Sehr geehrter Herr Doktor Samek!
Mit dem besten Dank für Ihren
freund
lichen Brief vom 8.
September teile ich Ihnen
mit, daß ich Ihnen das Ergebnis meiner Un
tersuchung der Mitarbeit des
Herrn Dr. Pisk an
der hiesigen reaktionären Presse
bis zum 25.
September
bekanntgeben werde. Die deutsch
nationalen Blätter, an denen der
Herr als Mu
sikkritiker mitarbeiten soll,
sind der ‚Lokal-Anzeiger‘ und die ‚Berliner Börsen-Zeitung‘;
diese (mit dem liberalen ‚Berliner Börsen-Courier‘
nicht zu verwechseln, aber oft
verwechselt)
ist noch
nationalistischer als jener. Ich
werde mir die letzten Monatsbände beider Blätter
morgen in der Staatsbibliothek bestellen.
Gleichzeitig werde ich nochmals
ver
suchen, den
Verlag des Regensburger’schen Buches
über den preßgesetzlichen
Berichtigungszwang
zu
eruieren, um Ihre alte Bitte endlich
zu erfüllen. Das Buch ist weder in der Hand-
bibliothek des Juristischen
Seminars noch in
der Universitätsbibliothek vorhanden, und die
Staatsbibliothek hatte es schon verliehen, sooft ich
sie um seine Verleihung ersuchte.
Inzwischen
ist in dem zweiten
Bande des Sammelwerks
‚Recht und Staat im neuen Deutschland /Vorlesungen, gehalten in der
Deutschen Vereinigung für
staatswissenschaftliche Fortbildung‘
(Herausgeber: Dr. Bernhard Harms, o. Prof. an
der Universität Kiel; Verlag Reimar
Hobbing,
Berlin 1929) von
dem Ministerialrat
im
Reichsministerium des Innern Dr.
KurtHäntzschel eine höchst bedeutsame preß
rechtliche Arbeit veröffentlicht
worden, aus
der ich die folgenden
Darlegungen über
den „Begriff der
tatsächlichen Mitteilung“
(Seite
262) für Sie exzerpiert habe:
„Der
Tatsachenbegriff des Preßgesetzes
ist der gleiche, wie er im
Straf
recht,
z.B. bei den §§ 131 und
186 des
StGB, entwickelt worden
ist. Tatsache ist alles, was sinnlich
wahrgenommen und nach festem
ob
jektiven
Maßstab seinem Wesen nach
bestimmt werden kann. Die Tatsache
setzt also etwas Geschehenes
oder Be
stehendes
voraus, das in Erscheinung
getreten und dadurch Gegenstand mensch
licher Wahrnehmung geworden
ist.
Tatsächlich ist mithin
nicht alles,
was ist, sondern
nur das, was gleich
zeitig wahrnehmbar und daher –
wenn auch vielleicht nicht im
Ein
zelfalle, so
doch mindestens ge
meinhin – dem Beweise zugäng
lich ist. Mitgeteilte
Tatsachen können
nicht nur
Mitteilungen über Vorgänge,
z.B. ein Tun, ein Unterlassen oder
ein Erlebnis, sondern auch solche
sein, die lediglich einen Zustand
oder eine Eigenschaft behaupten.
Die Behauptung, daß jemand
rote
Haare habe, ist z.B.
ebenso be
richtigungsfähig wie die, daß er
sich täglich im
Rauschzustand be
finde oder eine bestimmte Tat
begangen habe. Wo sich der Sitz
oder Schauplatz der
wahrnehmbaren
Tatsache
befindet, ist grundsätzlich
bedeutungslos, so daß auch Mittei
lungen über Vorgänge oder
Zustände
im Innern eines
Menschen tat
sächlicher Natur sein können, so
fern sie entweder äußerlich
wahr
nehmbar
sind oder nur einen Be
gleitzustand einer
äußerlich
wahrnehmbaren
Handlung dar
stellen, z.B. die Absicht, die je
mand bei einer Handlung
inner
lich
gehabt hat.“
Die von mir unterstrichenen
Stellen dieses Zi
tats
weichen von den bekannten Darlegungen
des Kitzinger’schen Kommentars über das
gleiche Thema zweifellos
vorteilhaft ab;
deshalb wird das
Zitat Sie vielleicht in
teressieren.
– Mit herzlichen Grüßen für
Herrn Kraus
und für Sie: Ihr ergebener Franz
Leschnitzer.