Präs. 6705
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Beschluß.
Die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien I
hat in der Strafsache gegen
Dr. Fritz Kaufmann wegen
Uebertretung nach § 30 Pr.Ges. U I 224/26 beschlossen, die vom
Privatankläger Karl Kraus geltend gemachte Ablehnung des
Hofrates Christoph Höflmayr als Richters in
dieser Straf
sache
gemäß §§ 74 und 72 StPO. als unzulässig zu erkennen.
Gründe:
Zur
Begründung des Ablehnungsantrages wird zunächst im
allgemeinen geltend gemacht,
daß Hofrat Höflmayr in
Ver
kennung
der in der Journalistik derzeit herrschenden Verhältnis
se bei der Handhabung des
Preßgesetzes mit nicht berechtigter
Milde vorgehe. Diese
Behauptung wäre selbst dann, wenn ihre Rich
tigkeit dargetan würde,
keineswegs geeignet, als Beweis für die
nicht volle Unbefangenheit
des genannten Richters zu dienen. Die
Entscheidung, ob ein Gesetz
im Hinblicke auf die jeweils herr
schenden Verhältnisse im
Rahmen seiner Bestimmungen strenger oder
milder anzuwenden sei, ist
Gegenstand der richterlichen Ueberzeu
gung und berechtigt eine von
der richterlichen Anschauung in die
ser Richtung abweichende
Ansicht allein niemals zur Annahme, daß
dem Richter die volle
Unbefangenheit mangle.
Die weitere Behauptung des
Antragstellers, daß HofratHöflmayr insbesondere in Strafverfahren gegen der Zeit
schrift „Die
Stunde“ angehörige Personen eine auffallende Nach
sicht an den Tag lege, wäre
nur dann geeignet, einen berechtigten
Ablehnungsgrund zu bilden,
wenn Tatumstände glaubhaft gemacht wor-
den wären, aus welchen mit
Recht geschlossen werden konnte, daß
die behauptete Milde auf
wohlwollende Befangenheit zurückzufüh
ren sei. Der Antragsteller
war aber nicht in der Lage, auch nur
einen Tatumstand darzutun,
welche zur Annahme einer begünsti
genden Behandlung eines
angeklagten Funktionärs der „Die Stunde“ durch den Richter berechtigen würde.
Hofrat Höflmayr hat in seiner über den
Ablehnungsantrag
abgegebenen Aeußerung erklärt, daß ihm die der
„Stunde“
angehörigen Personen ausschließlich durch seine amtli
che Tätigkeit als Richter in
Preßsachen bekannt seien und er mit
keiner von ihnen
außerdienstlich jemals verkehrt oder auch nur ein
Wort gesprochen habe. Irgend
welche persönliche Beziehungen kön
nen daher als Ursache für
die behauptete Befangenheit nicht in Fra
ge kommen. Der Antragsteller selbst war nicht in der Lage,
diese
oder eine andere
Ursache für eine Befangenheit des abgelehnten
Richters auch nur zu behaupten.
Zum Nachweise der
Behauptung, daß Hofrat Höflmayr
eine auffallende Nachsicht
und Duldung gegenüber Funktionären der
„Stunde“ geübt habe, beruft sich der Antragsteller auf einen
Bericht in der Folge Nr. 641 der „Stunde“ vom 28. April
1925
über die in der
Strafsache gegen Dr. Fritz Kaufmann wegen
Uebertretung nach §§ 23 und 24 PreßGes. U I 109/25 am 25. April
1925 vorgenommenen
Hauptverhandlung. Dieser Bericht ist
wohl kein
Beweis dafür, daß
sich der Angeklagte tatsächlich in der in der
selben angeführten Weise bei
der Hauptverhandlung geäußert hat.
Das Protokoll über diese
enthält keine diesbezüglichen Angaben.
Selbst wenn aber die
Anführungen des Berichtes vollkommen
richtig
sein sollten,
boten die vom Privatankläger mit Recht als
beleidi
gend
empfundenen Aeußerungen des Angeklagten dem Verhandlungsleiter schwerlich
einen Grund zur Anwendung einer Disziplinarmaßre
gel nach §§ 235 StPO., weil diese Aeußerungen im logischen Zusam
menhange der
Verantwortung des Angeklagten vorgebracht wurden und
daher nicht ohne weiters als
„Beschimpfungen oder nicht zur Sa-
che gehörigen
Beschuldigungen“ im Sinne der bezogenen Gesetzes
stelle angesehen werden
konnten. Trotzdem hat der Verhandlungsleiter auch nach
dem Zeitungsberichte das
beleidigende Vorbrin
gen des Angeklagten
möglichst einzuschränken getrachtet. Die
Strafbestimmungen der §§ 233 bis 236 StPO. haben
nicht den Zweck,
einer
während einer Hauptverhandlung beleidigten Person Genug
tuung zu verschaffen; dies
bleibt ihr selbst überlassen und steht
ihr zu diesem Zwecke die
Ehrenbeleidigungsklage zur Verfügung.
