Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier Akten


Sehr geehrter Herr Kollege!


Ueber den Verlauf der Verhandlung in Sachen Fackel ./.
Stadt. Bühnen habe ich Sie gestern schon telefonisch unter
richtet und Ihnen mitgeteilt, dass ich schliesslich dazu ge
kommen bin, die Klage zurückzunehmen und die bisher entstandenen
Kosten anzuerkennen. Die Verhandlung spielte sich folgender
massen ab:


Ich gab in einem ausführlichen Plädoyer dem Gerichtshof,
der aus fünf Personen besteht, eine eingehende Darstellung des
Sachverhalts und unserer Rechtsauffassung unter Hervorhebung
und Verlesung der wichtigsten Stücke der Korrespondenz. Der
Anwalt der Gegenpartei war der Kollege Tovote. Schon vor Beginn
der Verhandlung nahm am Verhandlungstisch der Rechtsanwalt
Wenzel Goldbaum Platz, der auf eine später zur Verhandlung
kommende Sache wartete. Ich möchte noch bemerken, dass vor
dem Bühnenschiedsgericht in etwas lockererer Form als vor
dem ordentlichen Gericht verhandelt wird, und dass der Rechts
und Streitstand auch während der Plädoyers oft in einer hin-
und hergehenden Erörterung zwischen den Parteien behandelt
wird. Schon während meines Plädoyers unterbrach mich der Vor
sitzende, Landgerichtsdirektor Dr. Weigert, der auch den Vor
sitz der landgerichtlichen Zivilkammer, der den Prozess
Fackel gegen Volksbühne vorgelegen hatte, geführt hat, öfters.
Er wies wiederholt darauf hin, dass er gegen die Begründet
heit des Anspruchs auf Konventionalstrafe Bedenken habe. Er
liess keinen Zweifel darüber, dass er das Schreiben der Beklagten vom 12. März 1931 so auslege, als sei die Beklagte ledig
lich die Verpflichtung eingegangen, das Stück im Laufe der
ganzen mit dem Herbst 1931 beginnenden und im Sommer 1932
endigenden Spielzeit aufzuführen. Sämtliche von mir gegen
diese Auffassung vorgetragenen Argumente liess er nicht als
stichhaltig gelten. Er wandte ein (der Vorsitzende) dass die
Klägerin durch ihr Schweigen auf dieses Schreiben sich des
Rechts begeben habe, eine Aufführung bis zum 31. Dezember 1931
zu verlangen. Aber auch gegen den zweiten Punkt, mit dem ich
den Anspruch auf Vertragsstrafe begründete, nämlich, dass die
Beklagte ja keinesfalls die versprochene Zweimonatsfrist
für Ankündigung des Aufführungstermins innegehalten habe, äusser
te er Einwände und betonte, dass man ihre Verpflichtung nach
dieser Richtung nicht als eine derart schwerwiegende auf
zufassen brauche, dass ihre Verletzung mit der Verwirkung der
Konventionalstrafe gesühnt werden müsse. So unverständlich
mir dieser Standpunkt erschien und auch heute noch ist, so
konnte ich meinem Gefühle nach trotz Hervorhebung der hier
hergehörigen Argumente und trotz genauer Vorlegung und Er
örterung der betreffenden Korrespondenzstücke auch
hier nicht durchdringen. Dagegen liess er keinen Zweifel erkennen,
dass er den Standpunkt der Klage, dass die einmalige Aufführung
durch das Leipziger Komödienhaus keine wirksame Vertragser
füllung darstelle, billige, und begründete dies vor allem da
mit, dass nach der Rechtsprechung des Bühnenschiedsgerichts es
zur Erfüllung der Aufführungspflicht nicht genüge, wenn ein
Stück als einmalige Aufführung angekündigt werde. Er fügte hin
zu, hier würde der Beklagten nichts übrig bleiben als das
Werk noch einmal aufzuführen.


