Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier Akten


Städtische Bühnen Frankfurt a. Main, 27. Febr. 32.
Rathaus, Zimmer 214


DER JUSTITIAR. 29. Feb. 1932


An
das Bühnenschiedsgericht
– Aufführungsabteilung –
Berlin-Grunewald
Wangenheimstr. 12


In Sachen
Fackel-Verlag, Wien,
gegen
Städtische Bühnen, Frankfurt a.M.,


beantragen wir, die Klage kostenpflichtig abzuweisen.


Die Beklagte hat ihrer Aufführungsverpflich
tung genügt, sofern eine solche überhaupt bestanden hat.
Das Stück „Die Unüberwindlichen“ ist am 10.2. ds. Js. – also
in der guten Theaterzeit – aufgeführt worden mit dem Er
folg, dass die bare Tageseinnahme den Betrag von 141,65 RM
erbrachte, während allein für das Gastspielensemble des
Leipziger Komödienhauses der Betrag von 1.750.– RM gezahlt
werden musste. Dass das Stück im übrigen in der heutigen
Zeit völlig unaufführbar ist, ergeben die dem Gericht vor
zulegenden Ausschnitte aus der Frankfurter Tagespresse.


Vor einem Misserfolg wäre das Stück auch dann
nicht zu bewahren gewesen, wenn es etwa unter Mitwirkung
des Autors mit den Kräften des Frankfurter Schauspielhauses
neu einstudiert worden wäre. Der Grund hierfür liegt in
der bedauerlichen Tatsache, dass der Autor – in völliger
Verkennung des Theaters und seiner Möglichkeiten – auf einer fast
buchstabengetreuen Aufführung besteht. Schon bei der Ur-Aufführung
des Stückes in Dresden, die durch den Frankfurter Schauspieler
Paul VERHOEVEN inszeniert wurde, kam dies zum Ausdruck. Der
Autor hat damals an den Proben nicht teilgenommen und machte aufgrund
der Generalprobe dem Regisseur schwere Vorwürfe über die von die
sem für notwendig erachteten Regieanordnungen.


Anders lag der Fall bereits hinsichtlich der Leipziger
und Berliner Aufführung. Die Leipziger Inszenierung ist unter per
sönlicher Mitwirkung des Autors zustande gekommen. Für jede Aende
rung an dieser Inszenierung hat der Autor sich vom Leipziger Komödienhaus eine Vertragsstrafe von 1500 RM versprechen lassen. Wir
lassen dahingestellt, ob ein solches Verhalten gegen die guten
Sitten verstösst, jedenfalls zeugt es davon, dass der Kläger nicht
das geringste Verständnis für die Möglichkeiten einer bühnenwirk
samen Aufführung besitzt. Dementsprechend kam es auch bei der Ber
liner Aufführung dahin, dass die Berliner Volksbühne, die gewiss
über vorzügliches Personal verfügt, mit ihrer Inszenierung die
Ungnade des Autors erregte und deshalbzu einer Neuaufführung
schritt.


Zum Beweis für vorstehende Behauptungen werden die
Regisseure und Direktionen des Leipziger Komödienhauses sowie
der Berliner Volksbühne und Herr Paul Verhoeven‚ Frankfurt a.M.
Grüneburgweg 39, benannt.


Unter diesen Umständen wäre eine Neueinstudierung
mit den eignen Kräften des Frankfurter Schauspielhauses sinnlos
gewesen. Die reichsdeutschen Bühnen sind nicht bestimmt, Wiener
Skandalaffären des Jahres 1927 wortgetreu ihrem verständnislosen
Publikum vorzusetzen. Soweit das Stück „Die Unüberwindlichen
allgemein gültiges zum Ausdruck bringt, kann dies in einer west
deutschen Grosstadt bühnenwirksam nur in einer freien Inszenierung
geschehen.


Dieser Gedanke war ausschlaggebend bei der Annahme
des Stückes im Mai 1929. Er gründet sich auf § 7 Nr. 1b der „All
gemeinen Bestimmungen für den Geschäftsverkehr“, wonach die auf
führungsberechtigte Bühne Aenderungen vornehmen darf, für welche
der Autor seine Zustimmung nach Treu und Glauben nicht versagen
kann. Ausserdem ist es anerkannter Theaterbrauch, ja sogar die
Verpflichtung des Theaters und seiner Regisseure, für eine bühnen
wirksame Aufführung unter Berücksichtigung der örtlichen Verhält
nisse, insbesondere der Einstellung des Publikums, besorgt zu
sein. Da der Autor sich entgegen dem Vertragsinhalt und dem
anerkannten Theaterbrauch auf den entgegengesetzten Standpunkt
stellte, blieb dem Frankfurter Schauspielhaus nur die Möglich
keit, der etwa bestehenden Aufführungsverpflichtung durch eine
von Herrn Kraus selbst approbierte Einstudierung zu genügen.


Davon abgesehen vertreten wir aber auch den Standpunkt,
dass es nach Treu und Glauben bei den völlig veränderten politi
schen und sonstigen Interessen Verhältnissen einem von der Allgemeinheit sub
ventionierten Theater nicht zugemutet werden kann, Stücke aufzu
führen, die bei Vertragsabschluss als tragbar anzusehen waren,
die jedoch heute auf die allerschärfste Ablehnung bei weiten
Kreisen des Publikums stossen. Dass letzteres der Fall ist, geht
nicht nur aus den erwähnten Presseausschnitten hervor, son
dern auch aus zahllosen schriftlichen und mündlichen Pro
testen, den angekündigten Abonnement-Abbestellungen und
dergl., welche die Aufführung „Die Unüberwindlichen“ im
Frankfurter Schauspielhaus spontan ausgelöst haben. Wir
benennen zum Zeugen hierfür den Intendanten des FrankfurterSchauspielhauses, Herrn Dr. Kronacher, und behalten uns wei
tere Zeugenbenennungen vor. Je mehr die Verhältnisse in
Deutschland sich zuspitzen, umsoweniger kann von den öffent
lichen Theatern eine buchstabengetreue Erfüllung der Auffüh
rungsverträge verlangt werden.


Wir bitten das Gericht, zu dieser grundsätzlichen
Frage erneut Stellung zu nehmen, damit g.F. eine Aenderung
der bestehenden Tarifverträge herbeigeführt wird.


Von einem Verfall der Vertragsstrafe kann keine
Rede sein. Wie sich aus dem Schreiben des Intendanten vom25.2.31 ergibt, war das Frankfurter Schauspielhaus bereits im
Frühjahr v. Js. zur Aufführung bereit und verschob nur auf den
mit Schreiben vom 3.3. v. Js. geäusserten Wunsch des Autors
die Aufführung in die Spielzeit 1931/32. Damals hätte das
Stück leichter als heute vor einem Misserfolg bewahrt werden
können.


Wie das Schreiben des Intendanten vom 12.3.31
ausweist, ist ein bestimmter Aufführungstermin innerhalb der
Spielzeit 1931/32 nicht zugesagt worden. Bei der Problematik
des Stückes kam eine solche Zusage überhaupt nicht in Frage.
Dachte der Kläger anders, so hätte er auf das Schreiben vom12.3. v.Js. nicht bis zum 17.11.1931 schweigen dürfen.


Die Klage ist demgemäss als unbegründet abzu
weisen.


Dr. Heun
Magistratsrat.


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