Abschrift.
Vr XXVI 2366/27
Zeugenvernehmung
Landesgericht für Strafsachen Wien I am 28. Mai 1927
– Beginn: 9 Uhr 40’ –
Gegenwärtig:
Richter: L.G.R. Dr. Schima,
Schriftführer: Kzloffzl. Salaquarda,
Strafsache:
gegen Dr. Hannak,
Dr. Oskar Samek,
38 Jahre,
Wien,
mos.
ledig,
Rechtsanwalt,
XIV. Reindorfgasse 18 (I. Schottenring 14)
Verhältnis zu dem Beschuldigten oder anderen bei der
Untersuchung beteiligten
Personen: n.v. n.v.
Das Heft I der Halbmonatsschrift „Arbeitund Wirtschaft“ vom 1.
Jänner 1927 ist dem P.A. Herrn
Karl Kraus
anonym zugeschickt worden. Die Zusendung
erfolgte unter Verwendung
einer Schleife, auf welcher
die Adresse des Privatanklägers mit der Hand aufge
schrieben war. Die Zusendung
geschah zeitungsmässig
d.h. unfrankiert, so dass
man daraus schliessen kann,
dass dieses Heft nebst anderen
Exemplaren von der Redaktion aus
aufgegeben worden ist.
Nach Vorweisung von Bz. 8:
Das ist die Schleife. Die
Schrift auf dieser
Schleife
war sowohl mir, als auch Herrn Kraus unbekannt.
Im Auftrage des Privatanklägers habe ich
dann beim Landesgericht für Strafsachen Wien I am 2.
Feber 1927 wegen der auf
Seite 32 des Heftes I befind
lichen Notiz „Ein Witz Kasmaders?“ den Antrag auf
Ein
leitung
der V.U. gegen Eduard Straas, dem verantwort
lichen Redakteur der
Halbmonatsschrift „Arbeit undWirtschaft“
gestellt.
In diesem Verfahren konnte
der Verfasser
der inkrim. Notiz nicht eruiert werden,
wiewohl ich
u.a. auch
beantragt nabe, den Sekretär Anton Hueber
und den Redakteur Dr. Johann Hannak (beide sind Mit
arbeiter der „Arbeit und Wirtschaft“) als Zeugen ein
zuvernehmen. Aus
diesem Antrag geht deutlich hervor,
dass weder Herr Kraus,
noch ich eine Ahnung davon
hatten, dass Dr. Hannak als Verfasser der inkrim.Notiz in Betracht
kommt.
Die Einvernahme der
angeführten Zeugen
verlief
ergebnislos, weil beide unter Berufung auf
§ 45 P.G. die Angabe des Verfassers verweigerten.
Ich musste daher die
Abtretung dieser Strafsache an
das Strafbezirksgericht I Wien zur Verfolgung des EduardStraas wegen § 30 P.G. beantragen. Eduard Straas
ist
beim StBG I im
Sinne meines Antrages in seiner Abwe
senheit wegen § 30 P.G. am 10.3.1927 verurteilt worden.
Am 11. Feber 1927 habe ich
dem verantwortlichen Redakteur der Zeitung „Arbeit und
Wirtschaft“
eine Berichtigungsaufforderung wegen eines in der
Notiz vom 1. Jänner 1927 unrichtig zitierten Ausspru
ches des Herrn Kraus
eingesendet. Ich lege die Durch
schrift meines
diesbezüglichen Schreibens an die „Arbeit und
Wirtschaft“ samt Aufgabeschein meinem Pro
tokolle bei. Laut Rückschein
ist dieser Brief dem ver
antwortlichen Redakteur
Straas am 12.2.1927 zugestellt
worden. Ich lege auch diesen
Rückschein vor. Nach dem
Gesetz hätte die
Berichtigung in der nächsten oder
zweitnächsten Nummer
erscheinen sollen. Die nächsteNummer war fällig
am 15. Feber 1927 (es war daher
unwahrscheinlich, dass die
Berichtigung schon in dieser
Nummer erscheinen wird). Ich habe deshalb
gewartet und
am 3. März 1927
meinen Kanzleibeamten Wilhelm Birner
beauftragt, in die Redaktion
der „Arbeit und Wirtschaft“ zu gehen
(in den Trafiken ist nämlich diese
Zeitschrift nicht erhältlich) um sowohl die Nummervom 15.2. als auch
vom 1.3.1927 zu kaufen. Birner
brachte an diesem Tage nur
die Nummer vom 15.2. und
man sagte ihm, dass er die
Nummer vom 1.3. erst am
nächsten Tage bekommen
könne. Er holte die Nummer auch
am nächsten Tage im
Redaktionslokale.
Der Zeuge legt sein Expensar für den März
1927 vor.
