E. Berlin, DEN 22.
Oktober 1929
An das
Landgericht I,
Berlin.
In Sachen
Kerr ./. Kraus
38.Q.36/29
lehne ich namens und im Auftrage
meines
Mandanten, des
Antragsgegners Herrn
Karl Kraus, den Vorsitzenden
dieser
Kammer, Herrn Landgerichtsdirektor
Dr. Weigert wegen dringender Be
sorgnis der Befangenheit ab.
Der Herr Vorsitzende hat schon des
öfteren juristisch-politische
Aufsätze
im „Berliner Tageblatt“ veröffentlicht
ist also Mitarbeiter jener
Zeitung, de
ren
Redaktion der Antragsteller AlfredKerr angehört, und auf
deren Mitarbei
terstab
er einen entscheidenden Ein
fluss ausübt. Muss schon dies
Zweifel
an der
Unparteilichkeit des abgelehnten
Richters hervorrufen, so werden diese
noch dadurch verstärkt, dass
sicherem
Vernehmen nach der
Herr Vorsitzende ge
sellschaftliche Beziehungen zu
dem Chef
redakteur des
„Berliner Tageblatts“,
Herrn Theodor Wolff, und sogar zu
dem Antragsteller Dr. Kerr unterhält.
Der Herr Vorsitzende ist auch zusammen
mit Herrn Kerr Mitarbeiter in litera-
rischen Verbänden und soll mit
dem Antragsteller ge
meinsam schiedsrichterliche, also
kollegiale Tätigkeit
ausgeübt
haben.
Zur Glaubhaftmachung dieses
Vorbringens wird auf das
Zeugnis
des abgelehnten Richters Bezug genommen.
Es ist selbstverständlich, dass
diese Tatsachen bei
dem Antragsgegner ein Gefühl des Misstrauens wecken
müssen,
dass nach ständiger
Rechtsprechung des Reichsgerichts zur
Ablehnung genügt, weil es von
vernünftigen Motiven und Er
wägungen getragen und sachlich begründet ist.
Der abgelehnte Richter hat aber auch in früheren Pro
zessen deutlich dokumentiert,
dass sich aus vorstehenden Zu
sammenhängen bei ihm eine
Befangenheit gegen den Antragsgegner herausgebildet hat,
die er nicht unterdrücken kann. Da
bei sollen nicht die früheren
Urteile gescholten werden,
was ja
auch u.a. nach O.L.G. Band 41, Seite 248 und
nach War
neyer’s
Rechtsprechung, Band 18, Seite 146, keinen Ableh
nungsgrund darstellt. Dagegen
bilden die nicht zur Sache
gehörigen Aeusserungen des Herrn Vorsitzenden mit
denen er
die mündliche
Verhandlung in früheren Rechtsstreitigkeiten zwischen den
Parteien
begleitet hat,
einen evidenten Beweis für die Befangenheit
des Herrn Vorsitzenden und für die Berechtigung des Miss
trauens meiner Partei gegen seine Unparteilichkeit.
So hat der Herr Vorsitzende in der am 16. Oktober 1928
vor der gleichen Kammer stattgefundenen Verhandlung in Sa
chen Kerr ./. Kraus – 38.Q.164/28 –
wegen des Verbots der Ver
breitung klägerischer
Kriegsgedichte durch den Antragsgegner geäussert:
„Ich habe gehört, dass der Herr Antragsgegner
sehr hüb
sche
Vortragsabende hält. Wozu muss er Pamphlete gegen
den Antragsteller schreiben?“
Diese Aeusserung war unsachlich,
weil das litera
rische
Schaffen des Antragsgegners dem Bezirk der Kri
tik des abgelehnten
Richters entrückt ist.
Er hat weiter die in der Anlage
überreichten Kriegs
gedichte des Antragstellers als einen guten Scherz
be
zeichnet, jene
Kriegsgedichte, um die auch der Streit im
vorliegenden Prozess zwischen den
Parteien geht, und die
der Antragsgegner mit Recht als Ungeheuerlichkeit
empfin
det, weil
darin die Gefühle sterbender Menschen gröblich
verhöhnt werden, – Russen sollen
über ihre Hacksen fallen,
ausgepeitscht werden, werden als Zaarendreck bezeichnet,
als kaputtgegangene Stücker, und
wie die Staatsmänner aller
feindlichen Staaten als Menschen, denen Bandwurm und Krät
ze gewünscht wird (heute ist der
Antragsteller selbstver
ständlich begeisterter Pazifist).
