Die StundeDie Stunde, 28.4.1925Die FackelWar Karl Kraus ein schönes Kind? [28.4.1925]


Präs. 6705
17/26


Beschluß.


Die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I
hat in der Strafsache gegen Dr. Fritz Kaufmann wegen
Uebertretung nach § 30 Pr.Ges. U I 224/26 beschlossen, die vom
Privatankläger Karl Kraus geltend gemachte Ablehnung des
Hofrates Christoph Höflmayr als Richters in dieser Straf
sache gemäß §§ 74 und 72 StPO. als unzulässig zu erkennen.


Gründe:
Zur Begründung des Ablehnungsantrages wird zunächst im
allgemeinen geltend gemacht, daß Hofrat Höflmayr in Ver
kennung der in der Journalistik derzeit herrschenden Verhältnis
se bei der Handhabung des Preßgesetzes mit nicht berechtigter
Milde vorgehe. Diese Behauptung wäre selbst dann, wenn ihre Rich
tigkeit dargetan würde, keineswegs geeignet, als Beweis für die
nicht volle Unbefangenheit des genannten Richters zu dienen. Die
Entscheidung, ob ein Gesetz im Hinblicke auf die jeweils herr
schenden Verhältnisse im Rahmen seiner Bestimmungen strenger oder
milder anzuwenden sei, ist Gegenstand der richterlichen Ueberzeu
gung und berechtigt eine von der richterlichen Anschauung in die
ser Richtung abweichende Ansicht allein niemals zur Annahme, daß
dem Richter die volle Unbefangenheit mangle.


Die weitere Behauptung des Antragstellers, daß HofratHöflmayr insbesondere in Strafverfahren gegen der Zeit
schrift „Die Stunde“ angehörige Personen eine auffallende Nach
sicht an den Tag lege, wäre nur dann geeignet, einen berechtigten
Ablehnungsgrund zu bilden, wenn Tatumstände glaubhaft gemacht wor-
den wären, aus welchen mit Recht geschlossen werden konnte, daß
die behauptete Milde auf wohlwollende Befangenheit zurückzufüh
ren sei. Der Antragsteller war aber nicht in der Lage, auch nur
einen Tatumstand darzutun, welche zur Annahme einer begünsti
genden Behandlung eines angeklagten Funktionärs der „Die Stunde“ durch den Richter berechtigen würde.


Hofrat Höflmayr hat in seiner über den Ablehnungsantrag abgegebenen Aeußerung erklärt, daß ihm die der
Stunde“ angehörigen Personen ausschließlich durch seine amtli
che Tätigkeit als Richter in Preßsachen bekannt seien und er mit
keiner von ihnen außerdienstlich jemals verkehrt oder auch nur ein
Wort gesprochen habe. Irgend welche persönliche Beziehungen kön
nen daher als Ursache für die behauptete Befangenheit nicht in Fra
ge kommen. Der Antragsteller selbst war nicht in der Lage, diese
oder eine andere Ursache für eine Befangenheit des abgelehnten
Richters auch nur zu behaupten.


Zum Nachweise der Behauptung, daß Hofrat Höflmayr
eine auffallende Nachsicht und Duldung gegenüber Funktionären der
Stunde“ geübt habe, beruft sich der Antragsteller auf einen
Bericht in der Folge Nr. 641 der „Stunde“ vom 28. April 1925
über die in der Strafsache gegen Dr. Fritz Kaufmann wegen
Uebertretung nach §§ 23 und 24 PreßGes. U I 109/25 am 25. April
1925 vorgenommenen Hauptverhandlung. Dieser Bericht ist wohl kein
Beweis dafür, daß sich der Angeklagte tatsächlich in der in der
selben angeführten Weise bei der Hauptverhandlung geäußert hat.
Das Protokoll über diese enthält keine diesbezüglichen Angaben.
Selbst wenn aber die Anführungen des Berichtes vollkommen richtig
sein sollten, boten die vom Privatankläger mit Recht als beleidi
gend empfundenen Aeußerungen des Angeklagten dem Verhandlungsleiter schwerlich einen Grund zur Anwendung einer Disziplinarmaßre
gel nach §§ 235 StPO., weil diese Aeußerungen im logischen Zusam
menhange der Verantwortung des Angeklagten vorgebracht wurden und
daher nicht ohne weiters als „Beschimpfungen oder nicht zur Sa-
che gehörigen Beschuldigungen“ im Sinne der bezogenen Gesetzes
stelle angesehen werden konnten. Trotzdem hat der Verhandlungsleiter auch nach dem Zeitungsberichte das beleidigende Vorbrin
gen des Angeklagten möglichst einzuschränken getrachtet. Die
Strafbestimmungen der §§ 233 bis 236 StPO. haben nicht den Zweck,
einer während einer Hauptverhandlung beleidigten Person Genug
tuung zu verschaffen; dies bleibt ihr selbst überlassen und steht
ihr zu diesem Zwecke die Ehrenbeleidigungsklage zur Verfügung.
(237 3. Abs. StPO.). Die genannten Strafbestimmungen sollen nur
den Verhandlungsleiter in die Lage versetzen, die Ruhe, die Ord
nung und den Anstand im Gerichtssaale aufrecht zu erhalten. Wel
ches der ihm zu Gebote stehende Strafmittel ihm im einzelnen Fal
le zur Erreichung dieses Zweckes am geeignetsten erscheint, ist
ganz seinem Ermessen überlassen. Erfahrungsgemäß verfehlen ge
rade strenge Disziplinarstrafen häufig ihren Zweck, weil sie die
Gereiztheit der Stimmung nur erhöhen, was für den weiteren Ver
lauf der Verhandlung sicherlich nicht vom Vorteil ist, und er
weist sich daher eine einfache Zurechtweisung in vielen Fällen
als zweckmäßiger. Daß sich im gegenständlichen Falle der Verhandlungsleiter auf eine solche beschränkt hat, kann daher nicht
als ein Akt ausnahmsweiser Nachsicht und Duldung gedeutet werden.


