Geschäftszahl 1 U 456/29/10
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Vor dem Strafbezirksgericht I in Wien als
Pressegericht hat
heute in
Abwesenheit:
des
Privatanklägers Karl Kraus und
in Gegenwart dessen
Vertreters Dr. Oskar Samek,
in
Abwesenheit des Angeklagten Dr. Desiderius Papp und
ln Anwesenhelt des
Verteidigers Dr. Robert Brunner
über die Anklage verhandelt
worden, die der Privatankläger gegen Dr.
Desiderius Papp, 34 Jahre
alt, ledig, verantwortlicher Schriftleiter des
„Neuen Wiener Journal“
wegen der Übertretung nach
§ 30 Pressgesetz erhoben hatte. Über den vom
Ankläger gestellten Antrag
auf Bestrafung des Angeklagten, Verpflicht
tung zur
Veröffentlichung des Urteiles im „Neuen
Wiener Journal“
Verfall der Nummer 12858 vom
8.9.1929 und Nummer 12861 vom
11.9.29.
und Ersatz
der Kosten des Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit dem
Herausgeber und Eigentümer der Zeitung „Neues Wiener Journal“
hat das
Gericht zu Recht erkannt:
Der Angeklagte Dr. Desiderius
Papp ist schuldig, er habe
im September 1929 in Wien als verantwortlicher Schriftleiter der Zei
tung „Neues Wiener
Journal“ bei Aufnahme der Stelle „Kapituliert
hat
schließlich das
rote Revolverschmökchen Karl Kraus, der sich in
den
Großkampftagen
gegen Schober an die Rockschösse der
marxistischen Ver
leumder hing, aber sehr bald schon, als er in einem
publizistischen
Wettstreit mit dem Steinhofer
‚Goldfüllfederkönig‘ geriet, aus der
Schlachtarena
schlich.“ in der Nummer 12858
vom 8.9.1929, und der Stelle
dass der Privatankläger zwei Jahre
hindurch dem damaligen Polizeipräsi
denten Schober als „Arbeitermörder“ und „Bluthund“ geschildert habe und
nun vor eben diesem Schober auf den Knien liege und ihn als Retter
des
Vaterlandes preise,
in der Nummer 12861 vom 11.9.1929,
des „Neuen
Wiener Journals“ in den Aufsätzen „Genossen
unter sich!“, deren
Inhalt
das Vergehen gegen die Sicherheit der Ehre nach §§ 488, 491 STG.
begründet jene
Aufmerksamkeit vernachläßigt, bei deren pflichtgemäße
Anwendung die Aufnahme des
strafbaren Inhaltes unterblieben wäre.
Er hat hiedurch die
Übertretung nach § 30 Pressgesetz begangen
und wird hiefür nach dieser
Gesetzesstelle zu einer Geldstrafe von
S 100.– (Einhundert
Schilling)
im
Nichteinbringungsfalle zu einer Arreststrafe in der Dauer von drei
Tagen und gemäß § 389 STPO. zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens
verurteilt.
Der Angeklagte wird gemäß § 43 (1) Pressgesetz verpflichtet, dieses
Urteil spätestens in der
zweiten Nummer der Zeitung „Neues Wiener
Journal“, die nach Rechtskraft dieses Urteiles erscheinen wird in der im
§ 23 Pressgesetz vorgeschriebenen Weise zu veröffentlichen,
widrigenfalls
die
genannte Zeitung nicht mehr
erscheinen dürfte.
Gemäß § 41 (1) Pressgesetz werden die Nummer 12858 vom 8.IX.1929
und die Nummer 12861 vom 11.IX.1929 der Zeitung „Neues Wiener Journal“
für verfallen erklärt.
Gemäß § 5 (2) Pressgesetz haftet die Firma
Lippowitz & Co., als
Eigentümer und Herausgeber
der genannten Zeitung für die
Geldstrafe und
die Kosten des
Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten.
Entscheidungsgründe:
Durch das Impressum, bezw. die Angaben des Beschuldigten vor dem
Untersuchungsrichter ist erwiesen, daß der Beschuldigte der
verantwort
liche Schriftleiter der Nummer 12858
vom 8.IX.1929 und Nummer
12861vom
11.IX.1929 der Zeitung „Neues
Wiener Journal“ war, in denen unter der
Überschrift: „Genossen unter sich!“ Aufsätze
erschienen sind, die die im
Urteilsspruche zitierten Stellen enthalten.
