G.Z. U I 237/26


Strafbezirksgericht Iin WIEN.


Privatankläger und Berufungswerber: Karl Kraus,
Schriftsteller in Wien III. HintereZollamtsstrasse No. 3,
durch:


Beschuldigter und Berufungsgegner: Dr. Fritz Kaufmann,
Wien VIII. Piaristengasse No. 56


wegen § 26, Abs. 6 P.G.


1 fach


Ausführung der Berufung.


Ich habe gegen das Urteil vom 21.
September 1926, G.Z. U I 237/26 die Berufung wegen
vorliegender Nichtigkeitsgründe und wegen des Aus
spruches über die Strafe angemeldet und um Zustellung
einer schriftlichen Urteilsausfertigung zu Handen
meines Anwaltes zur Ausführung der Berufung gebeten.
Die Ausfertigung wurde meinem Anwalt am 2. Oktober
1926 zugestellt. Ich erstatte innerhalb der acht
tägigen Frist folgende
Ausführung der Berufung.


I. Als Nichtigkeitsgrund mache ich den
des § 281, Z. 11 St.P.O. geltend. Nach § 24 Abs. 6 P.G.
begründet das Erscheinen jeder weiteren Nummer einer
Zeitung vor Erfüllung der Verpflichtung zur Veröffent
lichung eine Übertretung, für die der verantwortliche
Schriftleiter zu bestrafen ist. Der Richter erster
Instanz hat folgerichtig entschieden, dass der Beschuldigte diese Übertretung 30 mal begangen hat, ihn aber
unter Hinweis auf eine Entscheidung des Obersten Gerichthofes zu einer einzigen Kumulativstrafe verurteilt.
Diese Entscheidung entspricht nicht dem Gesetz. Der
Sinn dieser Gesetzesstelle kann unabhängig von dem § 5des Pressgesetzes nur der sein, dass so viele Strafen
zu verhängen sind, als Übertretungen begangen wurden.
Klarer noch als aus dem § 24, Abs. 6 P.G. geht dies aus
§ 25, Abs. 2 P.G. hervor, laut welchem der verantwort
liche Schriftleiter für die grundlose Verweigerung der
Veröffentlichung einer Berichtigung, oder Vornahme der
selben in einer dem Gesetze widersprechenden Weise,
„für jede vor Erfüllung der Verpflichtung erschienene
Nummer zu bestrafen ist.“ Die Aufnahme der ausdrücklichen
Bestimmung, dass jede Nummer eine Übertretung beinhaltet,
für die der Schriftleiter zu bestrafen ist, wäre sinnlos,
wenn eine Kumulativstrafe für mehrere Nummern vom Gesetz
geber beabsichtigt gewesen wäre. Denn es würde dann nach
einer gewissen Anzahl von Nummern, vor dem Wegfall der
Mindeststrafe, schon nach 10 Nummern eine Höchstgrenze
erreicht worden sein, sodass nachher die Unterlassung der
Veröffentlichung geradezu straflos bliebe. Da nun sowohl
§ 24, Abs. 6, als auch § 25 spezielle Bestimmungen darüber
treffen, dass das Erscheinen jeder weiteren Nummer als
Übertretung zu bestrafen ist, ist es nicht notwendig auf
§ 5 P.G. zurückzugreifen, um erst aus diesem auf die ge
sonderte Erkenntnis zu schliessen. Noch weniger aber geht
es an auf die erwähnte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes Bedacht zu nehmen, die dahin ausgeht, dass der
§ 267 St.P.O. eben dann anzuwenden ist, wenn keine spe
ziellen Bestimmungen des Gesetzes einen Ausnahmsfall sta
tuieren und obwohl dies im Gesetz nicht ausdrücklich ge
schrieben steht, als Voraussetzung verschiedene Übertre
tungen des Pressgesetzes verlangt, um den § 5 P.G. zur
Anwendung zu bringen.


II. Aber selbst wenn diese Auffassung un
richtig wäre, so entspricht die verhängte Strafe von
60 Schilling nicht dem Verschulden des Angeklagten. Der
Angeklagte ist unzählige Male wegen Pressdelikten vor
bestraft. Der ihm vom Erstrichter zugebilligte Mangel
des bösen Vorsatzes liegt keineswegs vor. Das Berufungs
urteil wurde dem Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann persönlich
zugestellt und er musste sich daher klar darüber sein,
dass nunmehr das Urteil erster Instanz, das schon wegen
der Heftigkeit, mit welcher über gewisse juristische
Fragen gestritten wurde, doch keineswegs alltäglich
und unbedeutend war, vollständig zu erfüllen sei . , zumal da die Berufung sich auch gegen die Pflicht zur Veröffentlichung richtete.
Überdies hatte doch der Beschuldigte, selbst wenn er
anfänglich vergessen hätte das Urteil zu veröffentlichen,
dies doch mindestens nach Zustellung der Ladung über
die Anklage tun müssen, so dass mindestens für die nach
Zustellung der Ladung erschienenen Nummern die Ausrede auf
ein Vergessen hinfällig wird und von diesem Tage an der
böse Vorsatz unbedingt erwiesen ist.


Ich beantrage daher, das Urteil erster
Instanz abzuändern und den Angeklagten Dr. Fritz Kaufmann
für jede Nummer entsprechend zu bestrafen, sollte aber
auch das Gericht zweiter Instanz der Ansicht sein, dass
eine Gesamtstrafe zu verhängen ist, dem Verschulden des
Angeklagten entsprechend über ihn die Höchststrafe zu
verhängen.


Ich bemerke hiezu noch, dass der Angeklagte
Dr. Fritz Kaufmann schon einmal wegen Nichtveröffentlichung
einer Berichtigung zur G.Z. U I 140/25 für jede Nummer
zu einer Strafe von 5 Schilling verurteilt wurde, während
eine einfache Rechnung ergibt, dass hier für jede Nummer
die lächerlich geringe Strafe von 2 Schilling verhängt
wurde.


Karl Kraus.


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