Gesetz über das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie vom 9. Januar 1907Ludwig Börne oder: die Überwindung des JudentumsDie Fackel


Sehr verehrter Herr Kraus,


vielen Dank für Ihr freundliches Schreiben vom 15.
Februar, das sich mit meinen letzten Briefen an Sie bezw.
Herrn Dr. Samek gekreuzt hat. Inzwischen werden Sie ja
hoffentlich alles Erwünschte erhalten haben.


Ich selbst muß mich aber zunächst wegen einer groben
Versündigung am Sprachgeist entschuldigen, die mir im
Drang der Sonnabend-Sprechstunde in dem Brief an Herrn
Kollegen Samek unterlaufen ist. Das Stenogramm und die
Übertragung wurde von meiner Bürovorsteherin / nicht von
meiner Frau / gefertigt. Bei der Unterschrift entging
mir, daß Satz 2 des Briefes an Dr. Samek falsch über
tragen ist. Diktiert hatte ich: „Diese muß Herr Kraus
unterschreiben, sie muß alsdann u.s.w.“ Meine überhaupt
sehr eigenwillige Bürodame hat geglaubt, Kürze-Würze
spielen zu müssen.


In der Ruhe des Sonntags habe ich mir auch nochmals
Ihre Erklärung durchgelesen. Ich bitte zu bedenken, ob
nicht der Schlußsatz dadurch Angriffen Raum bietet, daß
er auf den pekuniären Gewinn der Kerr-Sache bezw. auf
dessen Verlust hinweist.


Bei meiner Bitte um einen Bescheid in Sachen
Kortner dachte ich daran, ob ich ihm etwas auf
seinen Brief antworten soll. Im übrigen ist Fischer
mit mir darin einig, daß die Erledigung der Angelegen
heit am besten vor dem Forum der „Fackel“ und nicht
vor dem Strafgericht erfolgt. Denn der Ausdruck „jemand
mache sich lächerlich“ scheint mir die Grenze der
Formalbeleidigung nicht zu erreichen.


Daß Kortner selbst klagt, halte ich für ausge
schlossen. Die Klage könnte in Wien oder in Berlin er
hoben werden. Denn an beiden Orten ist ein Teilstück
des Tatbestandes / Absendung bezw. Ankunft / gesetzt. Falls
ich aber hierüber einen Brief an Kortner schreiben soll,
bitte ich um Ihre Vorschläge.


Eine verwendbare Bekundung über die Spesen der
Kortner-Biographie zu erhalten, also doch wohl etwas
Druckbares, ist ausgeschlossen. Zeuge hierfür könnte
nur der Direktor des Verlags der Biographie sein. Dieser
hat die Tatsache einem meiner früheren Mandanten, Herrn
Felix Ziege, erzählt. Dieser ist bestimmt
kein brauchbarer Zeuge. Ich habe ihm jetzt die Mandant
schaft gekündigt, nachdem sich mir das ungewisse Gefühl
einer Verwandtschaft mit Bekessy-Manieren durch tat
sächliche Bekundungen der Zeugen bestätigt hat.
Letzteres teile ich Ihnen aber nur unter strengster
Vertraulichkeit mit. Ich habe wegen dunkler Ahnungen
3schon seinerzeit abgeraten, Herrn Ziege als Gegner
im Müller-Prozeß zu nehmen.


Bezüglich des Vorabdrucks aus der „Fackel“ sind
folgende Vorschriften einzuhalten:


1. Angabe des für den Inhalt Verantwortlichen.


2. Angabe des Erscheinungsorts.


3. Angabe des Druckers.


Falls Berlin der Erscheinungsort sein soll, müßte
ein Deutscher die Verantwortung übernehmen.


Nunmehr zu Kerrs neuestem Schandwerk. Ich glaube
übrigens jetzt, daß er für seine Handlungen moralisch
nicht verantwortlich gemacht werden kann. Denn der
Schmutz seiner gestrigen Kritik, den ich beifüge, spricht
für den Ausschluß der freien Willensbestimmung im Sinne
des § 51 StGB.


