Wirtschaft und Öffentliche Sicherheit. Vortrag gehalten im Niederösterreichischem Gewerbeverein von Polizeipräsident Schober


Im Namen der Republik!


Der Angeklagte Johann Schober wird von der Anklage am
24. Februar 1928 in Wien im Festsaale des NiederösterreichischenGewerbevereines im Verlaufe eines Vortrages über: „Wirtschaftund öffentliche Sicherheit“ a) durch die Aeusserung: „– – –
dass der Zweck seines Vortrages sei, in kurzer und gedrängter
Weise ein einigermassen anschauliches, wahres Bild der öffent
lichen Sicherheit zu zeichnen, das erheblich abweicht von dem
Zerrbild, das einige Blätter und einige Personen zu zeichnen ver
sucht haben. Wenn man die von ihm geleitete Behörde Monate hin
durch wider besseres Wissen Tag für Tag verspotte und verhöhne,
sie als unfähigste und volksfeindliche Behörde hingestellt habe,
dann sei es an der Zeit, dass er als Chef dieser Behörde den Mund
auftue … Er sei dies schon seinen Mitarbeitern, allen braven
Männern vom Vizepräsidenten Dr. Pamer angefangen bis zum jüngsten
Wachebeamten schuldig …“


b) Durch Zitierung eines Spruches in dem „vom losen Maul“ der
Angreifer gesprochen wird,
den Privatankläger Karl Kraus zu a) fälschlich strafbarer (nach
Art. V des Ges. vom 17.12.1862, RGBL. Nr 8 ex 1863) bezw. durch
Mitteilung von erdichteten oder entstellten Tatsachen namentlich
oder durch auf ihn passende Kennzeichen einer bestimmten Unehren
haften oder solchen unsittlichen Handlung beschuldigt zu haben,
welche diesen in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen
oder herabzusetzen geeignet ist
zu b) dem öffentlichen Spotte ausgesetzt zu haben und er habe
hiedurch die Uebertretung gegen die Sicherheit der Ehre nach
§ 487 bezw. 488 StG und § 491 StG begangen, gem. § 259 % 3 StPO
freigesprochen.


Die Kosten des Strafverfahrens sind gem. § 390 StpO vom P.A. zu
tragen.


Gründe:


Auf Grund der durch den Verteidiger vorgebrachten Verantwortung
des Beschuldigten, sowie Vorlage der in Druck erschienenen Rede
des Besch. im Niederösterreichischen Gewerbeverein, ist der im
Urteilstenor angeführte, vom P.A. unter Anklage gestellte Wort
laut, mit Ausnahme einer einzigen strittigen Stelle. Frage, ob
der Beschuldigte von Parlamentariern oder Personen gesprochen hat,
unbestritten und daher als erwiesen. Die unter Anklage gestellten
Aeusserungen würden gegen bestimmte Personen gerichtet den Ver
wurf strafbarer bezw. bestimmter unehrenhaften Handlungen im Sinne
der §§ 487, 488 Str.G. objektiv begründen, bezw. einer Verspottung
nahekommen, obzwar die im Ausdruck „loses Maul“ liegende Gering-
schätzung vom Äussernden mit der strafbaren, unehren
haften Handlung der diese gekennzeichne nd t en Personen motiviert und
den eigenen unentwegt pflichtgemässen Verhalten entgegengestellt
wird. Das Gericht hatte zunächst die Frage der aktiven Klags
legitimation des heutigen Privatanklägers zu überprüfen, die Frage
nämlich, ob in dem vorliegenden Falle, durch die aus der Rede
herausgegriffenen Vorwürfe, selbst wenn darin von „Personen“ die
Rede war, der Privatankläger mit auf ihn passende Kennzeichen
getroffen worden ist u. getroffen werden sollte. Wenn auch der P.A.
zur Stützung der Anklage ausführt, dass der P.A. Karl Kraus allein
als ausserhalb der Politik stehende Person, welche Angriffe gegen
die Polizei und deren Präsidenten erhoben hatte, in Betracht kommt
und auf die am Vortage im Parlament erfolgten Angriffe, wobei auch
die Angriffe des P.A. zu Sprache kamen, hinweist und sich darauf
beruft, dass der Vortrag des Besch. eine Verteidigungsrede sein
sollte, so muss dem entgegen gehalten werden, dass der Vortrag
im Wesentlichen das Thema: „Wirtschaft und öffentliche
Sicherheit“ behandelte, streng sachlich und leidenschaftslos ge
! halten war und nur der Schluss
auf Angriffe von einzelnen Blättern und
einzelnen Personen Bezug nimmt. Das Gericht ist der bestimmten
Ansicht, dass, selbst wenn das Wort „Personen“ gefallen sein
sollte, dieser Ausdruck zu allgemein gehalten ist, um auch nur
im Entferntesten darauf schliessen zu lassen, dass es in der Ab
sicht des Vortragenden lag, dem P.A. damit zu treffen. Richtig ist
ja, dass die Polizeibehörde und deren Präsident wiederholt in
Zeitungen und auch sonst von Parlamentariern die ja auch unter
dem Ausdruck „Personen“ zusammengefasst werden können, angegriffen,
worden sind und es ist daher ganz gut verständlich, dass der Beschuldigte besonders hervorzuheben beabsichtigte, dass das, was
er auf Grund von statistischen, und sonstigen Daten über Wirt
schaft und öffentliche Sicherheit vorgetragen habe in krassem
Widerspruch mit den Zerrbildern in Zeitungen steht und dass er die
Leistungen seiner Behörde gegen jeden Angreifer verteidigen könne
Der Beschuldigte hat auf die in die Oeffentlichkeit getragenen
Angriffe ganz im allgemeinen und nicht auf besondere Fälle hin
gewiesen. Bezeichnend ist hier, dass die Klage selbst hervorhebt,
der Besch. habe davon gesprochen, dass „man“ „Tag für Tag“ (trifft
beim P.A. nicht zu) „verspotte und verhöhne“. Bezeichnend ist ferner,
dass die Affäre Bekessy, die der P.A. gewissermassen als Spezialität
!seiner Angriffe hinstellt, mit dem Vortragsthema gar nichts zu tun
hatte und in dasselbe auch gar nicht einbezogen wurde, schliesslich
die Aeusserung, man könne nicht jedermann das lose Maul verriegeln
!!(quicunque).


Das Gericht ist auf Grund dieses Sachverhaltes zur Ueberzeugung
gekommen, dass der P.A. Karl Kraus zur Klage nicht legitimiert ist,
weil nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass
ihn die inkriminierten Anwürfe treffen sollten, zumal nur dann
von passender Kennzeichnung gesprochen werden kann, wenn die
Kennzeichnung nicht nur individuell (anders wie ein Overol)1
passen, sondern auch vom Aeussernden selbst gesetzt wurden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die bezogene Gesetzesstelle.


Richter: Wien, am 20. April 1928 Schriftführer:
Dr. Korst Dr. Schlöser


P.K.B 10.– S von Dr. Samek einheben.