Geschlecht und CharakterDer Affe ZarathustrasDie FackelAlso sprach Zarathustra


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An das
Strafbezirksgericht IWien.


Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.Hintere Zollamtsstrasse 3,
durch:


Vollmacht ausgewiesen zu U I 109/25


Beschuldigter: Anton Kuh, Schriftsteller, Wien III.Hotel Beatrix, Beatrixgasse 1.


wegen Ehrenbeleidigung.


1 fach


Klage:


Der Beschuldigte Anton Kuh hat über mich am
25. Oktober 1925 im mittleren Konzerthaussaal einen Vortrag
gehalten, aus dessen Ankündigung, die unter dem Titel „DerAffe Zarathutras, – Ein Vortrag über Karl Kraus“ erfolgte,
hervorging, dass es sich um eine Beleidigung meiner Person
handeln werde. Tatsächlich war auch der Vortrag von Anfang
bis zu Ende bloss eine fortgesetzte Kette von Ehrenbeleidi
gungen ohne jede sachliche Unterlage. Es ist natürlich un
möglich, einen ganzen Vortrag unter Anklage zu stellen,
dessen Wiedergabe durch Zeugen in der notwendigen Genauigkeit
kaum durchführbar wäre; ich beschränke mich daher lediglich
auf die vom Beschuldigten gebrauchten wüstesten Beschimpfungen,
Schmähungen, Verspottungen und insbes. auf diejenigen Tat
sachen, deren Behauptung einen schweren Vorwurf gegen meine
Ehre beinhaltet, zumal da die Persönlichkeit des Beschuldigten nicht zum Objekt einer literarischen Befassung,
die er um jeden Preis anstrebt, sondern bloss zur straf
rechtlichen Abwehr der Beleidigungen taugt.


Ich behalte mir aber vor, diese Anklage durch
andere Einzelheiten zu ergänzen und auch diese unter Anklage
zu stellen, wenn mir deren genauer Wortlaut bekannt werden
sollte.


Die Beleidigungen, welche ich unter Anklage stelle,
sind folgende Aussprüche des Beschuldigten:


1.)
„Das, worüber ich sprechen will, ist nicht so
sehr der Mann, der bewusst oder unbewusst der schuldige oder
unschuldige Urheber der Epidemie ist, deren Entartung wir
hier mitgemacht haben, sondern über die Epidemie selbst,
der ich auf einem medizinischen Kongresse vorschlagen würde,
den Namen ‚Itzigseuche‘ zu geben.“


Der Beschuldigte bezeichnet mich als Urheber
einer „Itzigseuche“, was eine grobe Beschimpfung darstellt.


2.)
„Ich schäme mich, mit lauter Stimme den Namen des
Mannes zu nennen, den ich nur flüsternd sage: Karl Kraus.“


3.)
„Es kam eine andere Kategorie zu mir, die sagte:
‚Ich nehme Ihnen ihr Recht nicht, sie haben ihre Stellung
zu Karl Kraus schon früher demaskiert, sie haben sie so
offen deklariert, dass Karl Kraus gesagt hat, sie kommen
von hinten!‘


Diese und die andere Punkt 8.) und 9.) inkrimi
nierten Worte der Beschuldigten machen mir zum Vorwurf,
dass ich auf seine erotischen Neigungen angespielt habe.
Diese Behauptung ist vollständig unrichtig, beinhaltet
eine schwere Ehrenbeleidigung, da ich die Verwertung von
Tatsachen des Privat- und Sexuallebens im öffentlichen
Kampfe wirklich stets perhorreszierte und aus diesem
Grunde auch gegen Harden einen langen und energischen
Pressekampf führte. Der Beschuldigte wirft mir also damit
vor, dass ich gegen meine sonstige Stellungnahme ihm gegen
über sein Sexualleben zu Kampfzwecken herangezogen habe,
was eine schwere Beleidigung beinhaltet. Obwohl die Fälle
noch immer auseinander zu halten wären, ob ein auch privat
gehaltenes Sexualleben enthüllt, oder ein solches, von dem
der Betroffene selbst Aufhebens oder woraus er zumindest
kein Hehl macht, so muss ich doch erklären, dass ich selbst
verständlich niemals weder in Wort noch in Schrift, weder
direkt noch indirekt, die sexuellen Angelegenheiten des
Beschuldigten berührt habe.


