Berlin, den 3. Februar 1932
Klage
des Verlages „Die Fackel“, Wien III,Hintere Zollamtstrasse
3,
vertreten durch
den alleinigen Inhaber
Karl Kraus, ebenda,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt
Dr. Willy Katz, Berlin SW. 68,Friedrichstrasse
204
gegen
die Städtische Bühnen A.G.,
Frankfurt a./M., Hochstrasse 46,
vertreten durch den
Vorstand,
Intendant Dr. Kronacher.
– wegen: Forderung
Objekt: 2000.– Reichsmark.
An das
Bühnen-Schieds-GerichtBerlin
z.Hd. von Herrn Landgerichtsdirektor Weigert
Grunewald
Zwischen den Parteien wurde
im Mai 1929
ein
Aufführungsvertrag bezüglich des Wer
kes des Herrn Karl Kraus „Die Unüberwindlichen“
abgeschlossen. Der Aufführungster
min wurde von Seiten der Beklagten immer
wieder hinausgeschoben und
zuletzt kam durch
die
Schreiben des Wiener Rechtsanwalts
Dr. Samek, des Bevollmächtigten der Kläge
rin, vom 30.1., 3.2. und 3.3.1931 und die
die Antwortschreiben der Beklagten vom 29.2.,
25.2. und 12.3.1931 eine Abänderung des
Aufführungstermin
dahin zustande, dass die Aufführung,
die ursprünglich schon in
der Spielzeit 1929–1930 stattfinden
sollte, nunmehr in die
Spielzeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember
1931 verlegt wurde, jedoch
nicht in der Zeit zwischen 8. und
21. Dezember 1931 gestattet
war. Gleichzeitig verpflichtete
sich die Beklagte, die auf 2000,– Reichsmark (gegenüber 1000,–
Reichsmark des Aufführüngsvertrages vom 23. Mai 1929) erhöhte
Vertragsstrafe von 2000,– RM
zu bezahlen, wenn die Aufführung
nicht fristgemäss stattfinde
und ferner auch, wenn der defini
tive Aufführungstermin nicht
mindestens zwei Monate vorher
mitgeteilt worden sei.
Die Beklagte bestreitet zwar nach erhaltener Aufforderung
zur Zahlung der
Vertragsstrafe, eine Verpflichtung zur Auf
führung bis zum 31. Dezember
1931 eingegangen zu sein. Jedoch
bestreitet sie dies mit
Unrecht. Ich verweise hierfür auf die
vollständig in Abschrift
überreichte Korrespondenz der Parteien
von dem Zeitpunkt an, wo
sich die Beklagte um das Drama
„Die Unüberwindlichen“ bewarb. Ich verweise
insbesondere auf
das Schreiben des Rechtsanwalts Dr. Samek vom 5. Dezember 1931
an die Beklagte, in dem klar auseinandergelegt wird, wie der
Beklagten infolge ihrer fortgesetzten Säumnisse immer
neue
Konzessionen
bezüglich des Aufführungstermins gemacht wurden,
und wie schliesslich der
Beklagten in dem Schreiben des HerrnRechtsanwalt Dr. Samek vom 3.3.1931 die endgültigen
Bedingungen
angegeben
wurden, unter denen die Klägerin mit einer
nochma
ligen
Verschiebung der Aufführung auf den 1931 einver
standen war. Dieses Schreiben, in welchem auch die auf 2000,–
Reichsmark bemessene
Vertragsstrafe für den Fall als verwirkt
bezeichnet wurde, dass die
Beklagte nicht zwei Monate vor
dem Tage der Aufführung den
Aufführungstermin benannte, beant
wortete die Beklagte durch Schreiben vom 12.3.1931, worin sie
die den Erhalt des eben
genannten Schreibens vom 3.3.1931 be
stätigte und hinzusetzt:
„Wir erklären uns damit
einverstanden,
Karl Kraus ‚Die Unüberwindlichen‘ in der nächsten Spielzeit
herauszubringen.
