Hamburger Nachrichten, 8.5.1929Karl Kraus: „Die Unüberwindlichen“GlockentänzerinVossische Zeitung, 3.11.1928Die Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier AktenHamburger Nachrichten, 7.6.1929Vossische Zeitung, 1.3.1929Die FackelJunge Tänzerin


f. Gegner


Termin: 4. Dezember 1929, 9 1/2 Uhr


38390


Hamburg, den 22. November 1929


An das Landesgericht Hamburg,
Zivilkammer 11
Z. XI. 566/29


Schriftsatz
in Sachen


Karl Kraus
(Dr. E. Lion)


gegen


1. Otto Schabbel
2. Dr. Hartmeyer
(Dr. Werner Bintz)


I.
Die Klage übersieht, dass es sich nicht um einen Redak
tions-Artikel gehandelt hat, sondern um die Arbeit eines auswärtigen
Mitarbeiters der „Hamburger Nachrichten“, welche Arbeit unter dem
Strich unter voller Namensnennung des Verfassers erschienen ist. Die
betr. Ausgabe der „Hamburger Nachrichten“ vom 8. Mai ds. Js (Abend-Aus
gabe) wird hierbei als
Anlage A
überreicht.


Ich überreiche weiter als
Anlage B
die in der Abend-Ausgabe vom 7. Juni ds.Js. erfolgte Berichtigung.
Durch diese Berichtigung wurde aller Welt dasjenige mitgeteilt, dessen
nochmalige Mitteilung der Kläger mit seinen Klageanträgen erreichen will.


mit Anlagen A–K


Der Klage fehlt daher die praktische Unterlage. Den Tatbestand zwei
Mal bekannt zu geben, hat doch wirklich keinen Zweck. Die Klage hat
aber auch keinen Sinn. Kein Mensch, ausser dem Kläger, denkt heute
noch an die beiden Feuilleton-Notizen. In unserer schnell lebigen
Zeit sind diese beiden Artikel längst der Vergessenheit anheim gefal
len. Will man diese lange erledigte Sache nun nach Monaten, wie das
der Kläger möchte, wieder aufrühren, so wird das bei einem Teil der
Leser den Verdacht aufkommen lassen, dass Kläger aus Reklamebedürfnis
handele, ein Verdacht, den er selber am weitesten von sich weisen wird.


II.
Der Einsender des den Kläger kränkenden Artikels, Herr
Dr. Egon Albrecht, hat früher dem Redaktionsstabe der
Hamburger Nachrichten“ angehört. Er ist seit seinem Ausscheiden deren
auswärtiger Mitarbeiter. Er ist den Herren der „Hamburger Nachrichten“ als gewissenhafter Schriftsteller bekannt. Der in Rede stehende
Artikel ist durch den verantwortlichen Feuilleton-Redakteur, den
Beklagten zu 1), ohne weitere Prüfung zum Druck gegeben, weil sich der
Redakteur auf Herrn Dr. Albrecht verliess und eine nähere Nachprüfung
des Artikels für überflüssig erachtete. Der Beklagte zu 2) hat von
dem Artikel überhaupt erst Kenntnis bekommen, als der Kläger seinet
wegen mit Schwierigkeiten kam.


III.
Nachdem der Dr. Albrecht’sche Artikel erschienen war,
ist abseiten der „Hamburger Nachrichten“ alles geschehen, was irgend
geschehen konnte, um dem überempfindlichen Kläger Genugtuung zu ver
schaffen, auf die er, nachdem seine Berichtigung gebracht war, ein
Recht überhaupt nicht mehr hatte.


