Sehr verehrter Herr Kraus,
vielen Dank für Ihr
freundliches Schreiben vom 15.
Februar, das sich mit meinen letzten Briefen an Sie bezw.
Herrn Dr. Samek gekreuzt hat. Inzwischen werden Sie ja
hoffentlich alles Erwünschte
erhalten haben.
Ich selbst muß mich aber
zunächst wegen einer groben
Versündigung am Sprachgeist entschuldigen, die mir im
Drang der
Sonnabend-Sprechstunde in dem Brief an Herrn
Kollegen Samek unterlaufen ist. Das Stenogramm und die
Übertragung wurde von meiner
Bürovorsteherin / nicht von
meiner Frau / gefertigt. Bei der Unterschrift entging
mir, daß Satz 2 des Briefes an Dr.
Samek falsch über
tragen ist. Diktiert hatte
ich: „Diese muß Herr Kraus
unterschreiben, sie muß
alsdann u.s.w.“ Meine überhaupt
sehr eigenwillige Bürodame hat geglaubt, Kürze-Würze
spielen zu müssen.
In der Ruhe des Sonntags
habe ich mir auch nochmals
Ihre Erklärung durchgelesen. Ich bitte zu bedenken, ob
nicht der Schlußsatz dadurch
Angriffen Raum bietet, daß
er
auf den pekuniären Gewinn der Kerr-Sache bezw.
auf
dessen Verlust
hinweist.
Bei meiner Bitte um einen
Bescheid in Sachen
Kortner dachte ich daran,
ob ich ihm etwas auf
seinen
Brief antworten soll. Im übrigen ist Fischer
mit mir darin einig, daß die
Erledigung der Angelegen
heit am besten vor dem Forum
der „Fackel“ und nicht
vor dem Strafgericht
erfolgt. Denn der Ausdruck „jemand
mache sich lächerlich“
scheint mir die Grenze der
Formalbeleidigung nicht zu erreichen.
Daß Kortner selbst klagt, halte ich für ausge
schlossen. Die Klage könnte
in Wien oder in Berlin er
hoben werden. Denn an beiden Orten ist ein Teilstück
des Tatbestandes / Absendung
bezw. Ankunft / gesetzt. Falls
ich aber hierüber einen Brief an Kortner
schreiben soll,
bitte ich um
Ihre Vorschläge.
Eine verwendbare Bekundung
über die Spesen der
Kortner-Biographie zu
erhalten, also doch wohl etwas
Druckbares, ist ausgeschlossen. Zeuge hierfür könnte
nur der Direktor des Verlags der Biographie sein. Dieser
hat die Tatsache einem
meiner früheren Mandanten, Herrn
Felix Ziege, erzählt.
Dieser ist bestimmt
kein
brauchbarer Zeuge. Ich habe ihm jetzt die Mandant
schaft gekündigt, nachdem
sich mir das ungewisse Gefühl
einer Verwandtschaft mit Bekessy-Manieren
durch tat
sächliche Bekundungen der Zeugen bestätigt hat.
Letzteres teile ich Ihnen
aber nur unter strengster
Vertraulichkeit mit. Ich habe wegen dunkler Ahnungen
3schon seinerzeit
abgeraten, Herrn Ziege als Gegner
im Müller-Prozeß zu nehmen.
Bezüglich des Vorabdrucks
aus der „Fackel“ sind
folgende Vorschriften
einzuhalten:
1. Angabe des für den Inhalt
Verantwortlichen.
2. Angabe des
Erscheinungsorts.
3. Angabe des Druckers.
Falls Berlin der Erscheinungsort sein soll, müßte
ein Deutscher die
Verantwortung übernehmen.
Nunmehr zu Kerrs neuestem Schandwerk. Ich glaube
übrigens jetzt, daß er für
seine Handlungen moralisch
nicht verantwortlich gemacht werden kann. Denn der
Schmutz seiner gestrigen Kritik, den ich beifüge, spricht
für den Ausschluß der freien
Willensbestimmung im Sinne
des § 51 StGB.
