Der Zauberberg. RomanPeter Altenberg. Auswahl aus seinen Büchern von Karl Kraus


Sehr geehrter Herr Kollege!


Ich glaube nicht, daß die Erörterungen darüber, ob
Briefe ankommen oder nicht, die Sache fördern. Auch über
die sprachliche Bedeutung des Ausdrucks „Erwähnung“ kön
nen wir die Korrespondenz abschliessen, weil Sie anscheinend
die Art unserer Diktion anders beurteilen als wir. Mit dem
Worte „erwähnen“ habe ich durchaus nicht zum Ausdruck brin
gen wollen, daß Sie mir nebenbei eine Tatsache mitteilen,
sondern daß Sie eine Tatsache mitteilen. Im übrigen kommt es
ja in unserer Korrespondenz nicht auf Sprachuntersuchungen und
Finessen an, sondern auf den Sachverhalt. Daß der Brief vom
17. Juli 1928 abgeschickt worden ist, steht hier fest. Daß
der Brief nirgends angekommen ist, habe ich aus Ihrem Brief
zur Kenntnis genommen. Ich übersende Ihnen in der Anlage Ab
schrift eines weiteren Briefes meines Mandanten an Herrn von
Radecki vom 31. Oktober 1928, in welchem gleichfalls der Um
fang des Werkes erwähnt ist und zwar nach einer vorherigen te
lefonischen Besprechung. Falls dieser Brief etwa auch nicht
angekommen sein sollte, so wird Ihnen ja Herr von Radecki be
stätigen, daß doch wenigstens das Telefongespräch stattgefun
den hat.


Sie ersehen weiter aus dem Brief vom 31. Oktober,
daß er im Zusammenhang steht mit dem Ihnen bereits übersandten
Brief vom 17. Juli 1928 und ich bitte schließlich Ihre Nach
forschungen auch darauf zu erstrecken, ob denn Herr Kraus
auch nicht die Dünndruckausgabe des Zauberbergs, die ihm
mit dem Brief vom 17. Juli 1928 gleichzeitig zugegangen ist
und die in dem späteren Telefongespräch mit Herrn von Radecki
zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden ist, erhalten
hat. Es ist doch nach den hier vorliegenden Korrespondenzen
anzunehmen, daß Herr Kraus wegen der Mitteilung der Zauberberg -Dünndruckausgabe sich mit Herrn von Radecki unterhalten
hat, daß dann dieser weiter telefoniert hat und daß am 31.
Oktober ihm dann die telefonisch bereits gemachte Mitteilung
schriftlich bestätigt worden ist. Es gibt ja gewiß theoretisch
die Möglichkeit, daß mehrere Briefe an verschiedene Personen
in derselben Angelegenheit verloren gehen und daß auch ein
übersandtes Buch nicht ankommt, aber auch ebenso möglich ist
doch, daß Herr Kraus und Herr von Radecki vielleicht bei der
Länge der Zeit in ihrer Erinnerung nicht mehr ganz fest sind
und daß sie angesichts der jetzt erwähnten Tatsache und über
sandten Briefkopie bei nochmaliger Nachprüfung ihres Gedächt
nisses sich auf diese Dinge besinnen werden. Ihre Bemerkung,
daß auf den Brief vom 17. Juli Herr Kraus die Unmöglichkeit
einer künstlerischen Beschränkung dargetan hätte und daß Herr
Kraus, wenn das Schreiben angekommen wäre, es sofort beantwortet
hätte, scheint mir nicht logisch zwingend zu sein. Einmal
pflegt Herr Kraus, wie meine Mandantin mitteilt, überhaupt
nicht zu schreiben; infolgedessen hätte sie auf eine Antwort
nicht zu warten brauchen und sodann ist ja die Sache dadurch
weiter geführt worden, daß Herr von Radecki im Oktober die
Sache telefonisch behandelt hat und daß darauf die Korrespon
denz fortgesetzt worden ist.


Ganz unverständlich ist mir nach wie vor, was Sie
mit der Vorlage des Manuskripts des Auswahlbandes meinen. Sie
ziehen den rechtlichen Schluß, daß Herr Kraus das Manuskript
des Auswahlbandes dem S. Fischer-Verlag seinerzeit übergeben
hat. Schlüsse haben aber manchmal das Schicksal, daß sie nicht
richtig sind. Dies liegt hier vor, denn Herr Kraus hat niemals
ein Manuskript des Auswahlbandes meiner Mandantin übergeben
und dies ist auch nicht möglich, denn es lag ja seinerzeit,
also im Jahre 1928, ein solches Manuskript überhaupt nicht
vor, wie Herr Kraus Ihnen ohne weiteres bestätigen kann. Daher
hat ihn auch meine Mandantin in dem Brief vom 23. März 1931 er
sucht, ein Manuskript vorzulegen oder ein genaues Verzeichnis
der einzelnen Beiträge und auch jetzt ist ein Manuskript nicht
vorgelegt worden, sondern es ist das Verzeichnis der Beiträge
eingesandt worden, aus dem meine Mandantin berechnet hat, daß
es sich um einen Band von 600 Seiten handeln würde.
Ich kann mir Ihren Irrtum, daß dem S. Fischer-Verlag ein Ma
nuskript übergeben worden ist, eigentlich nur daraus erklären,
daß Sie hier nicht eine Information von Herrn Kraus erhalten
haben sondern den Brief von Herrn Rechtsanwalt Dr. Laserstein
vom 28. März 1930 mißverstanden haben. Wenn Herr Kollege Laserstein hier schrieb, „Das Manuskript ist Ihnen bereits zur Ver-
fügung gestellt worden und steht Ihnen weiterhin zur Verfü
gung“, so heißt das nach unserer Auffassung, die Ihnen viel
leicht fremd ist, nicht etwa, daß das Manuskript übergeben
ist, sondern daß der Autor sich bereit erklärt hat, es zu
übergeben. „Zur Verfügung stellen“ kann sich natürlich mit
Übergabe decken, es muß dies aber nicht der Fall sein.
Im weiteren Verlauf des Briefes schreibt Herr Kollege Laserstein, daß meine Mandantin zur Übernahme des Manuskripts ver
pflichtet sei. Dies unterstützt meine Annahme, daß er die
Worte „Zur Verfügung stellen“ nicht im Sinne von bereits
übergeben aufgefaßt hat, sondern daß er nur zum Ausdruck brin
gen wollte, daß, wenn das Manuskript übergeben werden würde,
es dann übernommen und vervielfältigt werden müsste.