Weiters wurde vom Antragsteller geltend gemacht, daß
Hofrat Höflmayr im Urteile vom 7. Oktober 1925 U I 223/25
gegen Ernst Ely, Redakteur der „Stunde“, wegen Uebertre
tung nach § 24, Abs. 6 PreßGes. unter Anwendung des außerordent
lichen Milderungsrechtes über den Angeklagten nur eine Geldstra
fe von 3 S verhängt und hiebei als mildernd das Geständnis an
genommen habe. Zunächst ist richtigzustellen, daß eine Strafe von
je 3 S.– für jedes des sechsmaligen Erscheinens der „Stunde
ohne Veröffentlichung der aufgetragenen Berichtigung auferlegt
wurde. Nach der seither in dieser Richtung ergangenen Entschei
dung des Obersten Gerichtshofes muß wohl angenommen werden, daß
bei dieser Strafhäufung zu Ungunsten des Angeklagten
die Bestimmung des § 5 PreßGes. unrichtig angewendet wurde.
Richtig ist, daß kein volles Geständnis des Angeklagten vorlag,
immerhin hat er aber durch seinen Machthaber einzelne maßgeben
de Tatumstände zugestanden. Außerdem war als sicherlich sehr
schwerwiegender Milderungsgrund seine Unbescholtenheit anzuneh
men. Bei dieser Sachlage war in der im Uebrigen in ganz gering
fügigem Maße vorgenommenen Anwendung des außerordentlichen Mil
derungsrechtes nichts Auffallendes gelegen. Tatsächlich hat auch
der Privatankläger die anfänglich wegen zu geringen Strafausmas
ses angemeldete Berufung wieder zurückgezogen.


Der Antragsteller führte weiters zur Begründung sei
nes Ablehnungsantrages an, daß Hofrat Höflmayr, obwohl
die Ratskammer mit Beschluß vom 23. August 1926 Vr XX 5730/25
die Ausscheidung der vom Strafbezirksgerichte I gem. § 56 StPO.
zwecks Einbeziehung in die Strafsache Vr XXVI 5730/25 an das Landesgericht für Strafsachen Wien I abgetretenen Strafsachen gegen
Dr. Fritz Kaufmann wegen Uebertretung nach § 30 PreßGes.
bezw. § 26 PreßGes. und Ehrenbeleidigung U I 155/25, U I 14/26,
U I 42/26, U I 161/26, U I 172/26 und U IV 771/26 und deren Rück
abtretung an das Strafbezirksgericht I zur abgesonderten Durchfüh
rung des Verfahrens gem. § 57 StPO. ausgesprochen hatte, neuerlich
versucht habe, die Strafsache gegen den Genannten wegen Uebertre
tung der Ehrenbeleidigung (Privatankläger Ernst Spitz)
U I 161 (225)/26 einem landesgerichtlichen Akte anzuschließen. In
diesem vollkommen den Vorschriften der Strafprozeßordnung entspre
chendem Vorgehen kann unter keinen Umständen eine Begünstigung des
in diesen Strafsachen Beschuldigten erblickt werden. Nach § 56 2. Absatz StPO. war mit Rücksicht auf die beim Landesgerichte für Strafsachen Wien I anhängige, vor das Geschwornengericht gehörige Straf
sache gegen denselben Beschuldigten die Zuständigkeit dieses
Gerichtes auch für die genannten Uebertretungssachen gegeben und
konnte das Strafbezirksgericht I nur im Wege eines Ausscheidungs
beschlusses der Ratskammer wieder die Zuständigkeit zur Durchfüh-
rung derselben erlangen. Die Abtretung an das Landesgericht war
umsoweniger zu umgehen, als ein darauf abzielender, mit Rück
sicht auf die bezogenen Gesetzesbestimmung unabweislicher An
trag des Beschuldigten vorlag. Aus dem gleichen Grunde mußte
in der früher genannten Strafsache wegen Ehrenbeleidigung über
die Privatanklage des Ernst Spitz U I 161/26 trotz des
erwähnten und eines früheren Ausscheidungsbeschlusses der Ratskammer der Akt dem Landesgerichte im Sinne des vom Angeklagten
gestellten Antrages neuerlich übersendet werden, weil festge
stellt werden mußte, ob die seitens der Verteidigung aufgestell
te Behauptung richtig sei, daß beim Landesgerichte über Einschrei
ten desselben Privatanklägers gegen den Beschuldigten ein Straf
verfahren wegen Vergehens gegen die Sicherheit der Ehre anhängig
gemacht worden sei, auf welches sich die bisherigen Ausscheidungs
beschlüsse nicht bezögen. Die Abweisung des Abtretungsantrages oh
ne vorherige Feststellung, daß die zu seiner Begründung vorge
brachte Behauptung unrichtig sei, hätte im Falle ihrer Richtigkeit
über Berufung des Angeklagten gegen einen Schuldspruch die Auf
hebung des Urteiles wegen Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes der
Unzuständigkeit nach § 468 Zl. 1 StPO. zur Folge haben müßen.


