Dr. Alfred
Kerr
Grunewald Höhmannstr. 6.
Auf Anordnung
Stfanwalt[?]
[¿¿¿gl] Sekr.
Es geht eine Schlacht …
(Erschien am 12. September
1914)
Es geht eine Schlacht … mit
schwerem Gang.
Am
Weichselfluß? Am Wasgenjoch?
Die Stille redet. Tagelang.
Wir wissen’s nicht. Und wissen’s doch.
Es rinnt ein Ruf. Durch
Frühlichtgrau’n.
Durch
alle Nächte. Heimatwärts.
Es
schwillt ein flüsterndes Geraun
Von Eurem Blut in unser
Herz.
Es schallt ein Schrei. Es
hallt ein Schuss.
Er trifft
uns in die eigne Stirn.
Es
zieht ein heimlich steter Fluss
Von Eurem Hirn in unser
Hirn.
Es weht der
Allerseelenwind.
Wir
schreiten alle Einen Schritt.
Und die wir fern vom Felde sind,
Wir kämpfen mit; wir sterben
mit.
fehlerhafte Abschrift
(Satz mit Original
vergleichen!)
Abschrift.
links oben
petit
An das
AmtsgerichtCharlottenburg
Amtsgericht Charlottenburg
Auf Anordnung:
unles.
Unterschrift
Kanzl. Sekr.
Schriftsatz
in
Sachen
Kraus ./. Kerr
44 B. 222/27
Anm. f. d. Setzer:
(Die unterstrichenen
Stellen
immer spationiert!)
petit d
(ganze Zeile,
nicht eingezogen!)
Die Darlegungen der
früheren
Schriftsätze
will ich durch die fol
genden Einzelheiten,
auch vom Stand
punkte des Schriftstellers, er
gänzen.
Herr Karl Kraus in Wien, Be
sitzer der
Zeitschrift „Die Fackel“
ist (nach mehrfachen
Verleumdungs-
und
Beleidigungsversuchen wider mich)
gelegentlich ein „kleiner
miesser
Verleumder mit moraligem Kitschton“
von mir genannt worden.
Darauf hat Herr Kraus, obschon
er Schriftsteller ist
(und obgleich
beleidigende Angriffe das sind, wes
halb sein Blatt vorwiegend gelesen
wird) die
Beleidigungsklage wider
mich erhoben. Ich muss ihm auf diesem
nicht literarischen Wege
folgen.
Es ist bereits erwähnt,
dass
ich den
inkriminierten Satz am selben
Tage schrieb, an dem ich
das in Berlin
selten zu sehende Blatt des
Herrn
Kraus zu Gesicht bekam. Die (un-
regelmässig erscheinende) „Fackel“ kommt ungefähr
alle
Vierteljahr einmal heraus. Als Beweis für das selte
ne Vorkommen der „Fackel“ in Berlin diene
folgende
Bekundung
der „Neuen Zürcher Zeitung“
(März 1924):
„Von
tausend Menschen an der Spree dürfte kaum einer
die ‚Fackel‘ auch nur dem
Namen nach kennen, geschweige
denn, dass er
sie je in der Hand gehalten hat.“ Das
Gericht wird mir glauben, dass unter solchen
Umständen
sehr
verspätet ein reiner Zufall mir das (im Selbst
verlag des Herrn Kraus erscheinende) Blättchen zu Ge
sicht brachte.
I.
Zur Sache. Nach meiner
festen Überzeugung ist Herr
Kraus ein Verleumder. Ich habe nicht sowohl den juri
stischen
Begriff der Verleumdung im Auge; sondern vor
nehmlich den
Laienbegriff: dass ein Verleumder ist, wer
Unwahres gewissenlos zum
Zweck der Herabsetzung ver
breitet. Aber auch der
streng juristische Begriff der
Verleumdung (die wider
besseres Wissen verbreitete
herabsetzende
Unwahrheit) ist in dem Tun des Herrn
Kraus erfüllt.
Ich sehe mich genötigt,
zu meiner Verteidigung das
Treiben des Herrn Kraus und seine
Persönlichkeit einer
kritischen Prüfung zu unterziehen – und hierbei zur
Wahrung meiner
Interessen nicht zu verschweigen, was und
wie er nach meiner
Meinung ist.
II.
1) Kraus behauptet (und das bildet für
mich den
Kernpunkt), dass ich während des Weltkriegs „
in Grau-
samkeit versiert
war, in jener scheusslich gewitzten
Grausamkeit, die
das eigne Leibeswohl hinter der
Schanze eines
Schreibtisches deckt“. Wahr ist jedoch,
dass ich mich als
Sechsundvierzigjähriger freiwillig
zum Heeresdienst nach
Kriegsausbruch gemeldet habe.
Kraus hat von dieser Tatsache Kenntnis, er verleumdet
wider besseres Wissen.
Belege für die Meldung (als
Soldat, nicht als
Dolmetscher) werden überreicht.
2) Herr Kraus zitiert Gedichte, die ich in
der Monatsschrift „Neue Rundschau“ 1914
veröffentlicht
habe,
zwar wörtlich, indem er jedoch als Routinier durch
die Bemäntelung des
Zusammenhangs den Eindruck hervorzu
rufen weiss, als ob ich
diese Gedichte nicht selber miss
billigt hätte. Er
zitiert später einiges davon ausdrück
lich so, als ob ich den
Inhalt billigte. Er verleumdet
auch hier wider besseres
Wissen.
