PanBerliner TageblattVerleumdungsparadiesPrager PresseDie Fackel


Hochgeehrter Herr Doktor!


Mit dem besten Dank für Ihre freundliche Einsendung vom 10.
November antworten wir: 1. Herr K., der Ihre Grüße herzlich erwidert, erin
nert sich wohl an die Bemerkung, die Sie im Künstlerzimmer gemacht haben,
aber auch daran, daß davon die Rede war, durch die Erörterung könne die
feste juridische Grundlage des geschlossenen Inseratenvertrags nicht tan
giert werden. Ein juristisches Argument konnte ja auch der Hinweis des
gegnerischen Anwaltes nicht bilden. Im Gegenteil ist doch gerade die Offen
heit und Öffentlichkeit der Erörterung der Inseratenfrage ein Beweis gegen
die „Irreführung“ oder gegen die Annahme, daß „Treu und Glauben“ verletzt
worden sei. Falls Sie Berufung für geraten halten, kommt wohl dieses Argu
ment in Betracht. Auch ganz besonders, daß die seinerzeit erbetene Annonce
doch ein Heft betraf, das, wie auch aus der Einleitung der Notiz „Die fürmich geeignete Ware“ hervorgeht, eine Abrechnung mit demselben Mitarbeiter
des Blattes betraf. Ganz lustig ist auch die Stelle in dem Bettelbrief, wo
der Auftrag „An jedes Büro“ erbeten wird. Am wichtigsten ist aber, daß ge
rade der öffentliche Vortrag (der vom Blatt inseriert wurde) der Beweis da
für ist, daß Treu und Glauben nicht verletzt wurde, während im Gegenteil
die Geheimhaltung einer listigen Absicht auf Durchsetzung der Annonce
gleichgekommen wäre. Wenn der Büroleiter gefragt hätte, was es für „Akten“
seien, hätte man ihm doch ohneweiters Bescheid gegeben. Ihr Schriftsatz ist
in allen Teilen durchaus richtig. Es ist einfach ungeheuerlich, daß ein
Inseratengeschäft, das noch nie die Ware selbst geprüft hat, ermächtigt wird,
mißliebige Kunden selbst nach Vertragschließung abzuweisen, wo doch schon
die vorherige Abweisung offenbar unerlaubt wäre. Unrichtig ist im Schrift
satz – was freilich heute irrelevant ist – nur die Erwiderung auf den
Punkt des Geschworenenurteils. Das Stimmenverhältnis ist nicht geheim, und
die Verurteilung erfolgte (infolge totalen Nichtverständnisses der Materie)
tatsächlich einstimmig. Die Lüge bestand nur in der Behauptung, das Urteil
wäre gegen eine bewußte Wahrheitswidrigkeit, gegen eine „Verleumdung“ er
gangen.


2.) Der Ausschnitt wurde Ihnen von uns zugesandt, da er mögli-
cherweise im Wolff-Fall, in einem Zusammenhang mit den Pariser Renomma
gen des Kerr zu verwenden wäre. Unsere Frage, ob Sie den ersten Brief er
halten haben, ist noch nicht von Ihnen beantwortet worden; auch ob die
zwei Telegramme eingelangt sind. Die Kopien der Wolff-Briefe treffen
hoffentlich noch heute ein. 3


3.) Herr Wolff scheint zu glauben, daß „Lüge“ so viel bedeutet
wie Unwahrheit. Immerhin beschuldigt er aber den Sterbenden der Lüge als
einer bewußten Unwahrheit. Sehr drollig ist, daß der Herr Wolff die Ver
wendung der Lithfaßsäulen für eine unerlaubte Reklame hält, den Annoncen
teil seines Blattes jedoch, den er versperrt, für eine Gelegenheit zu er
laubter Reklame, d.h. wenn er sie erlaubt. Die Plakatierung einer Zeit
schrift mit einem Hymnus auf den Kerr würde er für keine unerlaubte Rekla
me halten. Die Idee, daß die bezahlte Verwendung eines legitimen Mittels
der Ankündigung der Beweis für „Reklamesucht“ sei, ist hirnrissig oder Ton
fallsschwindel. Von einem „Herumtragen lassen“ von Plakaten kann natürlich
keine Rede sein. Herr Wolff, der das Berliner Tageblatt doch sicherlich
herumtragen läßt, scheint in jedem andern Fall etwas gegen die Errungen
schaft der freien Kolportage zu haben. „Hervorhebung von allerlei Schimpf
worten“ ist gleichfalls eine Unwahrheit. Das einzige war „Schuft“ und
dies ist im vorliegenden Fall keines, sondern die Charakterisierung des
Denunzianten (durch ein Zitat). Vielleicht hält er aber den Eigennamen in
dem Satz „Die Akten zum Fall Kerr“ für ein Schimpfwort. Der Feldzug gegen
Herrn Kerr verdiente es durchaus, zur „Sensation“ zu werden, und es ist
nur traurig, daß man da durch Affichen noch nachhelfen muß.