Auf Veranlassung der Beklagten wurde Herr Dr. Albrecht
ersucht, sich mit dem Kläger in Verbindung zu setzen und diesem Genug
tuung anzubieten. Herr Dr. Albrecht schrieb diesbezüglich an den
Beklagten zu 1) am 25. Juni ds.Js. im Sinne der
Anlage C
und schrieb an den Kläger unmittelbar am 26. Juni ds.Js. lt.
Anlage D.
Der Kläger hat diesen Brief des Herrn Dr. Albrecht einer Antwort über
haupt nicht gewürdigt. Der Beklagte zu 1) seinerseits schrieb am
26. Juli ds.Js. an den Anwalt des Klägers lt.
Anlage E
und weist in diesem Brief mit Recht darauf hin, dass, nachdem der an
geblich verletzende Artikel mit „Dr. Albrecht“ gezeichnet sei, eine
ausdrückliche Zurücknahme nur durch Herrn Dr. Albrecht selbst die
gewünschte Rehabilitierung bringen könne, zu deren Veröffentlichung man
bereit sei. Der Kläger aber, der, wie gesagt, Herrn Dr. Albrecht
überhaupt nicht antwortete, sah die Situation anders und glaubt sie
benutzen zu dürfen, um eine Busse von Rmk. 200.– und Kosten in Höhe
von Rmk. 223,25 herauszuholen. Ich verweise diesbezüglich auf das
Schreiben seines Anwalts vom 28. August ds.Js.
Anlage F.
In einem späteren Schreiben
Anlage G
vom 2. Oktober 1929 wurde die Busse von Rmk. 200.– auf Rmk. 50.–
herabgesetzt, eine Erklärung des Herrn Dr. Albrecht mit einem ihr
Bedauern ausdrückenden Zusatz der Redaktion verlangt und einschliess
lich Busse an Kosten Rmk. 353,25 verlangt. Der unterzeichnete
Anwalt hat dann weiter mit dem Vertreter des Klägers verhandelt und
unter dem 18. Oktober und 6. November ds.Js. lt.
Anlagen H und J
geschrieben, d.h. sich bereit erklärt, eine Erklärung des Herrn
Dr. Albrecht zu bringen und die dem Verlag entstandenen Kosten zu
übernehmen. Das Verlangen auf Busse hatte der klägerische HerrVertreter bei der mündlichen Besprechung vom 28. Oktober ds.Js. fallen
lassen, hatte aber im übrigen auf Zahlung der von ihm aufgegebenen
Kosten bestanden. Auf das Schreiben Anlage J liess der Kläger mit
seinem Brief vom 7. November ds.Js. lt.
Anlage K
antworten.


IV.
Die Beklagten müssen nach dem eben vorgetragenen
behaupten, dass sie weit mehr getan haben, als ihnen zu tun oblag.
Erklärten sie sich schon bereit, trotzdem dieses vom journalistischen
Standpunkt aus ganz unnötig war, ausser der Berichtigung nochmals
eine feierliche Erklärung des Herrn Dr. Albrecht zu bringen, so hätte
sich der Kläger damit zufrieden geben sollen, und die Sache war abge
tan. Statt dessen hat der Kläger dieses ihm mehr als ausreichend
Genugtuung gebende Entgegenkommen abgelehnt, weil sich die Beklagten
mit Recht weigerten, über Rmk. 300.– an Kosten zu bezahlen. Bei
einiger Einsicht konnte sich der Kläger nicht der Erkenntnis ver
schliessen, dass er sich mit dem, was man ihm bot, wenn es ihm wirk
lich nur auf seine schriftstellerische Ehre ankam, zufrieden geben
musste.


In rechtlicher Beziehung ist zu bemerken, dass die
Klage unhaltbar ist. Wie gesagt, kann von einer beleidigenden
Handlungsweise, also einer absichtlichen Beleidigung im Sinne des
Strafgesetzbuches nicht die Rede sein. Es liegt allenfalls das typi
sche Delikt der fahrlässigen Press-Beleidigung (§ 21 des Press-Gesetzes) vor. Das Recht, auf solcher fahrlässigen Beleidigung Folgen zu
ziehen, fällt nach diesem Gesetze fort, wenn der Urheber der Beleidi
gung genannt wird. Diese förmliche Benennung erübrigt sich, da Herr
Dr. Albrecht den Artikel selbst gezeichnet hatte, er sich auch durch
seinen Brief – Anlage D – dem Kläger gegenüber als Verfasser des Artikels bekannt und die Verantwortung auf sich genommen hatte. Infolge
dessen kann sich der Kläger, da ihm nunmehr der ein Schutzgesetz
darstellende § 21 Pressgesetz nicht mehr zugute kommt, auch im
Zivilwege an die Beklagten nicht halten. Gäbe aber selbst eine fahr
lässige Pressbeleidigung an sich solche Rechte, wie Kläger sie in
Anspruch nimmt, dann steht solchen Ansprüchen das oben geschilderte
Verhalten des Klägers gegenüber, der in seinen Forderungen kein Hass
noch Ziel kennt.


