Protokoll.
Mittwoch, den 3. Februar rief
ich zufällig telefonisch
meinen
Schwiegervater, Herrn Josef Heller, Besitzer des Kaffeehauses Ankerhof. I., Lichtensteg 4, an, um mich über
den Stand der Verhandlungen über
die Verleihung von Kaffee
hauskonzessionen zu erkundigen, die jetzt in seinen Branchekrei
sen und zum Teil auch
in der Oeffentlichkeit diskutiert werden.
Herr Heller machte mir
die Mitteilung: „Dass
gerade jetzt drei
Herren von
der Tageszeitung ‚Die Stunde‘ bei ihm wären und ihn
über dieselbe Angelegenheit
ausfragen.“ Ich fragte ihn,
was das für Herren sind. Er: „Zwei Redakteure, der Dritte hat
sich als
Administrationsdirektor Zlattner
1 vorgestellt. “ – Ich: „Die kommen
gleich zu Dritt angerückt? Was
wollen sie denn? “ – Er: „Sie haben
mir erzählt, dass Herr Herzfeld bei ihnen war und sie angeweint
hätte, sie möchten seine Sache
unterstützen.“ – (Zur Erklärung:
Herr Herzfeld besitzt am Bauernmarkt ein Modengeschäft und will
es in ein Kaffeehaus umwandeln.
Gegen die Erteilung einer Konzes
sion an ihn wurde von der Berufsorganisation der Kaffeesieder
Einspruch erhoben. An dem Tag, da
das Gespräch stattfand, war
darüber noch nicht entschieden. Würde Herr Herzfeld ein Kaffee
haus aufmachen dürfen, so würde dadurch das ganz in der Nähe lie
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„Ankerhof“ geschädigt werden). Ich: „Ja, aber was will
der
Administrationsdirektor?“ – Er: „Ich soll ein Inserat in
‚Die Stunde‘
einrücken.“ – Ich: „Du inserierst doch nirgends!
Und hast auch seinerzeit
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ein Inserat im Extrablatt
aufgegeben,
weil es
angeblich keinen Wert hatte.“ – Er: „Das ist schon wahr,
aber was soll ich denn
machen?“ – Ich: „Die Leute hinausschmeis
sen, denn das ist Erpressung.“ – Er: „Das kann ich doch nicht,
ich hab sie dann auf dem Hals
und sie können mir schaden.“ –
Ich: „Was soll denn das Inserat kosten?“
– Er: „Zuerst hat er
K 300000 pro Tag verlangt,
dann hat er es auf 1.5 Mill. K im
Monat reduziert.“ – Ich:
„Das sind 18 Mill. im
Jahr? Es ist un
erhört, schmeiss die Erpresser hinaus.“ – Er: „Aber das kann ich
ja nicht. Wenn ich es nicht
tue, so habe ich von ihnen keine Ruhwas sie wollen,
so lassen die mir in der Zeitung keine
Ruhe. Uebrigens habe ich
den
Auftrag schon unterschrieben.“
Von diesem Gespräch machte ich
sofort meinem Chefredak
teur, Herrn Federn, Mitteilung, ferner auch, dass
ich die Absicht
habe, sofort ins
Kaffeehaus zu fahren, um mich den „Stunde“-
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euten
als Schwiegersohn
vorstellen zu lassen und mich ihnen bei der
Gelegen
heit als
einen Redakteur des „Oesterreichischen
Volkswirt“
zu erkennen zu geben. Dieser Vorsatz kam nicht
ganz zur Durchführung,
da ich die
Herren von der „Stunde“ nicht mehr antraf. Mein Schwie
gervater, Herr Heller, zeigte mir
nun einen unterschriebenen Auf
trag, aus dem ersichtlich war, dass man die Kosten des Inserates
keineswegs reduziert hatte, wohl
aber die Zahl der Einschaltun
gen. Ich machte
ihnen
ihn
nun aufmerksam, dass man ihn ausserdem
noch betrogen habe. Das regte ihn
aber weiters nicht mehr auf,
da
er scheinbar froh war, mit einem Schaden von nur 18 Millionen
aus der Affäre herausgekommen zu
sein. Er teilte mir noch mit,
dass er mit seiner Frau am selben Tag Vormittag
über die Möglich
keit
gesprochen habe, dass jemand von der „Stunde“ zu ihnen kommen
könnte, ohne jedoch von dem
tatsächlichen, nahen Besuch etwas zu
wissen. Dabei habe ihm seine Frau aufgetragen: „Du,
wenn jemand
von der ‚Stunde‘
kommt, so gib ihnen, was sie verlangen “. – Derart
ist heute das Bürgertum von der
erpresserischen Presse einge
schüchtert. Ich teilte ihm noch mit, dass ich die Sache nicht
ruhen lassen werde. Mein Schwiegervater bat
mich aber, nichts
zu
machen
unternehmen
, denn er habe Angst, dass er durch die Stunde
geschädigt werd
en
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könne.
Am Donnerstag den 5. Vormittag
teilte ich den Vorfall dem Obmann
der Organisation der Wiener Journalisten, Herrn Marcel Zappler, mit
und hatte auch die Absicht,
Zeitungen, vor allem die Arbeiterzeitung davon in Kenntnis
zu setzen. Dieses Vorhaben habe ich
vorläufig nicht durchgeführt,
weil man mich inzwischen von seiten
meiner Schwiegereltern wiederholt
bestürmt hat, sie , wie sie sagen,
„nicht ins Unglück
zu bringen.“
Aufgenomen am 12. Februar 1926.
Josef Jellinek
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