Was der Wolff über den Vortrag sagt und durch einen Zeugen be
weisen lassen will, ist eine Unwahrheit. Es war nicht gesagt worden, der
Angeschuldigte habe den Kerr unter der gewissen Bedingung verpflichtet,
sondern bloß: daß diese Behauptung unwidersprochen geblieben sei. Das war
gegen die Notiz „Verleumdungsparadies“ ausdrücklich auseinandergehalten.
Die Stelle in dem Vortrag lautet wörtlich:


„ Ich weiß, daß es ein frecher Schwindel (des Kerr) ist, wenn vor
den Lesern des Berliner Tageblatts so getan wird, als ob ich mir diese
Worte eines Sterbenden, das von ihm behauptete Faktum, unmittelbar zu
eigen gemacht hätte. Denn ich habe bloß darin die Schande erblickt, daß
die in der ‚Prager Presse‘ enthaltene Beschuldigung unwidersprochen geblie
ben ist. Dieser Umstand macht sie allerdings hinreichend glaubhaft, selbst
wenn es nicht die Worte eines Sterbenden wären, die als Lüge hinzustellen
schon psychologisch schwer fiele. Was aber den Herrn Theodor Wolff anbelangt,
so werde ich ihm geeigneten Ortes Gelegenheit bieten, zu beweisen, daß sie
unwahr sind. Sollte ihm dies gelingen, so würde ihm immer noch der Beweis
mißlingen, daß ich gelogen habe, als ich behauptete, der Sterbende habe
jene Worte gesprochen.“


Daß dem Herrn Wolff, der es „weit“ von sich weist, daß ungünsti
ge Kritiken, die einer seiner „Schöpfungen“ gelten, ihn zu Gehässigkeiten
gegen den Kritiker veranlassen könnten – daß ihm also die Kritik der Fackel
aus dem Jahre 1899 erst jetzt bekannt geworden ist, ist so glaubhaft, wie
daß den Herren Kerr und Wolff die „Prager Presse“ nicht eher zu Gesicht
kam. Eher möglich ist, daß Herr Wolff in den Jahrzehnten vergessen hat, was
eigentlich sozusagen der Grundstein zu seiner Mißgunst war; aber nun wurde
er gewiß erinnert.


Vielleicht können Sie alle diese Gesichtspunkte für die Antwort
verwenden.


Zu Ihrer frdl. Einsendung vom 13. Nov., für die wir gleichfalls
bestens danken: Der Rat betr. Herrn Alsberg ist unverständlich. Solange wir
die Gründe, die Herr Dr. A. dafür angibt, nicht kennen, schließen wir uns
selbstverständlich Ihrer Ansicht an, umsomehr, als wir doch wohl annehmen
können, daß Sie es nach wie vor für eine sichere und gar nicht kostspielige
Angelegenheit halten.


Das „Losschlagen in breitester Öffentlichkeit“ ist ja längst be
gonnen. Der Weg zur „Nachwelt“, auf den ja allerdings die gesamte Berliner
Justiz zu verweisen scheint, würde aber unseres Erachtens kaum mit der
Durchführung Ihres Vorschlags betreten werden können. Sie wollten in dem
vorgeschlagenen Titel wohl sagen: „In den Tumult gerufen“ und der Unter
titel hätte nicht „Du bist so schön“ zu lauten, sondern wieder: „… es war
doch so schön“. Das Motto wäre gewiß gut, aber nur in seinem zweiten Teil;
mit der Bezeichnung „sadistisch“ wäre das Niveau der Kriegslyrik erhöht.
Wir halten aber die Publikation des Herrn X. für unmöglich. Das Autorrecht
wäre auch auf diesem Wege, auch im Falle der Gratisverbreitung, verletzt
und selbstverständlich würde die Klage gegen den eingebracht werden, der
mit Recht als der X. vermutet wird.


