Arbeiter-ZeitungDie Unüberwindlichen. Nachkriegsdrama in vier AktenEine Klage gegen die Berliner VolksbühneArbeiter-Zeitung, 16.1.1931


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Im Namen der Republik!


Vor dem Strafbezirksgericht I in Wien als Presse
gericht ist heute in Gegenwart des Privatanklagevertre
ters Dr. Oskar Samek, in Abwesenheit des Angeklagten
Dr. Oskar Pollak und in Gegenwart des Verteidigers
Dr. Oswald Richter über die Anklage verhandelt worden,
die der Privatankläger Karl Kraus gegen Dr. OskarPollak, 37 Jahre alt, verheiratet, verantwortlicher
Schriftleiter der „Arbeiter-Zeitung“ wegen der Ueber
tretung nach § 24 (2) 3 Pr.G. erhoben hatte.


Ueber den vom Ankläger gestellten Antrag auf
Bestrafung des Beschuldigten und Verpflichtung zur
Veröffentlichung der Berichtigung in der Zeitung
Arbeiter-Zeitung“ hat das Gericht zu Recht erkannt:


Dr. Oskar Pollak ist schuldig, er habe im Februar
1931 in Wien als verantwortlicher Schriftleiter der
Zeitung „Arbeiter-Zeitung“ sich grundlos gewei
gert, die von Karl Kraus verlangte Berichtigung von
in der Nummer 16 der genannten Zeitung vom 16. Jänner1931 unter der Ueberschrift „Eine Klage gegen dieBerliner Volksbühne“ mitgeteilten Tatsachen zu ver
öffentlichen.


Er hat hiedurch die Uebertretung nach §§ 23 und
24 (2) 3 Pr.G. begangen und wird gemäss § 24 (2) 3Pr.G. zu einer Geldstrafe im Betrage von 100 S


Schilling einhundert,
im Nichteinbringungsfalle zu 48 Stunden Arrest und gemäss
§ 389 St.P.O. zum Ersatze der Kosten des Strafverfahrens
verurteilt.


Dr. Oskar Pollak wird ferner gemäss § 24 (2), 3 (4)
und (6) Pr.G. verpflichtet, diese Berichtigung in der
nächsten oder zweitnächsten Nummer der Zeitung „Arbeiter-Zeitung“, die nach Zustellung dieses Urteiles
erscheinen wird, in der im § 23 Pr.G. vorgeschriebenen
Weise zu veröffentlichen, widrigenfalls die genannteZeitung nicht mehr erscheinen dürfte.


Gemäss § 5 (2) Pr.G. haftet die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs als Eigen
tümerin und der Verlag der Arbeiter-Zeitung: Dr.Adler Emmerling als Herausgeber der genannten Zeitung
für die Geldstrafe und die Kosten des Strafverfahrens
zur ungeteilten Hand mit dem Verurteilten.


Entscheidungsgründe:


Durch das Impressum beziehungsweise die Angaben des
Verteidigers ist erwiesen, dass Beschuldigter in der
in Betracht kommenden Zeit der verantwortliche
Schriftleiter der Zeitung „Arbeiter-Zeitung“ war,
dass er das Berichtigungsschreiben vom 6. Februar 1931
erhalten hat und dass seit Erhalt des Berichtigungs
schreibens mehr als zwei Nummern der genannten Zeitung
erschienen sind, die verlangte Berichtigung aber nicht
veröffentlicht wurde.


Das Gericht hatte zu prüfen, ob die Weigerung des
Beschuldigten, die verlangte Berichtigung zu veröffent-


lichen, eine grundlose war.


Der Verteidiger hatte eingewendet, dass die
Berichtigung in mehrfacher Hinsicht dem Pressgesetz
nicht entsprochen habe und zwar gehe es nicht an,
dass die Behauptung der These „… das behauptet
worden war, das Werk … aufgenommen worden.“
im 1. Punkte mit den Worten der Antithese „… dass
vom Kläger Karl Kraus lediglich behauptet wurde, dass …“
berichtigt werde, da im Artikel keineswegs gesagt wurde,
es hätte Karl Kraus eine Behauptung aufgestellt.


