Arbeit und WirtschaftEin Witz Kasmaders?Arbeit und Wirtschaft, 1.1.1927Die Fackel


Geschäftszahl U I 56/27
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Im Namen der Republik Österreich!


Das Strafbezirksgericht I Wien als Pressegericht hat heute in Gegenwart
des Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek
in Abwesenheit
des Angeklagten Eduard Straas
über die Anklage verhandelt, die der Privat
ankläger Karl Kraus gegen
Eduard Straas
49 Jahre, verh., verantw. Schriftleiter
der Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft
wegen der Übertretung nach § 30 Pressgesetz erhoben hatte,
und über den vom Ankläger gestellten Antrag auf Bestrafung des Beschuldigten,
Verpflichtung desselben zur Veröffentlichung des Urteiles in der Zeitschrift
Arbeit und Wirtschaft“ und Erkenntnis auf Verfall des Heftes der genannten
Zeitschrift
zu Recht erkannt:


Eduard Straas ist schuldig, er habe als verantwortlicher
Schriftleiter der in Wien erscheinenden Zeitschrift „Arbeitund Wirtschaft“ bei der Aufnahme des Aufsatzes mit der
Ueberschrift „Ein Witz Kasmaders?“ in Heft 1 der genannten
Zeitschrift vom 1. Jänner 1927, dessen Inhalt das Vergehen
gegen die Sicherheit der Ehre nach § 491 und § 488 STG. be
gründet, jene Aufmerksamkeit vernachlässigt, bei deren pflicht
gemässer Anwendung die Aufnahme des strafbaren Inhaltes unter
blieben wäre.


Er hat hiedurch die Uebertretung nach § 30 Pressgesetz
begangen und wird hiefür gemäss dieser Gesetzesstelle zu
einer Geldstrafe im Betrage von
fünfzig (50) Schilling
im Falle der Nichteinbringlichkeit zu 24 Stunden Arrest und
gemäss § 389 STPO. zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens
verurteilt.


Eduard Straas wird ferner gemäss § 43 (1) Pressgesetz
verpflichtet, dieses Urteil in der ersten oder zweitnächsten
nach Rechtskraft dieses Urteiles erscheinenden Nummer
der Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ in der im § 23Pressgesetz vorgeschriebenen Weise zu veröffentlichen,
widrigenfalls die genannte Zeitschrift nicht mehr erscheinen
dürfte.


Weiters wird gemäss § 41 Pressgesetz auf Verfall des Heftes1 der Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ erkannt.


Gemäss § 5 (2) Pressgesetz haftet Anton Hueber als
Eigentümer und Herausgeber der Zeitschrift „Arbeit undWirtschaft“ für die Geldstrafe und die Kosten des Strafverfah
rens zur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten.


Entscheidungsgründe:
Erwiesen ist durch die Angaben des Beschuldigten und das
Impressum, dass Eduard Straas der verantwortliche
Schriftleiter des Heftes 1 der Zeitschrift „Arbeit und
Wirtschaft“ vom 1. Jänner 1927 war, in der unter dem
Titel „Ein Witz Kasmaders?“ eine Notiz erschienen
ist, die in mehrfacher Hinsicht Beleidigungen des Privatanklägers enthält.


Die Notiz zitiert zunächst Worte des Privatanklägers aus der
Fackel“, die eine Kritik des Verhaltens Dr. Renner’s
auf dem Linzer Parteitage darstellen, und schliesst daran die
Bemerkung: „Also, das muss im Kriminal-‚Tribunal‘ des
Alexander Weiss gestanden sein.“


Weiters enthält die Notiz folgende Stellen: „… Während
die ‚Tischfreunde von Großschiebern‘ wohl nur mehr so
eine Verdächtigung ins Allgemeine hin bedeuten worden.“
„… Natürlich hiesse es den Angegriffenen
auf das Niveau des Angreifers hinabwürdigen, wollte man …
gegen den im echten Bekessy-Tonfall erhobenen Anwurf ver
teidigen …“ und „… wenn aber dann gar der prächtige
Witz über den Bauch eines Menschen, der offenbar nicht so edel
gewachsen ist wie der Autor des Witzes …“


Der Inhalt der erwähnten Notiz begründet objektiv das Vergehen
der Ehrenbeleidigung nach § 488 STG. bezw. § 491 STG.