Herr Dr. S. beschäftigt sich Ihrem Wunsch gemäß mit der Angelegenheit.
Für heute nur so viel:


S. 8 des Urteils. Nie ist eine Ankündigung des Antragsgegners er
folgt, er werde die Werke des Antragstellers veröffentlichen, „um ihn
lächerlich zu machen“; sondern um wahrheitsgetreu zu offenbaren, zu welchen
Leistungen er im Gegensatz zu seiner heutigen Gesinnung damals fähig war.
Hier hat das Gericht seine Interpretation in den Text des Antragsgegners
verwandelt. S. 10: „… in der gesagt ist, der Antragsgegner werde über
das Autorrecht des Antragstellers verfügen. Diese Wendung gibt klar die
Absicht des Antragsgegners wieder, den Antragsteller durch Veröffentli
chung von Gedichten zu schädigen, um ihn lächerlich zu machen“. Hier ist
nicht nur falsch interpretiert, sondern auch der Text gefälscht. Die
Stelle lautet ganz anders und ist auf S. 4 richtig zitiert, freilich auch
dort schon falsch herangezogen. Die Stelle lautet: „verfüge ich“ und be
zieht sich überhaupt nicht auf die Gedichte, sondern drückt aus, der Kerr
sei in der Polemik schlechter dran, müsse den Kürzeren ziehen, weil Herr
K.K. ihn, d.h. seine späteren polemischen Antworten bloß abzudrucken
braucht, um mit ihm fertig zu werden, genau wie er seine Schriftsätze
bloß abzudrucken brauchte. Dieses Motiv ist stilgemäß die Wiederaufnahme
eines Motivs aus dem Anfang der Schrift „Der größte Schuft“. Dort und
hier ist nur davon die Rede, daß Herr K.K. das Autorrecht des Kerr, das
dieser nicht ausübt, da er seine eigenen Schriftsätze nie abzudrucken
wagte, nur verwenden muß, um Oberhand zu behalten. Ein altes Motiv aus
diesem Kampf, schon im Jahre 1911 gesetzt: nach Abdruck des Kerr-Angriffs
im „Pan“ heißt es dort: „Es ist das Stärkste, was ich bisher gegen den K.
unternommen habe“. Immer wieder steht das in der Fackel; immer wieder
ist gesagt, daß man seine Antworten bloß abzudrucken braucht. An jener
Stelle ist an die Kriegsgedichte überhaupt nicht gedacht, geschweige denn
der Plan ausgesprochen, sie abzudrucken. Es liegt das gröbste Mißverständ
nis vor, vielleicht ein absichtliches. In Ihrem vorzüglichen Gutachten
scheinen Sie selbst diesem Mißverständnis sich nicht entzogen zu haben
(Punkt a von II). Wenn man dieses Argument im Hauptprozeß verwenden kann,
ohne gegen das Urteil berufen zu müssen, so könnte man auf die Berufung
verzichten.


In I ist nicht ganz verständlich, wieso die Beschwerung nur
eine unwesentliche ist. Ein Heft der Zeitschrift, die man in Österreich
verbreitet und das Kriegsgedichte enthielte, kann man in Deutschland
nicht verbreiten. Die kostenlose Sammlung der Kriegsgedichte kommt aus
den oben angegebenen Gründen wohl nicht in Betracht.


Den letzten Satz haben wir nicht ganz verstanden. („Sonst gäbe
es ja …“)


Die Rücksendung der frdl. übersandten Schriftstücke erfolgt
heute oder morgen durch Dr. Samek.


Mit wiederholtem Dank zeichnen wir
in vorzüglichster Hochachtung


P.S.
In der Klage des Kerr S. 6 ist eine grobe Fälschung enthalten. Das Zitat
S. 20 Juniheft enthält die Ankündigung des Drucks der Schriftsätze, nicht
der Gottlieb-Gedichte. Der „stürmische Beifall“ folgte diesem Versprechen.