Namens und im Aufträge meines
Mandanten, Herrn
Schriftsteller
Karl Kraus aus Wien III, HintereZollamtsstrasse 3, habe
ich Ihnen folgendes mit
zuteilen:
Zwischen Ihnen und meinem Mandanten besteht
der Aufführungsvertrag bezüglich des Dramas
„DIE UNÜBERWINDLICHEN“. Nach § 2 des Vertrages
haben Sie sich verpflichtet, das
Werk in Ihrem
Theater aufzuführen. In § 3 des Vertrages ist
der Erstaufführungstermin
festgelegt, der in der
Zeit bis
1. Januar 1930 liegen mußte. In diesen
Paragraphen wird von einer
„ersten Aufführung“
und auch davon gesprochen, daß
„zunächst“ eine
Matinee stattfinden sollte.
Beweist schon dieses
„erste
Aufführung“ in Verbindung mit „zunächst“
daß noch
weitere Aufführungen folgen sollten
und das Wort „Matinee“, daß diese
späteren Auf
führungen
keine Matineen sondern Abendvorstellungen
sein sollten, so wird dieser
übereinstimmende Wille
beider
Parteien, der im Vertrag klaren Ausdruck ge
funden hat, in dessen § 6 zur
Evidenz erhoben. Heißt
es doch
dort unter der Überschrift „Dauer des Ver
trages“:
„Der Vertrag ist
bis zum 1. Januar 1931
abgeschlossen.“ Wenn nur eine Aufführung
erfolgen
sollte, die eine
Matinee, und bis zum 1. Januar 1930
absolviert war, dann braucht der
Vertrag nicht bis
zum 1. Januar 1931 abgeschlossen
zu sein, endete
vielmehr
automatisch mit dem 10. Februar 1930, da
ja die Abrechnung der 1. Matinee
spätestens bis
dahin erledigt
sein mußte (§ 5 des Vertrages) und
weitere Vertragsbeziehungen unter
den Parteien dann
ja nicht mehr
bestanden hätten. Dazu kommt, daß
nach der Berliner Theater-Usance ein Werk aufführen
heißt: es sind Serienaufführungen
herauszubringen,
zumal wenn
das Werk einen solchen Theater- und Presse
erfolg hat, wie die „UNÜBERWINDLICHEN“, einen Erfolg,
den Sie selbst in den Plakaten
der auffälliger- und
merkwürdigerweise abzusetzenden Sonntagsvorstellung
als ungewöhnlich bezeichnet
haben.
Mein Mandant hat also einen klaren Rechtsanspruch
gegen Sie, der dahin geht, daß
die Aufführung
seines Werkes in der Zeit bis 1. Januar 1931 mehr
fach und serienmäßig
wiederholt wird, daß der
„ersten Aufführung“ in Form
einer Matinee weitere
Aufführungen als Abendvorstellungen folgen. Diesen
Anspruch macht mein Mandant hiermit gegen Sie geltend
und fordert Sie durch mich auf,
binnen 3 Tagen d.h.
bis
spätestens zum 5. d.Ms. mittags 12 Uhr anzu
erkennen, daß Sie diesen seinen
Rechtsanspruch
respektieren
und dieser Ihrer Vertragspflicht
nachkommen werde. Dieses sofortige Anerkenntnis
kann mein Mandant von Ihnen fordern, weil Sie die
Vornahme weiterer Aufführungen
seines Stückes
bereits abgelehnt und die
Sonntagsaufführung unter
unzulänglichem Vorwand abgesetzt haben. Diese Ablehnung
und Absetzung stellt aber bereits
eine gröbliche
Vertragsverletzung
dar. Demgemäß fordere ich Sie
hiermit gleichzeitig auf, an meinen Mandanten
binnen
der Ihnen oben
gesetzten Frist die vereinbarte Ver
tragsstrafe von 600,– RM zu
zahlen. Mein Mandant be
hält sich aber auch schon jetzt
seinen Anspruch auf
Vertragserfüllung und auf Schadensersatz wegen der
bisherigen Vertragsverletzungen
insbesondere wegen
der
rechtswidrigen, grundlosen und ungehörigen
Absetzung des Stückes vom Spielplan des nächsten
Sonntags, die abgesehen von der
künstlerischen Schä
digung auch eine schwere politische Diskreditierung
meines Mandanten bedeutet, ausdrücklich vor.
Mein Mandant verlangt von Ihnen ferner binnen
der gleichen Frist die Zahlung
einer weiteren Ver
tragsstrafe von 600– RM, weil Sie sich im Sinne
des § 8 des Aufführungsvertrages einer weiteren
gröblichen Verletzung schuldig
gemacht haben. Sie
haben,
entgegen § 9 des Vertrages – Der Vertrag
stellt eine Einheit dar, § 8
deckt § 9 – entgegen
der
ausdrücklichen Bestimmung, „Änderung nur mit
Zustimmung meines Mandanten
vorzunehmen“, ohne Zu
stimmung meines Mandanten Änderungen und Kürzungen
vorgenommen, sogar so erheblich
und sinnwidrig,
daß der stärkste
Akt des Dramas völlig
zerstört und von einer Kritik,
die bedenklicherweise
nicht die
Buchausgabe zum Vergleiche heranzog, und
vom Publikum mit Recht als der
Schwächste empfunden
wurde. Auch
wegen dieser Schädigung behält sich mein
Mandant seinen Anspruch auf Schadensersatz darüber
hinaus aber auch den auf
Vertragserfüllung durch
Vornahme
einer ordnungsmäßigen, § 9 des Vertrages
respektierenden, Erstaufführung
ausdrücklich vor.
Ich weise daraufhin, daß ich
bereits Auftrag zur
Klageerhebung, auch wegen der meinem Mandanten
bei
mir entstandenen Gebühren und
Spesen für dieses
Schreiben,
habe. Ich werde mich dieses Auftrages
entledigen, falls meine
Forderungen nicht frist
gemäß von Ihnen erfüllt und falls nicht von
Ihnen binnen der gesetzten Frist
d.h. bis zum
5. d.Ms. mittags 12
Uhr meine Gebühren und Spesen
in
Höhe von 55.– RM (Obj. 600.– + 600.– + unschätzbar
= 2000.– = 3200.– RM) beglichen
werden.
Hochachtungsvoll
Rechtsanwalt