4.)
„Die besten Witze, wem verdankt er die drei oder
vier besten Witze in diesem Kampfe, so wird er ehrlich sagen
müssen, die Witze habe ich von ihm.“


Diese Behauptung beinhaltet den Vorwurf, dass ich
von dem Beschuldigten gemachte Witze ohne Nennung des Ur
sprungs verwendete, sohin eine unehrenhafte Handlung be
gangen habe.


5.)
„Ich sagte früher, dass ich mich schäme, seinen
Namen auszusprechen. Ich schäme mich wirklich, ich werde
ihnen sagen warum. So lange ich lebe, ist für mich das Aus
sprechen des Namens des Mannes das Kennzeichen dessen, was
ich als Kennzeichen des Intelligenzplebejers vorführe.“


Der Beschuldigte bezeichnet mich damit als einen
Intelligenzplebejer, was eine schwere Schmähung bedeutet,
zumal in Anbetracht der von ihm im weiteren Verlaufe des
Vortrages gegebenen Erklärung des Ausdruckes, welche folgen
dermassen lautet:


„Der Intelligenzplebejer ist ein von unangenehmen
Familien-Kohns beschwertes Wesen aus Dreck, Dunst, aus engem
Staub stammend, aus der Mischpoche, dessen Geruchsinn rebel
lisch ist, wenn er Familiendunst einatmet.–“


„Die grosse Unsicherheit des Plebejers besteht
darin, dass, wenn er in die Aussenwelt kommt, an seinem Ge
sicht, an seiner Geste, an seinem Nasenrümpfen genau abzulesen
ist das zoologische Merkmal des Kreises, aus dem er kommt,
des psychologischen Entwertungskreises. Sexuell ist das
Schicksal dieses Menschen ungefähr so: Natürlich spürt er
instinktiv, wie schön das Glück des restlosen wechsel
seitigen Begehrens und Angenehmseins ist. Dieses Glück haben
auf der Welt nur die unbefangenen und zielbewussten,
freiheitlichen Naturen. Intellektuell verdorben, wie sie
sind, haben sie zu diesen ganzen Glück einen sehr brüchigen
Steg, den Steg der intellektuellen Erwägung. Eine andere
Liebesmöglichkeit, als die des Vergewaltigers im feinsten
Sinne des Wortes, vom Standpunkte der Frauen, eine andere
Möglichkeit, als die des Selbstverkaufens, haben sie nicht.
Was kann dann bei solcher Glücklosigkeit, solcher eigenster
Erlebnislosigkeit ein anderer Frfolg sein, als dass der
Jüngling das Gefühl einer Unzulänglichkeit nicht mehr los
wird, dass er, der nicht die Körpernähe zu dem geliebten
Objekt hat, mit einem Leopardensprung zurückfällt und sich
sagt ‚Gott, wie ist mir mies‘. Für dieses ‚Gott, wie ist mir
mies‘, für diesen Menschen gibt es bereits das grosse Buch
Otto Weiningers, des Freundes Karl Krausens, der glücklos in
der Liebe, der Mann vor dem ich Respekt habe, weil er aus
seinem Karl Kraus-Schicksale heraus, in seinem dreiund
zwanzigsten Jahr die herostratische Konsequenz zog, seine
Pubertätsgenialität nicht zu überleben. Und da kommt er
und sagt, wer hat recht, ein Weib ist so minderwertig, als
der es anpischt, es empfindet. (Entrüstungsrufe des Publikums)
Ich muss so reden, weil es wahr ist. Ich frage nun, wieso
ist Karl Kraus auserkoren, ein Gott des Intelligenzplebejers
zu sein.“


6.)
„Als Kraus vor ungefähr 30 Jahren - er sagt vor
48 Jahren - nach Wien kam.“


Da ich über den Zeitpunkt meiner Ankunft in Wien
doch genau orientiert sein muss und wirklich vor 50 Jahren
in meinem ersten Lebensjahre nach Wien kam, so beinhaltet
diese Behauptung den Vorwurf, bewusst eine Unwahrheit
gesagt zu haben.


7.)
(Auf einen Zwischenruf: „In seiner Unbestechlich
keit“).
„Da könnte ich ihnen etwas erzählen, Kraus selbst
sagt: ‚Von reinen Händen allein kann man nicht leben.‘“
Damit soll mir indirekt der Vorwurf gemacht werden,
dass ich jedenfalls nicht immer reine Hände habe.