3) Er verleumdet, indem
er behauptet, dass
ich im
Kriege „die Scherlsche Livree“ trug. Er will
mit
der Bezeichnung
„Scherlsche Livree“ den Eindruck wecken,
als ob ich im Frondienst
einer Firma auf deren Wunsch
(weil die Leser es zum Frühstück verlangten, sagt er;
„Fackel“, Okt.
1926, S. 87) als „Kriegshetzer“
gewirkt
hätte. Er
sucht also meine Beweggründe zu verleumden.
Wahr ist jedoch, dass
ich dieselben vaterländischen Ge
dichte, so das von ihm
getadelte Ostpreussengedicht, in
der (demokratischen!) „Frankfurter Zeitung“, andere in
meiner politisch vollkommen selbständigen Zeitschrift
„Pan“ veröffentlicht habe. Er betont selber,
dass ich
sog.
Kriegsgedichte (d.h. Gedichte, die im Krieg entstanden)
in der gar nicht
Scherlschen, sondern fast zwischen
staatlichen
Monatsschrift „Neue
Rundschau“ veröffentlicht
habe, – er verleumdet
mich aber durch die Behauptung,
dass ich „im Kriege die Scherlsche Livree trug“ und
meine Haltung nach den
Wünschen Scherlscher Frühstücks
leser gerichtet habe. Er
verleumdet abermals wider besse
res Wissen.
4) Als ich im „Berliner Tageblatt“ (in
einer durchaus
glimpflichen Besprechung seines Berliner
Auftretens als
Rezitator) seine früheren Besuche bei
mir gestreift hatte,
schrieb Kraus („Fackel“, Juni 1924,
S.
80), er wisse, „dass ich mit ihm (Anm.:
nämlich Kerr)
nie, auch nicht
1897, in einer anderen persönlichen Ver
bindung gestanden
bin, als dass ich ihn einmal, vor der
scheusslichen
Gerichtsverhandlung, durch die er den
greisen
Musikschriftsteller Tappert um sein Brot
brachte,
einen Moment sah und dann
angewidert nicht mehr kannte.“
(Nebensächlich ist, dass
der Musikschriftsteller WilhelmTappert, dessen
Bestechlichkeit damals durch das Gericht
festgestellt wurde,
garnicht um sein Brot kam, da seine
Zeitung, das „Kleine Journal“, es bei einer
öffentlichen
Abbitte
des durch Geld bestochenen Musikkritikers
bewen
den
liess).
Aber kennzeichnend für
das Verleumdertum
des Kraus ist die unwahre Behauptung, dass er
mich nur
1897 „einen Moment sah und dann
angewidert nicht mehr
kannte“, womit er eine gewisse Verächtlichkeit mir anzu
hängen meint
oder versucht. Er spricht bewusst auch hier
die Unwahrheit. Wahr
ist: a) Kraus hat mich nach 1897
durch „freundschaftliche“ Besuche behelligt; er schreibt
mir (drei Monate nach
dem Prozess): „Die Ehrlichkeit,
mit der Sie den
frechen Schund annageln, hat mich wirk
lich
gefreut“. (30.IX.97) Er bittet mich * col „Der Thaler is von mir, daß keine Irrung
g’schieht“ (Knieriem in „Lumpazivagabundus“). Anm. d. Herausgebers. später „herz-
lichst“
mit ihm zusammenzukommen usw. c) Kraus hat
mich
auch 1907
„lobend“ in der „Fackel“
erwähnt; d) Kraus hat
1908 sogar mein Gedicht über den herrlichen Darsteller
Girardi in der „Fackel“ mit rühmenden Worten abgedruckt –
ohne mein Zutun; er hat
also wiederholte Näherungen ver
sucht gegen einen
verleumderisch als verachtenswert Hin
gestellten, den er
„angewidert nicht mehr kannte“.
Auch hier versucht er
wider besseres Wissen mich verächt
lich zu machen.
5) Viktor Adler, der hervorragende öster
reichische
Sozialistenführer, dessen unantastbar recht
schaffener Charakter von
allen Parteien anerkannt wurde,
den Kraus selber hochschätzt, sah sich gezwungen, Kraus
öffentlich in einem Aufsatz
Verleumder zu nennen.
6) Kraus ist in Österreich bereits im Beginn
seiner Laufbahn wegen Verleumdung bestraft. –
Als er einen
literarischen Gegner, den Schrift
steller Hermann Bahr, unlauterer Handlungen be
zichtigte, (er
behauptete, Bahr habe sich auf dem
Wege der Korruption ein
Grundstück schenken las
sen, woran kein wahres
Wort gewesen ist), wurde
Kraus vom österreichischen Gericht
wegen Verleum
dung verurteilt.
III.
Soviel über die
nachweislich bewussten
Verleumdungen; also Verleumdungen im Sinne des
Gesetzes.
Zur allgemeinen
Kennzeichnung des Kraus und
seiner verleumderischen
Manöver, verleumderisch in der
Auffassung des Laien,
dienen fernerhin folgende Punkte.
