19. Mai 1932.
Dr.S/Fa.
An das
Landesgericht für ZRS.Wien.
Klagende Partei: Verlag „Die Fackel“ Herausgeber KarlKraus prot. Firma
in Wien III., HintereZollamtsstrasse Nr.
3,
durch:
Beklagte Partei: Die Stadt Frankfurt am Main als Konzes
sionärin der Frankfurter städtischenBühnen, zu Handen
des Magistrats Frankfurtam Main.
wegen Rmk. 2.000.–
Feststellung und wegen
Rechnungslegung
Streitwert Mk. 1.000.– zusammen
Rmk. 3.000 ist S 5.000.–
2 fach
1 Rubrik
1 Vollmacht
1 Beilage im Original
(Nr. 4)
41 Beilagen in Abschrift
(Nr. 2, 3. u. 5 bis 43)
Klage.
Zwischen den Parteien wurde
im Mai 1929
ein Aufführungsvertrag bezüglich des Werkes von Karl Kraus
„Die Unüberwindlichen“ abgeschlossen. Der
Aufführungstermin
wurde
von Seiten der Beklagten immer wieder
hinausgeschoben
und
zuletzt kam durch die Schreiben des Anwaltes der klagenden Partei
vom 30. Jänner, 3. Februar und 3. März 1931 und die
Antwortschreiben des Theaterdirektors der beklagten
Parteivom 9.
Februar, 25. Februar und 12. März 1931 eine Abänderung
des Aufführungstermines
dahin zustande, dass die Aufführung,
die ursprünglich schon in
der Spielzeit 1929–1930 stattfinden
hatte sollen, nunmehr in die
Spielzeit vom 1. Oktober bis
31. Dezember 1931 verlegt wurde, jedoch nicht in der Zeit zwi
schen 8. und 21.
Dezember 1931 gestattet war. Gleichzeitig ver
pflichtete sich
die Beklagte, die auf 2.000 Reichsmark
(gegen
über
1.000 Reichsmark des Aufführungsvertrages vom 25. Mai 1929)
erhöhte Vertragsstrafe von
2.000 Reichsmark zu bezahlen, wenn
die Aufführung nicht
fristgemäss stattfinde und ferner auch,
wenn der definitive
Aufführungstermin nicht mindestens zwei
Monate vorher mitgeteilt
worden sei. Da nun bis zum 30. Oktober
1931 der Aufführungstermin
der Erstaufführung, die spätestens
am 31. Dezember 1931 hätte
stattfinden sollen, nicht mitgeteilt
wurde, ist unser Anwalt mit Schreiben vom 17. November 1931 an
die Beklagte mit der Aufforderung herangetreten, die bereits
verfallene Vertragsstrafe
von 2.000 Reichsmark für die nicht
einhaltung der
Verpflichtung, den definitiven Aufführungstermin
spätestens zwei Monate
vorher mitzuteilen, zu bezahlen. Die
Beklagte stellte sich daraufhin mit Schreiben vom 23. November 1931
auf den allerdings
unhaltbaren Standpunkt, dass sie noch nicht
in Verzug geraten sei, da in
Ihrem Schreiben vom 12. März ledig-
lich davon gesprochen worden
sei, „Die Unüberwindlichen“ in
der nächsten Spielzeit
herauszubringen. Sie kündigte neuer
dings an, den
definitiven Aufführungstermin zwei Monate vor
her mitzuteilen.
Dieser Standpunkt ist jedoch vollständig
unhaltbar. Wie aus der
hiemit vorgelegten Gesamtkorrespondenz
hervorgeht, ist das Schreiben vom 12. März eine Antwort auf
das Schreiben unseres Anwalts vom 3. März
1931 und lautet wört
lich, dass sich die beklagte
Partei mit dem Inhalt des Schreibens vom 3. März
einverstanden erkläre, das Stück „Die Unüberwindlichen“ in der nächsten Spielzeit herauszubringen. Da
nun in dem Schreiben vom 3. März und in den vorhergehenden
Schreiben vom 30. Jänner und 3. Februar der Aufführungstermin
für die nächste Spielzeit
begrenzt war, so hat sich die beklagte
Partei mit ihrem Antwortschreiben mit dem begrenzten Auf
führungstermin
der nächsten Spielzeit einverstanden erklärt.
Dass sich die beklagte Partei auch bewusst war, dass es
sich
um den
Aufführungstermin im Herbst handle, geht aus dem zwei
ten Absatz dieses
Schreibens hervor, in weichem angekündigt
wurde, die Beklagte werde sich erlauben, im Herbst
nochmals
um die
freundliche Ueberlassung der Partitur zu bitten. Es
sei auch noch darauf
hingewiesen, dass die Beklagte im vor
hergehenden
Schreiben, so z.B. in dem vom 25. Februar 1931, Vor
schläge, die ihr
nicht passten, ausdrücklich ablehnte, wie
das Verlangen nach
Festsetzung der Vertragsstrafe in einer
notariellen Urkunde. Hätte
also die beklagte Partei wirklich
durch die Worte „in
der nächsten Spielzeit“ eine Abweichung
von der ihr im Schreiben vom 3.3.1931 gestellten Bedingung im
Sinne gehabt, so hat sie die
Nichtannahme der ihr gestellten
Bedingungen nicht
ausgedrückt, vielmehr durch die Worte „er-
klären uns damit
einverstanden“ die Annahme vorgetäuscht, sich
eines undeutlichen
Ausdruckes bedient, den sie nach § 869 abGB.
zu verantworten hat.
