G.Z. 1 U 139/29
An das
Strafbezirksgericht IWien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtsstrasse
Nr. 3,
durch:
Beschuldigter: Dr. Otto Leichter, verantwortlicher
Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“ in Wien V.,Rechte Wienzeile Nr.
97,
wegen §§ 23/24 Pr.G. 1 fach
Ausführung der Berufung.
Gegen das Urteil vom 30. April 1929, mit
welchem der Beschuldigte
von der gegen ihn erhobenen Anklage
freigesprochen wurde, habe
ich die Berufung wegen des Freispruches
und wegen vorhandener
Nichtigkeitsgründe angemeldet und um Zu
stellung einer
Urteilsausfertigung zum Zwecke der Ausführung der
Berufung gebeten. Die
Urteilsabschrift wurde meinem Anwalt am
9. Mai 1929 zugestellt. Ich
erstatte folgende
Ausführung der Berufung.
Ich mache den
Nichtigkeitsgrund des § 468,Ziffer 3
(281, Ziffer 9a) St.P.O. geltend.
Der Grundfehler, der sich
durch das ganze
Urteil zieht, besteht darin, dass es das, was den Stoff
der zu
berichtigenden
Tatsachen bildet, die Meinung des Herrn Karl Kraus
mit der Meinungssphäre
verwechselte. Jede Sphäre hat aber die ihr
gemässen Tatsachen, das
gewöhnliche tägliche Leben Handlungen:
Literatur, Kunst und Politik
Meinungen. Es wäre absurd z.B. einem
Philosophen das
Berichtigungsrecht abzusprechen, wenn eine von ihm
in einem Werk ausführlich
behandelte Hypothese in einem Zeitungs
bericht unrichtig
dargestellt wird. Denken und Gedanken wären vogel
frei, wenn er
nicht seine richtige Hypothese der falsch dargestell
ten
entgegensetzen dürfte.
Um nun zu entscheiden, ob es
sich bei der
vorliegenden Berichtigung
um eine Polemik, also um eine Bekämpfung
eines Werturteils handelt,
muss man lediglich untersuchen, ob in
dem berichtigten Artikel
Meinungen bekämpft oder falsch dargestellt
werden. Dass das Letztere
der Fall ist, geht schon aus der Über
schrift des
Absatzes, dessen Inhalt berichtigt wurde, hervor, der
von der „Uebung bei der ‚Fackel‘“ spricht. Die Mitteilung von
einer
Uebung ist eine
Mitteilung von Tatsachen. Der erste Absatz der Berichtigung berichtigt nun folgende Tatsachen:
a) dass Karl Kraus zum Ausdruck
gebracht hat, es gehe nicht
darum, was gestrichen wurde;
b) dass Karl Kraus gesagt hat, es
sei Vergewaltigung und
Lumperei, dass in einem Manuskript des Herrn
Leschnitzer
überhaupt
gestrichen wurde;
c) dass Karl Kraus gesagt hat, es
wäre eine Lumperei
gegen den
Einsender, dem ein geistiges Recht verkürzt wird.
Den Behauptungen a) und b)
wird entgegengesetzt,
was
Karl Kraus in
dem „Rechenschaftsbericht“ gesagt hat, der Be
hauptung c), dass
nicht er, sondern ein anderer
es gesagt hat.
