Sehr geehrter Herr!
Wie Ihnen bekannt ist, führt
Herr Kraus einen
Ehrenbeleidigungsprozess
gegen Kerr. In diesem hat Herr Kerr einen
Schriftsatz eingebracht, in dem er auf eine Bemerkung
in der
„Fackel“ vom Juni
1924
Seite 80, Kraus wisse,
dass er mit Kerr nie,
auch nicht 1897 in einer
anderen persönlichen Verbindung gestanden
ist, als dass er ihn einmal,
vor der scheusslichen Gerichtsver
handlung, durch die Kerr den greisen Musikschriftsteller Tappert
um sein Brot brachte, einen
Moment sah und dann angewidert nicht
mehr kannte, reagierte. Kerr behauptet nun, dass „der Musikschrift
steller Wilhelm Tappert, dessen Bestechlichkeit
damals durch das
Gericht
festgestellt wurde, gar nicht um sein Brot kam, da seine
Zeitung, das ‚Kleine Journal‘, es bei einer
öffentlichen Abbitte
des
durch Geld bestochenen Musikkritikers
bewenden liess.“ Nach
der Erinnerung des Herrn Kraus hat Kerr im Jahre 1897 dem Musik
schriftsteller Tappert, einem weltfremden alten Mann,
Bestechlich
keit vorgeworfen und es stellte sich schliesslich heraus, dass von
einer solchen keine
Rede sein konnte, sondern die Ungehörigkeit,
die Herr Tappert begangen hatte, darin lag, dass er die Leistung
gen Schülerinnen, denen er
Gesangsunterricht erteilt hatte, in
Kritiken besprach. Auf
Veranlassung seines Blattes, des „KleinenJournals“, musste
Tappert eine Ehrenbeleidigungsklage gegen
Kerr
einbringen. Wie diese
geendet hat, ist Herrn Kraus nicht mehr in
Erinnerung. Jedenfalls ist
es unwahrscheinlich, dass der Beleidigte
Tappert eine öffentliche Abbitte geleistet haben soll.
Ich ersuche Sie nun, sich der
Mühe zu unterziehen, in
den
Berliner Zeitungen aus dem Jahre 1897 die Prozessberichte
Tappert - Kerr anzusehen, besonders im „Kleinen Journal“,
zu erheben, ob in ihm eine
öffentliche Abbitte des Herrn Tappert
enthalten war, und mit eine
kurze Sachverhaltsdarstellung zu geben.
Die Verhandlung dürfte im Mai
oder Juni 1897 stattgefunden
haben. Wenn Ihnen dies möglich ist, so wäre es gut, bei dem Ge
richte selbst einen Aktenauszug
zu verfertigen. Ich benötige Ihren
Bericht unbedingt in den nächsten 10 Tagen. Die Zeitungen dürften
Sie in der Nationalbibliothek finden.
Ich bitte Sie, zu
entschuldigen, dass ich mich mit einer
derartigen Angelegenheit an
Sie wende und zeichne mit bestem Danke
und herzlichsten Grüssen
Ihr ergebener