Für die Beklagten
Der Rechtsanwalt:
(gez) Bintz Dr.


mit Anl. C–K.
[Unterschrift]


Abschrift der Anlage B


Hamburger Nachrichten
Abend-Ausgabe
7. Juni 1929


Berichtigung. Rechtsanwalt Dr. Lion, Hamburg, sendet uns
als Rechtsvertreter von Karl Kraus (Wien) unter Berufung auf
§ 11 des Pressgesetzes, folgende Berichtigung, der wir gern Raum
geben: „Sie schreiben in der Kritik über die Dresdner Ur
aufführung von Karl Kraus: ‚Die Unüberwindlichen‘, in Ihrer Nummer vom 8. Mai: ‚… Es handelte
sich dabei um ein Werk des vielumstrittenen Wiener Literaten
Karl Kraus, Herausgeber der ‚Fackel‘, der erst jüngst vor einem
Plagiatsvorwurf Otto Ernst Hesses nicht gerade rühmlich bestand.‘
Diese Behauptung ist unwahr, wahr ist vielmehr, dass gegen KarlKraus von Otto Ernst Hesse kein Plagiatsvorworf erhoben wurde. Wahr
ist, dass von Karl Kraus gegen Otto Ernst Hesse geltend gemacht
wurde, dass dessen Gedicht ‚Junge Tänzerin‘ seine Entstehung einem
von Zechs Gedicht ‚Glockentänzerin‘ bezogenen Eindruck verdankt“.


Karl Kraus


Abschrift der Anlage C


25. Juni 1929


Sehr geehrter Herr Schabbel,


in Beantwortung Ihres Schreibens vom gestrigen Tage
teile ich Ihnen mit, dass ich natürlich gern bereit bin, mich
persönlich an Karl K. zu wenden, um diese unangenehme Angelegenheit
aus der Welt zu schaffen. Ich werde Sie über den Erfolg dieser Bemü
hungen zu gegebener Zeit … in Kenntnis setzen


Mit verbindlichstem Gruss
bin ich ergebener
gez: Dr. E. Albrecht


Abschrift der Anlage D


Pirna, den 26. Juli 1929


Herrn Karl Kraus, Herausgeber der Fackel,
Wien III. Hintere Zollamtsstr. 3


Sehr geehrter Herr Kraus,


wie mir die Hamburger Nachrichten mitteilen, haben Sie
den Hamburger Nachrichten eine Klage angedroht, weil ich in einem
Bericht über die Dresdner Uraufführung der „Unüberwindlichen“ geschrie
ben hatte: „Karl Kraus, der Herausgeber der Fackel, der erst jüngst
vor einem Plagiatsvorwurf Otto Ernst Hesses nicht gerade rühmlich be
stand …“. Ich gebe nun durchaus offen zu, dass ich mich hierbei
schief ausgedrückt habe, denn es handelte sich bei Ihrer in literari
schen Kreisen bekannten Kontroverse mit Herrn Hesse ja nicht um einen
Plagiatsvorwurf gegen Sie, sondern viel mehr um ein angebliches Plagiat
eines Irren, für dessen Echtheit Sie eintraten, sowie um einen Pla
giatsvorwurf Ihrerseits gegen Hesse (Zech!), gegen den sich Hesse ver
teidigte.