Des Urteil erster Instanz meint nun, dass die
Stelle „es ist unwahr, dass Karl Kraus zum Ausdruck
gebrachthat …“
auch deshalb nicht dem Pressgesetz entspreche, weil in
dem Berichtigungsaufsatze gar nicht behauptet wurde, dass KarlKraus zum Ausdruck
brachte, dass es nicht darum gehe …. Das Gericht erster
Instanz hält sich hier an ein Wort und nicht an den
Artikel selbst. Zuzugeben ist, dass die Worte „Karl Kraus brachte
zum Ausdruck“ in dem Artikel nicht vorkommen. Das ist aber gleich
giltig. Der Artikel behauptet in Fortsetzung von Zitaten aus dem
Aufsatz „Rechenschaftsbericht“ von Karl Kraus, „es
gehe gar nicht
darum, was
gestrichen wurde, ‚Vergewaltigung‘ und
‚Lumperei‘,
solle es sein, dass in
einem Manuskript des Herrn Leschnitzer
über
haupt
gestrichen worden ist“. Damit hat die Zeitung mitgeteilt,
dass Herr Karl Kraus
dies zum Ausdruck gebracht hat. Die Zeitung
polemisiert gegen Herrn Karl Kraus,
weil er diese Ansicht ausge
drückt habe. Anders ist ja der Artikel nicht zu verstehen. Nun
ist es doch unmöglich die
Berichtigung etwa so abzufassen, dass
lediglich der Wortlaut des
zu berichtigenden Artikels verwendet
wird, weil eben, wenn auch nicht ausdrücklich, aber doch deutlich
ausgedrückt darin steht, dass eben dieser Gedankengang tatsächlich
von Herrn Karl Kraus stammt. Es muss
also zulässig sein, den
Herrn
Karl Kraus
unterschobenen Gedankengang als solchen darzu
stellen und dies
auszudrücken. Dass es sich aber dabei um etwas
handelt, was Karl Kraus zum
Ausdruck gebracht haben soll, geht
aus den Worten „wohlgemerkt und gegen jeden Versuch einer Ver
drehung
gesichert“ und auch aus den Worten „Wir wollen deshalb
feststellen, dass Karl Kraus
…“ des nachfolgenden Absatzes
hervor. Die Worte „es
geht gar nicht darum“ bis „gestrichen wor
den ist“ geben also eine zum Ausdruck gebrachte Ansicht des Herrn
Karl Kraus wieder und es ist
das Recht des Berichtigungswerbers,
zu entgegnen, dass er diese
Ansicht niemals zum Ausdruck gebracht
hat.
Der zweite Absatz der Berichtigung entspricht nach Ansicht
des Erstgerichtes deshalb nicht dem Pressgesetz, weil es keine
be
richtigungsfähige Tatsache sei, wie oder was jemand
„denke“. Die
se
Ansicht des Erstgerichtes ist falsch. Sie
wäre auch falsch, wenn
es
sich nicht wie in vorliegendem Falle um die Behauptung eines
zum Ausdruck gebrachten
Gedankens, sondern um die Behauptung des
blossen Gedankens handelte,
weil auch diese allerdings innere Tat
sache noch immer
Tatsache bleibt. Nun handelt es sich aber nicht
mehr um eine lediglich im
Inneren verschlossene Tatsache, sondern
um eine zum Ausdruck
gebrachte Tatsache, das Wort „Denken“ ist
eine Metapher für
„Schreiben, Sagen“ oder dgl., was aus der Ueber
schrift des
berichtigten Absatzes „Die Uebung bei
der ‚Fackel‘“
hervorgeht.
Auch in dem dritten Absatz
des Berichtigungsschreibens er
blickt das Urteil erster Instanz lediglich eine Polemik. Dies
mit
noch mehr Unrecht als
beim ersten Absatz des Berichtigungsschreibens.
Denn, ob Karl Kraus „sich gar nicht selten gerühmt hat den seinem
Blatt eingesendeten
Manuskripten ‚Lichter aufgesetzt zu haben‘“,
ist unbedingt eine Tatsache,
schon deshalb, weil ja der Beweis zu
führen wäre, ob Herr Karl Kraus
sich eines solchen Vorgehens ge
rühmt hat oder
nicht. Auch die weitere Ansicht, dass die Antithese:
„Wahr ist, dass die in den anderen zitierten Sätzen einbekannte
Aenderung … niemals
hinterrücks … erfolgt ist …“ durchaus
nicht den Thesen: „Es
ist unwahr, dass Karl Kraus sich gar
nicht
selten gerühmt
hat …“ und „Es ist unwahr, dass er diese Worte
gebraucht hat.“
nicht entspreche, entspringt einem Missverständnis.
Es handelt sich hier nicht
um Thesen und Antithesen, sondern sämt
liche vom Erstgericht zitierten Sätze sind Antithesen
zu den vorher
mitgeteilten
Behauptungen der Notiz. Die These in diesem Absatz des
Berichtigungsschreibens ist: „Die hier ausgesprochene und mit dem
Zitat verknüpfte Behauptung
ist unwahr.“ Was sich daran schliesst
ist Antithese, die nur
deshalb in zwei Sätzen gleichfalls mit
den einleitenden Worten „Es
ist unwahr“ dargestellt wird, weil
hier lediglich die
Behauptung der Zeitung zu negieren ist
und ihr ausser dieser
Negation keine andere positive Behauptung
entgegengestellt werden
kann. Es ist überflüssig in einer Be
richtigung zu
schreiben: es ist unwahr, dass ich verheiratet
bin, wahr ist, dass ich
nicht verheiratet bin. Die Darstellung:
es ist unwahr, dass ich
verheiratet bin, drückt These und Anti
these zur Genüge
aus. Gleiches liegt in diesem Falle vor. An
diese beiden Antithesen
schliesst sich nun eine weitere Anti
these an, welche
die Uebung bei der Fackel darstellt.