Zu der Anlage reiche ich die mir zugegangene Fahne
mit bestem Dank zurück. Ich weiß, daß Sie sich mit Recht
in den Zeugungsakt nicht dreinreden lassen, möchte mir
aber doch eine freimütige Bemerkung erlauben. Ich habe
das Empfinden, daß die einstweilige Verfügung mit ihrem
4Zwang zum Kleinzitat die notwendige Erledigung des Kerr
durch sich selbst außerordentlich hemmt. So geht auch
in der mir übersandten Fahne viel von der Schandlich
keit des letzten kerrschen Opus verloren, weil niemand
darauf kommt, die zitierten Strophen hintereinander
5zu lesen. Aber vielleicht täusche ich mich. Jedenfalls
wirkt in dieser Art des Kleinzitats der Hohn auf die
einstweilige Verfügung nicht mit.


Nun zum Juristischen. Die mir mitgeteilte Ansicht
des Herrn Dr. Samek ist nach deutschem Recht zweifellos
unhaltbar. Es ist unbedingt unzulässig, die dargestellte
Strophe ebenfalls im Original zu bringen. Ja ich bin
sogar der Überzeugung, daß die ganze Fahne von einer
strengen Urheberrechtskammer als Umgehung für unzulässig
erachtet wird. Hierzu teile ich Ihnen folgendes aus
Allfelds Urheberrechtswerk und aus der Judicatur mit.


Nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und
nach weitverbreiteter Auffassung muß die Behandlung des
Textes dessen Abdruck weit überschreiten. Das ganze
Gedicht darf überhaupt nicht gebracht werden, weil die
Fackel“ hier nicht als wissenschaftliches Werk aner
kannt wird, es darf nicht das wiederholt werden, was
vorher von anderer Seite geschrieben wurde; es muß sich
um eine völlig selbstständige literarische Arbeit han-
deln, die nicht den Zweck und Gegenstand haben darf,
das fremde Werk selbst zur Kenntnis anderer zu bringen,
die fremden Stellen dürfen nicht den Hauptstoff des
Artikels bilden, sondern nur die mit der Besprechung
verfolgte Absicht einer umfassenden ästhetischen oder
kritischen Wirkung Würdigung unterstützten. Der Nachdruck ist
auch dann nicht gestattet, wenn er die äußere Form
einer Besprechung wahrt. So übereinstimmend mit dem
Reichsgericht in Strafsachen Band 37, S. 294 auch
die pariser Urheberrechtskammer am 15. Juli 1897.
Schließlich möchte ich, um Ihnen selbst ein Urteil
zu ermöglichen, die entscheidende Stelle aus Allfeld
mitteilen. / S. 226, Anmerkung 11, 12, 13. /