Zu der Anlage reiche ich die
mir zugegangene Fahne
mit
bestem Dank zurück. Ich weiß, daß Sie sich mit Recht
in den Zeugungsakt nicht
dreinreden lassen, möchte mir
aber doch eine freimütige
Bemerkung erlauben. Ich habe
das Empfinden, daß die einstweilige Verfügung mit ihrem
4Zwang zum Kleinzitat
die notwendige Erledigung des Kerr
durch sich selbst
außerordentlich hemmt. So geht auch
in der mir übersandten Fahne
viel von der Schandlich
keit des letzten kerrschen Opus verloren, weil niemand
darauf kommt, die zitierten
Strophen hintereinander
5zu
lesen. Aber vielleicht täusche
ich mich. Jedenfalls
wirkt in dieser Art des Kleinzitats der Hohn auf die
einstweilige Verfügung nicht
mit.
Nun zum Juristischen. Die
mir mitgeteilte Ansicht
des
Herrn Dr. Samek ist nach deutschem Recht
zweifellos
unhaltbar. Es
ist unbedingt unzulässig, die dargestellte
Strophe ebenfalls im
Original zu bringen. Ja ich bin
sogar der Überzeugung, daß
die ganze Fahne von einer
strengen Urheberrechtskammer als Umgehung für unzulässig
erachtet wird. Hierzu teile
ich Ihnen folgendes aus
Allfelds
Urheberrechtswerk und aus der Judicatur mit.
Nach der
Entstehungsgeschichte des Gesetzes und
nach weitverbreiteter
Auffassung muß die Behandlung des
Textes dessen Abdruck weit
überschreiten. Das ganze
Gedicht darf überhaupt nicht gebracht werden, weil die
„Fackel“ hier nicht als wissenschaftliches Werk
aner
kannt
wird, es darf nicht das wiederholt werden, was
vorher von anderer Seite
geschrieben wurde; es muß sich
um eine völlig selbstständige literarische Arbeit han-
deln, die nicht den Zweck
und Gegenstand haben darf,
das fremde Werk selbst zur Kenntnis anderer zu bringen,
die fremden Stellen dürfen
nicht den Hauptstoff des
Artikels bilden, sondern nur die mit der Besprechung
verfolgte Absicht einer
umfassenden ästhetischen oder
kritischen
Wirkung
Würdigung
unterstützten. Der Nachdruck ist
auch dann nicht gestattet,
wenn er die äußere Form
einer
Besprechung wahrt. So übereinstimmend mit dem
Reichsgericht in Strafsachen Band 37, S. 294 auch
die pariser
Urheberrechtskammer am 15. Juli 1897.
Schließlich möchte ich, um
Ihnen selbst ein Urteil
zu
ermöglichen, die entscheidende Stelle aus Allfeld
mitteilen. / S. 226,
Anmerkung 11, 12, 13. /
11. „Für die
Entscheidung der Frage, ob bei Aufnahme
von Bestandteilen eines
fremden Werkes in das eigene
ein solcher Zweck
verfolgt wurde, daß nur erlaubte Ent
lehnung, nicht aber
Nachdruck vorliegt / s.N. 10 /, kann
insbesondere das quantitative Verhältnis
des fremden Stoffes
ja dem ei
genen von Belang fein. Doch kommt es auf den ein
zelnen Fall an. So kann
z.B. in der Kritik eines Buchs,
eines Dramas die
Aufführung der besprochenen Stellen ge
genüber den kritischen
Bemerkungen dem räumlichen Umfange
nach
überwiegen, wenn nur ersichtlich ist, daß es dem
Verfasser wesentlich um
die Kritisierung des fremden
Werkes zu tun war, daß
also seine eigenen Bemerkungen
nicht etwa beigefügt
sind, um unter dem Schein einer
selbständigen Arbeit das
fremde Werk teilweise zu repro
duzieren. Nicht ohne
Bedeutung ist unter Umständen die
Art und Weise der
Stellungnahme gegenüber den fremden
Ansichten. Der Charakter
