Die Fackel


Wien, den 31. Mai 1926.


Bericht.


Ich erschien am 14. Jänner laufenden Jahres im Amtszimmer des für
Athen beglaubigten Generalkonsuls Dr. Otto Walter, Athen, RueAlexandros, zu der behördlichen Amtsstunde und ersuchte den Generalkonsul, als bevollmächtigten Vertreter der Republik Oesterreich
welcher ich als Staatsbürger angehöre, zwecks Klarstellung eines
Falles, der danach angetan sei, die Öffentlichkeit zu beunruhigen,
um eine Unterredung. Zu diesem Behufe wurde ich von ihr für 4 Uhr
30 desselben Tages in das österreichische Konsulat geladen. Ich fand
mich zu der mir angegebenen Zeit ein und gab dem Generalkonsul Dr.
Otto Walter die folgende Erklärung ab.


Herr Generalkonsul! Aus meinem Reisepass Nr.
843 belieben Sie zu ersehen, dass ich österreichischer Staatsbürger
bin, den 23. Februar 1897 zu Hinterbrühl im Bezirke Mödling geboren,
von meinem Gesichte können Sie mir ablesen, dass ich Jude bin und
ausserdem sage ich Ihnen, dass ich mit der israelitischen Kultusgemeimde nicht viel mehr gemeinsam habe als mit der römischen oder
griechischen Kirche, Einer politischen Partei gehöre ich nicht an.
Somit ist das hiesige österreichische Konsulat für mich die
einzige Zufluchtsstätte, deren Schutz ich für den Fall beanspruchen
werde, dass ich mit den hiesigen Kirchen-, Staats- oder Polizeibe
hörden in einen aussergerichtlichen Konflikt gerate, der allem
Anscheine nach schon heute im Bereiche der Wahrscheinlichkeit liegt.
Die Vorgeschichte dieses Falles ist wissenschaftlicher Natur.
Ich befasse mich seit elf Jahren mit Problemen der Variationsrechnung,
und bin im Laufe der algebraischen Untersuchungen vor einem Monate
zur Aufstellung eines Schemas gelangt, aus welchem ähnlich dem für
die Denkvorgänge gütigen Assoziationsgesetzen das Postulat folgt,
dass aus einer begrenzten Zahlengruppe, z. Bspl. 1–36, es dem
menschlichen Denken nicht möglich ist, Zahlengruppen willkürlich
zu entwickeln, sondern dass die Aneinanderreihung der Zahlen, auch
bei Wiederholung derselben, um so deutlicher ein aus dem Verhältnisse
der Zahlen untereinander entstehenden Fortentwickelungsgesetz auf
weist, je weiter die Reihe fortschreitet. Somit sind meine früheren
und späteren Betrachtungen, welche darauf gerichtet sind, gemäss dem
Gesetze der Entwickelung gesprochenen Zahlenfolgen, von denen man
nie geglaubt hätte, dass sie ohne Rücksicht auf das sie gerade pro
duzierende Denken irgendeiner Person ihrer eigenen Gesetzmässigkeit
folgen, einen analogen Zusammenhang bei den in fortlaufender Sprache
gesprochenen Lauten zu suchen, auf mathematischem Boden erwachsen.
Hierin liegt ihre Stärke. Von vorneherein war es klar, dass der
Nachweis solcher Gesetzmässigkeiten von allgemeiner Giltigkeit,
welche das gesprochene oder geschrieben Wort als aus Bazyllen (über
tragbaren Lauten) bestehend erfassen, bei ihrer Forterbung seit eh
und je in den unendlichen Kombinationen menschlichen Geschehens den
von der Kirche und der heutigen Rechtswissenschaft genährten Glauben
an die Existenz eines freien Willens vollends zerstören müssten.
Nach der anatomischen Befassung mit den Erscheinungsformen des eige
nen Denkens habe ich die Blitzwirkung der Intuition nicht getan,
sondern erlitten. Doch glaube ich, in der Erziehung der Wahrheit vor
mir selbst so gefestigt zu sein, dass ich mich berufen fühle, zur
Reinigung der Luft, in der wir atmen, das Meine zu tun. Dass auch
Geldgier, Blutrausch und Liebedienerei und Tyrannentum
nicht minder naturgewollte Manifestationen des in jeglichem Geschehnis
gebundenen Lebensablaufes sind wie der Kampf für das wahre Menschen
recht; diese Erwägung kann mich nicht davon abbringen, als ein
tüchtiger Schauspieler auf der Bühne des Welttheaters zu wirken,
auf dem jene anders gearteten Marionetten einer bereits durchge
fallenen Komödie so lächerlich werden müssen, dass sie schliesslich
der Popanz ihrer selbstgerechten Gesetze in die Flucht schlägt.
Die Dinge beginnen kriminell zu werden und ich bin hier, um
Namen zu nennen.“