Nachdem ich etwa eine halbe bis dreiviertel Stunde ge
sprochen hatte, begann der gegnerische Vertreter sein Plädoyer
und stützte den Klageabweisungsantrag auf zum Teil meines Er
achtens ganz lächerliche und aus der Korrespondenz leicht zu
widerlegende Behauptungen. Er war ungefähr am Schlusse seiner
Ausführungen angelangt, als sich plötzlich der RechtsanwaltGoldbaum, der inzwischen vorübergehend den Raum verlassen hatte,
erhob und dazwischen rief: „Ich habe soeben festgestellt, dass
Herr Kraus garnicht Mitglied des Verbands der Bühnen schriftsteller bezw. der entsprechenden oesterreichischen Vereini
gung ist, und dass daher die Prozessführung vor dem Bühnenschiedsgericht unzulässig ist.“ Hierauf folgte eine Reihe durchein
andergehender Erörterungen und Fragen sämtlicher Beteiligten
und der einzelnen Mitglieder des Gerichtshofs. Unterbrochen
war der Vortrag des Kollegen Tovote, der den ihm zugerufenen
Einwand bereitwilligst aufgriff. Ich protestierte gegen die
unzulässige Unterbrechung von dritter Seite und erklärte sofort
nach der materiellen Richtung, dass es auf den Einwand nicht
ankommen dürfe, da die prozessbeteiligten Parteien, nämlich
die verklagte Bühne und der klagende Verlag Mitglieder der in
dem Tarifabkommen vorgesehenen Verbände seien, und dass es auf
die Eigenschaft des Autors prozessual nicht ankommen könne,
weil er in diesem Verfahren ausserhalb des Rechtsstreites
stünde, dass er aber überdies Alleininhaber des Verlages
sei. Der Vorsitzende fragte zunächst Herrn Goldbaum, woher er
denn sein Wissen habe. Dieser bemerkte, dass Herr Kraus in
den deutschen Listen des Verbandes nicht geführt würde und ein
anderer Herr bestätigte etwas später, dass auch die Listen
des österreichischen Verbandes Herrn Kraus nicht enthielten.
Es wurde nun zunächst dadrüber gesprochen, ob der nunmehr
vom Beklagten vorgebrachte Einwand als solcher rechtserheblich
sei, wenn er zuträfe. Dem Vorsitzenden, Direktor Dr. Weigert,
war zunächst die Tragweite des Einwands in prozessualer Hin
sicht zu mindestens sehr zweifelhaft, und ich hatte das Ge
fühl, dass er nicht abgeneigt sei, hier zunächst meinen wieder
holt vorgebrachten Standpunkt, dass die Mitgliedschaft oder
Nicht-Mitgliedschaft des Herrn Kraus in einem der in Rede stehen
den Verbände völlig unerheblich sei, zu folgen. Hier drängte
sich nun noch wiederholt Herr Wenzel Goldbaum in die Debatte,
indem er bemerkte, dass dieser Fall schon früher wiederholt
von den Bühnenschiedsgerichten im Sinne seiner Behauptung
entschieden worden sei, dass der Verband der Bühnenschriftsteller nicht sein Geld dazu hergäbe, um es einem Nichtmit
glied zu ermöglichen, vor einem Forum, an dem der Verband betei
ligt sei, seine Recht wahrnehmen zu können, dass er bei Ab
fassung des Tarifvertrages ectr. beteiligt gewesen sei, daher
den Standpunkt und die Absicht der Vertragsschliessenden Ver
bände genau kenne, und dass er hier als Syndikus des Verbandes
auch als Aussenstehender die Rechte der dort vereinigten
Schriftsteller wahren müsse. Dies auf meinen wiederholten
Protest gegen sein Dazwischenreden. Nun verbat sich aber auch
der Vorsitzende jede weitere Einmischung des Herrn Goldbaum
und schloss seine Rüge mit den Worten: „Seien Sie ruhig.“ –
Das Gericht besprach nun unter sich die Erheblichkeit des nun
mehr von der Beklagten vorgebrachten Einwandes der Unzustän
digkeit des Schiedsgerichts und gab zu erkennen, dass es dem
Einwand stattgeben und die Unzuständigkeit des angerufenen
Gerichts erklären würde. Bevor es einen dahingehenden Spruch
verkündete wurde mir Gelegenheit gegeben, Anträge zu dem Ein
wand der Beklagten zu stellen, ich entschloss mich, nach einiger
Ueberlegung, die Klage zurückzunehmen, und die bisher ent
standenen Kosten anzuerkennen, hierbei waren ausschlaggebend
für mich folgende Erwägungen:


Es war nicht daran zu zweifeln, dass bei Antrag auf Ab
weisung des gegnerischen Einwandes das Gericht in einem Spruch
der Beklagten die Unzuständigkeit des Gerichtes bestätigen würde.
Hierdurch wären die so entstandenen Kosten noch erhöht worden.
Ein Rechtsmittel an das Oberschiedsgericht wäre möglich gewesen
und vielleicht hätte dieses die Zuständigkeit des Bühnenschiedsgerichts bejaht. In diesem Falle war damit zu rechnen, dass der
Antrag auf Verurteilung zur Konventionalstrafe abgewiesen und
nur dem Feststellungsantrag entsprochen worden wäre. Hiergegen
wäre kein Rechtsmittel zulässig gewesen, da der Streitwert
die Grenze von 3000,– RM. nicht überstieg. Ich nahm nun nicht
an, dass es dem Interesse von Herrn Kraus entsprochen hätte,
die Beklagte ohne Konventionalstrafe davonkommen zu lassen.
Andererseits halte ich den Anspruch auf diese vor einem ordent
lichen Gericht für mit, an Sicherheit grenzender, Wahrschein
lichtkeit durchsetzbar. Durch den nunmehr von der Beklagten
selbst vorgebrachten Einwand der Unzuständigkeit des Bühnenschiedsgerichts wird der Klage der Weg vor dem ordentlichen
Gericht eröffnet und zwar nach § 9 des Vertrages vom 23. Mai1929 in Wien oder wahlweise in Frankfurt a.M. Dies erschien
mir als ein so erheblicher Gewinn, dass ich damit die Zu
rücknahme der Klage für gerechtfertigt ansah.


Nachdem ich, wie geschildert, verfahren war, erklärte
Direktor Weigert nochmals im Beisein noch sämtlicher Prozess
beteiligten: „ich für meine Person hätte den Antrag auf Kon
ventionalstrafe abgelehnt “. Die Verletzung der Wahrung der
Zweimonatsfrist erscheint mir nicht wesentlich genug, um die
Konventionalstrafe zu rechtfertigen. Anders steht es mit dem
zweiten Punkt der Klage. Da im Schiedsgericht zwei Mitglie
der des Bühnenvereins sitzen, so wäre aller Voraussicht nach
genau so wie der Vorsitzende es aussprach, entschieden worden.


Ich füge noch hinzu, dass der Wert des Feststellungs
antrags auf 1000,– Reichsmark bestimmt worden ist.


Das Verhalten des Herrn Wenzel Goldbaum ist so ungewöhn
lich, dass es durch eine Anzeige an die Anwaltskammer ver
folgt zu werden verdient. Ich würde vorschlagen, sehr geehrter
Herr Kollege, dass Sie diese Anzeige erstatten, werde andern
falls aber auch gern sie selber einreichen.


Mit vorzüglicher Hohachtung
und herzlichen Grüssen, sowie der
Bitte, Herrn Kraus den Ausdruck meiner Verehrung zu übermitteln


sehr ergebenst
Dr. Katz


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