Auch diese Bemerkung, es handele
sich bei diesen Ge
dichten um gute Witze, stellt ein literarisches Urteil
dar, das der Herr Vorsitzende in einem Prozess nicht zu
fällen hatte, in dem es lediglich
darum ging, ob man frem
de Gedichte zitierend veröffentlichen dürfe.
Der Herr Vorsitzende hat in jener mündlichen Verhand
lung auch noch ähnliche, den
Antragsgegner kränkende Aeus
serungen ausgesprochen.
Auch zur Glaubhaftmachung dieser
Vorgänge berufe
ich mich auf das
Zeugnis des abgelehnten Richter, sowie
auf die Akten 38.Q.164/28 und
33.O.400/28 des LandgerichtsI, Berlin.
Die Einreichung
eidesstattlicher
Versicherungen von Zuhörern jener Verhandlung bleibt aus
drücklich vorbehalten.
Abschrift anbei. gez. Dr. Laserstein,
Rechtsanwalt.
Anlage
In den den kleinste Winkelscu
Fiel ein Russen-Trinkgeldescu
Fraidig ibten wir Verratul
Politescu schnappen Drahtul.
Alle Velker staunerul,
san me große Gauneraul.
Ungarn, Siebenbürginescu
Mechten wir erwürginescu.
Gebrüllescu voll Triumphul
Mitten im Korruptal-Sumpful
In der Hauptstadt Bukurescht,
Wo sich kainer Fiße wäscht.
Laider kiregen wir die
Paitsche
Vun Bulgaren und vun
Daitsche;
Zogen flink-flink in
Dobrudschul,
Feste tutraken
ist futschul!
Aigentlich sind wir, waiß
Gottul,
Dann hereingefallne
Trottul,
Haite noch auf
stolzen Roßcu,
Murgen eins auf
des Poposcu!
II.
Ist Dein Land Emanuel Kant,
von den Skythen überrannt?
Mit
Gestank und mit Gelärme
stapfen
stumpfe Steppenschwärme.
Hunde
drangen in das Haus –
Peitscht
sie raus!
Rächet Insterburg,
Gumbinnen
Und vertobakt sie
von hinnen.
Peitschet, das ist
Menschenruhm,
Knutentum,
Knotentum.
Reiter, Fußvolk,
Rosseschwänze,
Peitscht sie
rückwärts an die Grenze.
Sollen über Schmaleninken
In die edle Heimat hinken.
Bei Kraupischken und
Pillkallen
Stallupönen und
Wirballen
Über ihre Haxen
fallen,
Dürfen uns nicht
unterkriegen –
Peitscht sie, daß
die Lappen fliegen.
Zarendreck,
Barbarendreck
Peitscht sie
weg! Peitscht sie weg!
III.
Heiliges Rußland! wenn es doch
gelänge
Und du kriegtest die
verdiente Senge.
Logisches
Vernunftgebot –
Scharfe Dresche
tut Dir not.
Möge dann Dein Volk
mit Nutzen
Ungehindert
revoluzzen.
Weises England! deine Mörser
müßten
Platzen – fern von
unseren Küsten.
Hoher See
bewegter Gang
Mach dich
katzenjammerkrank.
Wünsche dir
mit letzter Suada
Alle Freuden
der Armada.
Edles Frankreich! wurdest
überstimmt,
Wenn der Knutosoff
die Zügel nimmt …
Allen Führern
bei der Deutschlandhetze
Wünsch
ich Bandwurm, Huhneräugen, Krätze,
Zur Ernährung schimmelfeuchtes Stroh –
Und noch Rheumatismus im Popo.
IV.
Stallupönen.
Mancher Herr und manche Dame
Wagten dich als Nest zu
höhnen.
Doch von Kriegsbeginn
blinkt dein Name
Stallupönen,
Stallupönen.
Frecher Feindesvorstoß –
brausend
Ist er hier
kauputtgegangen,
Rüde Russen
sind Dreitausend
Stücker fest von
uns gefangen.
Spürten einen Kitzel innen,
Wollten mal was Leckres
haschen,
und sie tappsten gen
Gumbinnen,
Dort zu naschen.
Dort zunaschen.
Hütet nun die struppige
Beute.
Wanzenpulver nicht
vergessen!
Und „bewahrt das
Licht“, ihr Leute
Weil sie jeden
Wachsstock fressen.