1 U 233/29
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Im Namen der Republik!
Das Strafbezirksgericht I in Wien als
Pressegericht hat heute in
Gegenwart
des Privatanklagevertreters
Dr. Oskar
Samek
des Angeklagten Dr. Desiderius
Papp
und des Verteidigers Dr. Desider
Friedmann
über die Anklage verhandelt,
die der Privatankläger Karl Kraus gegen
Dr. Desiderius Papp, 33 Jahre
alt, ledig, verantwortlicher Schriftleiter,
wegen der Übertretung nach
§ 24 (2) 3 Pressgesetz erhoben hatte
und über den vom Ankläger
gestellten Antrag auf Bestrafung des Besch.
und Verpflichtung zur
Veröffentlichung der Berichtigung in der Zeitung:
„Neues Wiener Journal“
zu Recht erkannt: I. Es wird
festgestellt, von der Berichtigung, die
der Privatankläger mit Bezug auf den in der Nummer 12 757 der Zeitung„Neues Wiener Journal“
vom 29. Mai 1929 mit der Überschrift: „KarlKraus
will die unentgeltliche Ankündigung seiner Vorträge erzwingen“
abgedruckten Artikel dem
verantwortlichen Schriftleiter Dr. DesideriusPapp der erwähnten
Zeitung zur Veröffentlichung
zukommen liess, ist
zu
veröffentlichen:
Sie veröffentlichen: „(Karl Kraus will die
unentgeltliche An
kündigung seiner Vorträge erzwingen.) Der Presserichter
beim Strafbezirksgericht I, Vizepräsident Dr. Höflmayer, verhandelte gestern über
zwei von Karl
Kraus, dem Herausgeber der ‚Fackel‘, gegen die verant
wortlichen
Schriftleiter der ‚Neuen Freien Presse‘
und des ‚Tag‘ ein
gebrachten
Berichtigungsklagen. Im Konzerthaus fanden an
einem Tage
ein
Liederabend und ein Vortrag Karl Kraus statt. Da in
den Konzert
hausankündigungen der genannten Blätter der Vortrag nicht angekündigt
war, verlangte Karl Kraus
die Veröffentlichung einer Berichtigung, da
durch den Sammeltitel
‚Im Konzerthaus‘ der Anschein der Vollständig
keit des
Programms erweckt würde, was nicht den Tatsachen entspreche.
Die Berichtigung wurde verweigert und auch das Gericht fällte mit der
Begründung einen
Freispruch, dass es sich um eine bezahlte Einschaltung
einer Konzertdirektion handle.“
Es ist unwahr, dass Karl Kraus, da
in den Konzerthausankündigungen
der genannten Blätter der
Vortrag nicht angekündigt war, die Veröffent-
lichung einer Berichtigung
verlangte, weil durch den Sammeltitel
„Im
Konzerthaus“ der Anschein der Vollständigkeit erweckt würde.
Wahr ist, dass der
Sammeltitel der den Anschein der Vollständig
keit erweckte,
„Wiener Konzerthaus.“ gelautet
hat.
Wahr ist, dass Karl Kraus die
Veröffentlichung einer derar
tigen Berichtigung lediglich von dem Schriftleiter der „NeuenFreien Presse“
verlangt hat. Wahr ist, dass er vom Schriftleiter
des „Tag“ die Berichtigung einer in der Nummer vom 7. Mai 1929
veröffentlichten Notiz „Theaterskandal in Dresden. Bei der Premiere Karl Kraus
‚Die
Unüberwindlichen‘.“ verlangt hat, in welcher
berichtet wurde, es sei dem
Publikum mitgeteilt worden, dass CamilloCastiglioni gegen
die Verwendung einer Figur, durch die er ver
körpert werden
sollte, Einspruch erhoben habe und daß diesem Einspruche
stattgegeben worden sei,
dass ferner, während die Sozialdemokraten
applaudierten, die
Bürgerlichen ein Pfeifkonzert begannen und Stink
bomben warfen und
schliesslich, dass die Vorstellung unter allge
meinem Lärm zu
Ende geführt wurde. Wahr ist, dass der verantwort
liche Schriftleiter
des „Tag“ zwar freigesprochen, aber vom Gericht
verhalten wurde, den grössten Teil der Berichtigung zu ver
öffentlichen.
Es ist unwahr, dass das Gericht einen Freispruch des ver
antwortlichen Schriftleiters
der „Neuen Freien Presse“ mit der
Begründung fällte, dass es
sich um eine bezahlte Einschaltung
einer Konzertdirektion
handle. Wahr ist, dass das Gericht den
Freispruch damit begründete,
dass die verlangte Berichtigung den
pressgesetzlichen Bestimmungen über das Berichtigungsrecht nicht
entspreche, weil in der
berichtigten Stelle nicht davon die Rede
sei, dass an diesem Tage
„lediglich“ der Liederabend im Konzert
hause stattfand.