Ich bedaure natürlich diese meine missverständliche Aus
drucksweise ehrlich und bin durchaus bereit, in einer Ihnen genehmen
Weise dies auch in den Hamburger Nachrichten zum Ausdruck zu bringen.
Von Ihrer Loyalität und Grosszügigkeit hoffe ich aber, dass Sie damit
dann diese unerfreuliche Angelegenheit als erledigt betrachten.


In Erwartung Ihres freundlichen Bescheides begrüsse ich
Sie mit dem Ausdruck der vorzüglichsten Hochachtung
ganz ergebenst gez. Dr. Albrecht


Abschrift der Anlage E


Hamburg, den 26. Juli 1929


Herrn Rechtsanwalt Dr. Lion,
Hamburg. Gänsemarkt 62


Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,


in der Privatklagesache des Schriftstellers Karl Kraus
gegen mich möchte ich, bevor ich mich auf die Privatklage dem Gericht
gegenüber erkläre, Ihnen Folgendes unterbreiten:


Ich habe erst jetzt zur Vorgeschichte der infrage ste
henden Angelegenheit die Vossische Zeitung vom 3. November 1929 (Nr.259) und vom 1. März 1929 (Nr. 51) erhalten. Aus diesen geht hervor,
dass der Referent der beanstandeten Kritik über die Dresdner Urauf
führung des von Karl Kraus verfassten Stückes „Die Unüberwindlichen
sich in einem Irrtum befunden hat, da in diesen Aufsätzen von OttoErnst Hesse (Pseudonym Michael Gesell) Karl Kraus nicht als Plagiator
hingestellt wird, sondern, als Verteidiger eines Plagiats, begangen an
einem lyrischen Gedicht, das nach der einen Version von Otto ErnstHesse, nach der anderen aber von einem Insassen der Czernowitzer Landesirrenanstalt oder von Paul Zech verfasst sein soll.


Ich stehe daraufhin nicht an, in meiner Eigenschaft als
Feuilleton-Schriftleiter der „Hamburger Nachrichten“ zu erklären, dass
die in der fraglichen Kritik veröffentlichte Behauptung, wonach KarlKraus vor einem Plagiatsvorwurf Otto Ernst Hesses nicht gerade rühm
lich bestanden haben soll, unwahr ist und ich bin bereit, diese Erklä
rung im Feuilleton-Teil der Hamburger Nachrichten zu veröffentlichen.


Es liegt weder eine böswillige noch eine fahrlässige
Beleidigung des Schriftstellers Karl Kraus durch mich vor, ihn habe
nicht das geringste Interesse daran, Herrn Karl Kraus einer unehren
haften Handlung zu bezichtigen; wenn ich den Wortlaut der mir einge-
sandten Kritik unseres Dresdner Mitarbeiters nicht beanstandet habe,
so geschah es deshalb, weil dieser, der vor seiner Dresdner Tätig
keit mehrere Jahre im Redaktionsstabe der Hamburger Nachrichten tätig
gewesen ist, mir als eine durchaus vertrauenswürdige Persönlichkeit
hinreichend bekannt war, als dass ich in die Glaubwürdigkeit seiner
Mitteilungen auch nur allergeringste Zweifel setzen zu müssen glaubte.
Ich habe darum diesen, Dr.phil. Egon Erich Albrecht, Pirna/Sa. Reichstrasse 4 – als den Autor des inkriminierten Vorwurfs bereits aufge
fordert, die Angelegenheit durch ein persönliches Schreiben an den
Schriftsteller Karl Kraus aufzuklären und beizulegen.


Da der fragliche Artikel mit „Dr. Albrecht“ gezeichnet
war, dürfte eine ausdrückliche Zurücknahme der darin aufgestellten
Behauptung nur durch Herrn Dr. Albrecht selbst die gewünschte Reha
bilitierung bewirken, die wir gegebenenfalls zu veröffentlichen nun
mehr selbstverständlich bereit sind.