11. „Für die Entscheidung der Frage, ob bei Aufnahme
von Bestandteilen eines fremden Werkes in das eigene
ein solcher Zweck verfolgt wurde, daß nur erlaubte Ent
lehnung, nicht aber Nachdruck vorliegt / s.N. 10 /, kann
insbesondere das quantitative Verhältnis
des fremden Stoffes ja dem ei
genen von Belang fein. Doch kommt es auf den ein
zelnen Fall an. So kann z.B. in der Kritik eines Buchs,
eines Dramas die Aufführung der besprochenen Stellen ge
genüber den kritischen Bemerkungen dem räumlichen Umfange
nach überwiegen, wenn nur ersichtlich ist, daß es dem
Verfasser wesentlich um die Kritisierung des fremden
Werkes zu tun war, daß also seine eigenen Bemerkungen
nicht etwa beigefügt sind, um unter dem Schein einer
selbständigen Arbeit das fremde Werk teilweise zu repro
duzieren. Nicht ohne Bedeutung ist unter Umständen die
Art und Weise der Stellungnahme gegenüber den fremden
Ansichten. Der Charakter der Selbständigkeit kann der neu
en Arbeit schon dann innewohnen, wenn sie im Verhältnisse
zu zahlreichen ober umfangreichen Stellen, die dem
fremden Werke entnommen sind, nur wenig eigene Gedanken
äußerungen enthält, in diesen aber der völlig andere
Standpunkt des Verfassers gekennzeichnet ist, während
dann, wenn der versasser der neuen Arbeit den in weitläu-
sigem Auszug mitgeteilten Ausführungen des anderen ge
genüber nur mit wenigen Worten seine Übereinstimmung
kundgibt, die Annahme, daß er in der Hauptsache sich
die eigene Arbeit durch Entlehnung der fremden ersparen
wollte, viel näher liegt, zumal dann, wenn die neue
Arbeit den gleichen literarischen Zweck verfolgt wie
die benutzte. Natürlich ist auch hier überall der ein
zelne Fall ins Auge zu fassen. / Man hat geglaubt, das
quantitative Verhältnis der zulässigen Entlehnung zu
dem benutzten Werke einerseits, zu der neuen Arbeit
anderseits gesetzlich festlegen zu können und wollte,
daß nur ein Fünfzehntel zugelassen werde. Mit Recht
ist die Gesetzgebung auf solche Vorschläge, welche
die Berücksichtigung des einzelnen Falles zu sehr
außer acht lassen, nicht eingegangen. Siehe auch § 41
N. 4. /


12. Steht der Zweck, die fremden Aussprüche nur
vereinzelt innerhalb einer selbständigen Arbeit zu
benutzen außer Zweifel, so kommt es nicht darauf an,
welchen literarischen Wert die eigene
Arbeit im Verhältnisse zu dem Entlehnten hat; erstere
kann ihrer Bedeutung nach hinter den Zitaten zurück
treten, die Entlehnung ist doch zulässig.


13. Immer muß die Anführung in der selbständigen
literarischen Arbeit in innerer Verbin
dung mit den eigenen Gedanken
erfolgen. Eine bloß äußerliche, zusammenhangslose
Ein- oder Anfügung der entnommenen Stellen ist nicht
statthaft / a.M. Müller S. 78 /.“


Zulässig wäre übrigens der Abdruck des Gedichts,
wenn Samek oder ich es zum Gegenstand einer forensi
schen Rede machen und Sie diese Rede, die ja ganz
kurz sein kann, unverändert zum Abdruck bringen.


Zum Schluß bitte ich um Entschuldigung, wenn ich
Sie noch mit einer persönlichen Angelegenheit behellige.


Ich möchte den großen Satiriker Börne wieder
zu Ehren bringen. Zu diesem Zweck habe ich unter dem
Titel „Ludwig Börne – die Überwindung des Judentums
jene großartigen Satiren zusammengestellt, die auch
das heutige Geschäfts- und Literaturjudentum erledigen.
Das umfangreiche Buch ist, bis auf den Schluß meiner
Einleitung, fertig. Jüdische und andere Verleger, denen
ich es angeboten habe, haben es abgelehnt, weil Börne
„tot“ sei und im Gegensatz zu Heine seine Wirkung auf
die heutige Zeit verfehle. Es wäre mir daher wertvoll
zu wissen, ob Sie diese Publikation, die teilweise
ganz neues und erschütterndes Börne-Material enthält,
für nützlich halten. Wäre es ferner möglich, Lanyi
oder Jahoda für die Veröffentlichung zu interessieren,
deren Reinertrag ich für eine Publikation lichtenberg
scher Satiren verwenden möchte.


Ich will Ihnen aber nicht Ihre kostbare Zeit
stehlen und falls Sie die Angelegenheit für unwesent
lich halten, bitte ich sie einfach als erledigt anzu
sehen.


Mit herzlichen Grüßen und in großer Verehrung
Ihnen ergeben
Dr. Laserstein