Arbeit und Wirtschaft„Neutrale“ und andere GegnerArbeit und Wirtschaft, 15.2.1927Arbeiter-ZeitungEin Witz Kasmaders?Arbeit und Wirtschaft, 1.1.1927Die Fackel


An das
Landesgericht für Strafsachen IWien.


Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in
Wien III. Hintere Zollamtsstrasse 3
durch:


Beschuldigter: Dr. Johann Hannak, Redakteur in
Wien X. Arsenal, Objekt IX.


wegen Ehrenbeleidigung
begangen durch die Presse.
1 fach
1 Vollmacht
2 Beilagen


Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung und Vornahme
einer Hausdurchsuchung.


Im Heft 1 des V. Jahrganges der Halbmonatschrift für volkswirtschaftliche, sozialpolitischeund gewerkschaftliche Fragen „Arbeit und Wirtschaft“vom 1. Jänner 1927 erschien auf Seite 32 eine Notiz
unter dem Titel „Ein Witz Kasmaders?“ Die Notiz war
nicht unterzeichnet. Sie enthielt verschiedene, nach
§ 491 St.G. zu beurteilende Beleidigungen gegen mich.
Insbesondere fühle ich mich durch folgende Stellen der
Notiz beleidigt: „‚Ein Witz Kasmaders?‘ Also, das muss
im Kriminal-‚Tribunal‘ des Alexander Weiss gestanden
sein.“ „… während die ‚Tischfreunde von Großschiebern‘
wohl nur mehr so eine Verdächtigung ins Allgemeine hin
bedeuten werden.“ „Natürlich hiesse das den Angegrif
fenen auf das Niveau des Angreifers hinabwürdigen.“
„In echtem Bekessy-Tonfall erhobenen Anwurf.“ „Bauch
eines Menschen, der offenbar nicht so edel gewachsen ist,
wie der Autor des Witzes.“


An diesen Stellen empfinde ich den Ver
gleich mit notorischen und gerichtlich abgestraften Er
pressern und Verbrechern wie Bekessy beziehungsweise
Weisz als besonders schwere Beleidigung und als solche,
welche mit der bekannten Auffassung der sozialdemokra
tischen Publizisten im flagrantesten Widerspruch stehen.
Diese Beleidigungen fallen umso schwerer ins Gewicht,
als die Stigmatisierung des Bekessy gerade mein aus
schliessliches Wirken ist und jedem Sozialisten wohl
bekannt, dass dieser mein Kampf in einer Zeit erfolgt
ist, in der die offizielle Sozialdemokratie den Bekessy
Tonfall noch lange nicht verächtlich fand.


Die in der Notiz zitierten Worte aus der
Fackel wollten die Tatsache kritisieren, dass Herr Dr.Renner, dem von einem ehemaligen Genossenschaftsbeamten
Siegmund Kaff unerhörte Missbräuche der Genossenschafts
bewegung zum Vorwurf gemacht wurden, auf dem Linzer
Parteitag 1926 das Verlangen mehrerer Genossen der sozial
demokratischen Partei, den Anklageweg zu betreten, um
die Behauptungen des Herrn Kaff zu widerlegen, abgelehnt
hatte und die konkreten Anschuldigungen des Herrn Kaff
damit abzutun glaubte, dass er wörtlich sagte: „Mir
bleibt nämlich noch übrig, vor einem Menschen, der durch
ein Menschenalter in einer Bewegung mitgearbeitet hat,
in dieser Bewegung Duldung und Förderung erfahren hat,
und der zum Schluss mit einer bei arbeitenden Menschen
heute nur ausnahmsweise verwirklichten Altersversorgung
davon gegangen ist, vor einem Menschen, der die Bewegung,
aus der er hervorgegangen ist, beschmutzt, auszuspucken.“


Diese Antwort entspricht keinesfalls dem
berechtigten Verlangen, dass konkrete Beschuldigungen
gegen eine im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeit
auch öffentlich überprüft werden. Hiezu schien dem Privatankläger gerade Herr Dr. Renner umsomehr verpflichtet,
als bedeutende und einflussreiche Parteigenossen desselben
ihm zu wiederholten Malen, insbesondere Dr. FriedrichAdler in der Verteidigungsrede vor dem Ausnahmegericht
im Jahre 1917 und in dem Vorverfahren zu diesem vorge
worfen haben, dass er sich gegen den Geist der Sozial
demokratie schwer vergangen habe.