(237 3. Abs. StPO.). Die genannten Strafbestimmungen sollen
nur
den
Verhandlungsleiter in die Lage versetzen, die Ruhe, die Ord
nung und den Anstand im
Gerichtssaale aufrecht zu erhalten. Wel
ches der ihm zu Gebote
stehende Strafmittel ihm im einzelnen Fal
le zur Erreichung dieses
Zweckes am geeignetsten erscheint, ist
ganz seinem Ermessen
überlassen. Erfahrungsgemäß verfehlen ge
rade strenge
Disziplinarstrafen häufig ihren Zweck, weil sie die
Gereiztheit der Stimmung nur
erhöhen, was für den weiteren Ver
lauf der Verhandlung
sicherlich nicht vom Vorteil ist, und er
weist sich daher eine
einfache Zurechtweisung in vielen Fällen
als zweckmäßiger. Daß sich
im gegenständlichen Falle der Verhandlungsleiter auf
eine solche beschränkt hat, kann daher nicht
als ein Akt ausnahmsweiser
Nachsicht und Duldung gedeutet werden.
Weiters wurde vom
Antragsteller geltend gemacht, daß
Hofrat Höflmayr im Urteile vom 7. Oktober 1925 U I 223/25
gegen Ernst Ely, Redakteur der „Stunde“, wegen Uebertre
tung nach § 24, Abs. 6 PreßGes. unter Anwendung des außerordent
lichen
Milderungsrechtes über den Angeklagten nur eine Geldstra
fe von 3 S verhängt und
hiebei als mildernd das Geständnis an
genommen habe. Zunächst ist
richtigzustellen, daß eine Strafe von
je 3 S.– für jedes des
sechsmaligen Erscheinens der „Stunde“
ohne
Veröffentlichung der aufgetragenen Berichtigung auferlegt
wurde. Nach der seither in
dieser Richtung ergangenen Entschei
dung des Obersten Gerichtshofes muß wohl angenommen werden,
daß
bei dieser
Strafhäufung zu Ungunsten des Angeklagten
die Bestimmung des § 5 PreßGes. unrichtig angewendet wurde.
Richtig ist, daß kein volles
Geständnis des Angeklagten vorlag,
immerhin hat er aber durch seinen Machthaber
einzelne maßgeben
de Tatumstände zugestanden. Außerdem war als sicherlich sehr
schwerwiegender
Milderungsgrund seine Unbescholtenheit anzuneh
men. Bei dieser Sachlage war
in der im Uebrigen in ganz gering
fügigem Maße vorgenommenen
Anwendung des außerordentlichen Mil
derungsrechtes nichts
Auffallendes gelegen. Tatsächlich hat auch
der Privatankläger die anfänglich wegen zu geringen
Strafausmas
ses angemeldete Berufung wieder zurückgezogen.
Der Antragsteller führte weiters zur Begründung sei
nes Ablehnungsantrages an, daß Hofrat Höflmayr, obwohl
die Ratskammer mit Beschluß
vom 23. August 1926 Vr XX 5730/25
die Ausscheidung der vom Strafbezirksgerichte I gem. § 56 StPO.
zwecks Einbeziehung in die
Strafsache Vr XXVI 5730/25 an das Landesgericht
für Strafsachen Wien I abgetretenen Strafsachen gegen
Dr. Fritz Kaufmann wegen Uebertretung nach § 30 PreßGes.
bezw. § 26 PreßGes. und Ehrenbeleidigung U I 155/25, U I 14/26,
U I 42/26, U I 161/26, U I
172/26 und U IV 771/26 und deren Rück
abtretung an das Strafbezirksgericht I zur abgesonderten
Durchfüh
rung
des Verfahrens gem. § 57 StPO. ausgesprochen hatte, neuerlich
versucht habe, die
Strafsache gegen den Genannten wegen Uebertre
tung der Ehrenbeleidigung
(Privatankläger Ernst Spitz)
U I 161 (225)/26 einem
landesgerichtlichen Akte anzuschließen. In
diesem vollkommen den
Vorschriften der Strafprozeßordnung entspre
chendem Vorgehen kann unter
keinen Umständen eine Begünstigung des
in diesen Strafsachen Beschuldigten
erblickt werden. Nach § 56 2. Absatz StPO. war mit
Rücksicht auf die beim Landesgerichte für
Strafsachen Wien I anhängige, vor das Geschwornengericht gehörige Straf
sache gegen
denselben Beschuldigten die Zuständigkeit dieses
Gerichtes auch für die genannten Uebertretungssachen
gegeben und
konnte das Strafbezirksgericht I nur im Wege eines
Ausscheidungs
beschlusses der Ratskammer wieder die
Zuständigkeit zur Durchfüh-
rung derselben erlangen. Die
Abtretung an das Landesgericht war
umsoweniger zu umgehen, als
ein darauf abzielender, mit Rück
sicht auf die bezogenen
Gesetzesbestimmung unabweislicher An
trag des Beschuldigten
vorlag. Aus dem gleichen Grunde mußte
in der früher genannten
Strafsache wegen Ehrenbeleidigung über
die Privatanklage des Ernst Spitz U I 161/26 trotz des
erwähnten und eines früheren
Ausscheidungsbeschlusses der Ratskammer der Akt dem
Landesgerichte im Sinne des vom
Angeklagten
gestellten
Antrages neuerlich übersendet werden, weil festge
stellt werden mußte, ob die
seitens der Verteidigung aufgestell
te Behauptung richtig sei,
daß beim Landesgerichte über Einschrei
ten desselben Privatanklägers gegen den Beschuldigten
ein Straf
verfahren wegen Vergehens gegen die Sicherheit der Ehre anhängig
gemacht worden sei, auf
welches sich die bisherigen Ausscheidungs
beschlüsse nicht bezögen.