Kraus hat die Verfasserschaft eines Gedichtes, welches die in den Masurischen Seen
Sterbenden ver-
spottet, wahrheitswidrig
mir nachgesagt – und hieran
die Schmähung geknüpft:
„Vor
dieser Scheusslichkeit
bleibt wohl
alles im Hintertreffen …“ usw. („Fackel“
April
1926, S. 55) Ich habe dieses Gedicht niemals ver
fasst. Ich habe niemals
Grausamkeiten geäussert, wie die
ses Gedicht sie enthält, das qualvoll in den Tod Sinkende
verhöhnt. Ich lege Wert
auf die Feststellung, dass ein
solches Verspotten
Hinscheidender mir unendlich wider
strebt hätte. Herr Kraus hat bedenkenlos und prüfungslos
die Unwahrheit gesagt.
Die wirklich im Krieg von mir
verfaßten Gedichte
hatten immer nur die Tendenz dem ei
genen bedrängten Lande
zu helfen; sie waren oft satirisch
derb – aber
wesensverschieden von diesem (willkürlich und
auf gut Glück mir unter
Schmähungen zugeschriebenen)
Gedicht. Meine Verse waren oft derbste Abwehr und Auf
forderung zur Abwehr:
aber nicht Sadismus gegen Sterben
de.
Ein grosser Teil meiner
Gedichte war zuerst
in
der Zeitung „Der Tag“, mit der
Unterschrift „Gottlieb“,
einem Sammelnamen der Redaktion,
erschienen. Begründer
des
Sammelnamens „Gottlieb“ war Professor Dr. Franz
Oppenheimer; (Ordinarius für Volkswirtschaft an der Universität Frankfurt).
„Gottlieb“ bildete damals das Gemeinschafts
wort, unter dem Viele,
fast immer in Versform, die Stimmung
Aufrichtendes rasch in
die furchtbare Zeit riefen – natür
lich zu Gunsten
Deutschlands. Fast jeden Tag flog ein
„Gottlieb“ hinaus. Die
ästhetische Form konnte nicht immer
ersten Ranges sein.
Ich wies auf die
Berechtigung dieser sozusagen
fliegenden Verse
noch während des Krieges offen in meinem
Hauptwerk „Die Welt im Drama“; dort
hiess es im Hinblick
auf besinnungslose
Nurpazifisten (1917):
51„Ich stehe bei diesem
Schwarm in keinem
guten Geruch, weil ich, als die überrumpelten
Geister sich
schieden, in dubio die Partei
Deutschlands nahm.
Deutschlands, das, von
allen Botokuden geächtet, von allen Busch
männern sittlich
verdammt, von Tibetanern
verworfen, von
Feuerländern abgelehnt, von Eski
mos verklagt, von
Boliviern bemängelt, von
Portugiserichen
mißbilligt, von Alaskanern
geschnitten, – – das
in solcher Lage, wenn es,
wie Karl Moor, mit ein paar Genossen in die
böhmischen Wälder
zieht, zu schützen eine
Wonne bleibt. Mit
tausend Liedchen … oder
was der Einzelne
sonst kann“.
„Die Welt im Drama“, Bd. III, S. 160.
(S. Fischer, Berlin,
1917).
Viele Gottlieb-Gedichte
wurden von andren deutschen Zei
tungen nachgedruckt,
nicht nur die Redaktionen wussten,
dass unter den
Gottlieb-Gedichten zahlreiche von mir
stammten. Die Tatsache
war allgemein bekannt. Auch Herr
Kraus bekennt, gewusst zu haben, dass durchaus nicht
alle
Gottlieb-Gedichte von mir waren; er hat jedoch, ohne sich
zu vergewissern, mir ein
bestimmtes willkürlich in die
Schuhe geschoben – mit
jener Bemerkung: „Vor dieser
Scheusslichkeit
bleibt wohl alles im Hintertreffen …“ usw.
Herr Kraus nennt mich in diesem Zusammenhang
einen „Kriegshetzer“. Er
gibt zwar nach seiner rabbuli
stischen Gewohnheit zu,
dass ich vielmehr „zum Siege
gehetzt“
habe. Doch er nennt das (S. 86) eine „Ordinärheit“;
mich einen „Vorkämpfer des
Bestialischen und der überal
terten
Schmierigkeit“. (S. 73) Ich glaube: wer im Krieg
(in der Überzeugung,
dass sein Land überfallen ist) gegen
diese Überfallenden auf-
und für das eigne Land eintritt,
den verleumdet man, wenn
man ihn Kriegshetzer nennt.
Herr Kraus verleumdet fast jeden meiner Be
wegründe. Etwa so: Weil
ich der Gast des deutschen
Botschafters in Paris, Herrn von Hoesch, war,
erklärt Herr
Kraus, ich habe den deutschen Gesandten um seiner Weine
willen zu den Wertvollen
gezählt (S. 77). Oder: weil ich,
zu zwei Vorträgen nach
Paris
eingeladen, nach dem Ge
spräch mit ausgeprägt
deutschfreundlichen Staatsmännern
Frankreichs (Painlevé, Daladier, de Monzie) schrieb,
dass man mit diesen wohl
auskommen könnte, sagt Herr
Kraus verleumderisch, dass ich „ihnen
hineinkrieche“.
Ich war von der Pariser Universität und von
deutschfreundlichen,
friedensfreundlichen Franzosen zu
zwei Vorträgen
eingeladen worden. Thema: 1) „Das deutsche
Drama der Gegenwart“; 2)
„Dramenkunst als völkerverbin
dendes Mittel“. Der
Universitätsrektor, Professor Lapie,
hatte mich amtlich auf
dem Bahnhof durch den offiziellen
Vertreter der Sorbonne
empfangen lassen und erschien zur
feierlichen Begrüssung
mit den Dekanen der Fakultät bei
Beginn meines Vortrags.
