Geschäftszahl U I
70/27/15
7E 1732/28
Im Namen der Republik!
Das Strafbezirksgericht I in Wien, als Presse-Gericht hat heute in
Gegenwart
des
Privatanklagevertreters Dr. Oskar Samek
in Abwesenheit
des Angeklagten Emil Schifter
über die Anklage verhandelt,
die der Privat
ankläger Karl Kraus gegen
Emil
Schifter, 43 Jahre alt, verheiratet, verant
wortlicher
Schriftleiter der
Zeitung
„Volkskampf“
wegen der Übertretung nach
§ 30 Press-Gesetz erhoben hatte
und über den vom Ankläger
gestellten Antrag auf Bestrafung des Beschuldigten
Verfall der Nummer 5 der Zeitung „Volkskampf“ vom 29.1.1927
und Veröffent
lichung des Urteiles in dieser Zeitung
zu Recht erkannt:
Emil Schifter ist schuldig, er habe im Jänner 1927 in
Wien als verantwortlicher Schriftleiter der ebenda erscheinenden
Zeitung
„Volkskampf“ bei der Aufnahme des Aufsatzes „periodischer Lehmann“
in Nummer 5 der genannten Zeitung vom 29. Jänner
1927, dessen Inhalt das
Vergehen gegen die Sicherheit der Ehre nach § 491 StG. begründet, jene
Aufmerksamkeit
vernachlässigt, bei deren pflichtgemäßer Anwendung die
Aufnahme des strafbaren
Inhaltes unterblieben wäre.
Er hat hiedurch die
Uebertretung nach § 30 Press-Gesetz begangen
und wird hiefür mit
Bedachtnahme auf die hg. Urteile U I 66/27 vom
5. Mai 1927 und U I 147/27 vom 12. Mai 1927, mit welchen der Beschuldigte
wegen des gleichen Deliktes
mit einer Geldstrafe von je dreißig Schil
lingen bestraft
wurde, unter Anwendung des § 265 StPO. zu einer Geld
strafe im Betrage
von
fünfzig (50) Schilling
im Nichteinbringungsfalle zu
48 Stunden Arrest und gemäß § 389 StPO.
zum Ersatze der Kosten des
Strafverfahrens verurteilt.
Emil Schifter wird ferner gemäß § 43 (1) Press-Gesetz
verpflichtet, dieses Urteil in der ersten oder zweiten Nummer der Zei
tung „Volkskampf“, die nach Rechtskraft
dieses Urteiles erscheinen
wird, in der im § 23 Press-Gesetz vorgeschriebenen Weise zu veröffent
lichen,
widrigenfalls die Zeitung nicht mehr
erscheinen dürfte.
Gemäß § 41 (1) Press-Gesetz wird die Nummer 5 der Zeitung „Volkskampf“
vom 29. Jänner 1927 für verfallen erklärt.
Gemäß § 5 (2) Press-Gesetz haftet Josef
Müller als Eigentümer
und Herausgeber der genannten Zeitung für die Geldstrafe und die Kosten
des Strafverfahrens zur
ungeteilten Hand mit dem Verurteilten.
Gründe:
Durch das
Impressum ist erwiesen, daß Emil Schifter der
verantwortliche
Schriftleiter der Nummer 5 der Zeitung
„Volkskampf“
vom 29. Jänner 1927 war, in
der unter der Ueberschrift „periodischerLehmann“ ein Aufsatz erschienen ist, der die Stelle enhält: „… KrausKarl, genannt
der ‚Fackel‘-Jud, gehört zu den
pestilenzartigsten seiner
Rasse.“ Es ist in dieser Stelle eine öffentliche Verspottung der
Person
des Privatanklägers gelegen; sie begründet daher objektiv den Tatbestand
des Vergehens gegen die
Sicherheit der Ehre nach § 491 StPO.
Da ein Beweis dafür, daß der
Beschuldigte den vorerwähnten Aufsatz
verfasst oder in Kenntnis
des Inhaltes zum Drucke befördert hat, nicht
erbracht wurde, konnte er
nur in der Richtung des § 30 Press-Gesetzes
zur Verantwortung gezogen
werden.
Der Schuldspruch ist daher
begründet.
Bei der Strafbemessung waren
die Vorstrafen des Beschuldigten
wegen Pressedelikten
erschwerend, mildernd war kein Umstand.
Unter Bedachtnahme auf die
im Urteilsspruch genannten in der
Zwischenzeit erflossenen
Urteile hat das Gericht die Bestimmung
des
§ 265 StPO. angewendet.
Die verhängte Strafe
erscheint somit dem verschulden des Beschuldigten angemessen.
Die übrigen Aussprüche des
Urteiles stützen sich auf die bezo
genen
Gesetzesstellen.
Wien, am 2. Juni 1927.
Für die Richtigkeit der
Ausfertigung
der
Kanzleileiter:
Kahlert
B.
Kosten einbringlich.
Strafbezirksgericht I in Wien
Gerichts-Abteilung I
II. Schiffamtsgasse Nr. 1
Wien, am 2./6.1927
Dr. Christoph Höflmayr
Für die Richtigkeit der
Ausfertigtigung
der
Kanzleileiter
Kahlert
Das Urteil ist am 26./6.1927 in Rechtskraft erwachsen.
Strafbezirksgericht I in Wien
Gerichts-Abteilung I
II. Schiffamtsgasse Nr. 1
Wien, am 28./6.1927
Kahlert