Das Gericht hat jedoch dieser Einwendung keine
Berechtigung zuerkennen können. Der Artikel berichtet
über einen Prozess des Privatanklägers Karl Kraus
gegen die Berliner Volksbühne wegen der Aufnahme
eines Stückes des Privatanklägers in den Spielplan
dieser Bühne. Der Artikel führt ferner das Urteil
dieses Prozesses an und teilt mit, dass „die Volksbühne gegen das Urteil Berufung einlegen wird, da sie
nicht …, wie behauptet worden war, aus Rück
sichtnahme auf die österreichische Gesandtschaft
… das Stück nicht … aufnahm, sondern …
…“. Es ist wahrscheinlich, dass diese „Be
hauptung“ von einer Prozesspartei und zwar von der
Gegenpartei der Berufungswerberin im Prozessverlaufe
vorgebracht wurde. Es kann sohin dem Berichtigungswerber das Recht nicht genommen werden, in der
Berichtigung mitzuteilen, wer „behauptet“ hat und
anzuführen, was von ihm „behauptet“ wurde.


Weiters wendete der Verteidiger ein, dass die
Worte des 1. Punktes „… auf Intervention
der österreichischen Gesandtschaft …“ keinen


Gegensatz, sondern eine Bestätigung der im Artikel gebrauch
ten Worte „… aus Rücksichtnahme auf die österrei
chische Gesandtschaft …“ darstellten.


Das Gericht findet jedoch, dass der Berichtigungswerber das Wort „Rücksichtnahme“ keineswegs mit
„Intervention“ berichtigen wollte, diese Behaup
tungen daher auch keinen Gegensatz bilden sollen.
Der Berichtigungswerber stellt vielmehr der Mittei
lung des Artikels, dass „behauptet worden war, dass
u.s.w.“ entgegen, was der Privatankläger tatsäch
lich behauptet habe. Es ist der Gegensatz auf „wie
behauptet worden war“ und „vom Kläger Karl Kraus
lediglich behauptet worden“, aber nicht auf „Rück
sichtnahme“ und „Intervention“ zu legen.


Der Verteidiger hatte ferner eingewendet, dass
die Antithese Tatsachenbehauptungen enthalte, die
nicht überprüfbar seien und dass der Schluss des
Berichtigungsschreibens keine Berichtigung, sondern
eine Polemik darstelle.


Das Gericht konnte auch dieser Einwendung keine
Berechtigung zuerkennen. Der Artikel führt an, dass
das Stück deshalb nicht aufgeführt werden konnte, weil
die Beteiligung eine zu geringe war. Der Berichtigungswerber stellt demgegenüber die Behauptung auf, dass
251 Karten verkauft waren, dass an der Kassa gegen
100 Mark eingenommen waren, dass ein Plakat erschien,
das den aussergewöhnlichen Erfolg ankündigte und
dass die Absetzung des Stückes vom Spielplan nicht
auf zu geringe Beteiligung, sondern auf eine Inter
vention der österreichischen Gesandtschaft zurück
zuführen sei.


Das Gericht findet, dass diese Behauptungen
der Antithese überprüfbare Tatsachenbehauptungen sind,
die ein entsprechender Gegensatz zu der Artikel
behauptung und keine Polemik sind.


Es war sohin nach dem Vorgesagten die verlangte
Berichtigung in allen Punkten dem Gesetze völlig
entsprechend und die Weigerung des Beschuldigten,
diese Berichtigung zu veröffentlichen, eine grund
lose.


Da somit der Tatbestand der Uebertretung nach
§ 24 (2) 3 Pr.G. gegeben war, war mit einem Schuld
spruch vorzugehen.


Bei der Strafbemessung waren die Vorstrafen er
schwerend, als mildernd kam kein Umstand in Betracht.


Die über den Beschuldigten verhängte Strafe er
scheint sohin seinem Verschulden angemessen.


Die übrigen Aussprüche des Urteiles gründen sich
auf die bezogenen Gesetzesstellen.


Wien, am 17. Feber 1931.


Kahlert


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