An das
Strafbezirksgericht IWien.
Privatanläger: Karl Kraus, Schriftsteller in WienIII., Hintere Zollamtsstrasse
Nr. 3
durch:
Beschuldigter: Dr. Julian Sternberg, verantwort
licher Redakteur der
„Neuen Freien
Presse“
Wien III., Lagergasse Nr. 1,
wegen §§ 23/24 Pr. G
1 fach
2 Beilagen
Privatanklage.
In der „Neuen Freien Presse“ vom 29. April1929 erschien auf der
Seite 10 eine Rubrik „Theater“, in
welcher die Ankündigung der an
diesem Tag in den verschiedenen
Theatern und Konzertsälen abgehaltenen Veranstaltungen erfolgte.
Während aber die übrigen
Zeitungen, soweit sie eine solche
Rubrik haben, diese Berichte vollständig veröffentlichten,
veröffentlichte die „Neue Freie
Presse“ lediglich die Veran
staltung im Kleinen
Saal des Wiener Konzerthauses, und liess
die Veranstaltung im Grossen Saal
des Wiener Konzerthauses, in
welchem ich eine Vorlesung
abhielt, unveröffentlicht. Es ist
selbstverständlich, dass es der Zeitung freistehen muss da
rüber zu bestimmen, ob
sie ihrem Leserkreis die Veranstaltungen
in den Theatern und Konzertsälen
zur Kenntnis bringt. Man muss
ihr
dieses Bestimmungsrecht auch soweit einräumen, dass sie
nur einzelne Theater, die ihr
vielleicht für ihren Leserkreis
als wichtiger erscheinen, herausnimmt und die übrigen Ver
anstaltungen
unveröffentlicht lässt. Keinesfalls aber hat sie
das Recht aus den in einem
bestimmten Gebäude abgehaltenen
Veranstaltungen lediglich die ihr genehmen herauszugreifen und
die anderen auszulassen. Denn die
Form, in der diese Veröffent
lichungen erfolgt, erweckt im Leserkreis den Eindruck der Voll
ständigkeit und jeder
Leser des vorliegenden Programms erhält
den Eindruck, dass eben nur im
kleinen Saal des Konzerthauses
eine Veranstaltung stattgefunden
hat. Dadurch ist aber dem
Leserkreis eine unrichtige Mitteilung gemacht worden. Ich
habe daher durch meinen Anwalt
Dr. Oskar Samek den Beschuldigten ein Berichtigungsschreiben zukommen lassen, das in
Abschrift beiliegt. Die Berichtigung wurde dem Beschuldigten
am 15. Mai 1929 zugestellt, sie
wurde jedoch nicht veröffent
licht.
Beweis: Die Nummer der „Neuen Freien Presse“ vom29. April 1929, die Nummer des „NeuenWiener Tagblattes“ vom 29.
April 1929,
das Berichtigungsschreiben vom 13. Mai 1929.
Ich stelle durch meinen zur G.
Z. 1 U 20/29
ausgewiesenen Anwalt folgende
Anträge:
1.) Anberaumung
einer Hauptverhandlung,
2.)
Ladung des Beschuldigten,
3.)
Verlesung des Berichtigungsschreibens und der vorge
legten
Zeitungsnummer,
4.) Bestrafung
des Beschuldigten
und Erkenntnis auf Ver
öffentlichung der Berichtigung,
5.)
Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten
Hand mit ihm des Eigentümers Oesterreichische Journal A.G.
Wien I., Fichtegasse Nr. 11, und des Herausgebers
Dr. ErnstBenedikt
Wien I., Fichtegasse Nr. 11 zum
Ersatz der Verfahrens
kosten.