Der Antragsteller macht weiters geltend, daß HofratHöflmayr in der gegenständlichen Strafsache den Wahrheits
beweis trotz Fehlens einer klaren Behauptung des Beschuldigten,
was er beweisen wolle, „fast angeregt habe“. Letztere Behaup
tung findet keinerlei Stütze in dem Inhalte der Protokolle über
die in dieser Strafsache bisher durchgeführten Hauptverhandlun
gen. Es ist wohl richtig, daß der Beschuldigte die zu seiner Ver
antwortung vor dem Untersuchungsrichter und bei den Hauptverhand
lungen vorgebrachten Behauptungen mehrmals modifiziert und seine
weiteren Beweisanträge der durch die bisherigen Beweisergebnisse
geschaffenen Prozeßlage jeweils angepaßt hat; allein es liegt
keinerlei Anhaltspunkt dafür vor, daß er durch den Richter in ir
gend einer Form bezüglich seiner Verantwortung und der von ihm zur
Erbringung des Wahrheitsbeweises zu stellenden Beweisanträge be
einflußt worden sei. Im Gegenteile ergibt sich gerade aus jener
Fassung des Protokolles über die Hauptverhandlung vom 28. Jän
ner 1926, welche es durch die vom Privatankläger beantragte Rich
tigstellung erhalten hat, daß der Beschuldigte nicht durch eine
richterliche Erklärung, sondern durch die Begründung der Einwen
dung, welche der Vertreter des Privatanklägers gegen den Antrag auf
Einvernehmung der Zeugen Dr. Mixa Rosenberg und GezaBekeffy erhob, zur Ergänzung seiner Angaben über den Zweck
seines genannten Beweisantrages veranlagt worden ist.


Der Antragsteller gibt schließlich der Meinung Aus
druck, daß schon durch die Veröffentlichung eines von ihm ver
faßten Aufsatzes in der Zeitschrift „Die Fackel“, welche die
Tätigkeit des Hofrates Höflmayr als Preßrichter einer
scharfen Kritik unterzieht, und die Anführungen im gegenständlichen
Ablehnungsantrage eine Befangenheit des Hofrates Höflmayr herbei
zuführen geeignet seien. Dieser Behauptung kann nicht beigepflich
tet werden. Es kann nicht angenommen werden, daß die richterliche
Unbefangenheit schon durch eine Kritik, die sich, mag sie in der
Sache noch so scharf sein, in der Form, in maßvollen Gren
zen hält, beeinträchtigt werde. Die Anschauung des Antragstellers wür
de zu dem Ergebnisse führen, daß es nur eines kritisierenden Zei
tungsartikels und eines Ablehnungsantrages einer der beiden Partei
en bedürfe, um einen aus irgend einem Grunde mißliebigen Richter
im gegebenen Falle vom Richteramte auszuschließen. Aus dem Umstan
de, daß das Gesetz im § 74 StPO. die Zurückweisung eines Ableh
nungsantrages überhaupt vorsieht, ergibt sich zwingend sein Stand
punkt, daß nicht schon durch einen solchen Antrag und das zu sei
ner Begründung erforderliche tatsächliche Vorbringen die richter
liche Unbefangenheit als beeinträchtigt anzusehen ist.


Da nach vorstehenden Ausführungen der Antragsteller
keine Gründe darzutun vermochte, welche geeignet wären die volle
Unbefangenheit des Hofrates Höflmayr als Richters in der gegen-
ständlichen Strafsache in Zweifel zu setzen, war dessen geltend
gemachte Ablehnung in Gemäßheit des §74 StPO. als unzuläßig
zu erkennen.


Wien, am 10. November 1926.
[Unterschrift]


Herrn Dr. Oskar Samek
Rechtsanwalt
Wien
noe. Karl Kraus.