Hiezu war
es erlaubt und
notwendig, auch auf die ganze übrige Darstellung
des Berichtes einzugehen. Da in diesem zum Ausdruck gebracht
wurde, dass Karl Kraus die
Kürzungen an dem Aufsatz des Herrn
Franz Leschnitzer als
Vergewaltigung eines Mitarbeiters be
zeichnet habe, an
dessen Manuskript die Tat hinterrücks begangen
wurde, und wie der Schreiber
sagt, „wir deshalb feststellen
wollen“, dass
Karl
Kraus, wenn es sich um Beiträge für die
Fackel handelt, über das Recht sie zu kürzen und abzuändern
ganz
anders denkt, das heisst die gleiche Uebung
hat, ja dass sich
Karl
Kraus sogar gerühmt habe, Manuskripte, die ihm
zugegangen
sind, nach Herzenslust geändert und korrigiert zu haben, so war
es das Recht des Berichtigungswerbers, darzustellen, dass er
ganz anders, ganz entgegengesetzt als die Arbeiter-Zeitung dar
stellt, gehandelt habe, und in welcher
Weise er „Korrekturen“
an den eingesendeten
Manuskripten vorgenommen hat; dass er hie
zu immer die
Zustimmung der Autoren eingeholt hat, und dass es
sich hierbei lediglich um
stilistische und künstlerische Aenderun
gen an Versen an berühmten Werken der Lyrik, mit der
ausdrückli
chen Betonung der Aenderung zum Zwecke des ästhetischen Nachweises
gehandelt hat, „wie der Organismus eines Verses,
der in seiner Um
gebung erstirbt zu retten gewesen wäre“.
Dem letzten Absatz des Berichtigungschreibens erkennt das
Urteil erster Instanz die Rechtmässigkeit deshalb ab, weil „sich
als Verdienst
anrechnen“ keine berichtigungsfähige Tatsache sei
und der zwischen These und
Antithese erforderliche Gegensatz fehle.
Das „sich als Verdienst anrechnen“ ist aber ebenso eine berichti
gungsfähige
Tatsache, wie das im zweiten Absatz der Berichtigung
verwendete Wort „denken“ und auf den ersten Blick vielleicht noch
mehr als dieses, hier wird
schon beinahe direkt zitiert. Die Arbeiter-Zeitung hat zu belegen versucht, dass Karl Kraus „sich das Ver
ändern und Korrigieren nach Herzenslust“ als Verdienst angerechnet
habe. Sie hat also
behauptet, dass Karl Kraus
zum Ausdruck gebracht
hat, dass er es sich als Verdienst anrechnet, nach Herzenslust zu
verändern und zu
korrigieren. Das ist aber wieder nicht einmal
mehr eine im Inneren
verschlossene, nur der inneren Erkenntnis zu
gänglichen
Tatsache, sondern eine schon in die Aussenwelt gesetzte
Tatsache, einem Beweise
zugänglich und infolgedessen berichtigungs
fähig. Aber auch
das Wort „nach Herzenslust“ ist nicht eine Meinung,
sondern eine Tatsache,
insbesondere im Zusammenhang dieses Artikels
mit der Ueberschrift „Die Uebung bei der ‚Fackel‘“, und zu diesem
„nach Herzenslust“ ist es
eine genügende Antithese, wenn berichtigt
wird, dass solche
Veränderungen eben nicht nach Herzenslust, also will
kürlich und
hinterrücks, sondern immer nur mit Einverständnis des
Autors erfolgt
sind.
Ich beantrage daher durch
meinen bereits ausgewiesenen Anwalt die
Abänderung des erstgerichtlichen Urteils, Bestrafung des
Beschuldigten, Erkenntnis
auf Veröffentlichung der Berichtigung und
Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten Hand mit ihm
des Eigentümers und Herausgebers zum Ersatz der Verfahrenskosten.