Ich habe am 2. Feber 1927 wegen dieser
Notiz die Einleitung der Voruntersuchung gegen den
verantwortlichen Redakteur von „Arbeit und Wirtschaft
Eduard Straas beantragt, die auch zur G.Z.
Vr XXVI 715/27 beim Landesgericht für Strafsachen I in Wien geführt wurde. Da Eduard Straas erklärte, die
Notiz vor der Drucklegung nicht gelesen zu haben und
sich weigerte, den Verfasser zu nennen und auch die
übrigen geführten Zeugen nicht zur Eruierung des Täters
führten, wurde über meinen Antrag der Akt zur Fort
setzung des Verfahrens nach § 30 Pr.G. an das Strafbezirksgericht I abgetreten und Eduard Straas von die
sem Gerichte am 10. März 1927 zur G.Z. U I 56/27 und
zwar in Abwesenheit und in Abwesenheit eines Vertei
digers zu einer Geldstrafe von S 50.–, im Falle der
Nichteinbringlichkeit zu 24 Stunden Arrest, zum Ersatz
der Kosten des Strafverfahrens, Veröffentlichung des
Urteiles verurteilt, und auf Verfall des Heftes 1 von„Arbeit und Wirtschaft“ erkannt.


Im Heft 4 des V. Jahrganges von„Arbeit und Wirtschaft“ vom 15. Feber 1927 erschien
ein Artikel unter dem Titel „‚Neutrale‘ und andereGegner“, der von dem Beschuldigten J. Hannak
gezeichnet war. Ein Exemplar dieses Heftes kaufte mein
Anwalt Dr. Oskar Samek am 3. März 1927 zusammen mit
dem Heft 5 vom 1. März 1927, um sich davon zu überzeu
gen, ob eine von ihm in meinem Namen eingesendete Be
richtigung des Wortlautes der im Heft 1 aus der Fackel
zitierten Stelle erschienen war. Er fand nun in dem
Heft vom 15. Feber 1927 in dem Artikel „‚Neutrale‘ und
andere Gegner“ im dritten Absatz folgende mich be
treffende Stelle, welche er mir, wenn nicht später,
am 3. März 1927 zur Kenntnis brachte:


„Jedoch, wenn auch neuestens – aus Ran
küne darüber, dass man sein Ästhetentum nicht genug
ernst nimmt – ein Mann, dem man eine grössere Wider
standskraft seines guten Geschmacks gegen seine Eitel
keit zugetraut hätte, einem jener Patrone, die jetzt
für Seipel arbeiten, das schmückende Beiwort eines
,alten Sozialisten‘ verliehen hat, so geben sich
unsere Gegner doch keiner Täuschung darüber hin, dass
solche ,alte Sozialisten‘ bei den Arbeitern ver
flucht wenig ausrichten werden und dass selbst der
Höllenlärm aller dieser Geschütze, alle die Feuer
zungen der bürgerlichen Presse, der abgefallenen, ge
kauften und erpressenden Literaten ins Leere schiessen
und ihren ganzen Aufwand verpuffen würden, wenn nicht
Positionen da wären, die man noch viel näher an den
Feind heranschieben kann, Positionen, die wie eine Art
seelische Mausefalle möglichst viele proletarische
Elemente anlocken und einfangen, das heisst also, wenn
schon nicht zu Gehilfen des Feindes, so doch zu isolier
ten, aktionsunfähigen Gebilden machen sollen.“


Der Vorwurf, dass sich meine publi
zistische Stellungnahme von der Ranküne darüber herlei
te, dass man mein „Ästhetentum“ nicht genügend ernst
nimmt, und dass ich aus dem Beweggrunde der verletzten
Eitelkeit handle, stellt eine nach § 488 St.G. zu
beurteilende Ehrenbeleidigung dar, deren beleidigender
Charakter durch Einstellung in einen Artikel gegen
Verleumder, Erpresser und sonstige materiell orientierte
Gegner des Sozialismus erhöht wird. (Siehe die Stelle
von den abgefallenen, gekauften und erpressenden Li
teraten.) Mein Anwalt Dr. Oskar Samek hat von diesem
Artikel und der in ihm aufgestellten, mich beleidigenden
Behauptung dem Anwalte der sozialdemokratischen Partei
Dr. Oswald Richter, als er ihn zufällig beim Strafbezirksgericht I traf, Mitteilung gemacht, der sich aus
freien Stücken erbot, zu versuchen, den Beleidiger zu
einer Zurücknahme der Behauptung zu bringen, weil er
als Kenner meines Wesens Wirkens die Ungerechtigkeit des Vor
wurfes zugegebenermassen fühlte, und überdies nach seiner
und meines Anwalts Ansicht die Erörterung der Materie
im Gerichtssaal, lediglich auf meine Initiative hin, tun
lichst vermieden werden sollte. Er selbst verfasste den
Text einer Erklärung, den ich lediglich bloß im Punkte der
Zitierung des Wortlautes der Beleidigung und im Aus
spruche eines Wortes des Bedauerns für ergänzungsbe
dürftig, aber sonst durchaus entsprechend gefunden
habe. Überraschenderweise gelang der gutgemeinte Ver
such Dris. Richter nicht, weil der Beschuldigte zwar
nicht die Wahrheit seines Vorwurfes aufrecht erhalten
wollte, da er ausdrücklich bereit war, dies in einem
Brief zu bekennen, aber die Veröffentlichung der Er
klärung ablehnte und sich lieber auf den Standpunkt
stellte, dass eine Beleidigung in der Äusserung über
haupt nicht zu erblicken sei. Aus dieser Stellungnahme
ergibt sich klar, dass der Täter damit rechnete, dass es
schwer gelingen werde, den Geschworenen die Materie
so verständlich darzustellen, dass ihnen die indivi
duelle Schwere des Vorwurfes fühlbar würde, innerhalb
einer Atmosphäre moralischer Fühllosigkeit, in der ja
doch Vorwürfe materieller Unregelmässigkeiten und
korrupter Beeinflussungen ohne Beleidigungsklage hin
genommen werden und man sich eben im Falle dringendster
Abwehr mit dem Ausspucken begnügt.