Diese Stellen beinhalten in
ihrer Gänze den Tatbestand des Verge
hens gegen die
Sicherheit der Ehre nach § 488, 491 STG.
Die Stelle, dass Karl Kraus
kapituliert hat, müßte an sich keine
Beleidigung im Sinne des
STG. sein, doch ergibt sich aus dem Zusammen
hang mit den
nachfolgenden Stellen der Vorwurf, daß er eine nicht aus
einwandfreien Motiven
begründete Gesinnungsänderung an den Tag gelegt
habe, eine soche
Beschuldigung beinhaltet den Vorwurf einer bestimmten
unehrenhaften, bezw.
unsittlichen Handlung, welche Beschuldigung geeignet
ist, den Privatankläger
in der öffentlichen Meinung verächtlich zu ma
chen oder
herabzusetzen (§ 488 STG.).
Durch die übrigen Stellen:
„dass
er ein Revolverschmöckchen sei,“
„dass er sich
in den Großkampftagen gegen Schober an die
Rockschöße der
marxistischen Verleumder hing,“ „daß er in
einem publizistischen Wett
streit mit dem Steinhof
‚Goldfüllfederkönig‘ geriet“, „daß er sich
aus
der Schlachtarena
geschlichen hat,“ „daß er zwei
Jahre hindurch den
damaligen Polizeipräsidenten Schober als
‚Arbeitermörder‘ und ‚Blut
hund‘ geschildert habe und nun vor eben diesem Herrn auf den Knien lie
ge, und ihn
als Retter des Vaterlandes preise“ beinhalten ebenfalls
eines Beleidigung im Sinne
der §§ 486 und 491 STG. Es ist gerichtsbe
kannt, daß der
sogenannte „Goldfüllfederkönig“ sich in den
letzten Jahren
wiederholt
dadurch unliebsam gemacht hat, daß er Mitteilungen an die
Behörden machte, durch die
die Behörden irrregeführt wurden. Wenn dem
Privatankläger vorgeworfen
wird, daß er mit ebendiesem Manne in einem
publizistischen Wettstreit
geriet, wird der Privatankläger hiedurch dem
öffentlichen Streite
ausgesetzt (§ 491 STG.). Der Vorwurf „dass er ein
ro
tes
Revolverschmöckchen sei“ beinhaltet eine Verspottung im Sinne des
§ 491 STG., desgleichen der Vorwurf „daß er sich
in den Großkampftagen
an
die Rockschöße der marxistischen Verleumder hing“. Die Behauptung
„daß er sich
aus der Schlachtarena geschlichen hat,“ und „dass er
zwei
Jahre hindurch
Schober als Arbeitermörder und Bluthund
geschildert habe
und nun
von ebendiesem Schober auf den Knien liege
und ihn als Retter
des
Vaterlandes preise“ beinhaltet die Beschuldigung eines unbegründe
ten
Gesinnungswechsels aus nicht entscheidbaren Motiven, (§ 488 STG.).
Bei der Strafbemeßung war
erschwerend der Umstand, daß der Angeklagte
wegen desselben Deliktes bereits zweimal vorbestraft ist, als
mildernd kam kein Umstand in
betracht.
Die über den Angeklagten Desiderius
Papp verhängte Strafe er
scheint daher
dessen Verschulden angemeßen.
Über Antrag des Privatanklagevertreters wurde der Beschuldigte
gemäß § 43 (1) Pressgesetz zur Veröffentlichung des Urteiles in der
Zeitung „Neues Wiener Journal“ verpflichtet und gemäß § 41 (1) Pressgesetz der Verfall der Nummer
12858 vom 8.IX.1929 und Nummer
12861 vom11.IX.1929
der Zeitung „Neues Wiener Journal“
ausgesprochen.
Die übrigen Entscheidungen
stützen sich auf die Gesetzes
stellen.
Wien, am 3. Dezember 1929
Der Richter
Kahlert