Sehr geehrter Herr Kollege!
Die Beantwortung Ihres
gesch. Schreibens vom 2. Juni
hat sich deshalb
hinausgeschoben, weil nunmehr auch meinerseits eine
Ergänzung der Information
notwendig geworden ist.
Herr Kraus ist nicht in der Lage dem von Ihrer
Mandantin eingenommenen Standpunkt Rechnung zu tragen oder
ihn anzu
erkennen. Es
mag sein, dass die Berechnung des Fischer Verlages
stimmt und dass der Auswahlband ca. 600 Seiten umfassen
würde. Meinem
Klienten ist es aber aus künstlerischen Gründen nicht möglich
eine
weitere Kürzung der
Auswahl vorzunehmen, weil ein Auswahlband unbe
dingt einen Ueberblick über das
Gesamtschaffen Peter
Altenberg’s
geben muss
und daher von jeder Art Stücken eines oder mehrere in
ihm enthalten sein muss. Dass
dadurch der Absatz der einzelnen
Werke gefährdet erscheint, dürfte nicht zutreffen, da der Auswahlband ja vielleicht gerade
die Wirkung hat, das Publikum für das
Gesamtschaffen des Künstlers zu
interessieren. Wenn es lediglich
darauf ankommt, dass das Publikum „naturgemäss annimmt, dass das
Beste und Interessanteste
darin enthalten ist und ein Verkauf der
einzelnen Werke dann kaum noch
erfolgen könnte,“ so ist dazu zu
sagen, dass diese Annahme sich
bei einem Auswahlband von 400 Seiten
eintreten kann und ebenso oder
ebensowenig eintreten wird wie bei
einem von ca. 600 Seiten. Ganz besonders aber muss ich auf die
Unrichtigkeit hinweisen, dass der
jetzige Auswahlband um etwa 200
Seiten über das hinausgeht, was
seinerzeit in Aussicht genommen war.
Herr Sigismund von
Radecki, welcher im Namen des Herrn Kraus
seiner
zeit die
Verhandlungen mit dem Verlag S. Fischer führte, bestreitet
es auf das entschiedenste, dass
von Seiten des S.
Fischer Verlag es
etwa
400 Seiten als Höchstgrenze in Aussicht genommen war, da er das
natürlich auch sofort Herrn Kraus mitgeteilt hätte, der unter diesen
Umständen die Arbeit der
Zusammenstellung eines Auswahlbandes
über
haupt nicht
auf sich genommen hätte, weil er sich bei der Stärke des
Auswahlbandes lediglich von dem oben dargelegten künstlerischen
Grund
satze leiten
lassen kann und diesem nicht Rechnung getragen wird,
wenn der Auswahlband nicht eine Uebersicht über das
Gesamtschaffen
gibt. Auch ist
diese Frage jetzt schon ganz hinfällig geworden,
weil Herr Kraus das Manuskript des Auswahlbandes dem S. Fischer Verlag seinerzeit
übergeben liess und dieses Manuskript noch über das
hinausging, was jetzt zum Abdruck
kommen soll. Als Sie nun im Namen
des S. Fischer
Verlag es am 7. April 1930 Herrn Kraus das
Recht zur
Herausgabe in einem
anderen Verlag freigaben, so war damit selbst
verständlich das Recht gegeben,
das dem S. Fischer
Verlag übergebene
Manuskript vollständig zu benützen und zum Abdruck zu bringen.
Was die weiteren
Bestimmungen Ihres Schreibens vom 2. Juni
anlangt, so ist zwar früher
niemals vereinbart worden, dass das Buch
nur in einem
Band erscheinen darf. Der Schroll Verlag
hat aber ohne
dies
die Absicht, die Auswahl nur in
einem Band herauszugeben und für
die würdige Ausstattung
desselben bürgt wohl der Name des Verlages
und das
Ueberprüfungsrecht des Herrn Kraus.
Was die Bestimmung betrifft,
dass das Urheber- und Verlags
recht für den Auswahlband auf die Lebenszeit des
Herrn Kraus über
lassen wird, mindestens aber
auf 10 Jahre vom 1. Juli 1931 an gerech
net, so entbehrt diese
Bestimmung der notwendigen Ergänzung, dass
die innerhalb dieser Zeit
gedruckten Exemplare noch zur Auslieferung
gebracht werden dürfen, auch
wenn der Termin bereits abgelaufen ist.
Die Zustimmung der Kinder Schutz- und RettungsgesellschaftWien als Erbin des Herrn Peter Altenberg
wurde bereits eingeholt.
Dass das Werk „Bilderbögen des kleinen Lebens“ in
einem
anderen Verlag erschienen ist, hat der Schroll-Verlag zur Kenntnis
genommen und wird die
notwendigen Schritte zur Berechtigung des Ab
druckes aus diesem Werk
unternehmen.
Der Schroll-Verlag hat sich auch bereit erklärt, ihnen eine
Abschrift der jeweils der Kinder Schutz- und RettungsgesellschaftWien gelegten Verrechnung
zu übersenden.
Ich bitte Sie also diesen Brief
an Ihre Mandantin weiter
zuleiten, zu welchem Zwecke ich
auch eine Abschrift beilege und sie
zu veranlassen, die Kinder Schutz- und Rettungsgesellschaft
nunmehr
zu benachrichtigen,
damit die Sache vollständig in Ordnung geht.
Mit vorzüglicher kollegialer
Hochachtung
P.S. Ich möchte noch
erwähnen, dass der Standpunkt Ihrer Mandantin,
es sei der Zeitpunkt für die Herausgabe eines Sammel
buches zur Zeit ungeeignet,
keinesfalls zutrifft, es wäre denn,
dass noch immer der Grund,
aus dem der Verlag S. Fischer den
Vertrag nicht selbst
durchführte, nämlich die Rücksicht auf Kerr,
noch immer fortwirkte.