Nachdem ich mich dessen vergewissert hatte,
dass Dr. Walter in seiner Eigenschaft als österreichischer General
konsul gläubiger Katholik ist, legte ich ihm ausführlich dar, wie
ich als Angestellter der Handelsaktiengesellschaft Mesogeios in den
üblen Ruf eines Messias gekommen war, der mit dem Teufel unter einer
Decke spielt. Wie mein Vorgesetzer, der Direktor Christos Zalokosta
von meinen Studien erfuhr, die er auf die Wahrscheinlichkeitsrech
nung bezog, und mich mit seiner Schwiegermutter bekannt machte, die
nicht nur unter die reichsten Leute Athens zählt, sondern auch eine
besessene Roulettespielerin ist und wie ich den mir gemachten Vor
schlag, die Ausarbeitung und Praktizierung eines Roulettesystems
mir von diesen Leuten finanzieren zu lassen, ablehnte.


Ferner berichtete ich dem Konsul wörtlich das Folgende:


Es hat in meiner Umgebung ungeheures Staunen erweckt, dass ich
täglich Zahlen prophezeihe, welche mir weder auf alltägliche Art
bekannt sein konnten, noch die Möglichkeit eines Schwindels offen
liessen, indem ich nämlich zu jeder beliebigen Stunde, wo es galt,
ein Automobil oder eine Droschke zu benützen, intuitiv die Nummer
nannte, welche sich sofort auf der Strasse einstellen musste: was
auch stets pünktlich eintraf. Die Folge war, dass man mich unge
achtet meines ausgesprochenen Missbehagens gegen Hazard zur Teil
nahme am Roulettespiel bestürmte und ich, der Belästigungen über
drüssig, durch einige Tage vom Bureaudienste fernblieb und auch
aus dem Hotel, in welchem ich wohnte und von Christos Zalokosta
aufgesucht wurde, verschwand. Dies half aber wenig, weil sich
indessen ein höherer Beamter des Verkehrsministeriums in zudring
lichster Weise um meine Freundschaft bemühte, welcher behauptete,
ein Atheist zu sein, und mich nach einigen mit mir erlebten tele
pathischen Erscheinungen das Schreckgespenst von Wundern ins
Verkehrsministerium verpflanzte. Hatte man aber schon erfahren,
dass meine Anhänglichkeit an das jüdische Volk das Um und Auf
meiner Gesinnung ausmacht, so war es diesen, im christlichen
Wunderglauben befangenen Menschen, welche die Juden als eine Rasse
des Teufels betrachten, ein gefundenes Fressen ihre Wahnvorstel
lungen als am 28. Dezember der Stockholmer Oberrabbiner Dr.
Dr. Ehrenpreis – mit dem Nimbus des Kabbalisten – zu kurzem Besuche
in Athen eintraf und mit mir eine Unterredung hatte.


Da ich in Christos Zalakosta, welcher zu den Männern, der
griechischen Regierung enge Beziehungen unterhält, den Hauptur
heber dieses Wirrwarrs erblickte, richtete ich am 29. Dezember
folgende Zeilen an ihn:


Werter Herr Zalakosta!