Herr Kraus behauptet, um diese
zwei Pariser Vorträge
herabzusetzen – er saugt es sich
aus den Fingern – ich
sei von der „Firma Mosse“ hingesandt
worden. Kein Wort ist
hiervon wahr. Ich folgte der Ein
ladung auf eignen Wunsch
und selbstverständlich auf
eigene Kosten. Herr Kraus fabelt
verleumderisch drauf los.
(Er will eine Handlung, die eignen sachlichen Wünschen
entsprang, als
journalistische Geschäftsangelegenheit hin
stellen – indem er
bedenkenlos Unwahres behauptet).
Dass er von dem Pariser
Besuch auch sonst einen
spaßhaft unwahren Bericht gab, sei nebenher bemerkt.
Wann erfolgten die
hauptsächlicheren Verleum
dungen? Ich hatte die
journalistischen Gewohnheiten des
Kraus im Lauf der Zeit gelegentlich belichtet. Ich
hatte
zuletzt eine
seiner Vorlesungen in Berlin durchaus mass
voll, aber nicht
zustimmend im „Berliner
Tageblatt“ kri-
tisiert. Von da ab
setzten seine Angriffsversuche wider
mich intensiv und
systematisch ein.
IV.
Ich habe Frankreich
schon deshalb im Kriege
niemals in Versen oder Prosa angegriffen, weil ich in
seiner Zusammenarbeit
mit Deutschland ja den politischen
Ausweg sehe. Ich hatte
vielmehr („Neue Rundschau“,
September 1914) ausdrücklich betont, das
„edle
Frankreich“
sei von Russland überstimmt, ins Schlepptau genommen wor
den. Ich habe den „Führern“, wie es in dem, von mir übri
gens missbilligten, Gedicht hiess (nicht den
Völkern,
wie Kraus es hinstellt) – ich habe den „Führern bei der
Deutschlandhetze“ jene humoristischen Krankheiten
(„Rheumatismus im
Popo“ usw.) gewünscht. Ich hatte sogar
mitten im Krieg jenes (hier beigefügte) Versöhnungs
gedicht, das
besänftigend für das Verhältnis zwischen
Deutschen und Franzosen
sprach, im (Scherlschen(!) „Tag“
veröffentlicht:
52I.
Und als es vier Wochen
gedauert hat,
Waren sie
krank und hundematt.
Deutsche, Franzosen – im Höhlenhaus
Frierend. Manchmal
brachen sie aus,
Zerfleischten einander … mit schwankendem Glück
Dann schleppten sie sich
in die Gräben zurück.
Und als es fünf Wochen
gedauert hat,
Waren sie
still und hundematt.
53II.
Zwischen den Linien
lagen die Leichen.
Ein
Holste hob die Schaufel, zum Zeichen;
Von drüben kam einer
stumm auf ihn los.
Man
grüsste sich herzlich. Da hat der Franzos
Ihm leis einen
Bruderkuss aufgedrückt.
Der Holste fand: das ist „verrückt“;
Es kam „ein bischen
unvermittelt“;
Hat
ihm doch stumm die Hände geschüttelt.
Sie schwiegen. Und
sannen im Leichengraus.
lachten an Weib und Kinder zu Haus.
III.
Die Schützen haben still
verharrt;
Die Toten
wurden eingescharrt.
Jeder ging zu seinen Genossen.
In der Nacht ward
weitergeschossen.
„Der Tag“.
V.
Die ganze
verleumderische Tendenz des Kraus’schen
Artikels vom Oktober 1926 geht dahin: vorzuspiegeln,
als ob ich erst jetzt,
erst hinterdrein mich als einen
Menschen aufspielte,
welcher die Kriegsgreuel verwirft.
Das ist wieder bewusst
unwahr. Denn ich habe dauernd meinen
Abscheu vor der
Institution des Krieges bekundet – dauernd
während des Krieges. Ich
lege zum Beweis den Aufsatz
aus
der „Neuen Rundschau“, September 1914, vor, (den Kraus
gekannt hat) – der also
kurz nach Kriegsausbruch geschrie
ben ist und meinen (im
Kriege nie verlassenen) durchaus
konsequenten
Gesamtstandpunkt darlegt. Dieser Standpunkt
ist: pazifistisch – aber
nicht blöd-unpatriotisch. Kurz
ausgedrückt: gegen den Krieg – aber für Deutschland. Ich
habe niemals aus meiner
deutschen Haltung im Krieg (neben
der heftigsten
Verdammung des Krieges als Einrichtung) ein
Hehl gemacht. Dieser
Dualismus war damals in jedem fühlen
den Menschen. Ich habe
die rückständige Sitte des Kriegs
auf das schärfste
gekennzeichnet, – im Krieg. Im Krieg
erschien mein
fünfbändiges Hauptwerk „Die Welt im
Drama“.
Das
Vorwort geisselt (noch im Krieg) das viehische
„Begebnis“,
„den elendesten Rückfall“. Ich vertrat also
diesen Standpunkt nicht
erst 1926 in Paris.
