Der Wiener TagKarl Kraus zu fünfhundert Schilling verurteilt. Wegen Beleidigung des Musikkritikers Dr. Pisk.


1 U 8/31
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IM NAMEN DER REPUBLIK!


Vor dem Strafbezirksgericht I in Wien als Pressegericht ist
heute in Gegenwart des Privatanklagevertreters Dr. OskarSamek, des Angeklagten Josef Koller
im Nichteinbringungsfalle zu 24 Stunden Arrest und gemäss
§ 389 St.P.O. zum Ersatze der Kosten des Strafver
fahrens verurteilt.


Josef Koller wird ferner gemäss
§ 24(2)3, (4) und (6) Pressgesetz verpflichtet, diese
Berichtigung in der nächsten oder zweitnächsten Nummer
der Zeitung „Der Wiener Tag“ die nach Verkündigung dieses
Urteiles erscheinen wird in der im § 23 Pressgesetz vor
geschriebenen Weise zu veröffentlichen, widrigenfalls die
genannte Zeitung nicht mehr erscheinen dürfte.


Gemäss § 5(2) Pressgesetz haftet „DerTag“ Verlag A.G. als Eigentümer und als Herausgeber
der genannten Zeitung für die Geldstrafe und die Kosten
des Strafverfahrens zur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten.


Entscheidungsgründe:


Durch das Impressum bezw. die
Angaben des Verteidigers und des Beschuldigten ist
erwiesen, dass Beschuldigter in der in Betracht kommenden
Zeit der verantwortliche Schriftleiter der Zeitung „DerWiener Tag“ war, dass er das Berichtigungsschreiben vom
24. Dezember 1930 erhalten hat und dass seit Erhalt
des Berichtigungsschreibens mehr als zwei Nummern der
genannten Zeitung erschienen sind, die verlangte Berichtigung aber nicht veröffentlicht wurde.


Das Gericht hatte zu prüfen, ob
die Weigerung des Beschuldigten, die verlangte Berichtigung
zu veröffentlichen, eine grundlose war.


Der Beschuldigte hatte eingewendet, die
Berichtigung deshalb nicht veröffentlicht zu haben, da sie
nach seiner Meinung in mehreren Punkten dem Pressgesetz


nicht entsprochen habe. Die These des 1. Punktes,
die lediglich lautet: „Diese Behauptung ist unwahr.“ bringe
in dieser Fassung nicht zum Ausdruck, welche der vorher
zitierten Stellen des berichtigten Artikels der Berichtigungswerber als unwahr bezeichnen wolle;
auch sei lediglich die Möglich
keit gewesen zu berichtigen, dass der Inhalt der Ehrenbeleidigungsklage Dris. Pisk gegen Karl Kraus ein anderer
gewesen. Die Behauptung der Antithese des 2. Punktes
sei kein richtiger Gegensatz zu den Behauptungen des Artikels,
insbesonders deswegen, weil der Berichtigungswerber das
Gegenteil dieser Antithese „laut nunmehr vorliegendem
Protokoll“ behaupte, dieses „Protokoll“ im Artikel
aber nicht erwähnt sei. Es sei auch überflüssig, in
der Antithese des 3. Punktes anzuführen, was der Berichtigungswerber in Breslau getan habe (einen Offenbach-
Vortrag gehalten), da hiemit kein Gegensatz zu einer Be
hauptung des Artikels aufgestellt wurde.


Das Gericht konnte diesen Einwendungen
des Beschuldigten keine Berechtigung zuerkennen.


Der Berichtigungswerber zitiert
im 1. Punkt eine Stelle des berichtigten Artikels, in der
behauptet wird, dass der Berichtigungswerber nach dem
Vortrag einer Zeitstrophe, die sich „gegen die sozial
demokratische Presse richtete“, einige Worte, die in dem
Zitat auch angeführt werden („Aber in einigen Tagen …
sondern Offenbach.“) gesagt habe. Nach Ansicht des Gerichtes
ist dieser Berichtigungspunkt, in welchem die eben
zitierte Behauptung des Artikels als unwahr bezeichnet und
gegenübergestellt wird, dass der Berichtigungswerber nicht


die im Artikel angeführten, sondern andere Worte
gesprochen und weiters, dass Karl Kraus nicht vor,
sondern nach diesen Worten eine Strophe vorgetragen
habe, vollkommen gesetzgemäss. Dass die angeführten Worte
Karl Kraus lediglich nach Inhalt der Klage Dr. Pisk
Karl Kraus gesprochen hatte, ist nicht massgebend; da die
beteiligte Person berechtigt ist alles zu berichtigen was
sie betrifft und zwar ohne Unterschied, ob eine Tatsache
vom Artikelverfasser oder von jemand anderen behauptet
worden ist.


Im 2. Punkte wird eine Behauptung
des Artikels, dass der Verteidiger des Prozesses, über den
der Artikelschreiber berichtet, unter Beweis gestellt
habe, dass Pisk „für die Berliner Börsen-Zeitung, eine
bürgerliche, mehr rechts stehende Zeitung schreibe,“ als
unwahr bezeichnet und in der Antithese demgegenüber be
hauptet, der Beweis des Verteidigers sei dahin gegangen,
dass Pisk „Mitarbeiter der Berliner Börsen-Zeitung sei, die
auf der äussersten Rechten stehe.“ Es ist in diesen Worten
der Antithese ein genügender Gegensatz hinsichtlich der
behaupteten Richtung des Blattes aufgestellt. Es ist
allerdings richtig, dass die Aufnahme der Worte „laut
nunmehr vorliegendem Protokoll“ in die Antithese nicht
notwendig war; mit Rücksicht aber auf die geringe Zahl und
den geringen Umfang dieser wenigen Worte konnte der
verantwortliche Schriftleiter aus diesem Grunde die Ver
öffentlichung der Berichtigung berechtigter Weise nicht
verweigern.


Die These des 3. Punktes bezeichnet es als
unwahr, dass der Berichtigungswerber sich an dem bestimmten


Tage in Berlin befunden habe. Es ist dieser These eine
entsprechende Antithese gegenübergestellt, wenn be
hauptet wird, dass sich der Berichtigungswerber
in Breslau befunden habe. Es war zwar nicht notwendig, dass
in der Antithese angeführt werde, dass der Berichtigungswerber in Breslau einen Vortrag gehalten habe. Das Gericht
ist jedoch der Ansicht, dass es dem Sinne des Pressgesetz
nicht entsprechen würde, wenn der verantwortliche Schriftleiter wegen der Aufnahme von einigen wenigen, wenn
auch überflüssigen Worten in eine sonst dem Gesetz ent
sprechende Berichtigung die Veröffentlichung dieser Berichtigung mit Grund verweigern dürfte.


Da nach dem Vorgesagten die ver
langte Berichtigung dem Gesetz entsprach, war die Weigerung
des Beschuldigten, diese Berichtigung zu veröffentlichen,
eine grundlose.


Da sohin der Tatbestand der Ueber
tretung nach § 24(2) 3 Pr.G. gegeben war, war mit einem
Schuldspruch vorzugehen.


Bei der Strafbemessung kam kein
Umstand als erschwerend oder als mildernd in Betracht.


Die über den Beschuldigten
verhängte Strafe erscheint seinem Verschulden angemessen.


Die übrigen Aussprüche des Urteiles
gründen sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.


Wien, am 20. Jänner 1931.
Kahlert


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