An das
Landesgericht für Strafsachen IWien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in
Wien III. Hintere Zollamtsstrasse 3
durch:
Beschuldigter: Dr. Johann Hannak, Redakteur
in
Wien X. Arsenal, Objekt IX.
wegen Ehrenbeleidigung
begangen durch die
Presse.
1 fach
1 Vollmacht
2 Beilagen
Antrag auf Einleitung der
Voruntersuchung und Vornahme
einer Hausdurchsuchung.
Im Heft 1 des V. Jahrganges der Halbmonatschrift für
volkswirtschaftliche, sozialpolitischeund gewerkschaftliche
Fragen „Arbeit und Wirtschaft“vom 1. Jänner 1927
erschien auf Seite 32 eine Notiz
unter dem Titel „Ein Witz Kasmaders?“ Die Notiz
war
nicht unterzeichnet.
Sie enthielt verschiedene, nach
§ 491 St.G. zu beurteilende Beleidigungen gegen mich.
Insbesondere fühle ich mich
durch folgende Stellen der
Notiz beleidigt: „‚Ein Witz Kasmaders?‘ Also,
das muss
im Kriminal-‚Tribunal‘ des Alexander Weiss gestanden
sein.“ „… während die
‚Tischfreunde von Großschiebern‘
wohl nur mehr so eine
Verdächtigung ins Allgemeine hin
bedeuten
werden.“ „Natürlich hiesse das den
Angegrif
fenen auf das Niveau des Angreifers hinabwürdigen.“
„In echtem Bekessy-Tonfall
erhobenen Anwurf.“ „Bauch
eines Menschen, der
offenbar nicht so edel gewachsen ist,
wie der Autor des
Witzes.“
An diesen Stellen empfinde
ich den Ver
gleich
mit notorischen und gerichtlich abgestraften Er
pressern und Verbrechern wie
Bekessy beziehungsweise
Weisz als besonders schwere Beleidigung und als solche,
welche mit der bekannten
Auffassung der sozialdemokra
tischen Publizisten im
flagrantesten Widerspruch stehen.
Diese Beleidigungen fallen
umso schwerer ins Gewicht,
als die Stigmatisierung des Bekessy gerade
mein aus
schliessliches Wirken ist und jedem Sozialisten wohl
bekannt, dass dieser mein
Kampf in einer Zeit erfolgt
ist, in der die offizielle Sozialdemokratie den Bekessy
Tonfall noch lange nicht verächtlich fand.
Die in der Notiz zitierten Worte aus der
Fackel wollten die Tatsache kritisieren, dass Herr Dr.Renner, dem von
einem ehemaligen Genossenschaftsbeamten
Siegmund Kaff unerhörte Missbräuche der Genossenschafts
bewegung zum
Vorwurf gemacht wurden, auf dem Linzer
Parteitag 1926 das Verlangen
mehrerer Genossen der sozial
demokratischen
Partei, den Anklageweg zu betreten, um
die Behauptungen des Herrn Kaff zu widerlegen, abgelehnt
hatte und die konkreten
Anschuldigungen des Herrn Kaff
damit abzutun glaubte, dass
er wörtlich sagte: „Mir
bleibt nämlich noch
übrig, vor einem Menschen, der durch
ein Menschenalter in
einer Bewegung mitgearbeitet hat,
in dieser Bewegung
Duldung und Förderung erfahren hat,
und der zum Schluss mit
einer bei arbeitenden Menschen
heute nur ausnahmsweise
verwirklichten Altersversorgung
davon gegangen ist, vor
einem Menschen, der die Bewegung,
aus der er
hervorgegangen ist, beschmutzt, auszuspucken.“
Diese Antwort entspricht
keinesfalls dem
berechtigten
Verlangen, dass konkrete Beschuldigungen
gegen eine im öffentlichen
Leben stehende Persönlichkeit
auch öffentlich überprüft werden. Hiezu schien dem Privatankläger gerade Herr Dr. Renner
umsomehr verpflichtet,
als
bedeutende und einflussreiche Parteigenossen desselben
ihm zu wiederholten Malen,
insbesondere Dr. FriedrichAdler in der
Verteidigungsrede vor dem Ausnahmegericht
im Jahre 1917 und in dem
Vorverfahren zu diesem vorge
worfen haben, dass er sich
gegen den Geist der Sozial
demokratie schwer vergangen
habe.
Ich habe am 2. Feber 1927
wegen dieser
Notiz die Einleitung der Voruntersuchung gegen den
verantwortlichen Redakteur
von „Arbeit und Wirtschaft“
Eduard Straas beantragt, die auch zur G.Z.