Somit: ich habe dauernd
während des Kriegs,
gegen
die bestialische Torheit dieses menschlichen Atavis
mus gewettert. Aber es
war mir selbstverständlich, dass
man, in dem blutigen
Dunkel von damals, ohne Schwanken
die Partei des für
bedroht gehaltenen Landes, Deutschlands,
ergriff. Mir schien: der
Krieg ist etwas Abscheuliches –
aber da man plötzlich
inmitten dieses Wahnsinns lebt, so
will ich wenigstens,
dass meine Heimat nicht daran zu
Grunde gehe. Ja, ich
habe während des Krieges zwar offen
alles den Krieg
Verdammende, Widerlegende, seinen Unsinn
Belichtende
nachdrücklicher als Herr Kraus (blos
nicht
mit hämischen
Worten – und nicht mit Worten gegen Deutsch
land) betont. Aber
nachdem der Krieg ein Nichtzuänderndes
geworden war, habe ich
nicht als einzige Beschäftigung
das Enttäuschtsein
geübt, sondern den Wunsch gehegt: dass
nun, wenn einer in dem
elenden Verbeissungsknäuel siegen
soll, es natürlich nicht
die Andren sein mögen. Oder, wie
ich es später einmal
ausgedrückt: Hätte Shaw damals als
Deutscher in Deutschland
gelebt, er würde so getan haben
wie wir: er hätte das Ganze verwünscht – aber sich gewehrt!
Kurz: ich half mit
meinen Mitteln: der ernsten Dichtung
und der satirischen –
nachdem ich es als Soldat nicht ge
durft.
Ich erinnerte damals
(1914) an ein Wort Kleists,
der seinen Hermann
sprechen ließ: „Was brauch ich Latier,
die mir Gutes
tun?“ Über dieses mir widerstrebende Wort
schrieb ich („Neue Rundschau“ September
1914):
54„Ich kann es, wenn die
Welt wahnsinnsfrei und
voll menschenwürdiger Ruhe lebt, nicht unter
schreiben. Denn es
ist ja das Ziel unsrer
Entwicklung: zu erkennen. Auch Gutes
im Hass zu erkennen.
Aber ich habe doch nicht
Fischblut genug, in
der Sekunde, wo mir je
mand den Adamsapfel
eindrücken will, seine
vorteilhaften Züge … man soll nicht sagen:
zu bemerken; (denn
bemerken tu ich sie):
aber sie zu verkünden. Ich werde meiner Natur
folgen … und ihn
benachteiligen. Ich bin auch
nicht Altruist genug
(obgleich ein grosser
Tierfreund), um den Bazillen, die an
ihrer Fressgier
unschuldig sind, meinen Leib hoch
ethisch
darzubieten“. (1914)
Ich kämpfe, seit ich
öffentlich eine Feder handhabe, für
die (nach meinem Wort)
„Zivilisierung der Menschennatur“.
Ich erwarte noch heut
das künftige Heil von der Wirksamkeit
geistig heller und
tatentschlossner Gruppen in allen
Völkern. Ich bin und war
also Pazifist; aber nicht senti
mentaler Pazifist – ich
halte keineswegs die rechte Backe
hin, wenn mich einer auf
die linke schlägt. In summa: ich
vertrat möglichst einen
antikriegerischen Standpunkt, aber
nicht einen
nurpazifistischen Idiotenstandpunkt.
Wie kommt ein Herr Kraus dazu, sich überhaupt
um meinen Standpunkt im
Krieg zu kümmern? Ich glaube ge
zeigt zu haben, aus
welchen Ursachen.
VI.
Folgende, für mich
bindend gebliebene Leitsätze
schrieb ich (im ersten
Kriegsmonat), eingedenk aller jäh
über den Haufen
geworfenen heilig-menschlichen Ethik:
55„Wir wollen helfen bis zum
letzten Hemde; bis
zum letzten Fingernagel; bis zum letzten Wurf
Speichel: aber nicht
vergessen, was uns angeht –
inmitten dieser
Welträude“.
Ich fügte zu:
56„Der Satz ist auch
umzudrehen. Wir wollen er
worben Heiliges
nicht in die Binsen tun …
aber wir wollen
helfen bis zum letzten Hemde; bis
zum letzten Knochen;
bis zum letzten Hohnwort.
Die Seelen zittern.
Es gibt nur einen Herzschlag
in dieser Stunde:
Deutschland, Deutschland über
alles.“
(September, 1914„Neue
Rundschau“).
Der Schriftsteller wagt es, Dinge von säkularem
Ernst: den drohenden
Untergang des Geburtlandes, die Ver
zwergung seiner
Möglichkeiten, den einsamsten Kampf eines
überraschten Volks und
die seelische Teilnahme daran aus
zunutzen für Schmähungen
und Verdrehungen, Verdächtigungen
und Verleumdungen.
Ich habe dies alles
nicht für seine unwesent
liche Person gesagt:
sondern für das von ihm bemühte Gericht.
VII.
Herr Kraus ist zwar kein grosser Geist (sondern
ein fingerfertiger
Journalist mit sicherer Beherrschung von
Kleinmitteln) – doch er
hat bestimmt genügend Einsicht, um
seine Verleumdungen als
solche zu erkennen; er verleumdet
wider besseres Wissen.
Er verleumdet mit einer kalten hand
werklichen Routine.
