[Berichtigung Sameks und Notiz]Der Wiener Tag, 5.12.1930Karl Kraus zu fünfhundert Schilling verurteilt. Wegen Beleidigung des Musikkritikers Dr. Pisk.Der Wiener Tag, 30.12.1930


Dr.S/Fa.


An das
Strafbezirksgericht I Wien.


Privatankläger: Dr. Oskar Samek, Rechtsanwalt in WienI., Schottenring Nr.14.


durch:


Beschuldigter: Josef Koller, verantwortlicher
Redakteur der Zeitung „Der Wiener Tag“ in
Wien IX., Canisiusgasse Nr.8–10,


wegen Ehrenbeleidigung,
begangen durch die Presse


1 fach
1 Vollmacht


Antrag auf Einleitung von Vorerhebungen gegen den Beschuldigten
und gegen unbekannte Täter.


In der Nummer 2767 der Zeitung „Der WienerTag“ vom 5. Dezember 1930 erschien eine Gerichtssaalnotiz „KarlKraus zu S 500.– verurteilt“ in welcher mein Name unrichtig
Szamek geschrieben war. Ich habe daraufhin dem verantwortlichenRedakteur der Zeitung „Der Wiener Tag“ am 24. Dezember 1930 eine
Berichtigung dieser Namensschreibung zugeschickt, die in der Nummer vom 30. Dezember auch veröffentlicht wurde. Die Berichti
gung lautete: „Ich verlange die Aufnahme folgender Berichtigung
der in Ihrer Nummer 2767 vom 5. Dezember 1930 in der Gerichts
saalnotiz ‚Karl Kraus zu fünfhundert Schilling verurteilt‘ mit
geteilten mich betreffende unrichtige Tatsache gemäss § 23 P.G.


Sie schreiben meinen Namen ‚Dr. Oskar Szamek‘. Dies
ist unrichtig. Richtig ist, dass mein Name Samek geschrieben
wird. Dr. Oskar Samek.“ Der Veröffentlichung dieser Berichtigung
schloss sich folgende Notiz an:


„Sie wissen nicht, wie sich der berühmte Doktor OskarSamek schreibt? Jener Doktor Oskar Samek, der von
seinem Herrn das Berichtigen, aber nicht die deutsche
Sprache erlernt hat? Haben Sie die Berichtigung genau
gelesen, die Herr Doktor Oskar Samek, der Rechts
anwalt des berühmten Sprachforschers Karl Kraus,
fabriziert hat? Und wenn tausend Bestimmungen des
Pressgesetzes gegen die Publikation dieser Berichti
gung stünden – diese Berichtigung muss publiziert
werden. Zum Beweis, dass Karl Kraus auch ungelehrige
und schlechte Schüler hat.“


Diese Notiz, (angeschlossen einer sprachlich und auch
gesetzlich vollständig korrekten Berichtigung, deren Veröffent
lichung von den „tausend“ Bestimmungen des Pressgesetzes nicht
eine einzige entgegenstand) verhöhnt mich, weil ich angeblich
nicht richtig deutsch schreiben kann. Es bedurfte einer wirklich
scharfen Kontrolle des Druckes, um zu bemerken, was das Blatt
damit meint. Ohne darauf aufmerksam gemacht zu werden, würde
wahrscheinlich das Gericht beim Durchlesen der eingesendeten Be-
richtigung auf den Fehler überhaupt nicht kommen. Der Fehler
besteht darin, dass in der Zeile 7 der Berichtigung bei den
Worten „betreffenden unrichtigen“ zweimal das „n“ ausgefallen
ist. Es ist natürlich für jedermann klar ersichtlich, dass es
sich um einen Schreibfehler der Maschinschreiberin handelt, der
beim Durchlesen der Berichtigung übersehen wurde und umso
leichter übersehen werden konnte, da zwei gleichlautende Be
richtigungen an das „Kleine Blatt“ und das „Neue WienerJournal“ diesen Schreibfehler nicht aufwiesen. Dies konnte na
türlich niemals ein Sprachproblem ergeben, das man eventuell
in falscher Weise hätte lösen können, sondern es handelte sich
offensichtlich um ein technisches Uebersehen, denn so, wie der
Satz dort steht, ist er überhaupt nicht zu sprechen. Am aller
wenigsten hätte natürlich „Der Wiener Tag“ eine Berechtigung,
selbst einen offenbaren Sprachfehler zu verhöhnen, da es
schwer fällt, in dieser Zeitung einen richtigen deutschen Satz
zu finden, wofür im Archiv des „berühmten Sprachforschers“,
gegen den ich ausgespielt werde, zahllose Belege aufbewahrt
sind.


Durch diese Notiz wurde die Uebertretung der Ehren
beleidigung nach § 491 StG. durch die Presse begangen, da ich
darin sowohl als Analphabet, wie auch als Sklave eines „Herrn
vor der Oeffentlichkeit und insbesondere vor meinen Berufs
kollegen blossgestellt werde.


Da eine direkte Anklage nicht möglich ist, weil der
Schreiber obige Zeilen nicht gezeichnet hat, und auch unbe
kannt ist, ob der Beschuldigte die Notiz vor der Drucklegung
gelesen und zum Druck befördert hat, beantrage ich durch meinen
mit beiliegender Vollmacht ausgewiesenen Anwalt folgende


Vorerhebungen:


1.) Einvernahme des Beschuldigten Josef Koller und seine Be
fragung darüber, ob er die Notiz vor der Drucklegung gelesen
und zum Druck befördert hat;


2.) seine Befragung darüber, wer die Notiz geschrieben hat;


3.) die Einvernahme des Redakteurs Hans Margulies, Wien IX.,Canisiusgasse Nr.8–10 und seine Befragung, darüber, ob er die
Notiz geschrieben hat, da er als Gerichtssaalkorrespondent
der Handlung verdächtig erscheint.


Dr. Oskar Samek.