Vr XXVI 715/27 beim Landesgericht für Strafsachen I
in Wien geführt wurde. Da
Eduard
Straas erklärte, die
Notiz vor der Drucklegung
nicht gelesen zu haben und
sich weigerte, den Verfasser zu nennen und auch die
übrigen geführten Zeugen
nicht zur Eruierung des Täters
führten, wurde über meinen Antrag der Akt zur Fort
setzung des Verfahrens nach
§ 30 Pr.G. an das Strafbezirksgericht I abgetreten und Eduard Straas
von die
sem Gerichte am 10. März 1927 zur G.Z. U I
56/27 und
zwar in Abwesenheit
und in Abwesenheit eines Vertei
digers zu einer Geldstrafe
von S 50.–, im Falle der
Nichteinbringlichkeit zu 24 Stunden Arrest, zum Ersatz
der Kosten des
Strafverfahrens, Veröffentlichung des
Urteiles verurteilt, und auf
Verfall des Heftes 1 von„Arbeit und
Wirtschaft“ erkannt.
Im Heft 4 des V. Jahrganges von„Arbeit und Wirtschaft“
vom 15. Feber 1927 erschien
ein Artikel unter dem Titel
„‚Neutrale‘ und andereGegner“, der von
dem Beschuldigten J. Hannak
gezeichnet war. Ein Exemplar
dieses Heftes kaufte mein
Anwalt Dr. Oskar Samek am
3. März 1927 zusammen mit
dem
Heft 5 vom 1. März 1927, um sich davon zu
überzeu
gen,
ob eine von ihm in meinem Namen eingesendete Be
richtigung des
Wortlautes der im Heft 1 aus der Fackel
zitierten Stelle erschienen
war. Er fand nun in dem
Heft vom 15. Feber 1927 in dem
Artikel „‚Neutrale‘ und
andere Gegner“ im dritten
Absatz folgende mich be
treffende Stelle, welche er
mir, wenn nicht später,
am 3.
März 1927 zur Kenntnis brachte:
„Jedoch, wenn auch neuestens –
aus Ran
küne
darüber, dass man sein Ästhetentum nicht genug
ernst nimmt – ein Mann,
dem man eine grössere Wider
standskraft seines guten
Geschmacks gegen seine Eitel
keit zugetraut hätte,
einem jener Patrone, die jetzt
für Seipel arbeiten, das schmückende Beiwort eines
,alten Sozialisten‘
verliehen hat, so geben sich
unsere Gegner doch
keiner Täuschung darüber hin, dass
solche ,alte
Sozialisten‘ bei den Arbeitern ver
flucht wenig ausrichten
werden und dass selbst der
Höllenlärm aller dieser Geschütze, alle die Feuer
zungen der bürgerlichen Presse, der
abgefallenen, ge
kauften
und erpressenden Literaten ins Leere schiessen
und ihren ganzen Aufwand
verpuffen würden, wenn nicht
Positionen da wären, die
man noch viel näher an den
Feind heranschieben kann, Positionen, die wie eine Art
seelische Mausefalle
möglichst viele proletarische
Elemente anlocken und
einfangen, das heisst also, wenn
schon nicht zu Gehilfen
des Feindes, so doch zu isolier
ten, aktionsunfähigen
Gebilden machen sollen.“
Der Vorwurf, dass sich meine
publi
zistische Stellungnahme von der Ranküne darüber herlei
te, dass man mein
„Ästhetentum“ nicht genügend ernst
nimmt, und dass ich aus dem
Beweggrunde der verletzten
Eitelkeit handle, stellt eine nach § 488 St.G. zu
beurteilende
Ehrenbeleidigung dar, deren beleidigender
Charakter durch Einstellung
in einen Artikel gegen
Verleumder, Erpresser und
sonstige materiell orientierte
Gegner des Sozialismus erhöht wird. (Siehe die Stelle
von den abgefallenen,
gekauften und erpressenden Li
teraten.) Mein Anwalt Dr.
Oskar
Samek hat von diesem
Artikel und der in ihm
aufgestellten, mich beleidigenden
Behauptung dem Anwalte der
sozialdemokratischen Partei
Dr. Oswald
Richter, als er ihn zufällig beim Strafbezirksgericht I traf, Mitteilung gemacht, der sich aus
freien Stücken erbot, zu
versuchen, den Beleidiger zu
einer Zurücknahme der
Behauptung zu bringen, weil er
als Kenner meines
Wesens
Wirkens
die Ungerechtigkeit des Vor
wurfes zugegebenermassen
fühlte, und überdies nach seiner
und meines Anwalts Ansicht die
Erörterung der Materie
im Gerichtssaal,
lediglich auf meine Initiative hin,
tun
lichst
vermieden werden sollte. Er selbst verfasste den
Text
einer Erklärung, den ich
lediglich
bloß
im Punkte der
Zitierung des Wortlautes der Beleidigung und im Aus
spruche eines Wortes des
Bedauerns für ergänzungsbe
dürftig, aber sonst durchaus
entsprechend gefunden
habe.
