Die StundeDie Stunde, 10.12.1925Die Stunde, 11.12.1925Krawallszenen bei einer Karl Kraus-VorlesungDem Kiebitz ist nichts zu teuer oder Karl Kraus denunziert schon wieder die Sozialdemokraten


An das
Landesgericht für Strafsachen IWien.


Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller, Wien III. HintereZollamtstrasse 3
durch:


Dr. Samek
Vollmacht ausgewiesen zu Vr XXVI 4093/25


wegen Ehrenbeleidigung. 1 fach,
2 Beilagen


Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung gegen unbekannte
Täter.


In der Nr. 827 des 3. Jahrganges der „Stunde“ vom
10.XII.1925 Seite 5 und 6 Beilage /A erschien unter dem
Titel „Dem Kiebitz ist nichts zu teuer oder Karl Kraus denunziert schon wieder die Sozialdemokraten“ ein Artikel der
insgesamt eine Ehrenbeleidigung darstellt und aus dem ich
im Besonderen folgende Stellen inkriminiere:


1.) „Karl Kraus denunziert schon wieder die Sozial
demokraten“ (§ 488 St.G.)


2.) „vorbestraft“ (§ 497 St.G.)


3.) „Er drohte mit der Kündigung der Freundschaft schon
damals, als er wahrnehmen musste, dass die sozialdemokratische
Partei – zufällig mit Kleinigkeiten, wie der Mieterschutz, Arbeits
losen- und Altersversorgung, Agrarprogramm und ähnlichem beschäf
tigt – nicht gesonnen ist, tägliche Andachtsübungen vor seiner
pathologischen Eitelkeit zu verrichten und im Irrtum einer
Ueberschätzung nicht weiter gehen will, als sie – von Kraus
gedrängt – schon ohnedies gegangen ist. Damals freilich, nach der
ersten Drohung, liess er die Möglichkeit eines Kompromisses
noch offen.“ (§§ 488, 491 St.G.)


4.) „Er wollte nur, sofern der verdienstvolle Leiter
der sozialdemokratischen Kunststellen, Dr. David Bach nicht
erklärt, dass die Arbeiterschaft keinen höheren Kunstgenuss
kenne, als den Vortragskünstler Kraus mit Schaum vor dem Munde
am Vortragstisch zu bewundern, in die Kapuzinergruft steigen
und Franz Josef um Verzeihung bitten.“ (§ 491 St.G.)


5.) „Dagegen vernahm man, dass Kraus seine Drohungen
verschärfte. Er strich mit der Ueberheblichkeit des Psycho
ten – – – –“ (§§ 491, 496 St.G.)


6.) „Ganz in der Art eines Revolverjournalisten, der mit
erhobenen Zeigefinger vor seinem ‚Material‘ steht, liess er den
Sozialdemokraten sagen, dass er auf sie etwas wisse und dieses
Wien (offenbar Druckfehler, soll heissen Wissen) vor der Ar
beiterschaft direkt auspacken werde“ (§ 491 St.G.)


7.) „Maniaken“ (§ 496 St.G.)


8.) „Schmock mit Grammatik“ (§ 496 St.G.)


9.) „– sein Drang, Kunststelle und Parteiführer bei den Ar
beitern selbst zu verpetzen, ––“ (§ 491 St.G.)


10.) „– dieses kindische Denunziantentum eines abgewiesenen
Reporters, –“ (§§ 491, 496 St.G.)


11.) „– dass dieses Denunziantentum organisch zu dem Charak
terbilde Karl Krausens gehört, –“ (§ 491 St.G.)


12.) „– dass die Gefahr, von ihm verraten und verleumdet zu
werden, immer akut wird, so oft man nicht willens ist, seine psy
chopatische Selbsteinschätzung durch massloses Lob und blinde
Anerkennung zu verifizieren.“ (§ 491, 496 St.G.)


13.) „Direktor des Flohzirkusses –“ (§ 496 St.G.)


14.) „ – durch die Frechheit auf sich lenken wollte –“
(§§ 491, 496 St.G.)


15.) „– beutelte ihn Viktor Adler bei den Ohren und nannte
ihn einen ‚Virtuosen der Ehrabschneiderei‘, der ‚ gemein ent
stellt, lügt, verleumdet und sich der absoluten Verlegenheit
seiner Gehässigkeiten genau bewusst ist. ‘“ (§§ 491, 496 St.G.)


