Arbeiter-ZeitungDie FackelArbeiter-Zeitung, 11.3.1929


An das
Strafbezirksgericht IWien.


Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3,
durch:
Vollmacht ausgewiesen zu 1 U 20/29


Beschuldigter: Dr. Otto Leichter, verantwortlicher
Redakteur der Arbeiter-Zeitung in Wien V.,Rechte Wienzeile Nr. 97.


wegen §§ 23 und 24 Pr.G. 1 fach
1 Beilage


Privatanklage.


In der Nummer 70 des 42. Jahrganges derArbeiter-Zeitung vom 11. März 1929 erschien auf Seite 3 und 4 ein
Artikel „Literatur vor dem Handelsgericht“. In dem letzten Absatz
dieses Artikels mit der Sonderüberschrift „Die Uebung bei der
Fackel‘“ waren folgende mich betreffende Tatsachen unrichtig
mitgeteilt.


1.) Dass ich in dem Vortrag und Aufsatz „Rechenschaftsbericht“ zum Ausdruck gebracht habe, es gehe nicht darum, was
gestrichen wurde.


2.) Dass ich die Kürzungen in dem Aufsatz des Herrn FranzLeschnitzer als Vergewaltigung und Lumperei bezeichnet habe.


3.) Dass ich über das Recht Beiträge zu kürzen und abzu
ändern ganz anders denke, wenn es sich nicht um Beiträge für die
Arbeiter-Zeitung, sondern um Beiträge für die „Fackel“ handelt.


4.) Dass ich mich gar nicht selten gerühmt habe, den meinem
Blatte eingesendeten Manuskripte „Lichter aufgesetzt zu haben“,
was sicherlich viel einschneidendere Aenderungen gewesen sind
als die, die die Arbeiter-Zeitung dem Leschnitzer-Manuskript
widerfahren liess.


5.) Dass ich es mir als Verdienst anrechnete, die Manuskripte,
die mir zugegangen sind, nach Herzenslust verändert und korrigiert
zu haben.


Zum Verständnis des Artikels und der Berichtigung
sei bemerkt, dass Herr Franz Leschnitzer der Arbeiter-Zeitung zum
60. Geburtstage Stefan Georges einen Artikel eingesendet hat, aus
welchem die Arbeiter-Zeitung einen mich betreffenden Satz, ohne
die Zustimmung des Autors einzuholen, eliminierte. Herr FranzLeschnitzer hat deshalb vor dem Bezirksgericht für Handelssachen
die Arbeiter-Zeitung auf Veröffentlichung der eliminierten Stelle
geklagt. Der Artikel der Arbeiter-Zeitung vom 11. März 1929 be
schäftigt sich mit diesem Prozess, den ich bereits in dem Aufsatz
Rechenschaftsbericht“ gleichfalls erwähnt und besprochen habe.


Ich habe den Beschuldigten durch meinen Anwalt Dr.
Oskar Samek mit Schreiben vom 14. März 1929 aufgefordert, diese
Stellen des Artikels zu berichtigen. Das Berichtigungsschreiben
lautete:


„An den verantwortlichen Redakteur der ‚Arbeiter Zeitung
Herrn Dr. Otto Leichter, Wien V., Rechte Wienzeile Nr. 97.
Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus fordere ich die Aufnahme
der Berichtigung der in Ihrer Nr. 70 vom 11. März 1929 in dem
Artikel ‚Literatur vor dem Handelsgericht‘ mitgeteilten meinen
Mandanten betreffenden Tatsachen gemäss § 23 Pr.G.


Sie schreiben: ‚So hat es wenigstens Karl Kraus ge
sagt, der in dem ‚Rechenschaftsbericht‘, mit dem wir uns ausein
andergesetzt haben, jene ‚Kürzungen‘ in dem Aufsatz des HerrnLeschnitzer auch als ‚Vergewaltigung eines Mitarbeiters‘ be
zeichnet hat, ‚an dessen Manuskript die Tat hinterrücks begangen
wurde‘; das wäre – höchst schauderbar – ‚eine Lumperei gegen den
Einsender, dem ein geistiges Recht verkürzt wird‘. Wohlgemerkt
und gegen jeden Versuch einer Verdrehung gesichert; es geht gar
nicht darum, was gestrichen wurde, ‚Vergewaltigung‘ und ‚Lumperei‘
soll es sein, dass in einem Manuskript des Herrn Leschnitzer
überhaupt gestrichen worden ist.‘ Die in diesem Satz enthaltenen
Behauptungen sind unwahr. Es ist unwahr, dass Karl Kraus zum
Ausdruck gebracht hat, es gehe nicht darum, was gestrichen wurde.
Es ist unwahr, dass Karl Kraus gesagt hat, es sei Vergewaltigung
und Lumperei, dass in einem Manuskript des Herrn Leschnitzer
überhaupt gestrichen wurde. Wahr ist, dass Karl Kraus in dem
Rechenschaftsbericht‘ (S. 40) von der Vergewaltigung eines Mit
arbeiters gesprochen hat, ‚an dessen Manuskript hinterrücks die
Tat begangen wurde und zwar ausschliesslich aus dem Grund, weil
mein Name im Spiel war‘. Es ist unwahr, dass Karl Kraus gesagt
hat, es wäre eine Lumperei gegen den Einsender, dem ein geistiges
Recht verkürzt wird. Wahr ist, dass er (S. 42, 43) gesagt hat: ‚Der
Bekannte, dem ich meine Entdeckung mitteilte, schwor, dass es
sich erweisen werde, ich hätte mit meinem Verdacht der ArbeiterZeitung unrecht getan, weil eine solche Lumperei in solchen
publizistischen Kreisen denn doch nicht möglich sei, eine Lumperei
gegen den Einsender, dem ein geistiges Recht verkürzt wird, eine
Lumperei gegen mich, dem er die geistige Ehre zuerkennen wollte‘.
Wahr ist, dass er lediglich und ausdrücklich eine hinterrücks er
folgte Streichung und zwar die einer auf ihn bezüglichen Stelle
besprochen hat.