Überraschenderweise gelang der gutgemeinte Ver
such Dris. Richter
nicht, weil der Beschuldigte zwar
nicht die Wahrheit seines
Vorwurfes aufrecht erhalten
wollte, da er ausdrücklich bereit war, dies in einem
Brief zu bekennen, aber die
Veröffentlichung der Er
klärung ablehnte und sich
lieber auf den Standpunkt
stellte, dass eine Beleidigung in der Äusserung über
haupt nicht zu erblicken
sei. Aus dieser Stellungnahme
ergibt sich klar, dass der Täter damit
rechnete, dass es
schwer
gelingen werde, den Geschworenen die Materie
so verständlich
darzustellen, dass ihnen die indivi
duelle Schwere des Vorwurfes
fühlbar würde, innerhalb
einer Atmosphäre moralischer
Fühllosigkeit, in der ja
doch
Vorwürfe materieller Unregelmässigkeiten und
korrupter Beeinflussungen
ohne Beleidigungsklage hin
genommen werden und man sich
eben im Falle dringendster
Abwehr mit dem Ausspucken begnügt.
Nun ist es nicht von der
Hand zu weisen,
dass diese
Berechnung vielleicht recht behalten könnte,
so dass es notwendig
erscheint, den beleidigenden Charak
ter des Vorwurfes aus
deutlicheren, gemeinverständli
cheren, in der gleichen
Tendenz der sittlichen Entwertung
meiner publizistischen
Absicht gehaltenen Angriffe des
selben
Verfassers zu erweisen.
Denn d
D
er Beschuldigte
Dr. Johann Hannak ist nun
dringend verdächtig, auch
die
im Heft 1 des V. Jahrganges von „Arbeit
und Wirtschaft“
enthaltene Notiz „Ein Witz Kasmaders?“ geschrieben
zu haben. Dieser Verdacht
gründet sich auf folgende
Umstände: Das Heft 1 wurde mir
unfrankiert mit einer
Schleife anonym zugesendet, so dass sich daraus schließen
lässt, dass es mit anderen
Exemplaren zeitungsmässig
(v.b.b.) aufgegeben wurde, da sonst eine Frankierung
notwendig gewesen wäre.
Ausserdem ist die Schrift auf
der Schleife selbst, wovon sich mein Anwalt am
9. April
1927 durch
Vergleichung mit der im Akte U I 56/27
vom Beschuldigten als Zeugen abgegebenen Unterschrift
überzeugen
konnte, offenbar mit den
Schriftzügen des Beschuldigten
Hannak identisch. Dies lässt aus dem
Grunde auf seine
Täterschaft
schliessen, weil doch offenbar nur der
Autor ein Interesse daran
haben konnte, mich in Kenntnis
von einem Angriff zu setzen, von dem er befürchten
musste, dass er mir sonst
wegen der Verborgenheit der
Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ als solcher
unbekannt bleibe. Dazu kommt
nicht zuletzt der
Umstand,
dass mir das Heft anonym zugesendet
wurde,
während bei
Zusendung von wohlmeinender Seite sicher
lich der Sender seinen Namen
genannt hätte. Über
dies habe ich in Erfahrung gebracht, dass für die
Verfassung derartiger „sat
y
i
risch“ gehaltener Notizen,
die eigentlich aus dem
Rahmen des Fachblattes heraus
fallen,
ausschliesslich der Beschuldigte in Betracht
kommt, dessen Autorschaft
auch aus wiederholten Ver
suchen, meinen eigenen Stil
geradezu durch Übernahme
sat
y
i
rischer Motive der Fackel
nachzuahmen, sowohl ausanonymen Notizen
der „Arbeiter-Zeitung“,
wie
wie aus
dem mit seinem
aus der inkriminierten Notiz selbst und
Namen
unterzeichneten zitierten Artikel in
„Arbeitund Wirtschaft“
hervorzugehen scheint. Dass solche
Nachahmer sich mit den
stilistischen Behelfen, die
sie der Fackel abgelernt haben, im
gegebenen Augen
blicke gegen mich selbst wenden, ist eine Erfahrung,
die ich seit Jahrzehnten
mache.
Ich beantrage daher die
Einleitung
der
Voruntersuchung gegen Dr. Johann Hannak
wegen der mir in der Notiz des Heftes 1 und dem Artikeldes Heftes 4 des V. Jahrganges von „Arbeit undWirtschaft“ zugefügten Beleidigungen und zwar:
1.) Vernehmung des
Beschuldigten Dr. JohannHannak darüber, ob er die inkriminierten Ar
tikel, insbesondere die
Notiz „Ein Witz Kasmaders“
verfasst und zum Druck
befördert hat,
2.) Die Vornahme einer
Hausdurch
suchung noch vor der Einvernehmung des Beschuldigten unter Zuziehung meines Anwaltes Dr. OskarSamek, Rechtsanwalt in Wien I. SchottenringNr. 14 zur
Eruierung des Schreibers der Notiz „EinWitz
Kasmaders?“. Die Hausdurchsuchung möge in
der Wohnung des Beschuldigten in Wien X. ArsenalObjekt IX, in der
Redaktion der Zeitschrift „Arbeitund Wirtschaft“ in
Wien I. Ebendorferstrasse Nr.
7
und in dem
Arbeitsraume des Beschuldigten bei der
Arbeiterkammer in Wien I. Ebendorferstrasse Nr. 7
erfolgen.