An das
Strafbezirksgericht Iin Wien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller, Wien III. Hintere Zollamtsstrasse 3
durch:
Vollmacht ausgewiesen zu U I
109/25
Beschuldigter: Dr. Desiderius Papp, verantwortlicher Redakteur des
„Neuen Wiener Journal“ Wien V. Zeinlhofergasse 12
wegen § 23, 24 Abs. 2 Ziffer 3 P.G.
1 fach
Privatanklage:
Am Samstag den 19. Dezember 1926, Nr. 11881. Seite 8 erschien
in der Zeitung „Neues Wiener Journal“ unter dem Titel „Journalisten“
von Dr. Edmund Wengraf ein
Artikel, in dessen Absatz 2 folgende,
mich betreffende Tatsachen
mitgeteilt wurden: „Wir haben nun just
in Wien einen talentreichen und witzigen Schriftsteller, der sei
ne Lebensaufgabe darin
erblickt, die Tagespresse bei dem grossen
Publikum um ihr Ansehen zu
bringen und die Zeitungsschreiber als
Nichtswisser und Nichtskönner
hinzustellen. Dieser arme Mann, arm,
weil er durch die
Freudlosigkeit seines Giftspritzerdaseins Mit
leid weckt, liest jahraus
jahrein nichts als Zeitungen, er lebt
von dieser Lektüre, er lebt
von den geistigen Anregungen, die er
dabei empfängt und die er zu
kritischen Betrachtungen und satiri
schen Glossen verarbeitet. Wie
sich von selbst versteht, hat er
seine ‚Gemeinde‘. Wer der
Ausdauer genug besitzt, zwanzig Jahre
lang alle Welt zu beschimpfen
und sich selbst als Genie auszu
schreien, würde in Wien nicht eine Gemeinde finden? Das grosse Pub
likum, dem er die
Zeitungen verleiden möchte, kümmert sich aller
dings nicht um ihn und liest
ihn nicht.“
Ich habe am 8. Jänner 1927 durch
meinen Anwalt Dr. OskarSamek, Rechtsanwalt Wien I. Schottenring 14 dem Beschuldigten
die
in Beilage /A
abschriftlich mitgeteilte Berichtigung übersenden
lassen. Diese Berichtigung wurde von dem Beschuldigten am 10. Jän
ner 1927 in Empfang genommen.
Nach dem Pressgesetz hätte daher die
Veröffentlichung am 11. oder 12.
Jänner 1927 erfolgen müssen.
Der Beschuldigte hat
diese Berichtigung nicht veröffent
licht, sohin die Veröffentlichung
grundlos verweigert. Er hat hie
durch die Uebertretung nach § 23, 24 Abs. 2 Ziffer 3 P.G. begangen.
Ich stelle daher durch meinen
zur G.Zl.U I 109/25
ausgewiesenen
Anwalt folgende
Anträge:
1.) Eine Hauptverhandlung
anzuberaumen und zu dieser den
Beschuldigten zu
laden,
2.) ihn gemäss § 24 Abs. 3 P.G. zu bestrafen und auf Ver
öffentlichung der Berichtigung vom 8. Jänner 1927 zu erkennen
und auszusprechen, dass das „Neue Wiener Journal“ von der 3. Num
mer nach Verkündigung
oder Zustellung des Urteiles nicht er
scheinen darf, wenn es die Berichtigung nicht gebracht hat,
3.) den Beschuldigten und
zwar zur ungeteilten Hand mit
dem
Herausgeber des „Neuen Wiener Journals“
der Firma Lippowitz& Co.
Wien I. Biberstrasse 5, zum Ersatz
der Kosten des Strafver
fahrens zu verurteilen.