Vieles, das sich in diesen Tagen begeben hat und weder von Ihnen
noch von irgend jemandem anderen verstanden worden ist, legt mir
innerhalb des Wirkungskreises der bürgerlichen Gesetze die Pflicht
auf, Ihnen einiges bekanntzugeben, da Sie mir bewiesen haben, dass
Sie sich trotz meines Schreibens vom 14. ds. von der Tragweite des
von mir Begonnenens nichts träumen lassen wollen. Ich hatte Sie
am 14. ds. zu mir gebeten und Ihnen damals klar gemacht, dass die
Assoziation der Zahl ein allgemeines Gesetz in der Natur ist und
sich ebenso wie auf die durch die Abläufe einer Kugel auf einer
Roulettescheibe bezeichnten Resultatreihe wie auf
das menschliche Denken bezieht. Das heisst: hat ein menschliches
Gehirn eine Zahlenreihe bis zu einem feststellbaren Punkte durch
dacht, so steht es diesem Hirn nicht mehr frei, jede beliebige Zahl
beliebig anzureihen, vielmehr erfolgt aus dem ehernen
Assoziationsgesetz der Zahl jede folgende aus der vorherigen als
fix gegeben und zwar bis dorthin, wo die heutige Mathematik das
Zeichen (unendlich) gesetzt ) hat. Dieses Gesetz zahlen
mässig aufgedeckt zu haben heisst: es in seinem eigenen Hirn
unschädlich gemacht zu haben, weil man sich auf dem gefahrlosen
Boden der Kausalität befindet. Zahlen aber, welche sich in anderen
Hirnen nicht in der von demselben gedachten Zahlenreihe befinden,
in dieselbe verpflanzen, heisst diese Hirne aus dem Geleise
bringen, und wenn die Sprache eines Menschen nichts anderes ist
als eine Zahlenreihe, deren Ziffern das Alphabet liefert, so dürfte
Ihnen schon ein Licht aufdämmern, wenn ich Ihnen sage, dass die
Mesageios auf einem Vulkan getanzt hat und dass ich der Krater in
der Mitte war. Da ich mir seit langem über die Ansteckungsgefahr
der gesprochenen Laute im klaren bin, so ist es mir nicht ent-
gangen, wie durch das von mir gesprochene Wort der Wahnsinn, gegen
den ich selbst dank der Kausalität der Denkentwickelung immun
war, sich in meiner Umgebung auszubreiten begann – ein in
trockenes Stroh geworfener Funke: hier um so mehr, wo durch den
seit Generationen eingeimpften Wunderglauben mit dem Klingklang
des Weihnachtsfestes einer Katastrophe des Geistes Tür und Tor
offen steht.


Am 31. Dezember vormittags trat ich von meinem Posten in der Firma
zurück.


Sogleich erschienen in samtlichen Abend- und in den nächsten Morgen
blättern Artikel, welches sich mit meinem „unfehlbaren“ Plan gegen
die Banque von Monte Carlo befassten und auch anonym von einer
reichen Dame meldeten, welche sich daran beteiligen würde.
Ausserdem wurden vier Rouletteklubs, welche sich bis dahin unter
der Kontrolle der Militärpolize befanden, unter der Aufsicht der
englischen Polizei gestellt, deren oberster Direktor ein intimer
Freund des Christos Zalokosta ist und – wie ich durch Zeugen be
weisen kann – diesem bereits früher Dienstgeheimnisse preisgab.
Ich erklärte am 2. Jänner dem bereits erwähnten Beamten des Verkehrs
ministeriums, dass ich – da ich nunmehr meiner Einkünfte entblösst
sei – mich entschlossen habe, Roulette zu spielen. Am 3. Jänner
wurden auf Befehl des englischen Polizeidirektors sämtliche Rou
ketteklubs gesperrt.


Am 12. Jänner mittags war mein Vermögensstand auf den Betrag von
drei Drachmen zusammenschmolzen. Somit erscheint es menschlich be
gründet, dass ich meine Nahrung auf der Intuitionslinie besuchte.
Als diese benützte ich zuerst die Einsertrambahn, welche mich
zunächst in den Vorort Kallithea brachte. Dort führte mich mein Weg
an einem an einer Dornenumzäunung angebundenen Esel aus der Be
trachtung dieses Naturspieles mit dem evangelischen Gedanken:
Geht und bindet einen Esel los, zu einem mir bis dahin unbekannten
Hause wo mir ein etwa fünfjähriger Junge mit dem Anruf: der Arzt,
der Arzt, entgegenlief und mich an das Krankenlager seiner Tante
schleppte. Diese, eine 22jährige, war am Vorabend durch zwei
Polizisten, die in ihr Haus eingedrungen waren und ohne irgendeine
Begründung ihren Gatten verhafteten, erschreckt worden und hatte,
im vierten Monate, schwanger, eine Sturzgeburt erlitten. Mein suggesti
ver Zuspruch heilte die Frau in derselben Minute und sie erhob sich, um
dem von mir ihr erteilten Auftrage gemäss sich mit ihrer Cousine und
einem Burschen zu Christos Zalokosta zu begeben, welchen ich schrift
lich anwies, die Frau zwecks Aufnahme eines die Verhaftung ihres
Gatten betreffenden Polizeiprotokolles unverzüglich zum Direktor der
englischen Polizei zu bringen. Dank der Schreckwirkung wurde der Mann
noch zur selben Stunde aus dem Gefängnisse entlassen. Ich aber begab
mich in ein – neben meinem Hotel liegendes Restaurant, wo ich um 3 Uhr
nachmittags ein ausgiebiges Mittagessen einnahm und den Kellner an
wies, der hiefür zu zahlende Betrag von Dr. 32.– beim Direktor der
englischen Polizei einzukassieren, was auch geschah.