Untersuchungsrichter stellt folgende Eintragungen
fest:
„3. März: Kraus – Straas:
Komm. z. ‚Arbeit und Wirtschaft‘ kaufe
Exempl. v. 15.2.1927, 50g,
Fahrt 48g – 98 g“
„4. März: Kraus – Straas:
abermalige Komm. zur Arbeit undWirtschaft –
kaufe März Nr., 50g, Fahrt 48 –
98g – “
Zeuge: Entweder am 3. März oder am 4. März
1927
kam ich zu Herrn Kraus (mit dem ich übrigens fast
täglich zusammentreffe) und
zeigte ihm die Nummervom 15.2., welche
den inkriminierten, von J. Hannak
gezeichneten Artikel „Neutrale und andere Gegner“
enthält. Herr Kraus kannte diesen Artikel noch nicht
und wir besprachen nun, wie
man zu diesem Artikel
Stellung nehmen soll, ohne
dass wir noch zu einem
definitiven Entschluss gekommen wären.
Am 10. und am 24. März 1927
hatte ich
beim Strafbezirksgericht I zu tun. An einem
dieser
beiden Tage
(welcher das war, ist mir heute nicht
mehr erinnerlich) traf ich
den mir bekannten Rechts
anwalt der
sozialdemokratischen Partei Dr. OswaldRichter, welcher am
selben Tage eine Verhandlung,
„Tandler gegen Tribunal“ hatte. Ich benützte eine
Verhandlungspause, um Dr. Richter auf den Fall Hannak
aufmerksam zu machen. Dr. Richter erbot sich frei
willig, ohne von mir
aufgefordert worden zu sein,
sich zu bemühen, die Angelegenheit aus der Welt zu
schaffen. Er rief mich dann
auch später an und teil
te mir mit, dass er mit Domes (Herausgeber der
„Arbeit und Wirtschaft“) gesprochen habe und
dass Hannak eine Erklärung abgeben werde.
Über den Wortlaut und die
Veröffentlichung
der
Erklärung konnte jedoch keine Einigung erzielt
werden.
Im Laufe meiner
Unterredungen mit HerrnKraus über den
Artikel vom 15.2. „Neutrale undandere Gegner“
tauchte sowohl bei Kraus, als auch
bei mir die Vermutung auf,
dass Dr. Hannak auch der
Verfasser der Notiz „Ein Witz Kasmaders?“ im Heft Iv. 1.1.1927 sei.
Herr Kraus hatte dann noch den Ein
fall, ob nicht
Hannak ihm das Heft selbst zugeschickt
habe, weil er vermutete,
dass gerade der Autor ein
Interesse habe, ihm diese Notiz
zur Kenntnis zu brin
gen. Als sich die
Unterhandlungen wegen des ausser
gerichtlichen Vergleichs
zerschlugen, bin ich auf
die
Idee gekommen, die Schrift auf der Schleife mit
der Unterschrift des Herrn Hannak als Zeuge in den
Akten gegen Straas (Akt U I 56/27 des StBG I, früher
Vr XXVI 715/27 O.Nr.5) zu
vergleichen. Ich konsta
tierte eine auffallende
Ähnlichkeit zwischen der Unter
schrift auf dem Protokoll
und der Schrift auf der
Schleife. Diese meine Feststellung machte ich am
9. April 1927.
Es waren nun hinreichende
Indizien für die
Annahme
gegeben, dass Dr. Hannak auch der Verfasser
der Notiz „Ein Witz Kasmaders“ vom 1.1.1927 sei,
was ich Herrn Karl Kraus
mitteilte.
Daraufhin habe ich im
Auftrage des HerrnKraus am
13. April 1927 beim LG. f. Strafsachen W
I
den Antrag
eingebracht, gegen Dr. Johann Hannak als
Verfasser der Notiz „Ein Witz Kasmaders?“ vom 1.
1.1927 und des Artikels „
Neutrale und andere Gegner“ vom 15.2.1927
die V.U. wegen Vergehens gegen
die Sicherheit der Ehre
einzuleiten.
Ich lege meinem Protokolle
weiters
auch noch die
Durchschrift eines von mir an Dr.Richter
adressierten Briefes vom 7.4.1927 bei,
aus welchem hervorgeht, dass
ich schon am 7. April
1927
berechnete, dass die Frist zur Einbringung
des Verfolgungsantrages am
14. April 1927 ablaufen
werde.
Wenn ich, wie der Beschuldigte be
hauptet, Dr. Richter
unmittelbar nach dem
Erschei
nen
des Artikels vom 15.2.1927 „Neutrale
undandere
Gegner“ nahegelegt hätte, wegen dieses Ar
tikels eine Ehrenerklärung
durchzusetzen, so hätte
ich
dem Dr. Richter nicht 8 Wochen später
schreiben
können, dass
die Frist zur Einbringung des Ver
folgungsantrages in der
nächsten Woche abläuft.
V.g.g,
Ende: 10 Uhr 55’
Salaquarda m.p. Dr.
Schima m.p.
Dr. Samek Oskar m.p.