11. Februar 1931.
Dr.S/Fa.
An das
Strafbezirksgericht IWien.
Privatankläger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien III.,Hintere Zollamtstrasse Nr. 3,
durch:
Vollmacht ausgewiesen zu 1 U 3/31
Beschuldigter: Dr. Oskar Pollak, verantwortlicher
Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“ in Wien V.,Rechte Wienzeile Nr.
97,
1 fach
2 Beilagen
Privatanklage.
In der Arbeiter-Zeitung vom 16. Jänner1931 erschien auf Seite 5
im Anhange zu den Meldungen der
Tagesneuigkeiten eine Notiz unter dem Titel „Eine Klage gegendie Berliner Volksbühne“. In diesem
Artikel wurde über den
Prozess berichtet, den ich gegen
die Berliner Volksbühne ange
strengt hatte, um die
Aufführung des Werkes „Die Unüberwindlichen“ zu erzwingen. Die
Volksbühne wurde auch verurteilt,
das Stück in den Spielplan aufzunehmen. In der Notiz wurden
nun die unrichtigen Tatsachen
mitgeteilt, dass im Prozess be
hauptet worden war, das Stück sei aus Rücksichtnahme auf die
österreichische Gesandtschaft und
das Polizeipräsidium nicht
in den Abendspielplan aufgenommen
worden, während in Wahrheit
lediglich behauptet worden war, dass die Volksbühne das Stück
auf Intervention der
österreichischen Gesandtschaft nicht in
den Abendspielplan aufgenommen
hat, ferner dass die Volksbühne,
wie sie in ihrer Berufungsschrift begründen wird, das Stück
deshalb nicht in den
Abendspielplan aufnahm, weil bei der An
setzung für eine
zweite Matinee die Beteiligung so gering war,
dass die Aufführung nicht
erfolgen konnte. Was speziell diesen
Punkt betrifft, so wurde die
Grösse der Beteiligung und das Vor
gehen der Volksbühne in dem
Prozess, welchen ich gegen die
Volksbühne in Berlin angestrengt habe, beim Landgericht
I in
ausführlichster
Weise erörtert und der Richter kam zu dem ver
urteilenden Erkenntnis
aus dem Grunde, weil die Volksbühne den
Kartenverkauf für die zweite
Vorstellung vorzeitig eingestellt
hat. Es ist wohl überflüssig
ausführlich darzulegen, dass etwas,
was Gegenstand eines
Beweisverfahrens vor einem Gerichtshof
bildet, Tatsache und nicht
Meinung ist und dass also der in der
Berichtigung dargestellte
Sachverhalt die Tatsachensphäre
betrifft. Der Gedanke wäre absurd, dass etwas was zur Verurtei
lung der Volksbühne geführt hat, Tatsachen die im Prozess
selbst
bereits vorgekommen
sind und zur Genüge erörtert und widerlegt
wurden, unter dem Scheine neuer
Tatsachen von den journalisti
schen Helfern der Volksbühne
publiziert werden, und es muss
daher möglich sein, diesen behaupteten Tatsachen die der Wahr
heit entsprechenden
gegenteiligen Tatsachen entsprechend dem
Verhandlungsprotokoll
entgegenzustellen.
Ich habe daher dem Beschuldigten durch
meinen Anwalt am 6. Februar 1931 eine Berichtigung zugeschickt,
die ihm am 7. Februar 1931 zugestellt wurde. Die Berichtigung
wurde nicht veröffentlicht.
Beweis:
Die Nummer der Arbeiter-Zeitung vom 6.Februar 1931.
Ich stelle durch meinen zur G.Z.
1 U 3/31
bereits ausgewiesenen
Anwalt folgende
Anträge:
1.) Anberaumung
einer Hauptverhandlung;
2.)
Ladung des Beschuldigten;
3.) Verlesung des Berichtigungsschreibens und der vorgelegten
Zeitungsnummer;
4.) Bestrafung des Beschuldigten und Erkenntnis auf Veröffent
lichung der Berichtigung;
5.) Verpflichtung des Beschuldigten und zur ungeteilten Hand
mit ihm des Eigentümers sozialdemokratische Arbeiter-ParteiDeutschösterreichs, des
Verlegers und Herausgebers Verlag derArbeiter-Zeitung: Dr. Adler-Emmerling, sämtliche in Wien
V.,Rechte Wienzeile Nr.
97 zum Ersatz der Verfahrenskosten.