Doch fasste mich ein Grauen, als ich tags darauf um die Mittagsstunde
wieder nach Kallithea kam, um mich um das Befinden der heimgesuchten
Familie zu erkundigen. Die Gittertür des Vorgartens war versperrt,
die Fensterläden geschlossen. Auf mein Pochen öffnete eine Frau ein
Fenster und warf es, als sie mich erblickte, wieder zu. Die Cousine
der Genesenen kam eben aus dem rückwärtigen Teile des Gebäudes her
vor und lief entsetzt zurück und verbarg sich. Ich wendete mich ab.
Rufe wie „Teufel“, „Heilige Jungfrau“, wurden laut. Die stammeln
de Stimme eines Mannes rief mir nach:


Mach mir den Gefallen und geht fort von da!)


Die Bediensteten des Hotels, in dem ich wohne, zittern, so oft sie
mir in die Nähe kommen. Aus der Atmosphäre, welche sich um mich ge
bildet hat, erscheinen ernste Befürchtungen berechtigt,
zumal meine Gewissheit, dass ich mich behaupten werde, auch bei der
Tatsache meiner völligen Mittellosigkeit bestehen bleibt. Die Kraft
zu Wundertaten, deren Ausführung mir auf unerforschliche Weise auf
erlegt ist, hat mich nicht eitel gemacht. Ich bemesse den Wert meiner
Person geringer als Jedermann und suche mein Glück nur deshalb in
der Befähigung zu evangelischen Wundern, weil es Wunder nicht gibt.
Somit liegt meine höchste Befriedigung in der Betätigung der Wahrheit
und keine Furcht vor den Scheinmächten der Gesellschaft wohnt mir inne,
da ich zum Kampfe gegen den Glauben trotz besseren Wissens hin
länglich gerüstet bin.


Dass die Kirche bemüht sein wird, mein Wirken zu unterdrücken, darüber
bin ich mir keineswegs im Zweifel, und so muss ich es Ihnen sagen,
dass ich in der Lage bin, Zeugen dafür namhaft zu machen, dass
prominente Vertreter des Jesuitenordens eifrig, aber vergebens be
müht waren, jene mathematische „Zauberformel“ aus der Verquickung
der Pasqualschen Wahrscheinlichkeitsrechnung und kabbalistischen
Lehren zu finden, deren Aufstellung mir gelungen ist.“


Bei diesen Werten legte ich das von mir in 80 Serien entwickelte 36 er
Variationsschema auf den Tisch und setzte fort:


Herr Generalkonsul! Ich frage Sie nicht, ob man Ihnen bereits von
amtlicher Seite den Wunsch, dass ich Griechenland verlasse, zu
verstehen gegeben hat. Doch muss ich – nach dem bisherigen – für die
nächste Zukunft mit einer solchen Intervention rechnen. In diesem
Falle erwarte ich von Ihnen, dass Sie sich als Walter des Staates,
durch welchen geschützt zu werden ich ein Anrecht habe, bewähren
werden.


Somit gewinnt mein Ihnen heute vormittags überbrachte Neujahrs
wünsche eine über die blosse Formalität weit hinausgehende Bedeutung.“
Als mir hierauf der Generalkonsul Dr. Walter die Versicherung gäbe, dass
er mir mit rechtlichem Schutze zur Verfügung stehe, verabschiedete
ich mich von ihm.


Ich hatte aber noch erwähnt, dass ich in der darauf folgenden Nacht
jemandes Ankunft aus Wien auf dem Larissabahnhofe erwarte.