Seine Verleumdung liegt manchmal nicht
darin, dass er Tatsachen
erfände, sondern darin, dass er
Scheinbar-Wahres
hinsetzt und ihm durch einen Kniff in der
Gruppierung
schillernd-verleumderischen Inhalt gibt. Er kann
sich im Wortsinn darauf
berufen, „die Wahrheit“ gesagt zu
haben. Wenigstens
manchmal. Es ist die weniger offene, weniger
fassbare, weniger mutige
Art der Verleumdung.
Kraus lebt von der Methode: gedruckte Stellen
auszuschneiden, einen so
wiedergegebenen Text des Kerns zu
entkleiden; zu
entstellen. Es sind langjährig geübte Manöver
– indem er ein Gewirr
von verstümmelten Zitaten, Irreführungen,
Wortklaubereien tätigt,
bis ein verleumderisches Bild ent
steht.
Er spielt hierbei die
entsetzlich triviale
Rolle des edlen Tugendbolds, der alle untugendhaften voll
Empörung tadelt. (Was
ich „moraligen Kitschton“ nannte).
Um die Geschmähten
herab- und sich in ein Licht zu setzen,
verwendet Kraus Mittel, die man im abfälligen Sinn
jour
nalistisch nennen muss – er betont aber dabei stets die
Verwerflichkeit des
Journalismus. (Er „bekämpft“ übrigens
die Presse so – wie
jemand wegen der Unfälle die Eisen
bahn „bekämpft“ …)
Kraus arbeitet – und das ist Kitsch – mit der
billigen Fiktion, als ob
fast alle Menschen Affen und
Schwindler seien, er
beinah der einzige Nichtaffe, und
beinah der einzige
Wahrheitssager … während er seine
Unwahrheiten sagt. Ja,
er wirtschaftet fast mit jedem
„journalistischen“ Dreh.
Seine Zeitschrift ist kein
Revol
verblatt, das etwa Gold erzwänge; sondern sie sucht sozu
sagen mit dem
Moralrevolver Geltung zu erzwingen. Für
seine eigene Moral ist
er milder. Er hat österreichische
Schriftsteller des
Plagiats beschuldigt, während er selbst
Plagiate beging. Er
„enthüllt“ beständig „Korruption“,
die er breit erörtert
und die ihm „Stoff“ für seine Zeitschrift liefert. Er hat eine wohlfeile Methode, bei deren
Anwendung es leicht
wäre, noch die Bibel als ein
lächer
liches Schundwerk hinzustellen.
VIII.
Wie verhielt sich Herr
Kraus zum Krieg? – Auch
er (nachdem er das
Kriegsmanifest Franz Josephs anfangs
panegyrisch gelobt und
„erhaben“ genannt hatte) – auch er
hat den Krieg verdammt,
selbstverständlich; doch zunächst
mit Spott gegen die
eigne Umgebung und gegen die Schick-
salsgefährten. Kraus erblickt im Kriege das, worüber man
witzeln kann, – und
sucht manchmal durch billiges Pathos
der „ethischen“ Seite
gerecht zu werden: in einem, älte
ren Vorbildern schlecht
nachgemachten Stil. Das deutsche
Bedrohtsein war ihm
weniger aufregend.
Er zitiert (im Kriege)
solche Dichtungen
Goethes, die gegen die Deutschen zu sprechen scheinen. Unter
dem Gesamttitel „Goethe und die Deutschen“ veröffentlicht
er sie. In dreien dieser
Gedichte wird Unwahrhaftigkeit
der Deutschen gestreift:
57„Sagt! wie könnten wir das
Wahre … Niederlegen
auf die Bahre.“
So beginnt das erste der
von Kraus vorgekramten Gedichte.
Das letzte schließt;
58„Deutsch oder teutsch – du
wirst nicht klug“.
Was in Augenblicken des
Missmuts Goethe wider
seine Landsleute
zwischendurch ärgerlich sprach: das hat
Herr Kraus in der Stunde stärkster deutscher Gefährdung
ausgegraben und drucken
lassen. („Fackel“, Januar 1917
S.
88).
Kraus spricht von „jener deutschen Taktik der
verfolg
t
end
en Unschuld, die einen Überschuss an Wehrhaftig
keit und
ein Defizit an Wahrhaftigkeit zu einem …
Ausgleich
bringt“. („Fackel“,
Nr. 484/498
S.
13, Okt. 1918).
Kraus druckt zwar (wie oft nun schon!) ein
von mir im Kriege wider
Rumäniens Überheblichkeit verfasstes
Spottgedicht ab. Es war immerhin ein Versuch zur Abwehr.
Doch was tat er selbst?
Im Dezember 1917 trug er folgendes
„Kuplet“ vor / das
nicht gegen Rumänien, sondern gegen
Deutschland gerichtet
war!/, in dessen Einleitung er sagt:
„Das
Kuplet erschöpft das Problem Deutschlands
annähernd
so
sehr wie Deutschland die Welt.“ (Er fügt ein Notenbei
spiel zu und
sagt: dies musikalische Nachspiel „stellt das
Gelächter des
Auslands dar“. Es ist ein Gejuchz in Sechzehn-
telnoten).
„Lied
des Alldeutschen“ ist es nach dieser Ein
leitung zwar betitelt,
jedoch in Wahrheit nicht nur Parodie
eines alldeutschen
Gesangs, sondern allgemein ein kläglicher
Hassgesang gegen
Deutschland. Künstlerisch ein kümmerliches
Machwerk. Darin heisst
es:
59„Im Frieden schon war ich
ein Knecht,
Drum bin
ich es im Krieg erst recht …
Leicht lebt es sich
als Arbeitsvieh
im
Dienst der schweren Industrie.