Sie schreiben: ‚Wir wollen deshalb feststellen, dass KarlKraus, wenn es sich nicht um Beiträge für die Arbeiter-Zeitung,
sondern um Beiträge für die ‚Fackel‘ handelt, über das Recht, sie
zu kürzen und abzuändern, ganz anders denkt‘. Diese Behauptung
ist unwahr. Wahr ist, dass er, wenn es sich um Beiträge für die
Fackel handelt, keineswegs anders denkt.


Sie schreiben: ‚Wir können das Datum nicht zitieren, aber
wir irren uns gewiss nicht, dass sich Kraus gar nicht selten ge
rühmt hat, den seinem Blatte eingesendeten Manuskripten ‚Lichter
aufgesetzt zu haben‘, was sicherlich viel einschneidendere Aende
rungen gewesen sind als die, die wir dem Leschnitzer-Manuskript
widerfahren liessen; wir lesen just in der letzten ‚Fackel‘ die
Bemerkung: ‚Ganz wie der korrigierende Plan es vermöchte, den ich
selbst so oft an fremde Manuskripte gewandt habe‘ und auch die,
‚der schöpferische Anteil des Striches kann grösser sein als der
des Restes‘. Die hier ausgesprochene und mit dem Zitat verknüpfte
Behauptung ist unwahr. Es ist unwahr, dass Karl Kraus sich gar
nicht selten gerühmt hat, den seinem Blatt eingesendeten Manuskrip
ten ‚Lichter aufgesetzt zu haben‘. Es ist unwahr, dass er diese
Worte gebraucht hat. Wahr ist, dass die in den anderen zitierten
Sätzen einbekannte Aenderung an fremden Manuskripten niemals
hinterrücks, sondern stets mit Wissen und Zustimmung der Autoren
erfolgt ist und dass diese Aenderungen oder Streichungen nicht
Stellen betroffen haben, deren Tendenz der Fackel nicht genehm
war, vielmehr stilistische und künstlerische Aenderungen an Versen
waren, sogar, wie es dort ausdrücklich heisst, an berühmten Werken
der Lyrik, ‚mit dem Nachweis, wie der Organismus eines Verses, der
in seiner Umgebung erstirbt, zu retten gewesen wäre‘.


Sie schreiben: ‚Aber welche Lächerlichkeit, da von einer
‚Vergewaltigung‘ des Autors zu reden, und wie sinnlos dieser
Anwurf von einem, der es sich als ein wahrhaftiges Verdienst (und
es kann eines gewesen sein!) anrechnet, die Manuskripte, die ihm
zugegangen sind, nach Herzenslust verändert und korrigiert zu
haben!‘ Es ist unwahr, dass Karl Kraus es sich als Verdienst
anrechnet, die Manuskripte, die ihm zugegangen sind, nach Herzens
lust verändert und korrigiert zu haben. Wahr ist, dass eine
Veränderung und Korrektur nur dann erfolgt ist, wenn der Autor
damit einverstanden und nicht, wenn es ihm gerade um die zu
streichende Stelle zu tun war, in welchem Falle die Ablehnung
des Manuskriptes erfolgt wäre. Rekommandiert mit Rückschein.
Dr. Oskar Samek m.p.“


Die Berichtigung wurde nicht veröffentlicht.
Beweis : Die Nr. 70 des 42. Jahrganges der Arbeiter-Zeitung.
Das Berichtigungsschreiben vom 14. März 1929, dessen
Vorlage dem Beschuldigten aufgetragen werden möge.


Ich stelle durch meinen zur G.Z. 1 U 20/29
ausgewiesenen Anwalt folgende
Anträge:


1.) Anberaumung einer Hauptverhandlung;


2.) Ladung des Beschuldigten;


3.) Verlesung des Berichtigungsschreibens und der vorgelegten
Zeitungsnummer;


4.) Bestrafung des Beschuldigten und Erkenntnis auf Veröffentli
chung der Berichtigung;


5.) Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten Hand mit
ihm des Eigentümers: Sozialdemokratische Partei Deutschösterreichs,
des Verlegers und Herausgebers: Verlag der Arbeiter-Zeitung Dr.Adler-Emmerling, sämtliche Wien V., Rechte Wienzeile Nr. 97, zum
Ersatz der Verfahrenskosten.


Karl Kraus.