Als ich mich nach Mitternacht auf den Bahnhof begeben hatte, kam mir
der griechische Verkehrsminister in Begleitung seiner Vertrauten und
einiger Offiziere dorthin nach. Der Minister schien sehr nervös und
schritt in bedeutsamer Erregung den Bahnsteig ab, wo er gleich mir
einige Stunden das verspätete Eintreffen des Fernzuges abwartete.
Es kamen aber nur einige Reisende an. Ein Empfang fand nicht statt.
Da wurde ein grosser Jagdhund von einem Offizier aus einem Waggon
an der Leine über den Bahnsteig geführt. Ich fixierte das Tier, welches,
meiner ansichtig, etwa fünf Schritte vor mir halt machte, die Augen
ausdrehte und sich aus beiden Kloaken in ungeheurer Menge entleerte,
wobei es den an seinen Punkt gebannten Verkehrsminister anpisste. Ich
konnte ein Lachen nicht unterdrücken, indes das Ministerium zu den
bereit stehenden Automobilen davonlief. Auf ein von Spott erfülltes
Kommentar hin, welches ich gleich darauf an die Athener Zeitung


(der freie Schritt) gelangen liess, erschienen
Abordnungen in meinem Hotel, baten um Bekanntgabe meiner Wünsche
und boten Geld. Ich war aber nicht zu sprechen, selbst dann nicht,
als abends andere kamen und von plötzlichen schweren Erkrankungen
meldeten,wie Starrkrämpfe, Erstickungsanfälle etc. und da
sie diese Dinge auf meine Wirksamkeit zurückführten, dringendst
baten, dass ich sage was ich wünsche. Als aber gegen Mitternacht
noch der Atheist vom Verkehrsministerium erschien und
mich flehentlich bat, der Aufnahme in die israelitische Kultusge
meinde zugeführt zu werden, wurde mir die Sache zu bunt. Ich begab
mich in das in der Place de la Constitution gelegene Kaffee


welches um diese Stunde von Politikern zu wimmeln pflegte
damals aber auch nicht einen einzigen Gast aufwies, da, wie mir
die Kellner sagten, die Herren zu einer geheimen Sitzung zusammen
getreten seien. Ich liess die Herrschaften durch einen offene Zetteln,
den ich auf den Tisch legte, wissen, dass ein Grund zur Beunruhigung
nicht vor liege, da alles, was ich getan habe, ein einfaches arithme
tisches Spiel sei, nur zu dem Zwecke erfunden, dass endlich mein
Kaffeehaus einmal gründlich gereinigt werden könnte. Indes ich nur
auf den Bedürfnisort ging, war – wie mir die Kellner meldeten – der
Adjutant des Generals Pankalos per Auto an dem Kaffee vorüber gekommen
und hatte den Zettel für den Regierungschef mit sich genommen. Am
nächsten Tage, dem 16. Januar, hatte ich Gelegenheit, dem Generalkonsul
Dr. Otto Walter in der nachdrücklichsten Weise darzutun, dass mein
Lehrer und Meister Karl Kraus ist, von dem ich in jeder Hinsicht ab
hängig sei.


Am 18. Jänner übermittelte mir General Pankalos durch zwei seiner Ver
trauten die Anfrage, ob er mir irgendwelche Wünsche erfüllen könnte,
was ich aber mit der wenn auch allgemeinen, so doch verständlichen
Begründung, dass Offiziere bezahlte Mörder wären, ablehnte, und zwar
in Gegenwart des Dr. Walter, der mir die Leute zugeführt hatte.


Doch stellte ich es dem Ministerpräsidenten anheim, mir eine „reine
Speise“ zu beschaffen, da ich diesen Tag noch nichts gegessen hatte.
Am 20. Januar 6 Uhr abends besuchte mich ein Polizeioffizier, stellte
sich als Adjutant des Generals Pankalos vor und überbrachte mir eine
Einladung des Regierungschefs zu einem Abendessen auf dessen Landgut
in Eleusis, ein Automobil sei bereitgestellt.


Ich verspürte bereits grimmigen Hunger und so folgte ich dem Offi
zier in das Automobil. An der trgaodoa wurde ich bei Daphne in die Irren
anstalt Dromokalition verschleppt.


Eine Stunde nachher liess ich durch den Überwärter der Spitalsdirekt
tion die folgende schriftliche Mitteilung in griechischer Sprache
übergeben:


Dromokalition, den 20.I.1926.


