Berlin, den 4. Juni 1931.
An das
AmtsgerichtCharlottenburg,
Amtsgerichtsplatz
Eilt sehr!
Versteigerungstermin am:
16.
Juni 1931.
Sofort vorzulegen.
In Zwangsvollstreckungssachen
des Schriftstellers Karl Kraus
Wien III, Hintere Zollamtsstrasse
3,
Gläubiger,
vertreten durch den
Rechtsanwalt
Dr. Laserstein, Berlin, N.O.18.,Landsberger Allee 115/116,
gegen
den Theaterdirektor Ernst Josef Aufricht
Berlin-Wilmersdorf, Landauerstrasse 4,
Schuldner,
vertreten durch den
Rechtsanwalt
Justizrat Dr. Gustav Schoeps, Berlin, C.25.,Alexanderstrasse 53,
hat der Gerichtsvollzieher Schultzen, kr.A.
Berlin-Steglitz, Friesenstrasse 2 III, am
28. Mai 1931 in der Wohnung des
Schuldners,
Landauerstrasse 4, die folgenden Sachen ge
pfändet:
Taxe:
6 Paar schwarze
Halbschuhe 18,––
1 Paar braune
Halbschuhe 5,––
1 Paar
Lack-Halbschuhe 5,––
1 Gehrock m.
gestreifter Hose 10,––
3 Anzüge
30,––
2 Hüte 2,––
Ich erhebe hierdurch in
anliegender Vollmacht
des Vollstreckungsschuldners auf Grund der §§766,
811 Nr.1 und 5, und 803 C.P.O.
Erinnerung
mit dem Antrage:
1.) das Vollstreckungsgericht wolle die vorge
nommene Zwangsvollstreckung
in die vorbe
zeichneten Sachen für unzulässig erklä
ren und aufheben,
2.) das Vollstreckungsgericht wolle geneigtest
bis zur Entscheidung
die
Zwangsvollstreckung einstellen.
3.) die Kostendes Verfahrens
dem Gläubiger auf
zuerlegen.
Begründung:
Die Unzulässigkeit der
Zwangsvollstreckung in die benannten Ge
genstände dürfte schon nach
§ 811 Nr.1 und 5 gegeben sein.
Der Vollstreckungsschuldner ist vom Beruf Schauspieler.
Nachdem er jahrelang am Staatstheater in Dresden als Schauspieler
tätig gewesen war, hatte er
die Leitung des Theaters am Schiffbauerdamm
übernommen und bis zum 1. Mai 1931 geführt. Infolge der un
geheuren Wirtschaftskrise,
der Tonfilmkonkurrenz und anderer
schwerwiegender Umstände hat
er nicht blos das in das Theaterunternehmen
hineingesteckte grosse Vermögen vollständig verloren, son
dern ist aus demselben mit
einer bedeutenden Schuldenlast heraus
gegangen.
Er ist im Interesse des eigenen
Lebensunterhalts und des
jenigen seiner aus Frau und zwei Knaben bestehenden Familie ge
nötigt, sein
Lebensunterhalt wieder als Schauspieler, sei es beim
Theater, sei es beim Tonfilm zu
suchen. Hierzu bedarf er ganz
dringend der im gepfändeten Schuhe, Anzüge und Hüte.
Die Pfandstücke stellen fast
seine ganze Garderobe dar.
Ihr Besitz ist für ihn so unentbehrlich, als er nach den Tarif
verträgen der Bühnengenossenschaft als Schauspieler
genötigt ist,
seine gesamte Garderobe und
Beschuhung selbst auf eigene Kosten
anzuschaffen und darauf
bedacht sein muss, hierbei eine gewisse
Mannigfaltigkeit walten zu
lassen, da er sonst überhaupt keine
Aussicht hat Beschäftigung
als Schauspieler oder beim Tonfilm
oder dergleichen zu
erhalten.
Die gepfändeten
Kleidungsstücke und Schuhe sind übrigens
schon mehrere Jahre alt und
es würde bei einer Zwangsversteigerung,
wenn sich überhaupt ein
Käufer finden sollte, nicht einmal die
jenigen Beträge bringen,
welche der Gerichtsvollzieher Schulze als
ihre Werte in das Protokoll
eingesetzt hat.
Ich überreiche eidesstattliche Versicherung des Vollstreckungsschuldners und
stelle evtl. ergebenst anheim, einen Sachverständi
gen für alte Kleider und
Schuhwerk über die Aussichten einer
Versteigerung solcher Sachen
und den Wert derselben zu hören.
Die Unzulässigkeit der
Zwangsvollstreckung dürfte daher
nicht blos auf Grund des § 811 Nr.1 und 5, sondern auch auf
Grund des § 803 ZPO Absatz 2 gegeben sein.
Ich bemerke schliesslich
noch, dass der Vollstreckungsschuldner am 4. Mai
1931 vor dem Amtsgericht Charlottenburg
den
Offenbarungseid geleistet hat.
Beweis: die betreffenden
Offenbarungseidakten.
In dem hierbei überreichten
Vermögensverzeichnis sind auch die
jetzt gepfändeten
Kleidungstücke etc. angegeben. Der Vollstreckungs
gläubiger Schriftsteller Kraus hatte ursprünglich eine Reihe
anderer Gegenstände
(Mobiler) wegen einer Forderung nebst
Zinsen und Kosten von
zusammen 2783,85 Reichsmark pfänden las
sen, diese Pfändung aber auf
Grund von Intervention der Ehefrau
des Vollstreckungsschuldners
freigegeben.
Die jetzige Pfändung
beschränkt sich auf einen Teil der
in vorbezeichneter Sache
festgesetzten Kosten in Höhe von 100,––
Rmk. Es ist völlig
ausgeschlossen, dass überhaupt mit einer
Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers wegen dieser Kosten
zu
rechnen ist, evtl.
dürfte der Ertrag so gering sein, dass nicht
einmal die
Zwangsvollstreckungskosten gedeckt werden.
Anbei Pfändungsprotokoll mit der
Bitte um Rückgabe,
ferner eidesstattliche Versicherung und Vollmacht.
Abschrift anbei.
Der Justizrat