Definitiven Aufführungstermin werden wir ihnen
zwei Monate vorher
mitteilen.“ Auch setzt die Beklagte in
diesem
Zusammenhang die Mitteilung hinzu, dass sie im Herbst
um freundliche Ueberlassung
der zugehörigen Partitur bitten
würde – ein Umstand, aus dem
zu folgen ist, dass sich die Beklagte damals ihrer
Verpflichtung, das Stück im Herbst
aufzu
führen,
wohl bewusst war. Wenn der Grundsatz, dass Verträge
unter Rücksichtnahme auf die
Anforderung von Treu und Glauben
auszulegen sind, überhaupt
einen Sinn hat, so hat die Beklagte
durch ihr Schreiben vom 12.3.1931 das ihr am 3.3.1931 ge
machte Angebot
vorbehaltlos angenommen, und die jetzt auf die
Zahlungsaufforderung der Klägerin erhobenen Einwendungen
bedeuten nichts weiter als
eine leere Ausrede. Es sei noch
darauf hingewiesen, dass die
Beklagte in vorhergehenden
Schreiben, so z.B. desjenigen vom 25.2.1931, Vorschläge die ihr
nicht passten, ausdrücklich
ablehnte, wie das Verlangen der
Klägerin nach Festsetzung der Vertragsstrafe in einer
nota
riellen
Urkunde. Hätte also die Beklagte wirklich
durch die
Worte „in
der nächsten Spielzeit“ eine Abweichung von der ihr
im Schreiben vom 3.3.1931 gestellten Bedingung im Sinne
ge
habt, so
ist hierzu zu sagen, dass sie die Nichtannahme der
ihr gestellten Bedingung
nicht ausgedrückt (viel
mehr durch die Worte „erklären uns damit einverstanden“ die An
nahme vorgetäuscht) und mit
ihrem Schweigen dolos gehandelt
hätte. Nach der
Verkehrsauffassung und nach ihrem ganzen bisheri
gen Verhalten hatte die Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass sie
das Schreiben der Klägerin vom 3.3.1931 in seinem ganzen Umfang
akzeptierte.
Die Vertragsstrafe ist
verwirkt, weil die Beklagte weder
die Aufführung des Werkes bis zum 31. Dezember 1931
vorgenommen
noch den
Aufführungstermin zwei Monate der Klägerin
vorher mit
geteilt
hatte.
In der Anlage überreiche ich
die Korrespondenz der Par
teien vollständig in
Abschrift und zwar:
1.) Telegramm Sackheim an
Verlag „Die Fackel“
6.5.1929
2.) Telegramm Verlag „Die
Fackel“ an Sackheim
10.5.1929
3.) Telegramm Städt.
Bühnen an Verlag „Die Fackel“
15.5.1929
4.) Vertrag vom 25.5.1929
5.) Schreiben Fackel an
Städt. Bühnen 17.6.1929
6.) Schreiben Fackel an
Städt. Bühnen 19.6.1929
7.) Schreiben Fackel an
Sackheim ohne Datum
8.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 25.7.1929
9.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
26.7.1929
10.) Schreiben Städt.
Bühnen an Fackel
29.7.1929
11.)
Dr. Samek an Städt. Bühnen 30.7.1929
12.) Schreiben dto. dto. 28.8.1929
13.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
31.8.1929
14.) Schreiben Verlag „Die
Fackel“ an Städt. Bühnen
20.1.1930
15.) Schreiben Dr. Samek an Städt. Bühnen 3.2.1930
16.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
15.5.1930
17.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 26.5.1930
18.) Schreiben Städt.
Bühnen – Dr. Samek 2.6.1930
19.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 13.6.1930
20.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
23.6.1930
21.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
28.6.1930
22.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 11.7.1930
23.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 22.12.1930
24.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
27.12.1930
25.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
16.1.1931
26.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 30.1.1931
27.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 3.2.1931
28.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
9.2.1931
29.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
26.2.1931
30.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 3.3.1931
31.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
12.3.1931
32.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 17.11.1931
33.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
23.11.1931
34.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 5.12.1931
35.) Schreiben Städt. Bühnen
Justitiar an Dr. Samek
14.12.1931
36.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
15.12.1931
37.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen 18.12.1931
38.) Schreiben Städt. Bühnen
Justitiar an Dr. Samek
23.12.1931
39.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek
24.12.1931
40.) Schreiben Dr. Samek an
Städt. Bühnen Justitiar
31.12.1931
41.) Schreiben Städt.
Bühnen an Dr. Samek 8.1.1932.
Die rot angestrichenen
Korrespondenzstücke sind unmittelbar
für den Klageanspruch von
Bedeutung.
Der Verlag „Die Fackel“ ist Mitglied der Vereinigungder Bühnen-Verleger
e.V. Der zwischen den Parteien abge
schlossene
Aufführungsvertrag unterliegt den Bestimmungen
des Tarifvertrages zwischen
den Deutschen Bühnen-Verein, dem
Verband Deutscher Bühnen-Schriftsteller etc. vom
12.2.1930.
Hieraus folgt
die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
Namens und in Vollmacht der
Klägerin lade ich die Beklagte vor das Bühnenschiedsgericht, Berlin, zu dem
von dem Herrn Vorsitzenden anberaumten Termin.
Ich werde beantragen:
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
2000,– Reichsmark –
Zweitausend Reichsmark – nebst
2% Zinsen über den jeweiligen Reichsbankdiskont,
seit dem 1. November 1931 zu
zahlen, sowie das
Urteil für
vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Vollmacht wird nachgereicht.
gez. Dr. Katz
Rechtsanwalt