An das
Bezirksgericht für HandelssachenWien.
Klagende Partei: Karl Kraus,
Schriftsteller in WienIII., Hintere
Zollamtsstrasse Nr. 3
durch:
Beklagte Partei: „Wipag“ Wiener Plakatierungs- und AnzeigenGesellschaft
m.b.H., Wien I.,
Jasomirgottstrasse Nr. 2, zu Handen eines der Geschäfts
führer: Karl Pikolon, Dr. Karl Rusleitner,
Kmzl. R. Johann Sagl.
wegen S 169.– 2 fach
1 Rubrik
1 Vollmacht
1 Beilage
Klage.
Die klagende Partei hat das bei
liegende Plakat
1) verfasst und Herrn Martin Jahoda, Ange
stellten der
Firma Jahoda & Siegel und Herrn Dr. Oskar Samek
ersucht, in seiner
Vertretung das Plakat der beklagten Partei zum
Anschlagen zu übergeben und mit ihr Preis und Zeit
des Anschlagens zu
vereinbaren.
Am Montag den 2. Mai 1927
rief
Herr Martin Jahoda im Namen der Firma Jahoda & Siegel die
„Wipag“ telefonisch an, erkundigte sich nach den
Plakatierungs
preisen und nach dem Zeitpunkte, wann ein Mittwoch oder
Donnerstag zu affichierendes
Plakat spätestens der „Wipag“
übergeben werden müsse. Man
gab ihm daraufhin die Preise be
kannt und sagte,
dass die Uebergabe an die „Wipag“ tags
vorher erfolgen
müsse. Gleichzeitig fragte der am Telefon
verhandelnde Herr, als Herr Martin
Jahoda ihn wegen der An
zahl der in
Betracht kommenden Stellen befragte, nach dem
Inhalt des Plakates, den
Herr Martin Jahoda als politischen
angab. Daraufhin verlangte
man bei der „Wipag“, dass das
Plakat vorher zur Ansicht
vorgelegt werde.
Am 3. Mai 1927 war Herr MartinJahoda mit Dr. Oskar Samek gegen 1/2 11 Uhr bei der „Wipag“,
um Preis und Anzahl der zu
affichierenden Plakate und die
Zeit der Affichierung zu vereinbaren. Es wurde ihnen bei
dieser Gelegenheit von einem
Herrn an der Kassa die Mög
lichkeit der
Affichierung für Donnerstag Früh zugesagt, je
doch wieder die
Einsichtnahme in das Plakat verlangt. Dr.Samek erklärte
daraufhin, dass er das Plakat erst unmittel
bar vor der
Vereinbarung vorlegen könne und wolle, und ver
langte, weil der
mit ihm verhandelnde Beamte erklärte, selbst
darüber nicht entscheiden zu
können, die Bekanntgabe einer
Zeit, wenn er den massgebenden Herrn der „Wipag“, der das
Entscheidungsrecht habe,
sprechen könne. Es wurde ihm mit
geteilt, dass
dieser Herr am 4. gegen 11 Uhr vormittags
anwesend sein werde. Zur
angegebenen Zeit waren Herr Martin
Jahoda und er zur Stelle und wollten das Plakat zur
Einsicht vorlegen und den
Vertrag abschliessen. Der sie
empfangende Beamte, ein Herr Kopp, verlangte
das Plakat
zu sehen. Als Dr. Samek ihn darauf fragte, ob er derjeni
ge sei, der ihm
auch gleich die Erklärung abgeben könne,
ob das Plakat gebracht werde
oder nicht, sagte er jedoch,
der berechtigte Herr der Direktion sei gerade
weggegangen,
Dr. Samek möge das Plakat dort lassen. Dr. Samek verweigerte
dies unter Hinweis auf den
diskreten Inhalt des Plakates und
mit dem Ausdruck der
Befürchtung, dass dritte Personen von
dem Inhalt Kenntnis erhalten
könnten und verlangte die Bekannt
gabe der Zeit,
wann der massgebende Direktor zu sprechen sei.
Man sagte ihm, dies sei
ungewiss, worauf abgemacht wurde, dass
Herr Martin Jahoda telefonisch verständigt werde, wann eine
Besprechung mit dem
massgebenden Direktor am Nachmittag mög
lich sein werde,
und dass beide zur angegebenen Zeit wieder
hinkommen werden. Auch bei
dieser Gelegenheit fragte Dr.Samek neuerdings,
ob es genügt, das Plakat nachmittags hin
zubringen, wenn
es Donnerstag den 5. Mai Früh affichiert wer
den solle, was
ihm bejaht wurde.
