An das
Strafbezirksgericht I.Wien.


Privatankläger, Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III. HintereZollamtsstrasse 3
durch:
Vollm [Stenografie]


Beschuldigter: Richard Weininger, Kaufmann, Wien IV. Schwindgasse10.


wegen Ehrenbeleidigung. 1 fach.


Privatanklage.


Der Beschuldigte, Richard Weininger, schrieb von
Berlin aus an Herrn Dr. Ludwig Münz in Wien IX. Berggasse 13 am 25. Mai 1925 einen Brief, welcher Herrn Dr. Münz
am 30. Mai 1925 in Wien III. zugestellt und mir am 6. Juni
1925 zur Kenntnis gebracht wurde. Dieser Brief enthielt
folgende, mich betreffende, beleidigende Worte: „Lass’ Dich
nicht von dem verwachsenen Journaille-Jingl, in dessen gei
fernden Zwergenkörper Gott in seinem unerforschlichen Rat
schluss die Seele eines so grossen lyrischen Genius gelegt
hat, vorschieben, lass’ Dir Deine Briefe nicht von ihm korri
gieren, bitte ihn vielmehr, weniger Auto zu fahren und dafür
Dir zu helfen.“ Der Beschuldigte liess durch seinen Anwalt
Dr. Max Frischauer, Rechtsanwalt, Wien VIII. Auersperggasse 11
gegenüber Herrn Dr. Ludwig Stadler, resp. Dr. Viktor Stadler,
Wien I. Kärntnerstrasse 12 die Erklärung abgeben, dass er
den an Herrn Dr. Ludwig Münz gerichteten Brief öffentlich
und vor mehreren Leuten verfasst und diktiert habe.


BEWEIS: Dr. Ludwig Münz, Wien IX. Berggasse 13, Dr. MaxFrischauer, R.A. Wien VIII. Auersperggasse 11
Dr. Viktor Stadler, Wien I. Kärntnerstrasse 12
als Zeugen.
Der Beschuldigte hat durch diese Worte die
Uebertretung der Ehrenbeleidigung begangen und ich beantra
ge durch meinen hiergerichts zur G.Zl. U I 109/25 ausgewie
senen Anwalt gegen den Beschuldigten eine Hauptverhandlung
anzuberaumen, die angeführten Zeugen zu derselben zu laden
und den Beschuldigten empfindlich zu bestrafen.


Karl Kraus.
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