Was sich wohl nicht
allein auf die Alldeutschen beziehen
wird – denn die Arbeiter
waren ja nicht alldeutsch.
Weiter:
60
Ich geb mein deutsches
Ehrenwort:
Wir
Deutsche brauchen mehr Export …
Was also wieder kaum
Alldeutsche betrifft. Dann:
61
Krieg dient uns, damit
Waffen sind,
Wir drehn den Spieß, wer wagt, gewinnt …
Weiter:
62
Nehmt Gift für Brot, gebt
Gold für Eisen
und
laßt den deutschen Gott uns preisen!
Gebt Blut – habt ihr
das nicht gewusst? –
für Mark: das ist kein Kursverlust!
Darum erhofft Profit
der Deutsche!
Das ist nicht nur
„alldeutsch“. Kraus sagt ja auch einlei
tend: „Das
Kuplet erschöpft das Problem Deutschlands
an
nähernd so sehr, wie Deutschland die Welt“. Weiter:
63
Das wahre Glück bringt
Schiessen nur,
drum
gaudeamus igitur.
Ein
muntrer Bursche bleibt der Deutsche!
Ein muntrer Bursche
bleibt Herr Kraus, der es wagt, nach
einem solchen im Krieg
öffentlich vorgetragenen Kuplet mir
anzukreiden, dass ich
satirische Verse gegen die damaligen
Feinde Deutschlands
schrieb. Wenn schon im Krieg volkstüm
liche Verse gemacht
werden, hab ich sie wenigstens nicht ge
gen die Nächsten und
Bedrohtesten gemacht. Der Verfasser
dieses Krams rächt sich
darum an mir, indem er jene paar
gegen den Überfall
Rumäniens gerichtete satirische Strophen
wohl ein halbes Dutzend
mal in seinem Blättchen
abdruckt.
Von den Deutschen sagt
er, im Krieg:
64
Der Endsieg unser Recht
beweist:
Die Welt
wird von uns eingekreist!
So muss und wird es
uns gelingen,
die
Pofelware anzubringen.
Ja, made in Germany ist doch der Deutsche!
Als Herr Kraus dies mitten im Kriege gesungen,
später im Druck
veröffentlicht hatte, folgten die nachste
henden „Verse“ des Kraus (aus einem anderen „Gedicht“):
65
Von den deutschen
Chemikalien
scheint das Gas allein gediegen,
während durch die
Viktualien
der,
den’s trifft, sofort bleibt liegen.
Daran sieht man: Heine und die schrecklichsten Folgen. Er
fährt gediegen fort:
(was ich da zitiere, sind nicht Druck
fehler):
66
’s ist wie einmal, da der
Prahlhans
war der
deutsche Küchenmeister;
doch das Mahl nicht
mal vom Schmalhans,
denn die Sosz nicht mal ein Kleister.
Garantiert ohne
Druckfehler. Die Gesinnung des Herrn Kraus
erklärt zwar seinen Zorn
über ein Rumänengedicht, aber doch
nicht die Qualität
seiner Verse. („Fackel“, S.
21, Nov. 1918).
Kraus behauptet, das „einzig wahre
Wort“, das in
diesen Zeitläuften gesprochen wurde, sei folgendes, das „ein
russischer Minister
am Kriegsbeginn gesprochen hat: dass
dieser Krieg
Österreichseine Keckheit ist“ – und er, Kraus,
habe es
67„nur durch die
Feststellung ergänzt, dass dieser
Krieg Deutschlands
eine Frechheit ist, damit das
bundesbrüderliche
Verhältnis zwischen Räuber
und Dieb, Gehasstem
und Verachtetem auch im
Punkt der
Kriegsschuld zur vollen Anschauung
komme“.
(„Fackel“, wie oben, S.
33).
Trotz alledem hat 1919,
als diese Haltung des Kraus in Ver
gessenheit
geraten (und Kraus in die Nähe politischer
Links
parteien gerückt) war, der zeitweilige Vorsitzende der öster-
reichischen
Nationalversammlung, Herr Bürgermeister
Seitz, ihm zum zwanzigjährigen Erscheinen der „Fackel“
gratuliert und
geäussert, Kraus habe zur Reinigung, Ver
sittlichung
des öffentlichen Lebens in Wien beigetragen
usw. Besonders der Kampf
gegen den Krieg sei verdienst
lich gewesen … Nun, den
haben Viele gekämpft, ohne ihr
Land zu beschimpfen.
Herr Seitz hat dem Herrn Kraus nachher auch
zum Geburtstag
gratuliert (in Österreich schicken Be
hörden zum „Jubiläum“
einer Zeitung Glückwünsche). Der
selbe Bürgermeister Herr
Seitz spricht sogar mit offi
zieller
Überschwänglichkeit von einem Drama des Kraus,
das er „unsterblich“
nennt usw. Es ist ein Glück für
Herrn Kraus, dass jemand, der ein schiefes Urteil über
die Dinge hat, zufällig
Bürgermeister ist. In jedem
Fall wurde Herr Seitz nie von Herrn Kraus verleumdet;
er hatte niemals einen
Anlass, sich gegen ehrabschneide
rische Verdächtigungen
zu wehren. Das Gesamturteil des
guten Bürgermeisters fiele sachlich anders aus, wenn er
genauer unterrichtet; im
Ton anders, wenn er unwahrhaftige
Manöver des Kraus an sich selbst erfahren hätte.