8.)
„Hierauf sagte dieser Wahnsinnige: ‚er kommt von
hinten ‘ Derselbe Mann, der die Kampagne gegen Harden geführt
hat, weil Harden, um das deutsche Reichskabinett zu stürzen,
was doch jedenfalls historisch ist, festgestellt hat,
welche Menschen in der Umgebung Kaiser Wilhelms an Per
versionen leiden, derselbe Mensch, der Harden aus diesem
Grunde einen Abschaum, ein Brechmittel genannt hat, der
selbe Mensch sagt wegen einer kleinen, jüdischen Literatur
fehde in seinem roten Fackerl ‚Herr Kuh kommt von hinten. ‘“


9.)
„Ein Schriftsteller, der sich nicht entblödet,
auf Sexualität anzuspielen.“


10.)
„Das nenne ieh die Geburt des Ethos aus dem Geist
des Ases“.


Da das Wort Ases einen Menschen niedrigster Frech
heit bezeichnet, beinhaltet dieser Satz eine schwere
Ehrenbeleidigung.


11.)
Friedrich Nietzsche hat in einer Nacht eine
Vision gehabt. Karl Kraus ist ihm erschienen mit der
Fackel und nun hören sie zu. Versuchen sie, nicht er
schüttert zu sein, was Nietzsche über Kraus und Wien
schreibt. Die grosse Stadt ist Wien, wer Kraus ist werden
sie erraten.“


Und nun folgte eine Vorlesung des Kapitels „VomVorübergehen“ aus dem dritten Teil des „Zarathustra“ von
Nietzsche, aus dem ich jedoch nur die strafrechtlich rele
vanten Stellen zitiere:


„Also durch viel Volk und vielerlei Städte langsam
hindurchschreitend, ging Zarathustra auf Umwegen zurück zu
seinem Gebirge und seiner Höhle. Und siehe, dabei kam er
unversehens auch an das Stadttor der grossen Stadt: hier
aber sprang ein schäumender Narr mit ausgebreiteten Händen
auf ihn zu und trat ihm in den Weg. Dies aber war derselbige
Narr, welchen das Volk ‚den Äffen Zarathustra’s‘ hiess: denn
er hatte ihm etwas von Satz und Fall der Rede abgemerkt
und borgte wohl auch gerne vom Schatze seiner Weisheit.


Der Narr aber redete also zu Zarathustra: – – – – – –
– – – – – – Hier aber unterbrach Zarathustra den schäumenden
Narren und hielt ihm den Mund zu.


‚Höre endlich auf! rief Zarathustra, mich eckelt
lange schon deiner Rede und deiner Art! – – – –
‚Warum wohnst Du solange am Sumpfe, dass du selber
zum Frosch und zur Kröte werden musstest?
‚Fliesst Dir nicht selbst nun ein faulichtes schau
michtes Sumpf-Blut durch die Adern, dass du also quacken und
lästern lerntest? – – – –


‚– – – – Man heisst Dich meinen Affen, du schäumender
Narr: aber ich heisse dich mein Grunzeschwein, – durch
Grunzen verdirbst du mir noch mein Lob der Narrheit.‘
‚Was war es denn, dass dich zuerst grunzen machte?
Dass Niemand dir genug geschmeichelt hat: – darum setztest
du dich hin zu diesem Unrate, dass du Grund hättest viel zu
grunzen – – dass du Grund hättest zu vieler Rache! Rache
nämlich, du eitler Narr, ist all dein Schäumen, ich erriet
dich wohl: Aber dein Narrenwort tut mir Schaden, selbst wo
du Recht hast: – – – – –


Mich eckelt auch dieser grossen Stadt und nicht nur dieses
Narren.“


Die Identifizierung meiner Person mit der des
Narren in dem Aufsatze Nietzsches beinhaltet eine schwere
Ehrenbeleidigung.


Beweis: Herr Dr. Viktor Stadler, Wien IX. Liechtensteinstrasse 38,
Herr Dr. Ludwig Münz, per Adresse Taracini
Eskeles, Wien III. Salesianergasse 12,
Fr. Alma Pollak, Wien VI. Mariahilferstr. 47
Fr. Helene Kann, Wien I. Mahlerstrasse 14,
Herr Otto Binder, Versicherungsbeamter,
Wien VIII. Blindengasse 39


Richard Lanyi, Wien I. Kärntnerstrasse 14
als Zeugen.


Beantragt wird:
1.) Anberaumung einer Haupt-Verhandlung und
Ladung des Beschuldigten zu derselben,
2.) Ladung und Vernehmung der angeführten
Zeugen,
3.) Strenge Bestrafung des Beschuldigten.


Karl Kraus.