der Selbständigkeit kann der neu
en Arbeit schon dann
innewohnen, wenn sie im Verhältnisse
zu zahlreichen ober
umfangreichen Stellen, die dem
fremden Werke entnommen
sind, nur wenig eigene Gedanken
äußerungen enthält, in
diesen aber der völlig andere
Standpunkt des
Verfassers gekennzeichnet ist, während
dann, wenn der versasser
der neuen Arbeit den in weitläu-
sigem Auszug
mitgeteilten Ausführungen des anderen ge
genüber nur mit wenigen
Worten seine Übereinstimmung
kundgibt, die Annahme,
daß er in der Hauptsache sich
die eigene Arbeit durch
Entlehnung der fremden ersparen
wollte, viel näher
liegt, zumal dann, wenn die neue
Arbeit den gleichen
literarischen Zweck verfolgt wie
die benutzte. Natürlich
ist auch hier überall der ein
zelne Fall ins Auge zu
fassen. / Man hat geglaubt, das
quantitative Verhältnis
der zulässigen Entlehnung zu
dem benutzten Werke
einerseits, zu der neuen Arbeit
anderseits gesetzlich
festlegen zu können und wollte,
daß nur ein Fünfzehntel
zugelassen werde. Mit Recht
ist die Gesetzgebung auf
solche Vorschläge, welche
die Berücksichtigung des einzelnen Falles zu sehr
außer acht lassen, nicht
eingegangen. Siehe auch § 41
N. 4. /
12. Steht der Zweck, die
fremden Aussprüche nur
vereinzelt innerhalb einer selbständigen Arbeit zu
benutzen außer Zweifel,
so kommt es nicht darauf an,
welchen literarischen Wert die eigene
Arbeit im Verhältnisse
zu dem Entlehnten hat; erstere
kann ihrer Bedeutung
nach hinter den Zitaten zurück
treten, die Entlehnung
ist doch zulässig.
13. Immer muß die
Anführung in der selbständigen
literarischen Arbeit in innerer Verbin
dung mit den eigenen
Gedanken
erfolgen. Eine bloß äußerliche, zusammenhangslose
Ein- oder Anfügung der
entnommenen Stellen ist nicht
statthaft / a.M. Müller
S. 78 /.“
Zulässig wäre übrigens der
Abdruck des Gedichts,
wenn
Samek oder ich es zum Gegenstand einer
forensi
schen
Rede machen und Sie diese Rede, die ja ganz
kurz sein kann, unverändert
zum Abdruck bringen.
Zum Schluß bitte ich um
Entschuldigung, wenn ich
Sie
noch mit einer persönlichen Angelegenheit behellige.
Ich möchte den großen
Satiriker Börne wieder
zu Ehren bringen. Zu diesem
Zweck habe ich unter dem
Titel „Ludwig Börne – die Überwindung
des Judentums“
jene
großartigen Satiren zusammengestellt, die auch
das heutige Geschäfts- und
Literaturjudentum erledigen.
Das umfangreiche Buch ist, bis auf
den Schluß meiner
Einleitung,
fertig. Jüdische und andere Verleger, denen
ich es angeboten habe, haben
es abgelehnt, weil Börne
„tot“ sei und im Gegensatz
zu Heine seine Wirkung auf
die heutige Zeit verfehle.
Es wäre mir daher wertvoll
zu
wissen, ob Sie diese Publikation, die teilweise
ganz neues und
erschütterndes Börne-Material enthält,
für nützlich halten. Wäre es
ferner möglich, Lanyi
oder Jahoda für die Veröffentlichung zu interessieren,
deren Reinertrag ich für
eine Publikation lichtenberg
scher Satiren verwenden
möchte.
Ich will Ihnen aber nicht
Ihre kostbare Zeit
stehlen
und falls Sie die Angelegenheit für unwesent
lich halten, bitte ich sie
einfach als erledigt anzu
sehen.
Mit herzlichen Grüßen und in
großer Verehrung
Ihnen
ergeben
Dr. Laserstein