Sehr geehrter Herr Kollege!


Ich hatte, wie Ihnen bekannt, im Voll
machtsnamen des Herrn Karl Kraus eine Berichtigungsklage gegen den verantwortlichen Redakteur der
Arbeiter-Zeitung“ eingebracht, über welche auf
den 19. Juli die Verhandlung anberaumt wurde. Diese
Verhandlung wurde vertagt, weil die Zustellung an den
Beklagten nicht ausgewiesen war. Ich beehre mich Ihnen
nunmehr im Namen meines Mandanten die folgende Mit
teilung zu machen. Da er es für unangebracht hält, an
gesichts des Ungeheuerlichen, das wir inzwischen er
lebt haben, über eine preßrechtliche Angelegenheit
formaler Natur entscheiden zu lassen, so war schon für
den Termin vom 19. Juli beabsichtigt, auf die Durch
führung der Verhandlung zu verzichten und dem Beklagten
nahezulegen, den seinerzeit in Vorschlag gebrachten
Sühnebetrag der Sammlung für die Opfer der Kata
strophe zu widmen, welchem Zweck ich auch meine
Kosten zugedacht hatte. Da der Termin nun vertagt
wurde, gebe ich Ihnen bekannt, daß mein Mandant – un
beschadet unserer Rechtsansicht, nach der die Berich
tigung dem Preßgesetz, vollkommen entsprochen hatte,
aber auch ganz jenseits dieser Frage der verstümmelte
Abdruck gesetzwidrig war – auf den Prozeß in der fol
genden Erwägung verzichtet. Es wäre ihm der Ausgang,
an dem er gar nicht zweifelt: daß die „Arbeiter-Zeitung
zum Abdruck der Berichtigung gezwungen wäre, nunmehr
geradezu unwillkommen. Denn da er den Wunsch hat, daß
die „Arbeiter-Zeitung“ den Raum ihrer nächsten Wochen
mit keinem anderen Text fülle als mit der Beweisauf
nahme über die Untaten der Polizei und mit der Samm
lung von Dokumenten wie dem erschütternden Bericht der
armen Frau aus Floridsdorf, so kann er doch gewiß nicht
wünschen, diese Gelegenheit selbsttätig durch Ein
rückung einer Zuschrift zu verkürzen, die beim nicht
orientierten Leser den Eindruck erwecken müßte, als
ob eben ihrer Materie sein derzeitiges Interesse ge
widmet wäre. Ich bitte Sie überzeugt zu sein, daß die
se Erwägung und keine andere das Motiv für die Zurück
ziehung der Preßklage bildet, welche natürlich be
dingungslos erfolgt.


Mit dem Ausdruck kollegialer Hochachtung