An die Direktion des Krankenhauses Dromokaeition.
Zum Nachweise meiner geistigen Klarheit gebe ich die folgende Konsta
tierung ab:


Unter den Kranken, welche ich sah, befindet sich einer, der gesund ist,
nämlich der etwa 20jährige Chatisbasilion.“


Tatsächlich wurde dieser Bursche nach einigen Tagen als geheilt aus
der Anstalt entlassen. Den Aerzten, welche mich nach dem Grunde
meiner Internierung befragten, erklärte ich, dass ich wohl zur
Konstatierung meines eigenen Gesundheitszustandes nicht kompetent
wäre, andererseits aber im Hinblicke darauf, dass ich ohne vorherige
polizeiärztliche Untersuchung auf ungesetzliche Weise in das Irrenhaus
gesperrt worden sei, nicht daran denke, eine medizinische Frage aufzu-
werfen, wo für mich nur eine juristische bestehe. Hierauf wurde mir
vom Direktor des Irrenhauses mitgeteilt, dass ich über Veranlassung
des österreichischen Konsulates interniert worden sei.


Am 16. Februar morgens übergab ich dem Spitalsdirektor ein an den
griechischen Staatspräsidenten gerichtetes Schreiben, in welchem ich
um den Besuch des in Athen Rue Patission 81 etablierten österreichi
schen Arztes Dr. Josef Kopp ersuchte und für den Fall, dass mein An
suchen innerhalb 12 Stunden nicht von amtswegen beantwortet werde,
für den nächsten Tag den Hungerstreik ankündigte. Um 11 Uhr vormittags
des 16. erschien der Generalkonsul Dr. Walter und erklärte mir, dass
er ein Sündenbock des General Pankalos und selbst machtlos sei, und
selbst als „Oesterreicher einen schweren Stand in Griechenland“ habe,
dass der Arzt Dr. Kopp vor einigen Tagen schwer erkrankt und nach
Wien abgereist, er aber, der Konsul, selbst bereit sei, für mich alles
zu tun, was ich von ihm verlangen würde. Insbesondere wollte er wissen,
ob er für mich an Herrn Karl Kraus, der verantwortlicher Herausgeber
der Fackel, schreiben soll. Hiezu sagte ich ihm, dass ich der Spi
talsdirektion bereits ein ausführliches Schreiben an den Wiener Bürgermeister übergeben hätte, welches er übernehmen und weiter befördern
möchte. Dies sagte er mir zu. Ferner, dass er in Anbetracht seiner
bedauernswerten Machtlosigkeit mit der ihm vorgesetzten Behörde
in Wien in Verbindung setzen und womöglich noch am selben Tage beim
Vorsteher der Athener israelitischen Kultusgemeinde in dessen Eigen
schaft als Konsul der Republik Venezuela sich einen Rat einholen
möchte. Am 19. erhielt ich ein mit dem österreichischen Amtssiegel
verschlossenes, vom 17. Februar 1926 datiertes und unter Zl 263
protokolliertes Schreiben des österreichischen Konsulates, in dem mir
mit der Anschrift „Lieber Herr Löwe!“ mitgeteilt wurde, dass der
Generalkonsul bereits eine Verbindung mit dem Vorsteher der israe
litischen Kultusgemeinde eingegangen habe und hoffe, mich an einem
der nächsten Tage wieder besuchen zu können, um weiters zu verabreden.
Das Schreiben war unterzeichnet: Ihr ergebener Dr. Otto Walter,
Generalkonsul“


Am 20. Februar erschien der Generalskonsul in Begleitung des
Marco Konstaninidis, Konsul der Republik Venezuela und des Arztes
Dr. Josef Kopp bei mir und fragte mich, ob ich mich vom Konsulate
kostenfrei nach Wien, befördern lassen wolle. Ich bejahte diese Frage
und nahm dem Generalkonsul in Gegenwart der beiden Zeugen das Ver
sprechen ab, einen von mir an den Herausgeber der Fackel, Herrn Karl Kraus
anzufertigenden Brief bei Verantwortung des Konsulates für die sichere
Zustellung nach Wien zu befördern. Am 23. Februar erschien der Konsul
in Begleitung seiner Ehefrau bei mir und gab ab, dass sich meine Rück
reise nach Wien noch um einige Tage verzögern werde, da mein Reisepass
noch nicht fertiggestellt sei. Seine Gattin bat mich zu sagen, wieso
ich von der Reise des czechischen Staatspräsidenten Masaryk nach
Saloniki gewusst habe, wo mir es ja niemand mitgeteilt hatte. Ich ant
wortete den beiden Besuchern, dass sie mir völlig unnütz wären und bat
sie, sich sofort zu entfernen. Am 3. April wurde mir im Dromokalition
vom Kanzlisten des österreichischen Konsulates der am 22. Februar
ausgestellte Reisepass Nr 366 nach bereits erfolgter Vidierung
desselben durch den italienischen Konsul zur Unterschrift vorgelegt
und ich selbst auf Befehl des griechischen Minsisters für Inneres
von zwei Staatspolizisten zum österreichischen Konsulat nach Venedig
eskortiert zwecks Weitertransportes nach Wien. In Venedig wurde den
österreichischem Konsulate von den Eskortlern ein Schreiben des
Athener österreichischen Konsulates überreicht, durch welches be
stätigt wurde, dass die beiden griechischen Polizisten dem österrei
chischen Konsulate in Venedig zwecks meiner Bändigung zur Verfügung
stehen und für alle Eventualitäten auch mit einer Zwangsjacke ausge
rüstet sind.