Herr Jahoda wurde dann telefonisch
verständigt, dass der
massgebende Direktor nachmittags um
3 Uhr zu sprechen sein
werde. Herr Jahoda verständigte dann
Dr. Samek und beide waren pünktlich zur Stelle. Der
massgeben
de
Direktor kam cca. 1/2 Stunde später. Der schon
erwähnte
Herr Kopp ersuchte Dr. Samek, ihm das Plakat zu übergeben, da
mit er es dem Direktor zeigen könne, was auch geschah. Der
Direktor selbst empfing Dr. Samek und
Herrn Jahoda nicht.
Nach cca. fünf Minuten kam
Herr Kopp zurück und teilte mit,
dass die „Wipag“ das Plakat affichieren werde. Dr. Samek möge,
bei der Kassa die Anzahl der
Plakate bekanntgeben und den
Betrag bezahlen. Dr. Samek begab sich nun zu
dem Herrn an der
Kassa, mit dem er zuerst
gesprochen hatte, und bestellte die
Affichierung des Plakates an
hundert Tafeln und sechzig Säu
len. Hundertsechzig Plakate waren bereits durch den Diener
der Druckerei Jahoda & Siegel zur „Wipag“ gebracht worden,
überdies befand sich in
deren Händen das eine Exemplar, wel
ches Dr. Samek zur Ansicht vorgelegt hatte, als
Archivexemplar.
Dr. Samek fragte vorsichtshalber noch einmal, ob
der Anschlag
Donnerstag Früh
erfolgen werde, worauf ihm der Herr bei der
Kassa mitteilte, dass der
Anschlag erst am Freitag erfolgen
könne, weil bereits eine
andere Einteilung getroffen worden
sei. Als Dr. Samek energisch darauf hinwies, dass ihm die
Affichierung für Donnerstag
Früh zugesagt worden war und nun
mehr mit dem
massgebenden Direktor zu sprechen verlangte, sagte
man ihm, dass der Direktor bereits wieder weggegangen sei, auch
Herr Kopp sei nicht mehr anwesend. Der Beamte verpflichtete
sich jedoch, die
Affichierung an den Wänden schon Donnerstag
um die Mittagstunde, an den
Säulen Freitag Früh vorzunehmen.
Dazu wurde noch die
Möglichkeit in Aussicht gestellt, dass bei
Umdisponierung der Anschlag
schon Donnerstag vormittags vorge
nommen werde.
Gleichzeitig verlangte die „Wipag“ zwanzig
Exem
plare des
Plakates, wie sie angab, um etwa beschädigte ersetzen
zu können. Diese zwanzig
Exemplare sollten ihr Donnerstag Früh
übersendet werden, was auch
geschah.
Am Donnerstag den 5. Mai
erschien das
Plakat nirgends.
Dagegen erschien ein Artikel in der
„ArbeiterZeitung“
über die Staatsbürgerschaft des Herrn Bekessy,
aus
dem klar ersichtlich
war, dass das Plakat der Redaktion zur
Kenntnis gebracht worden
war. Die klagende Partei beauftragte
daher ihren Anwalt Dr. Samek, einen Brief an die „Wipag“ zu
verfassen, in welchem, unter
Hinweis auf die Indiskretion und
die dadurch erfolgte
Entwertung der Plakatierung, der Rücktritt
vom Vertrag angezeigt werden
sollte, wobei sich die klagendePartei die
Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen vorbe
halte. Ehe dieser
Brief aber noch geschrieben und abgeschickt
worden war, erhielt der Verlag der Fackel am 6. Mai 1927 vor
mittags durch
Boten ein Schreiben, mit welchem die „Wipag“
den Anschlag
ablehnte und zwar mit der Begründung, weil ihr
durch die Bezeichnung des
Herrn Bekessy als Schuft eine Ver
folgung wegen
Mitschuld an der Ehrenbeleidigung entstehen
könnte, so dass „dem verantwortlichen Leiter dieser Unterneh
mung wohl
nicht zugemutet werden könne, sich einer strafrecht
lichen
Verfolgung auszusetzen.“
Am Nachmittag des 6. Mai kam
HerrKopp, der vorher
schon im Verlag der Fackel gewesen und
von
diesem an Dr. Samek gewiesen worden war, zu Dr. Samek in die
Kanzlei, um ihm mitzuteilen,
dass die „Wipag“ vom Rathaus be
auftragt worden
sei, das Plakat anzubringen. Mein Anwalt lehn
te nunmehr die
Plakatierung ab und zwar im Sinne der ihm
tagsvorher von mir erteilten
Information, wobei Dr. Samek
Herrn Kopp auf den Kopf zusagte, dass die „Wipag“ eine Indis
kretion begangen
