Sehr geehrter Herr Kollege!
Dass Sie mir auf meine
Formulierung der
Ehrenerklärung,
die doch im wesentlichen nichts anderes enthielt
als den von Ihnen selbst
vorgeschlagenen Wortlaut – dazu freilich
die Zitierung der beleidigenden
Stelle nebst einem Worte des Be
dauerns – die Nachricht brachten,
dass diese Ehrenerklärung abge
lehnt werde, weil der Beleidiger in der gemachten Aeusserung
„eine Ehrenbeleidigung
nicht erblicke“, hat mich in solches Er
staunen versetzt, dass ich
verärgert das Gespräch sofort abbrach.
Da Sie aber doch für diese
Ansicht des Verfassers nicht verant
wortlich sind und ich Ihnen
gegenüber umsoweniger unhöflich er
scheinen möchte, als Sie sich
ersichtlich um eine Erledigung der
Angelegenheit bemüht haben, will ich Ihnen doch nachträglich dan
ken und damit allerdings die
Frage an Sie verbinden, wie es kommt,
dass Sie selbst mir die
Bereitwilligkeit zur Abgabe einer Ehrener
klärung mitteilen konnten, die
bis auf den Ausdruck des Bedauerns
schon alles das enthalten hat, was in dem Ihnen vorgelegten Texte
enthalten war, nämlich die
Zurückziehung des Vorwurfes. Sie müssen
demnach wohl selbst auch der
Ansicht gewesen sein, dass eine Be
leidigung vorliegt, da Sie sich
doch sonst kaum bemüht hätten, eine
aussergerichtliche Erledigung des
offenbar auch Ihnen ungerecht
erscheinenden Vorwurfes gegenüber einem Manne, den Sie achten, her
beizuführen. Ich könnte auch kaum
glauben, dass Sie den Vorwurf
nicht für beleidigend halten, eine publizistische Aeusserung eines
Mannes wie Karl Kraus sei von
Ranküne und dem eigensüchtigen Beweg
grunde verletzter Eitelkeit
(durch angeblich nicht genügende
ästhetische Würdigung, wo doch das Gegenteil durch hunderte be
geisterte Artikel
sozialdemokratischer Schriftsteller bewiesen wer
den könnte) geleitet – zumal wenn
dieser Vorwurf in die Umgebung
einer Kritik erpresserischer und sonst materiell interessierter
Gegner des Sozialismus
eingestellt erscheint. Es dünkt mir daher
plausibler, dass der Verfasser des Artikels es nicht über sich
bringt, ein begangenes Unrecht zu
bedauern, was für uns Anwälte ja
leider eine alltägliche Erscheinung ist. Für so unerfahren könnte
ich ihn nicht halten, dass ich
ihm zutraute, er möchte glauben, die
Angelegenheit aus der Welt zu
schaffen, wenn er einfach die Erklärung
abgibt, die Stelle habe keinen
beleidigenden Inhalt. Dies zu beur
teilen ist nicht seine Sache,
sondern Sache des Gerichtes und es
dürfte auch kaum vorstellbar sein, dass Herr Karl Kraus, der
sich
durch eine konkrete
Behauptung verletzt fühlt, diese als aus der
Welt geschafft ansähe, wenn der
Behauptende zwar nicht deren Un
wahrheit, aber deren
Harmlosigkeit feststellt, und etwa noch hinzu
fügt, er habe es auch nicht böse
gemeint. Es scheint mir demnach aus
Ihrer überraschenden Mitteilung
hervorzugehen, dass der Verfasser
nicht den Wunsch hat, für die
Behauptung durch Führung eines Wahr
heitsbeweises einzutreten, dem
mein Klient aus ganz anderen Gründen
gerne aus dem Wege gegangen wäre
und zwar, wie Sie wohl wissen, aus
Teilnahme an einer grösseren Sache, die ihm leider, wie Sie gleich
falls wissen, durch eine Reihe
von Begleitumständen gefährdet er
scheint, an denen durch
Unterlassung von Ehrenbeleidigungsprozessen
seitens der Betroffenen
absichtlich vorübergegangen wird. Das sitt
liche Motiv der Betrachtung
dieser Dinge, auf dessen Reinerhaltung
und Klarstellung vor der ganzen
Welt mein Klient den denkbar
grössten Wert legt, ist in dem
Artikel in das gerade Gegenteil
ver
kehrt worden.
Nicht dass sein „Aesthetentum“ von der sozialdemokra
tischen Partei
nicht genügend ernst genommen wurde, sondern deren
Haltung gegenüber dem Erpresser
Bekessy, dessen Wirksamkeit er als
die grösste Gefahr unseres
öffentlichen Lebens erachtet hat, war der
Ausgangspunkt seiner Kritik, und
deren Herabsetzung auf ein per
sönliches Interesse empfindet er
eben als Ehrenangriff. So schmerz
lich und bedauerlich es ihm
selbst ist,dass nunmehr die notwendige
Remedur eine Auseinandersetzung
über die Materie selbst, im Ge
richtssaal, erfordert und dies
seiner Initiative zuzuschreiben sein
soll, so können wir doch sagen,
dass wir alles versucht haben, um
eine solche Weiterung zu vermeiden. Dies war ja auch der gute Grund,
weshalb ich Ihnen aus eigenem
sachlichen Wohlwollen von der Möglich
keit dieses Prozesses Mitteilung
machte, und gleichfalls der Grund,
weshalb Sie sich, ohne von mir aufgefordert worden zu sein, zum Ver
such erbötig machten, dass die
Angelegenheit durch eine Zurückziehung
des Vorwurfes erledigt werde.
Ob dieser als Beleidigung
oder als
Schmeichelei oder wie immer
und von welcher Instanz immer quali
fiziert würde – Herr Karl Kraus
wünscht nichts anderes, als dass
er in seiner objektiven
Unwahrheit beseitigt wird. Wenn es nun
bloss darauf ankommen
sollte, dass es dem, der den Vorwurf erhoben
hat, erspart bleibe, auch
öffentlich zu bedauern, dass er es un
berechtigterweise getan
habe, so legt Herr Karl Kraus auf den Aus
druck der Gefühle, die den
Beleidiger nachträglich bewegen, keinen
Wert. Er verlangt nichts
weiter, als dass der Vorwurf zurückgezo
gen werde, er habe aus
Ranküne, nämlich, weil sein Aesthetentum
nicht genügend ernst
genommen, seiner Eitelkeit nicht hinreichend
geschmeichelt wurde, die
Forderung ausgesprochen, dass ein konkret
beschuldigter
sozialdemokratischer Funktionär die Beschuldigung
statt durch Ausspucken auf
dem Parteitag durch Klage vor Gericht
widerlege.
Ich übermittle Ihnen nunmehr
jene ein
geschränkte
Erklärung, mit deren Veröffentlichung dem Anspruch
meines Klienten Genüge geleistet wäre und erbitte mir Ihre Ant
wort in längstens
3 Tagen, da ich ansonsten den Antrag auf Ein
leitung der Voruntersuchung
einbringen müsste, für den die Frist
am 14. ds. abläuft.
Ich zeichne mit
kollegialer Hochachtung