Nun ist es nicht von der Hand zu weisen,
dass diese Berechnung vielleicht recht behalten könnte,
so dass es notwendig erscheint, den beleidigenden Charak
ter des Vorwurfes aus deutlicheren, gemeinverständli
cheren, in der gleichen Tendenz der sittlichen Entwertung
meiner publizistischen Absicht gehaltenen Angriffe des
selben Verfassers zu erweisen. Denn d D er Beschuldigte
Dr. Johann Hannak ist nun dringend verdächtig, auch
die im Heft 1 des V. Jahrganges von „Arbeit und Wirtschaft“
enthaltene Notiz „Ein Witz Kasmaders?“ geschrieben
zu haben. Dieser Verdacht gründet sich auf folgende
Umstände: Das Heft 1 wurde mir unfrankiert mit einer
Schleife anonym zugesendet, so dass sich daraus schließen
lässt, dass es mit anderen Exemplaren zeitungsmässig
(v.b.b.) aufgegeben wurde, da sonst eine Frankierung
notwendig gewesen wäre. Ausserdem ist die Schrift auf
der Schleife selbst, wovon sich mein Anwalt am 9. April
1927 durch Vergleichung mit der im Akte U I 56/27
vom Beschuldigten als Zeugen abgegebenen Unterschrift überzeugen
konnte, offenbar mit den Schriftzügen des Beschuldigten
Hannak identisch. Dies lässt aus dem Grunde auf seine
Täterschaft schliessen, weil doch offenbar nur der
Autor ein Interesse daran haben konnte, mich in Kenntnis
von einem Angriff zu setzen, von dem er befürchten
musste, dass er mir sonst wegen der Verborgenheit der
Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaftals solcher
unbekannt bleibe. Dazu kommt nicht zuletzt der
Umstand, dass mir das Heft anonym zugesendet wurde,
während bei Zusendung von wohlmeinender Seite sicher
lich der Sender seinen Namen genannt hätte. Über
dies habe ich in Erfahrung gebracht, dass für die
Verfassung derartiger „sat y i risch“ gehaltener Notizen,
die eigentlich aus dem Rahmen des Fachblattes heraus
fallen, ausschliesslich der Beschuldigte in Betracht
kommt, dessen Autorschaft auch aus wiederholten Ver
suchen, meinen eigenen Stil geradezu durch Übernahme
sat y i rischer Motive der Fackel nachzuahmen, sowohl aus
anonymen Notizen der „Arbeiter-Zeitung“, wie
aus der inkriminierten Notiz selbst und
wie aus dem mit seinem
Namen unterzeichneten zitierten Artikel in „Arbeitund Wirtschaft“ hervorzugehen scheint. Dass solche
Nachahmer sich mit den stilistischen Behelfen, die
sie der Fackel abgelernt haben, im gegebenen Augen
blicke gegen mich selbst wenden, ist eine Erfahrung,
die ich seit Jahrzehnten mache.


Ich beantrage daher die Einleitung
der Voruntersuchung gegen Dr. Johann Hannak
wegen der mir in der Notiz des Heftes 1 und dem Artikeldes Heftes 4 des V. Jahrganges von „Arbeit undWirtschaft“ zugefügten Beleidigungen und zwar:
1.) Vernehmung des Beschuldigten Dr. JohannHannak darüber, ob er die inkriminierten Ar
tikel, insbesondere die Notiz „Ein Witz Kasmaders
verfasst und zum Druck befördert hat,
2.) Die Vornahme einer Hausdurch
suchung noch vor der Einvernehmung des Beschuldigten unter Zuziehung meines Anwaltes Dr. OskarSamek, Rechtsanwalt in Wien I. SchottenringNr. 14 zur Eruierung des Schreibers der Notiz „EinWitz Kasmaders?“. Die Hausdurchsuchung möge in
der Wohnung des Beschuldigten in Wien X. ArsenalObjekt IX, in der Redaktion der Zeitschrift „Arbeitund Wirtschaft“ in Wien I. Ebendorferstrasse Nr. 7
und in dem Arbeitsraume des Beschuldigten bei der
Arbeiterkammer in Wien I. Ebendorferstrasse Nr. 7
erfolgen.


Karl Kraus.