Es würde mich interessieren, ob meine Annahme, daß
dieser Brief Sie zu der irrigen Auffassung geführt hat, rich
tig ist. Aber wie immer, jedenfalls kann Ihr rechtlicher
Schluß nicht bestehen gegenüber der zweifelsfreien Tatsache,
daß ein Manuskript nicht übergeben worden ist.


Der Brief von Rechtsanwalt Dr. Laserstein ist aber
noch aus einem anderen Grunde interessant. Er enthält den
Satz:


„Ihr Haus hat sogar mit meinem Mandanten über die
Druckanordnung korrespondiert.“


Nun finde ich in der ganzen Korrespondenz nichts, was eine
Korrespondenz über die Druckanordnung sein könnte, als eben
der Brief vom 17. Juli 1928, denn der weitere Brief über die
Druckanordnung vom 31. Oktober 1928, dessen Kopie ich Ihnen
heut übersende, ist ja nicht an Herrn Kraus, sondern an Herrn
Sigmund von Radecki gerichtet. Falls also nicht doch noch
Herr Kraus unter seinen Papieren den Brief vom 17. Juli 1928
auffinden sollte, wäre ich Ihnen wiederum verbunden für eine
Mitteilung, welche andere Korrespondenz über die Druckanord
nung denn meine Mandantin mit Herrn Kraus geführt hat. Dies
scheint mir umso wesentlicher, als Sie schreiben, daß Sie
auch bei Herrn Rechtsanwalt Laserstein recherchiert haben
und auch er sich an dieses Schreiben nicht erinnern konnte.
Er wird dann doch aber angeben müssen, welche Korrespondenz
über die Druckanordnung er in seinem Brief vom 28. März 1930
denn gemeint hat.


An sich könnten diese Punkte ja als von geringerer
Bedeutung erscheinen. Da Sie aber in Ihrem Brief es als
möglich ansehen, daß es sich bei dem Schreiben vom 17. Juli
nur um einen Briefentwurf gehandelt hätte und daß Sie dies
von allem Anfang an vermutet haben, so liegt hierin doch der
Vorwurf an meine Mandantin, daß sie einen Brief, den sie nur
als Entwurf seinerzeit gefertigt hat, jetzt als einen abge
sandten Brief ausgibt, also eine unrichtige Angabe macht.
Angesichts dessen bin ich es meiner Mandantin schuldig, diese
ausführliche Darlegung zu machen und um Richtigstellung zu
bitten, obwohl an sich bei einem Hause vom Rufe des S. Fischer-Verlages wohl von Anfang an eine Vermutung, wie Sie
sie nun aussprechen, nicht hätte Platz greifen dürfen.


In der Sache selbst ist ja nun alles geklärt, bis
auf den Punkt des Umfanges des Buches. Hier bleibt der Stand
punkt meiner Mandantin unverändert oder ist der gleiche, gegen den
Sie im Jahre 1928 Herrn Kraus und Herrn von Radecki gegenüber
in der Korrespondenz bereits eingenommen haben. Bei einem Ge
samtwerke, wie es von Altenberg vorliegt, kann ein Auswahlband
nicht 600 Seiten umfassen. Dies ist die Überzeugung der Herren
des Verlages, den zu vertreten ich die Ehre habe. Meine Mandan
ten erheben die volle Anerkennung von der literarischen Bedeu
tung von Karl Kraus auch für sich den Anspruch, ein künstleri
sches Urteil zu besitzen und verlagstechnisch ist ihr Urteil
zweifellos von größerer Bedeutung als die Meinung von Herrn
Kraus. Der Verlag hat moralisch wie rechtlich die Verpflich
tung, für seinen Autor und dessen Rechtsnachfolger einzustehen.
Er ist der Überzeugung, daß ein Auswahlsband von 600 Seiten
den Interessen des Gesamtwerkes entgegenstehen würde und über
die Richtigkeit dieser Ansicht gibt es keine Debatte. Hier kann
allein der Verlag entscheiden.


Es kann auch beim besten Willen hier niemand einsehen,
daß es nicht möglich sein sollte, eine Konzentration der Aus
wahl derart herbeizuführen, daß der Band nur 25 Bogen enthält.
Es wird Herrn Kraus gewiß gelingen, dies Resultat herbeizuführen.


Hochachtungsvoll
Frankfurter
Rechtsanwalt


3