Ich hoffe, dass es unter diesen Umständen nicht erst
zu einer Klage, auch nicht zu einer Schadensersatzklage, wie sie mir
und Herrn Dr. Hartmeyer ebenfalls bereits zugestellt ist, zu kommen
braucht, und darf Sie bitten, sehr geehrter Herr Doktor, mir Ihre
Rückäusserung nach Fühlungnahme mit Herrn Kraus vor Ablauf der mir
vom Gericht gestellten Erklärungsfrist (möglichst bis zum 3. August)
zukommen zu lassen.


Mit vorzüglicher Hochachtung
Feuilleton-Schriftleiter
der Hamburger Nachrichten


Abschrift der Anlage F


Dr. E Lion
Hamburg, den 28. August 1929


Herr Otto Schabbel,
Hamburg (Hamburger Nachrichten)


Sehr geehrter Herr Schabbel!


Herr Rechtsanwalt Dr. Samek in Wien teilt mir mit, dass
Herr Kraus mit der vorgeschlagenen gütlichen Beilegung unter folgenden
Bedingungen einverstanden ist.


Die Hamburger Nachrichten bezahlen eine Busse von
Rmk. 200.– und die bisher erwachsenen Gerichts- und Anwaltskosten
und veröffentlichen folgende Erklärung:


„Wir haben in unserer Nummer vom 8. Mai 1929 in einem
Bericht über die Dresdner Uraufführung der ‚Unüberwindlichen‘ von Karl Kraus den folgenden Satz veröffentlicht:


‚… Es handelt sich dabei um ein Werk des vielumstrit
tenen Wiener Literaten Karl Kraus, Herausgeber der Fackel,
der erst jüngst vor einem Plagiatvorwurf Otto ErnstHesses nicht gerade rühmlich bestand‘.
Wir erklären, dass niemals von Herrn Otto Ernst Hesse
gegen Herrn Karl Kraus, Herausgeber der Fackel in Wien,
der Vorwurf eines Plagiats erhoben wurde, sondern, dass
vielmehr von Karl Kraus die Behauptung aufgestellt wurde,
dass das Gedicht Otto Ernst HessesJunge Tänzerin
durch das Gedicht ‚Glockentänzerin‘ von Paul Zech ange
regt worden ist. Der Vorwurf eines Plagiats wurde auch
gegen Herrn Hesse von Herrn Karl Kraus nicht erhoben.
Wir bedauern, einen unrichtigen Sachverhalt mitgeteilt
zu haben“.


Herr Dr. Samek berechnet seine Korrespondenzgebühren auf gesamt
Rmk. 80.–. Die gerichtlichen und meine Kosten stellen sich bisher
wie folgt“


Privatklageverfahren.


Gerichtskosten Rmk. 15.–
Anwaltskosten Rmk. 40.–


Zivilverfahren.


Gerichtskosten bei Klagrücknahme Rmk. 12.–
Prozessgebühr Rmk. 75.–
Vergleichsgebühr Rmk. 75.–
Zustellungskosten Rmk. 1,90.–
Umsatzsteuer Rmk. 1.40.–
Porti, Belegstücke Rmk. 2.45.–
Rmk. 223.25


Falls Sie mit dieser Regelung einverstanden sind, werde
ich auf schriftliche Bestätigung Ihrerseits die beiden Verfahren rück
gängig machen. In Ihrer evtl. Bestätigung bitte ich Sie gleichzeitig
um Nachricht, an welchem Tage die angegebene Erklärung zum Abdruck
kommen wird.


Hochachtungsvoll
gez: Dr. Lion


Abschrift der Anlage G


Dr. E. Lion
Hamburg, den 2. Oktober 1929


Herrn Otto Schabbel,
Hamburg. (Hamburger Nachrichten)
Karl Kraus.


Sehr geehrter Herr Schabbel!


Im Anschluss an unsere gestrige Besprechung fasse ich
nochmals zusammen, in welcher Form ich einen Vergleich bei meinem
Mandanten empfehlen und voraussichtlich durchsetzen würde.