Am 25. Januar 1932 kündigte
nun die beklagtePartei an, dass sie
das Stück am 10. Februar 1932 durch
das
Leipziger Komödienhaus aufführen lassen
werde, trotzdem gegen
diese
Art dar Vertragserfüllung ausdrücklich Protest erhoben
und verlangt worden war,
dass die Beklagte das Stück selbst
zur Aufführung bringe,
bereits durch das Schreiben vom 15. Dezember 1931 fragte die Beklagte bei unserem Anwalte an,
wie
sich der Autor und die klagende Partei zu einer Aufführung des
Stückes durch ein Gastspiel des Leipziger Komödienhauses im
Frankfurter Schauspielhaus stellen würde. Unser Anwalt antwor
tete mit Schreiben vom 18.12.1931 für den abwesenden Autor, dass
er eine
definitive Antwort erst nach dessen Rückkehr geben kön
ne, aber schon
jetzt bemerken müsse, dass die Aufführung durch
ein Gastspielensemble nicht
die Möglichkeit gebe, das Stück
so oft zu spielen, wie es
der eventuelle Erfolg verlange. Am
30. Dezember 1931 liessen
wir der Beklagten durch unseren An
walt erklären,
wir seien nicht damit einverstanden, dass die
Beklagte ihrer Aufführungspflicht durch ein Gastspiel des
Leipziger Komödienhauses nachkomme. Obwohl die Beklagte vorher
ausdrücklich ihren
Entschluss von der Zustimmung des Autors
abhängig gemacht hatte,
setzte sie sich nun auf einmal über
unsere Ablehnung hinweg und
erklärte im Schreiben vom 8. Jänner1932, dass sie ihrer Aufführungsverpflichtung durch jenes
Leipziger Gastspiel
nachkommen werde.
Es bedarf kaum noch einer
Begründung, warum
die
geschehene Aufführung durch die Beklagte
vertragswidrig war.
Die Beklagte war sich, wie aus ihrem Schreiben vom 15. Dezember 1931 deutlich hervorgeht, selbst klar darüber,
dass
sie zu dieser
Aufführung die Zustimmung des Autors
bedurfte.
In sachlicher
Beziehung ist es aber klar, dass gegenüber dem
Frankfurter Schauspielhaus das Ensemble des kleinen Leipziger
Theaters nicht als gleichberechtigt erachtet werden
kann und erachtet wird.
Uebrigens braucht sich ein Autor ge
wiss nicht
gefallen zu lassen, dass ein Theater, das ein
Stück zur Aufführung
angenommen hat, ihre Verpflichtung durch
ein anderes Ensemble
erfüllen lässt. Hievon ganz abgesehen,
hat die Beklagte dieses Gastspiel des Leipziger Komödienhauses
als ein einmaliges von
vorneherein vereinbart und daher jede
Möglichkeit einer Auswertung
des Erfolges, zu der die Beklagte
verpflichtet gewesen wäre, vereitelt.
Beweis: Der Vertrag vom 23. Mai / 25. Juli 1929, die ge
samte
Korrespondenz.
Die Vertragsstrafe von 2.000
Reichsmark ist
auf jeden Fall
bereits verfallen. Die Beklagte hat das Werk
nicht bis zum 31. Dezember
1931 aufgeführt und den Aufführungs
termin nicht zwei
Monate vorher bekanntgegeben. Die Aufführung
vom 10. Februar 1932 war
vertragswidrig und, selbst wenn sie
Vertragserfüllung zu gelten
hätte, verspätet. Auch wäre,
ganz abgesehen von diesen Umständen, die Vertragsstrafe ver
fallen, weil der
Aufführungstermin vom 10. Februar erst am
25. Jänner, also nicht zwei
Monate vorher, mitgeteilt worden war.
Die Beklagte hat auch über die Aufführung vom
10. Februar niemals Rechnung
gelegt und die Tantiemen nicht be-
zahlt.
Beweis: Parteienvernehmung.
Wir stellen durch unseren
mit beiliegender
Vollmacht
ausgewiesenen Anwalt das Begehren auf Fällung
des
Urteils:
1.) Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin den Betrag
von Reichsmark 2.000.–
samt
7% Zinsen seit 1.11.1931
zu
bezahlen;
2.) Es wird festgestellt,
dass die Aufführung des Stückes
„Die Unüberwindlichen“ durch die Beklagte am 10. Februar 1932
keine Erfüllung ihrer
Aufführungspflicht gemäss dem Vertragevom 23. Mai
1929 vorstellt.
3.) Die Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei über die
Aufführung vom 10. Februar
1932 Rechnung zu legen.
4.) Die Beklagte ist schuldig, der klagenden Partei die
Prozesskosten zu bezahlen, all dies binnen 14 Tagen bei son
stiger
Zwangsvollstreckung.
Die Zuständigkeit dieses Gerichtes gründet
sich auf die im Vertrage vom 23. Mai/25. Juli 1929 im § 9
getroffenen Vereinbarung,
dass Wien Erfüllungsort
sei.
(§ 88 J.N.)
Die Klage war schon vorher beim Bühnenschiedsgericht in Berlin eingebracht worden, das sich je
doch über
Einwendung der beklagten Partei als
unzuständig
erklärte,
weil der Autor des Stückes „Die Unüberwindlichen“
keiner
Schriftstellerorganisation angehört.
Verlag „Die Fackel“ Herausgeber Karl Kraus.