Die Abweisung des Abtretungsantrages oh
ne vorherige Feststellung,
daß die zu seiner Begründung vorge
brachte Behauptung unrichtig
sei, hätte im Falle ihrer Richtigkeit
über Berufung des Angeklagten
gegen einen Schuldspruch die Auf
hebung des Urteiles wegen
Vorliegens des Nichtigkeitsgrundes der
Unzuständigkeit nach § 468 Zl. 1 StPO. zur Folge haben müßen.
Der Antragsteller macht weiters geltend, daß HofratHöflmayr in der gegenständlichen Strafsache den
Wahrheits
beweis trotz Fehlens einer klaren Behauptung des Beschuldigten,
was
er beweisen wolle, „fast angeregt habe“. Letztere Behaup
tung findet keinerlei Stütze
in dem Inhalte der Protokolle über
die in dieser Strafsache
bisher durchgeführten Hauptverhandlun
gen. Es ist wohl richtig,
daß der Beschuldigte die zu seiner Ver
antwortung vor dem Untersuchungsrichter und bei den Hauptverhand
lungen
vorgebrachten Behauptungen mehrmals modifiziert und seine
weiteren Beweisanträge der
durch die bisherigen Beweisergebnisse
geschaffenen Prozeßlage
jeweils angepaßt hat; allein es liegt
keinerlei Anhaltspunkt dafür
vor, daß er durch den Richter in ir
gend einer Form
bezüglich seiner Verantwortung und der von ihm zur
Erbringung des
Wahrheitsbeweises zu stellenden Beweisanträge be
einflußt worden sei. Im
Gegenteile ergibt sich gerade aus jener
Fassung des Protokolles über
die Hauptverhandlung vom 28. Jän
ner 1926, welche es durch
die vom Privatankläger beantragte Rich
tigstellung erhalten hat,
daß der Beschuldigte nicht durch eine
richterliche Erklärung,
sondern durch die Begründung der Einwen
dung, welche der Vertreter des
Privatanklägers gegen den Antrag auf
Einvernehmung der Zeugen Dr.
Mixa Rosenberg und
GezaBekeffy erhob, zur Ergänzung seiner Angaben über den Zweck
seines genannten
Beweisantrages veranlagt worden ist.
Der Antragsteller gibt schließlich der Meinung Aus
druck, daß schon durch die
Veröffentlichung eines von ihm ver
faßten Aufsatzes in der Zeitschrift „Die Fackel“, welche die
Tätigkeit des Hofrates Höflmayr als
Preßrichter einer
scharfen
Kritik unterzieht, und die Anführungen im gegenständlichen
Ablehnungsantrage eine
Befangenheit des Hofrates Höflmayr herbei
zuführen geeignet
seien. Dieser Behauptung kann nicht beigepflich
tet werden. Es kann nicht
angenommen werden, daß die richterliche
Unbefangenheit schon durch
eine Kritik, die sich, mag sie in der
Sache
noch so scharf sein, in der Form, in maßvollen Gren
zen hält,
beeinträchtigt werde. Die Anschauung des Antragstellers wür
de zu dem Ergebnisse führen,
daß es nur eines kritisierenden Zei
tungsartikels und eines
Ablehnungsantrages einer der beiden Partei
en bedürfe, um einen aus
irgend einem Grunde mißliebigen Richter
im gegebenen Falle vom
Richteramte auszuschließen. Aus dem Umstan
de, daß das Gesetz im § 74 StPO. die Zurückweisung eines Ableh
nungsantrages überhaupt
vorsieht, ergibt sich zwingend sein Stand
punkt, daß nicht schon durch
einen solchen Antrag und das zu sei
ner Begründung erforderliche
tatsächliche Vorbringen die richter
liche Unbefangenheit als
beeinträchtigt anzusehen ist.
Da nach vorstehenden
Ausführungen der Antragsteller
keine Gründe darzutun
vermochte, welche geeignet wären die volle
Unbefangenheit des Hofrates Höflmayr als Richters in der gegen-
ständlichen Strafsache in
Zweifel zu setzen, war dessen geltend
gemachte Ablehnung in
Gemäßheit des §74 StPO. als unzuläßig
zu erkennen.
Wien, am 10. November 1926.
[Unterschrift]
Herrn Dr. Oskar Samek
Rechtsanwalt
Wien
noe. Karl Kraus.