1.) Bezgl. der Erklärung in den Hamburger Nachrichten hat
sich Herr Kraus einverstanden erklärt, dass die Rücknahme der bean
standeten Äusserung von Herrn Dr. Albrecht ausgeht. Die Schriftlei
tung würde ihrerseits noch einen Zusatz machen, dass sie bedauert,
einen unrichtigen Sachverhalt mitgeteilt zu haben. Die letztere würde
Ihrem Erbieten im Brief vom 2.9.29, Seite 2, entsprechen. Sie über
senden mir vielleicht den Entwurf der abzugebenden Erklärung.


2.) Busse. Herr Kraus lässt in erster Linie betonen, dass er
mit dem Verlangen einer Busse keinesfalls an einen Vermögenszuwachs
für sich gedacht hat, sondern dass der Betrag wohltätigen Zwecken zu
fliessen soll. Der Erfolg eines Bussanspruchs im Strafverfahren, den
ich bisher nicht erhoben habe, ist nicht unzweifelhaft; um andererseits
im Interesse der angestrebten gütlichen Erledigung den Ideen von HerrnKraus Rechnung zu tragen, schlage ich Ihnen einen Betrag von Rmk. 50.–
anstatt von Rmk. 200.– vor.


3.) Kosten. Es ist mir unzweifelhaft, dass Sie im Streit
fall in beiden Verfahren unterliegen würden. Der Tatbestand des § 186des Strafgesetzbuches liegt fraglos vor. Für den Zivilanspruch brauche
ich nur auf den Kommentar der Reichsgerichtsräte zum BGB § 823 Anm.13a (6. Auflage Bd. 2 S. 563) zu verweisen; diese Stelle lässt keinen
Zweifel. Hiernach müssen Sie beim Scheitern der Vergleichsverhand
lung mit folgenden Kosten rechnen:


I. Strafverfahren.


Strafe (geschätzt) Rmk. 100.—
Busse Rmk. ?
Gerichtskosten Rmk. 30.—
Meine Kosten Rmk. 60.—
Rmk. 190.—


II. Zivilverfahren.


Bei billigster Berechnung (Versäumnisverfahren)
Streitwert Rmk. 2.000.– lt. § 11 Abs. 1 Gerichtskostengesetzes in der Fassung vom 20.12.1928
Gerichtskosten Rmk. 50.––
Meine Kosten Rmk. 112.50
Korrespondenzgebühr Dr. Samek, Wien, Rmk. 75.–
Rmk. 427.50


Im Vergleichfall dagegen stellen sich die Kosten wie folgt:


Gerichtskosten und meine Kosten lt. meinem Brief an
Sie vom 28.8.1929 Rmk. 223.25
Kosten Dr. Samek, Wien, Rmk. 80.—
Busse Rmk. 50.—
Rmk. 353.25


Die Kosten im Vergleichsfall sind also geringer als es die Kosten
im Streitfall bei niedrigster Berechnung wären. Hinzukommt noch als
wichtiges Moment, dass Sie beim Unterliegen im Beleidigungsverfahren
gemäss § 200 Abs. 2 Stgb. ferner verurteilt werden, das Erkenntnis
des Gerichts in den Hamburger Nachrichten bekannt zu machen. Das
Gericht muss auf diese Befugnis für den Privatkläger erkennen.


Im Kostenpunkt werden Sie von Herrn Dr. Albrecht einen
Ausgleich beanspruchen können. Dieser kennt doch allem Anschein nach
die Veröffentlichungen meines Mandanten. Er hätte dann, wenn er schon
den von Herrn Kraus erörterten verwickelten Fall O.E. Hesse zur Sprache
brachte, in seiner Mitteilung besonders vorsichtig sein müssen, an
statt das genaue Gegenteil der Tatsachen zu behaupten und dadurch
Herrn Kraus zu provozieren. Ich bitte, diesen Hinweis richtig zu ver
stehen. Es liegt mir ganz fern, Herrn Dr. Albrecht belehren zu wollen,
wie ja auch Ihre Auseinandersetzung mit Herrn Dr. Albrecht mich nichts
angeht. Das aber diese Seite unseres Falles für Ihre Entschliessung
von Einfluss sein kann, wollte ich darauf hingewiesen haben.


