Wien, den 31. Juli 1926.
Herrn
Karl Kraus
Wien


Sehr geehrter Herr!


Kurz vor dem Erscheinen des Januarheftes 1924
empfing ich auf meinen ersten an Sie gerichteten
Hilferuf ein Schreiben des Verlages „Die Fackel“, in
welchem mit mitgeteilt wurde, daß Sie „niemand“
einen Posten verschaffen können und daß eine
Untersuchung, auf die nicht die erwähnte geistige
Wohltat, sondern wirtschaftliche Notlage ein Anrecht
gebe, gewährt werden würde.


Die am Schalter Ihres Kontors von mir unter
schriebene Empfangsbestätigung über zweihunderttausend
Kronen kennzeichnet meine erste Beziehung zu
Ihnen als die eines Bettlers, dem das vom Verlag
genannte Motiv der Geldzuwendung zu denken gab,
weil der Vergleich zwischen mit und tausend Almosen
suchern, die kurzerhand an das Mitleid des Passanten
appellieren ohne den materiellen Vorteil in die
tadelnswerte Verbindung mit einem geistigen
Eindruck zu bringen, scheinbar zu meinen Ungunsten
ausfällt.


Somit blieb mir der Glaube, daß nicht der Tatbestand,
sondern die Ursache meiner Qual die Fackel
dazu veranlaßt habe, an einem Menschen, der zufolge
seiner geistigen Beschaffenheit in der „Kommiswelt“
keine Erwerbsmöglichkeit hat, ihre Humanität zu
bewähren.


Das Wort „niemand“ habe ich, weil ihm die dem
Fürwort eigentümliche Dativendung fehlte, als
Hauptwort betrachtet, und so lebe ich noch mit
der Hoffnung, jener „niemand“ zu sein, – der
nun die geistige Wohltat Ihres Wortes in einem
anderen Sinne erwähnt hat, wenn mich etwa
der Vers „Ich bin an meinen Punkt gebannt“
mit eiserner Faust hinter Grenze des Wahnsinns
zurückhielt, indes das visionäre Nacherleben
Ihrer Gedichte ungeahnte Kräfte der Intuition
entfaltete, sodaß die Prominenten Athens, welche bei
läufig der Meinung waren, daß Karl Kraus der
Leiter und ich ein Vorposten einer revolutionären
Organisation sei, unleugbar gebebt haben und sich
zur Aufklärung der dunklen Phänomene ein para
psychisches Institut aus Deutschland nach Athen
kommen ließen: ecce nemo.


Ihr ergebener
Hans Löwe