1 U 139/29/9


Im Namen der Republik!


Vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien I als Berufungsgericht hat
gemäß der die Verhandlung anordnenden Verfügung vom 8.6.29., am 1.7.29.
unter dem Vorsitze des Hofrates Dr. Blaschke,
im Beisein des Hofrates Dr. Stepischnegg,
des Horates Dr. Zaczek,
des Oberlandesgerichtsrat Dr. Kellner als Richter
und des Justizsekretärs Dümel als Schriftführers
in Abwesenheit des Privatanklägers Karl Kraus,
in Gegenwart dessen Vertreters Dr. Oskar Samek,
in Abwesenheit des Angeklagten Dr. Otto Leichter, geb. am
22.II.1897, konfl., verantw. Redakt.
der „Arbeiterzeitung
und in Gegenwart des Verteidigers Dr. Oswald Richter
die Verhandlung über die Berufung des P.A. punkto Nichtigkeit und Strafe
gegen das Urteil des Strafbezirksgerichtes I in Wien vom 30. April 1929
Geschäftszahl 1 U 139/29/3 stattgefunden. Das Gericht hat über den
Antrag des Vertreters des P.A. auf Stattgebung der Berufung am 1. Juli
1929 zu Recht erkannt:


Die Berufung wird zurückgewiesen. – Gem. § 390a St.P.O. hat der P.A.
die Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.


Gründe:


Mit dem Nichtigkeitsgrunde des § 281/9a St.P.O. wird geltend gemacht,
dass der Erstrichter in der Verweigerung des Angeklagten, die vom P.A.
verlangte Berichtigung zu veröffentlichen, zu Unrecht den Tatbestand der
Übertretung nach §§ 23, 24 (2) 3 Pressgesetz nicht erblickt habe. Nach
Ansicht des Berufungswerbers handle es sich bei der vorliegenden Berichtigung nicht um eine Polemik gegen geäusserte Meinungen, sondern um die
Bekämpfung einer falschen Darstellung von Meinungen in dem berichtigten
Artikel, somit um berichtigungsfähige Tatsachen.


Das Berufungsgericht schliesst sich in dieser Frage vollkommen
der Ansicht des Erstgerichtes an und hält es gleichfalls nicht für
zulässig, dass literarisch-sprachliche Polemiken im Wege des Berich
tigungsverfahrens ausgetragen werden. Da die Ansicht des Erstrichters
auch hinsichtlich des mangelnden Gegensatzes zwischen These und Anti
these im 1., 3., und 4. Absatze des Berichtigungsschreibens zutreffend
erscheint und somit die Berichtigung ihrem ganzen Inhalte nach den Be
stimmungen des Pressegesetzes nicht entspricht, war die Berufung des
Privatanklägers als unbegründet zurückzuweisen.


Wien, am 1. Juli 1929 .
Der Vorsitzende:
Dr. Artur Blaschke mp.
Schmidt mp.
Für die richtige Abschrift!
Wien, am 17./8. 1929.
Kahlert


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