Mit einem Vergleich im oben vorgeschlagenen Sinne würde
unser Streitfall in allem Umfang erledigt sein. – Den heutigen Termin
im Zivilverfahren habe ich auf den 6.11.1929 vertagen lassen.


Hochachtungsvoll
gez. Dr. Lion


Abschrift der Anlage H


Dr. Werner Bintz
Hamburg, den 18. Oktober 1929


Herrn Dr. E. Lion,
Hamburg. Gänsemarkt 62


Karl Kraus / Hamburger Nachrichten


Bezugnehmend auf mein Schreiben vom 11. Oktober möchte
ich mir Ihrer Zivilklage gegenüber den Hinweis erlauben, dass ich die
von Ihnen vertretene Auffassung über die unbedingte Erfolgssicherheit
des Anspruchs doch nicht ganz zu teilen vermag. Vor allen Dingen
glaube ich nicht, dass es einen so weitgehenden Anspruch auf Wieder
herstellung gibt, wie Sie anzunehmen scheinen.


Das die Privatklage anlangt, so würde, selbst wenn es –
was ich fast bezweifeln möchte – zur Verurteilung des Herrn Schabbel
käme, doch nur auf eine Formalstrafe erkannt werden, da eine Böswil
ligkeit des Herrn Schabbel nicht vorliegt.


Unter diesen Umständen gehen, finde ich, die Forderun
gen Ihres gefl. Schreibens vom 2. Oktober 1929 reichlich weit, und ich
meine, dass Herr Kraus sich damit begnügen sollte, dass der eigent
liche Schuldige, nämlich Herr Dr. Egon Erich Albrecht, eine Erklärung
im Feuilletonteil der Hamburger Nachrichten abgibt. Die HamburgerNachrichten würden wohl den Genannten veranlassen können, eine Erklä
rung des Inhalts erscheinen zu lassen,


dass ihm, wie er jetzt festgestellt habe, ein Gedächt
nisfehler in jener Besprechung unterlaufen sei, indem es
sich bei der angeführten Kontroverse nicht um einen
Plagiatsvorwurf Hesses gegen Kraus gehandelt habe, son
dern darum, ob ein von Herrn Kraus verteidigtes
Gedicht ein Plagiat sei oder nicht. Irgendeine Belei
digung des Herrn Kraus habe ihm durchaus ferngelegen


Eine solche Erklärung sollte meines Dafürhaltens sowie
die Umstände liegen, genügen.


Von einer Busse, die Sie sogar verlangen, kann keine
Rede sein. Dadurch wird der ganzen Angelegenheit eine Wichtigkeit
beigelegt, die ihr kaum zukommen dürfte.


Mir fehlt übrigens die Zustellungsurkunde an der Klage
schrift. Ich bitte Sie, festzustellen, wann Herrn Dr. Hartmeyer
zugestellt ist.


Hochachtungsvoll


Abschrift der Anlage J


Dr. Werner Bintz Hamburg, den 6. November 1929


Herrn Dr. E. Lion,
Hamburg


Karl Kraus / Hamburger Nachrichten.


Ich habe mit Herrn Dr. Hermann Hartmeyer, nachdem er
von seiner Reise zurückgekehrt ist, diese Angelegenheit noch einmal
durchgesprochen. Herr Dr. Hartmeyer ist bereit, wegen der Kosten in
sofern entgegenzukommen, als die diesseitigen Kosten von uns über
nommen werden, für ein Mehr ist Herr Dr. Hartmeyer nicht zu haben.
Auch das geschieht lediglich, um die Sache zu Ende zu bringen; eine
Verpflichtung dazu kann nicht anerkannt werden. Dann aber muss ich
Ihr Klient damit zufrieden geben, dass wir Herrn Dr. Egon ErichAlbrecht veranlassen, eine Erklärung des von mir bereits mitgeteilten
Inhalts (vgl. mein Schreiben vom 18. Oktober ds.Js.) abzugeben.


Hochachtungsvoll
gez: Bintz Dr.