Die besseren Kenner des
Herrn Kraus haben das
Recht, als mindestens
gleichwertig neben diesem freundli
chen Beamten zu stehn. Zumal wenn es die berechtigte
Wahrnehmung ihrer eignen
Ehre gilt.
IX.
Die Gesinnung des immer
moralisierenden
Herrn
Kraus: verletzte Eitelkeit in Verbindung
mit Hass,
zeigt sich in
der folgenden Tatsache. Einer seiner Vor
träge in Berlin war
von der „Deutschen Tageszeitung“
abfällig glossiert
worden. Da schreibt Kraus aus diesem,
diesem, diesem Anlass
wörtlich („Fackel“, Juli
1920,
S.
19):
68„Wie der deutsche Gott
Bomben auf Nürnberg
regnen liess, so
lügen und fälschen sie
wie eh und je. Wie ihre Generalstabsberichte
so ihre
Darstellungen von einem Vortrag …“
„Alles in allem geht meine Ansicht dahin, dass
die Entente
halbe Arbeit geleistet hat“ –
– sagt er wörtlich wegen
einer abfälligen Besprechung
seines rezitatorischen
Auftretens. Ein sympatischer
Moralist.
X.
Da Herr Kraus von meinen im Krieg verfassten
Gedichten eine
tendenziöse Auswahl gibt, scheint es mir
nötig, einige, die zum
Teil schon in die Schulbücher
übergegangen sind, hier
beizufügen – mit der wieder
holten Versicherung,
dass ich sie niemals um des Herrn
Kraus willen hergesetzt hätte, sondern dass es für
die Richter geschieht.
Mobilmachung.
69(Erschien am 2. August 1914)
Wir wollen in den
Tagen
Der steilsten
Lebensfahrt
Nicht
säumen – und nicht fragen,
Wie alles ward.
Wenn auf des Hauses
Pfosten
Die Sonne
morgens scheint,
Schaut
sie in West und Osten
Den
Feind.
Sie spürt ein
Wipfelbeben
Und hört
ein Flügelwehn.
Deutschland kämpft um sein Leben.
Es wird nicht untergehn.
70
Es geht eine
Schlacht …
(Erschien am 12.
September 1914)
Es geht eine Schlacht …
mit schwerem Gang.
Am
Weichselfluß? Am Wasgenjoch?
Die Stille redet.
Tagelang.
Wir
wissen’s nicht. Und wissen’s doch.
Es rinnt ein Ruf. Durch
Frühlichtgrau’n.
Durch alle Nächte. Heimatwärts.
Es schwillt ein
flüsterndes Geraun
Von
Eurem Blut in unser Herz.
Es schallt ein Schrei.
Es hallt ein Schuss.
Er
trifft uns in die eigne Stirn.
Es zieht ein heimlich
steter Fluss
Von Eurem
Hirn in unser Hirn.
Es weht der
Allerseelenwind.
Wir
schreiten alle Einen Schritt.
Und die wir fern vom
Felde sind,
Wir kämpfen
mit; wir sterben mit.
71
Er schleppte
sich …
(Erschien am 23. Oktober
1914)
Er schleppte sich an ein
Gehölz.
Nacht war’s,
und ferne Stimmen schrien.
Zwölf Stunden streuten die Schrappnelle.
Erst nach zwei Tagen
fand man ihn.
+ + +
Er isst und trinkt im
Lazarett,
Gesund ist
das durchschossne Bein,
Nur sitzt er nachts auf seinem Bett
Und glaubt in einer
Schlacht zu sein.
Die Wärter kommen leis
daher …
Dann schläft er
bis zum Tageslicht,
Erwacht in Frieden still und schwer –
Und weiss es nicht. Und
weiss es nicht.
Im frischgerollten
Linnenhemd
Liegt er,
das Aug ins Licht gewandt.
Der Blick ist froh – nur etwas fremd.
Die Mutter hält des
Jungen Hand.
+ + +
Oft schläft er ein. Er
schläft sich satt.
Sie
hört ein Lallen schlummerfern …
Und was er je gelitten
hat,
Erscheint in
ihrem Augenstern.
Die Wende hat
begonnen.
Deutschland
in Not und Drang?
Es
leuchten tausend Sonnen
Auf Deinen letzten Gang.
Nicht Feindesmacht
verderblich,
73Nicht
Hasses Kraft bezwingt,
Was durch die Welt unsterblich
In Ewigkeiten klingt.
Das Letzte laßt uns
geben!
Ein Wunder
muss geschehn!
Deutschland ringt um sein Leben.
ES … DARF … NICHT …
UNTERGEHN.
XI.
Ich wiederhole nach
alledem: den Kernpunkt
bildet für mich der von Kraus wider
besseres Wissen ge
schriebene
verleumderische Satz: dass ich während des
Weltkriegs „in
Grausamkeit versiert war, in jener
scheusslich
gewitzten Grausamkeit, die das eigne Leibes
wohl hinter der
Schanze eines Schreibttisches deckt“.
Ich wiederhole zweitens,
dass ich meinen
kurzen
(inkriminierten) Abwehrsatz am selben Tage drucken
liess, an dem ich von
den hanebüchenen Beschimpfungsver
suchen des Kraus Kenntnis bekam.
16.9.1927. Kerr m.p.