16.) „Die Nichtbeachtung konnte Kraus nicht verwinden; er
lechzte nach Rache.“ (§ 491 St.G.)


17.) „– – forderte der Burgoisjüngling Kraus, dessen Existenz
als Zeitungsherausgeber durch das Vermögen eines Sträflings
ausbeuters gesichert schien, dass der ehrwürdige Führer der
deutschen Sozialdemokratie, Wilhelm Liebknecht, seinen kämpfen
den österreichischen Genossen in den Rücken falle – –“ (§§ 488,
491 St.G.)


18.) „Der Brief blieb unbeantwortet; Liebknecht schickte
ihn an Viktor Adler. Ob er die Niedrigkeit der Zumutung durch
schaute, ob er, angewidert von der schmierigen Unterwürfigkeit,
mit der Kraus um einen Artikel schnorrte, ist uns nicht bekannt.
Vielleicht hat Liebknecht schon damals geahnt, dass die Be
geisterung für Harden auch nicht länger dauern könne, als bis
dieser den Bitten des lästigen Artikelschnorrers Folge leistet.
Jedenfalls hat Liebknecht die Anbiederung mit Eckel von sich
gewiesen.“ (§§ 491, 496 St.G.)


19.) „ Virtuosen der Ehrabschneiderei“ (§ 491 St.G.)


20.) „– da er seine republikanische Gesinnung bald ab
schwören dürfte –“ (§ 491 St.G.)


21.) „ –zu dem Stein-hof …“ (§ 496 St.G.)


In der Nr. 828 des 3. Jahrganges der „Stunde“ vom 11. De
zember 1925 Seite 2. Beilage /B erschien unter dem Titel „Krawallszenen bei einer Karl Kraus-Vorlesung“ ein Bericht in welchem
folgende Wendungen enthalten waren:


22.) „grossen Vorstand der ‚Itzig-Hierarchie‘“ (§ 496 St.G.)


23.) „– als er sich wegen zu geringer Wertschätzung seiner
Person beschwerte, als er namentlich Shakespeare und sich auf
eine Stufe stellte –“ (§ 491 St.G.)


BEWEIS: Die beiden beigelegten Exemplare der „Stunde


Durch die inkriminierten Stellen der beiden Artikel
werde ich teilweise unehrenhafter Handlungen beschuldigt, welche
mich in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder
herabzusetzen geeignet sind, teilweise verächtlicher Eigen
schaften oder Gesinnungen geziehen, dem öffentlichen Spotte
ausgesetzt, mit Schimpfworten belegt und mir der Vorwurf einer
ausgestandenen Strafe in Schmähungsabsicht gemacht.


Ich fühle mich hiedurch in meiner Ehre beleidigt und
beantrage die
Einleitung der Voruntersuchung
gegen nachfolgende Redakteure und Mitarbeiter der „Stunde
von denen einer unbedingt die Artikel verfasst und zum Druck
gelegt haben musste. Ich beantrage diese Personen als Beschul
digte zu vernehmen und zwar:
1.) Herrn Anton Kuh, Wien III. Hotel Beatrix, Beatrixgasse 1
2.) Herrn Karl Tschuppik, per Adresse Kronos Verlag. Wien I.Wipplingerstrasse 32
3.) Herrn Dr. Eugen Lazar, Wien IX. Peregringasse 3
4.) Herrn Ernst Ely, Wien IV. Kühnplatz 4
5.) Herrn Hans Liebstöckl, Wien IV. Mühlgasse 9
6.) Herrn Dr. Paul Stefan, Wien VIII. Hamerlingplatz 7
7.) Herrn Dr. Marc Siegelberg, Wien VII. Neustiftgasse 47
8.) Herrn Emmerich Bekessy, Wien VI. Linke Wienzeile 88
9.) Herrn Dr. Desider Szilaghi, Wien III. Reisnerstrasse 5
10.) Herrn Ludwig Hoffenreich, Wien XVIII. Sautergasse 56
11.) Herrn Michael Biro, per Adresse Kronos-Verlag, Wien I.Wipplingerstrasse 32
12.) Fr. Leopoldine Greif, Wien IX. Dietrichsteingasse 4
13.) Herrn Dr. Fritz Kaufmann, Wien VIII. Piaristengasse 56
14.) Herrn Bela Köhalmy, Wien XVIII. Währingerstrasse 121
15.) Herrn Erich Krünes, Wien VIII. Wickenburggasse 10


Karl Kraus.