende und das Nachfolgende
nicht etwa als eine
Verspottung nach
§ 491 St.G. zu qualifizieren wäre. Dem
Inhalt und dem Sinne nach
hat dieser mit
dem
inkriminierten Worte Vortragsaffe
gar nichts zu tun. Dieses
Wort steht für
sich allein
selbstständig da, und es würde
den Sinn des ganzen gar nicht tangieren,
wenn an Stelle des Wortes
Vortragsaffe
irgend ein
anderes nicht beleidigendes Wort
stünde. Es ist daher in
seiner Selbstständigkeit
zu
prüfen und zu werten und da
ist es klar, daß das Wort Affe nur
als Schimpfwort nach § 496 St.G. zu
qualifizieren ist, trotz
seiner Zusammen
setzung mit dem Worte Vortrag, weil
dieses Bestimmungswort nur
dazu
bestimmt ist, dem
Leser einen Wink zu
geben,
was unter diesem Affen zu
verstehen ist und ist in dem Wort Vor
tragsaffe nicht auf das
Bestimmungs
wort Vortrag sondern auf das
Grundwort Affe der Nachdruck zu legen,
welches ebenso wie viele
andere Tier
namen
eine reine Beschimpfung dar
stellt. Da aber das Wort
Vortragsaffe
ohne
weiteren Zusammenhang gebraucht
wurde und eine Auslegung
dieses
Wortes erst in der
gerichtlichen Ver
antwortung versucht wurde, so kann
darin noch keine Verspottung
im
Sinne des § 491 St.G. erblickt werden, zumal
die Wahl des inkriminierten
Ausdruckes
keinen
genügenden Anlaß bietet den
Privatankläger dem öffentlichen Spotte
preis
zugeben
und ihn der Verhöhnung aus
zusetzen.
Mit Rücksicht auf die
Bestimmung
des Artikels II der Strafprozeßnovellevom 15. Juni 1920
St.G. Bl. 279 und
und § 493 St.G. erscheint daher das
Bezirksgericht zuständig zur Erledigung
dieser Strafsache, da der
§ 496 St.G. im
§ 493 St.G. nicht zitiert ist, eine Schmähung
im Sinne des § 491 St.G. überhaupt nicht
in Frage kommt, da durch die
Wahl
des inkriminierten
Ausdruckes der
Privatankläger nicht verächtlicher Ei
genschaften und
Gesinnungen ge
ziehen wurde, daher ein Vergehens
tatbestand nicht vorliegt.
Da aber
das Bezirksgericht mit Rücksicht
auf die Lösung der
Zuständigkeitsfrage
die
ausgedehnte Anklage nicht weiter
erörtert hat, ist das Berufungsgericht
nicht in der Lage selbst zu
entscheiden
und muß dem
Bezirksgericht die neuer
liche Verhandlung und
Urteilsfällung
gemäß § 475/3 St.P.O. überlassen werden,
welches auch bei der
Enderledigung über
die Kosten
des Strafverfahrens zu entscheiden
haben wird.
Wien, am 2. März 1926.
Der Vorsitzende
Franz Gottfried
Für die Richtg. d. Ausf.
Pollak m.p.