Durch die Stellen: „Also das muss im Kriminal-Tribunal des
Alexander Weiss gestanden sein“ und „… gegen den
im echten Bekessy-Tonfall erhobenen Anwurf“ wird Privatankläger dem öffentlichen Spot
te ausgesetzt, weil er, der, wie gerichtsbekannt ist, gegen
jede Pressekorruption seit Jahren kämpft, durch die Behauptung,
dass er so schreibe, wie Weiss, der wegen durch seine Presse
tätigkeit begangene Erpressung verurteilt wurde, bezw. wie
Bekessy, dessen strafgerichtliche Verfolgung wegen Pressekorrup
tion eingeleitet wurde, durch diese Stellen in der Öffent
lichkeit lächerlich gemacht wird.


Die Stelle, in der es heisst „natürlich es hiesse den Angegriffenen
auf das Niveau des Angreifers herabwürdigen, wollte man …“
ist objektiv Ehrenbeleidigung nach § 488 STG.
Die Stelle: „… über den Bauch eines Menschen, der, offenbar
nicht so edel gewachsen ist, wie der Autor des Witzes“ begründet
Verspottung des Privatanklägers nach § 491 STG.


Die Stelle, in der von den „Tischfreunden von Großschiebern“
die Rede ist, begründet, da behauptet wird, dass Privatankläger
eine „Verdächtigung“ begangen habe, den Tatbestand des Vergehens
nach § 488 STG., da ein derartiger Vorwurf den Privatankläger
in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herab
zusetzen geeignet ist.


Mit Rücksicht auf die Verantwortung des Beschuldigten, dass er
den inkriminierten Artikel nicht verfasst und vor der Drucklegung
nicht gelesen habe, konnte er lediglich wegen Uebertretung der
Vernachlässigung der pflichtgemässen Obsorge nach § Presse-
Gesetz belangt werde. Da der Beschuldigte einen Wahrheitsbeweis,
insoweit er zulässig gewesen wäre, nicht einmal angeboten hat,
war er im vollen Umfang der erhobenen Anklage für schuldig zu
befinden.


Bei der Strafbemessung kam die Mehrzahl der Beleidigungen als
erschwerend in Betracht, mildernd war die Unbescholtenheit.
Mit Rücksicht auf diese Umstände erscheint die innerhalb des
gesetzlichen Strafrahmens ausgemessene Strafe dem Verschulden
des Angeklagten entsprechend.


Ueber Antrag des Privatanklägers war gem. § 43 Pressgesetz
der Beschuldigte zur Veröffentlichung des Urteiles in der
Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ zu verpflichten und gemäss
§ 41 Pressgesetz der Verfall des Heftes, in dem die inkriminierteNotiz erschienen ist, auszusprechen.


Der Ausspruch über die ungeteilte Mithaftung des Eigentümers und
Herausgebers der vorgenannten Zeitschrift Anton Hueber
mit dem Verurteilten für die Geldstrafe und die Kosten des Straf
verfahrens stützt sich auf die Bestimmung des § 5 (2) Pressgesetz:
dem Antrage des Privatanklägers auch den am Kopfe der
Zeitschrift als Herausgeber angeführten Franz Domes
zur Mithaftung zu verpflichten, wurde keine Folge gegeben, da
Franz Domes im Impressum der Zeitung als Herausgeber
nicht angeführt ist, für die Mithaftung nach § 5 (2) Pressgesetz
aber nur die im Impressum genannten Personen in Betracht
kommen.


Die übrigen Aussprüche gründen sich auf die im Urteilstenor bezoge
nen Gesetzesstellen.


Wien, am 10. März 1927.
Dr. Christoph Höflmayr


Für die Richtigkeit der Ausfertigung
der Kanzleileiter:


Kahlert