und das Plakat der „Arbeiter-Zeitung“
ausge
folgt
habe. Herr Kopp antwortete darauf nur, dass er
„von gar
nichts wisse“, nicht
aber, wie man erwartet hätte, dass etwas
derartiges bei der „Wipag“ unmöglich sei. Dr. Samek verlangte
von Herrn Kopp, dass die Plakate unverzüglich zurückgestellt
werden. Als die Firma Jahoda & Siegel
Dr. Samek einigemale
verständigte, dass die
Plakate nicht zurückgestellt worden
seien, hatte er dann
telefonisch nochmals die „Wipag“ zur
Rückstellung der Plakate
aufgefordert und ihr sogar die An-
zahl der übergebenen
Plakate, 181 Stück, genannt. Die „Wipag“
stellte am 9. Mai der Firma
Jahoda & Siegel nur 175 Plakate,
al
so um 6
Stück weniger zurück, worauf Dr. Samek sie
mittels re
kommandierten Schreibens neuerlich aufforderte, diese 6 Plaka
te unverzüglich
zurückzustellen, und nochmals darauf hinwies,
dass dieses Manko der
Exemplare seine bereits Herrn Kopp mit
geteilte
Vermutung bestätige, dass die „Wipag“,
wiewohl sie
die diskrete
Behandlung der Angelegenheit versprochen habe,
was übrigens auch ohne
Abmachung selbstverständlich wäre, das
Plakat dritten Personen
gezeigt, ja sogar überlassen habe.
Sein Anwalt machte die „Wipag“ darauf aufmerksam, dass sie sich
die Folgen dieses Vorgehens
selbst zuzuschreiben haben werde.
Mit Schreiben vom 13. Mai 1927 übersendete die „Wipag“ endlich
meinem Anwalt die 6
Exemplare, zu einer Zeit wo in Wien eine
grössere Anzahl Plakate in
Trafiken, Buchhandlungen und durch
Postsendungen an Politiker
verbreitet war, ohne auf den ihr
gemachten Vorwurf zu
reagieren.
Dadurch, dass die „Wipag“ das Plakat
der „Arbeiter-Zeitung“ vor der Anbringung überlassen hatte und
diese in die Lage versetzt
war, zwar ohne Nennung des Plakates
gegen dessen Inhalt zu
polemisieren und deshalb beim späteren
Erscheinen des Plakates
dessen Forderung als überholt hinge
stellt hätte
werden können, ist mir ein Schaden entstanden und
zwar so, dass die
Druckkosten des Plakates in der Höhe von
S 62.– vergeblich
aufgewendet worden sind und überdies der
gleichzeitig erscheinende
Separatabdruck des Plakates nur in
einer geringeren Auflage
abgesetzt werden konnte, während an
derenfalls,
besonders bei dem billigen Preis des Abdrucks, näm
lich 10 g, eine
grössere Auflage verkauft hätte werden können.
Verkauft wurden zirka 1.400
Exemplare, während bei auftragsge
mässer
Durchführung der Plakatierung oder auch nur ohne die
Indiskretion der beklagten Partei, mindestens 6.000
Exemplare
verkauft hätten werden
können, der Reingewinn wäre dadurch
um S 107.– höher gewesen.
Beweis: a) Ueber den Vertragsabschluss und die damit
zusammenhängenden Vorgänge:
Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt in
Wien I., Schottenring Nr. 14, Martin Jahoda, Wien III., HintereZollamtsstrasse Nr.
3, Herr N. Kopp, Angestellter der beklagtenPartei, Wien I., Jasomirgottstrasse Nr.
2 als Zeugen, Parteien
vernehmung.
b) Ueber die begangene
Indiskretion der be
klagten Partei: Herr Nationalrat Friedrich
Austerlitz, WienV., Rechte Wienzeile Nr.
97, Herr N. Kopp, Angestellter der beklagten
Partei, Wien I.,
Jasomirgottstrasse Nr. 2, der mit
Herrn Dr. Oskar Samek verhandelnde Herr an der
Kassa, dessen
Name und
Adresse bekanntzugeben der beklagten Partei
aufge
tragen
werden möge, als Zeugen, Parteienvernehmung.
c) Ueber die Druckkosten und
die Höhe des Ver
dienstentganges: Herr Martin Jahoda als Zeuge,
Sachverständige.
Ich stelle daher durch
meinen mit
beiliegender
Vollmacht ausgewiesenen Anwalt das Begehren
auf
Fällung des
Urteiles:
Die beklagte Partei ist schuldig der klagenden Partei den Be
trag von S 169.–
samt 7% Zinsen vom Klagstage und die Prozess
kosten binnen 14
Tagen bei sonstiger Zwangsvollstreckung zu be
zahlen.