II. Dr. Desiderius Papp wird
verpflichtet, diesen Teil der
Berichtigung in der nächsten oder zweitnächsten Nummer,
die nach
Verkündigung des Urteiles erscheinen wird in demselben Teil der
genannten Zeitungen und der
gleichen Schrift, wie die zu berichtigen
de Mitteilung zu
veröffentlichen, widrigenfalls die genannte Zeitung nicht mehr erscheinen dürfte.
III. Dr. Desiderius Papp wird von der
Anklage wegen Übertretung
nach § 23 und § 24 (2) 3 Pr.G., angeblich begangen dadurch, dass
er als verantwortlicher
Schriftleiter der genannten Zeitung
sich
grundlos weigerte, die
vorerwähnte Berichtigung zu veröffentlichen,
gem. § 259/3 St.P.O. freigesprochen.
IV. Der P.A. Karl Kraus hat
gem. § 390 St.P.O. die Kosten des
Strafverfahrens zu tragen.
Entscheidungsgründe :
Durch das Impressum, bezw.
die Angaben des Beschuldigten ist er
wiesen, dass Beschuldigter in der in
Betracht kommenden Zeit der ver
antwortliche
Schriftleiter der Zeitung „Neues Wiener
Journal“ war,
dass
er das in Betracht kommende Berichtigungsschreiben erhalten hat
und dass seit Erhalt
desselben mehr als zwei Nummern der genannten Zeitung erschienen sind, die verlangte Berichtigung aber nicht veröffent
licht wurde.
Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung des Beschuldigten,
die
verlangte Berichtigung zu veröffentlichen grundlos war.
Die Stelle … unwahr ist,
dass Karl
Kraus die unentgeltliche
Ankündigung seiner Vorträge
erzwingen will; wahr ist, dass Karl Kraus …
die Aufnahme einer
Berichtigung erzwingen will, beinhaltet keine Tat
sachenberichtigung. In dem Satze des berichtigten Artikels, dass KarlKraus die
unentgeltliche Ankündigung seiner Vorträge erzwingen will,
ist die persönliche Ansicht
der Zeitung wiedergegeben.
Diesbezgl. konnte
der
verantwortliche Schriftleiter die Veröffentlichung der Berichtigung
ablehnen. (Entsch. d. Obersten Gerichtshofes 5 Os 131/29 v.
22.II.29)
Die übrigen Einwendungen der
Verteidigung waren nicht gerechtfer
tigt.
Es war zulässig, dass der
Berichtigungswerber den ganzen, seiner
zeit im „Tag“ veröffentlichten Aufsatz in die Berichtigung aufnahm, da
er nur dadurch die
Unrichtigkeit der Behauptung, beide Pressklagen
seien wegen der
unterlassenen Ankündigung des Vortrages des P.A. erhoben worden,
deutlich dartun konnte, dass
er mitteilte, welchen Inhalt der Aufsatz
im „Tag“ hatte.
Es war auch zulässig, dass
berichtigt wurde, daß der Sammeltitel in
dem berichtigten Artikel nicht: „Im
Konzerthaus“, sondern:
„Wiener
Konzerthaus“ gelautet hatte, weil dies gegenteilige
Tatsachen sind.
Wenn der Beschuldigte ferner
vermeinte, zwischen: „fällte …
Freispruch“ und „… zwar
freigesprochen, aber vom Gericht verhalten
wurde, den grössten Teil
der Berichtigung zu veröffentlichen“
bestehe kein
berichtigungsfähiger Gegensatz, muss dieser Ansicht
gegenüber gehalten werden,
dass durch die Bestimmungen des § 24Pr.G. ein
Freispruch ohne Verpflichtung zur Veröffentlichung der
Berichtigung, aber auch ein
Freispruch gilt mit Verpflichtung zur Ver
öffentlichung
möglich ist.
Da die verlangte Berichtigung die oben erwähnte Stelle ent
hielt, die keine
Berichtigung mitgeteilter Tatsachen ist, war der
Beschuldigte berechtigt, die
Veröffentlichung der ganzen Berichtigung abzulehnen. (§ 23 Pr.G.)
Gem. § 24 (3) Pressgesetz hatte das Gericht festzustellen,
was von der verlangten Berichtigung zu veröffentlichen ist, die
ser Feststellung
gemäss auf Veröffentlichung zu erkennen und den
Beschuldigten
freizusprechen.
Eine Folge des Freispruches
war gem. § 390 St.P.O. der dem P.A.
aufzuerlegende Kostenersatz.
Die übrigen Aussprüche des
Urteils gründen sich auf die
bezogenen Gesetzesstellen.
Wien, am 25. Juni 1929.