Nachfolgend gebe ich
Ihnen einen Bericht über die
heutige Verhandlung.
Dr. Liebstöckel verantwortete sich folgendermassen: „Ich
habe den inkriminierten
Brief selbst geschrieben und zwar im
Unmut darüber, dass vom
Kläger
eine angebliche Aeusserung von
mir weitergegeben wurde,
die mich in der Öffentlichkeit herunter
setzen musste und die
ich nie und nirgends getan habe. Mir fehlte
jede beleidigende
Absicht. Ich kann in der inkriminierten Aeusse
rung eine Beleidigung
überhaupt nicht erblicken, weil das Wort
‚leichtfertig‘ im
journalistischen Gebrauche so viel wie ‚man
gelhaft fundiert‘
bedeutet, daher nicht die Schärfe wie im sonsti
gen Sprachgebrauch
besitzt. Ich hätte ebenso ‚sonderbar‘ oder ‚merk
würdig‘ sagen können. In
diesem Sinne habe ich das Wort gebraucht.“
Dem gegenüber brachte ich
vor: „Herr Kraus hat
die
Aeusserung des
Beklagten von der in Wien VI. Mariahilfferstrasse 47
1. Stiege wohnhaften
Bankdirektorsgattin Alma Pollak erfahren. Frau
Pollak
erscheint vollkommen glaubwürdig. Sie hat die Aeusserung
nicht allein gehört,
sondern auch drei andere Zeugen, deren Namen
und Adressen Frau Pollak
bekanntgeben kann. Sie hat auch davon
Herrn Kraus
Mitteilung gemacht.
Ferner möchte ich darauf
hinweisen, dass Herr Dr. Liebstöckel
als Schriftsteller so
sprachgewandt ist, dass, wenn er etwas ‚merk
würdig‘ findet, er es nicht
als ‚leichtfertig‘ bezeichnen würde.“
Daraufhin wurde die
Verhandlung zur Vernehmung der Frau
Alma Pollak
vertagt. Der Termin wird schriftlich bekanntgegeben
werden und über meinen
Wunsch erst nach dem 20. September 1925 statt
finden, damit Herr Kraus
eventuell Gelegenheit hat, persönlich der
Verhandlung beizuwohnen.
Hochachtungsvoll
Samek