Hinsichtlich meiner unbegründeten Anhaltung durch die Wiener Polizei
und meine 12tägige Inhaftierung im Wiener Polizeigefangenhause habe ich
bereits die Anzeige wegen Amtsmissbrauches vor fünf Wochen bei der
Staatsanwaltschaft erstattet (St. XIX 378).


Es kann wohl nicht geleugnet werden, dass bei dem an mir begangenen
Justizverbrechen hohe Würdenträger des Staates zumindest Mitwisser
sind, wo doch diese im Polizeigefangenhaus von mir dem Polizeireferenten
Linert übergeben Notiz ohne irgendwelche Folgen geblieben ist:


An den Direktor des Polizeigefangenhauses in Wien IX:


Der kleinste Beweis meiner geistigen Klarheit liegt in der hier ausge
sprochenen Gewissheit, dass der Wiener Polizeipräsident, obschon
er ein Idiot ist, für das an mir von der Wiener Polizei begangene
Justizverbrechen haftbar bleibt.“


Auf meine Anfrage beim Bürgermeisteramt der Stadt Wien erfuhr ich
vom Sekretär des Bürgermeisters, dass das dem Generalskonsul Dr. Walter
zwecks Weiterleitung an den Bürgermeister übergebene Schreiben nicht
eingelangt ist. Vom Verlage „Die Fackel“ wurde mir der Bescheid
gegeben, dass ihm keine Nachricht hinsichtlich meiner Person zugekommen
ist – und ausserdem wurde mir vom Rechtsanwalt des Herrn Karl Kraus,
dem Herrn Dr. Oskar Samek, Wien I., Schottenring 14, mitgeteilt,
dass Herr Kraus jenes über den Weg des Athener österreichischenKonsulates an ihn gerichtete Schreiben nicht erhalten hat.
Auch hat das österreichische Konsulat nachgewiesenermassen meinen
mit dem belgischen Grossrabbiner geführten Briefwechsel, welchen ich
in Erledigung einer Familienangelegenheit an den Nürnberger Rabbiner
gerichtet hatte, wohl übernommen, jedoch zurückbehalten.


Um die Tatsächlichkeit der oben angeführten
Zahlenkunststücke schriftlich zu belegen, verweise ich auf mein an den
griechischen Verkehrsminister Tavularis vom 23.III.1926 datiertes
Schreiben, welches vom Direktor des Domokalition dem Professor der
Athener Universität Dr. Katsaras zwecks Ueberreichung an den Minister
übergeben worden ist. Als Zeugen für die Fülle von Vorfällen, von
welchen ich hier eine enge Zusammenfassung gegeben habe, mache ich den
Herausgeber der Athener Zeitung, Lampakis, und den
Direktor der Banque Populaire Athen, Amades Abro, namhaft und ausser
dem aus Bequemlichkeitsgründen der Einvernahme in Wien den Handels
reisenden Gustav Georgi, Wien VI. Gumpendorferstrasse 32, welche
die kritische Zeit in Athen waren mit der HandelsaktiengesellschaftMesogeios in Berührung stand.


Das zitierte Schreiben des österreichischen Konsulates v. 17.II.1926.
wurde mir von einem Krankenwärter im Dromokalition entwendet. Hingegen
sind zwei Briefe der angeführten Beamten aus dem griechischen Verkehrs
ministerium bei mir verblieben. Ich schliesse dieselben bei,


Max Löwe m.p.