Neues Wiener Journal, 5.12.1930Blaubart


Im Vollmachtsnamen des Herrn Karl Kraus
verlange ich die Aufnahme der Berichtigung der in Ihrer Nummer13305 vom 5. Dezember 1930 mitgeteilten meinen Mandanten betreffen
den unrichtigen Tatsachen gemäss § 23 Pr.G.


Sie schreiben: „Empfindliche
Verurteilung des ‚Fackel‘ Kraus.
Genossen unter sich.“ Die in dem Untertitel enthaltene Behauptung,
dass Karl Kraus ein Genosse ist, ist unwahr. Wahr ist, dass KarlKraus keiner Partei angehört und jemals angehört hat.


Sie schreiben: „Nach Inhalt der durch Dr.
Robert Pisk vertretenen Klage hat Kraus am 7. Juni v.J. in einem
Vortrag über die Offenbachsche Operette ‚Blaubart‘ dem Höflings
lied des Grafen Oskar mehrere aktuelle Zeitstrophen angefügt, von
denen sich eine gegen die sozialdemokratische Presse richtete.
Nach Absingung dieser Strophe sagte Kraus: ‚In einigen Tagen wird
ein anderer Wind aus dem Zentralorgan wehen, denn ein Vertreter
des Zentralorgans, ein Schlieferl, ist hier im Saal anwesend und
wird die Leser dahin aufklären, dass ich nicht musikalisch bin
und nicht singen kann. Mit ein paar Slezaks nehme ich es aller
dings noch auf, aber ich singe nicht David Bach, sondern
Offenbach.‘“ Es ist unwahr, dass am 7. Juni v.J. Herr Kraus einen
Vortrag über die Offenbachsche Operette Blaubart hielt. Wahr ist,
dass er die Offenbachsche Operette Blaubart vorgetragen hat. Es
ist unwahr, dass Herr Kraus nach Absingung einer Strophe, die
sich gegen die sozialdemokratische Presse richtete, die von
Ihnen behaupteten Worte sprach. Wahr ist, dass er nicht diese, son
dern andere Worte und vor einer Strophe, die sich gegen die
sozialdemokratische Presse richtete, gesprochen hat.


Sie schreiben: „Kraus soll dann den Ausdruck
‚Schlieferl‘ wiederholt gebraucht und auch in einer zweiten Vor
lesung über Offenbach-Operetten am 10. Juni wiederholt haben.“ Es
ist unwahr, dass Herr Kraus den Ausdruck „Schlieferl“ wiederholt
gebraucht hat. Es ist unwahr, dass er den Ausdruck am 10. Juni
wiederholt hat. Es ist weiters unwahr, dass am 10. Juni eine Vor
lesung über Offenbach-Operetten stattfand. Wahr ist vielmehr, dass
ein Vortrag zweier Offenbachscher-Einakter stattfand.


Sie schreiben: „Der Verteidiger bot schliess
lich … den Wahrheitsbeweis an. Er stellte unter anderem unter
Beweis, dass der Privatankläger als Mitarbeiter einer sozial
demokratischen Zeitung auch für die ‚Berliner Börsen-Zeitung‘,
eine bürgerliche, mehr rechtsstehende Zeitung schreibe.“ Dies ist
unwahr. Wahr ist, dass laut nunmehr vorliegendem Protokoll der
Beweis angeboten wurde, dass Dr. Pisk „als Mitarbeiter einer
sozialdemokratischen Zeitung auch Mitarbeiter der ‚BerlinerBörsen-Zeitung‘ ist, die auf der äussersten Rechten steht und
gegen die Sozialdemokratie auftritt.“


Rekommandiert mit Rückschein.