Die Fackel


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Dr.Sa/W


An die
Staatsanwaltschaft beim Landesgerichtfür Strafsachen IWien.


Anzeiger: Karl Kraus, Schriftsteller in Wien, III.Hintere Zollamtsstrasse Nr. 3
durch:


Angezeigte: Herta Gropper, Wien, IX. WähringerstrasseNr. 33


wegen falscher Zeugenaussage


1 fach, 1
1 Vollmacht
3 Beilagen


Strafanzeige.


Der Musikkritiker der Arbeiter-Zeitung Dr. PaulAmadeus Pisk hat gegen mich beim Strafbezirksgericht I zur G.Z.
4 U 114/30 einen Ehrenbeleidigungsprozess angestrengt. Er stellte
unter Anklage Aeusserungen, die ich in Vorträgen am 7. und 10.
Juni 1929 gemacht haben soll. Ich habe diese Vorträge in der von
mir herausgegebenen Zeitschrift „Die Fackel“ wortwörtlich abge
druckt, wie sie an diesen Tagen aus den Manuskripten vorgelesen
wurden. Die unter Anklage gestellten Aeusserungen habe ich teils
überhaupt nicht, teils nicht so, wie sie unter Anklage gestellt
wurden, gemacht. Nichtsdestoweniger wurden sie von den vom Privat
ankläger Dr. Paul Amadeus Pisk geführten Zeugen fälschlicherweise
bestätigt. Die angezeigte Herta Gropper berief sich zur Stützung
ihrer Zeugenaussage auf ein angeblich angefertigtes Stenogramm,
das sie über Ersuchen des Privatanklägers gemacht und in Schrift
übertragen, welche sie dem Privatankläger gegeben habe. Sie be
hauptete, nichts nachträglich ergänzt, alles in der Reihenfolge
übertragen zu haben, bis gegen Schluss, wo ein Satz vergessen war,
den sie nachgetragen habe. Diese Angaben der Zeugin sind falsch
und können nur falsch sein. Ich lege in der Anlage eine Abschrift
der von der Zeugin Gropper angeblich angefertigten Uebertragung
ihres Stenogrammes vor, ferner eine Abschrift einer solchen Ueber
tragung des Zeugen Fritz Löwy und den Abdruck in der Fackel.
Ein einfacher Vergleich des Abdruckes in der Fackel mit der Er
klärung des Zeugen Fritz Löwy ergibt, dass die von diesem Zeugen
mitgeschriebenen Stellen, bis auf zwei, wörtlich mit den in der
Fackel abgedruckten übereinstimmen und zwar entsprechen die Stellen:
„… das gegen mich wirkende Schlieferl- und Tinterltum …“
der Stelle: Fackel August-Nummer Seite 76, Zeile 9ff.;
„… der Musikkritiker des Organs, der Referent, der seit Jahren
den Kitsch der bürgerlichen Operette toleriert und bejaht …“
der Stelle:Seite 78, Zeile 22ff.;
„… unter dem Vorwand einer Fachkritik …“
der Stelle: Seite 78, Zeile 29;
„… die leichtfertige journalistische Mache wird abgelöst von
der planvollen …“
der Stelle: Seite 79, Zeile 1ff.;
„… kümmerliches Fachwissen …“
„… bessere Schönbergschüler haben anders gesprochen …“
der Stelle: Seite 79, Zeile 14ff.;
„… unter fachlichem Vorwand eine üble Gesinnung auszudrücken …“
der Stelle: Seite 80, Zeile 1 und 2;
„… dass ich in solcher Fachkritik eine Petite erkenne … Cor
repetite …“
der Stelle: Seite 80, Zeile 6 und 7;
„… der unappetitliche Plan, meine Hingabe an seine Kunst herab
zuwürdigen …“
der Stelle: Seite 80, Zeile 20 und 21;
„… diese armen Teufel nennen sich Fachmänner …“
der Stelle: Seite 81, Zeile 12 und 13;
„… jede Parole gegen mich nach Partei- und Redaktionsbeschluss
gebrauchsfertig zu machen …“
der Stelle: Seite 81, Zeile 5ff. v.u.;
„… Schlieferlpraktiken …“
der Stelle: Seite 84, Zeile 11 und 12;
Von den in der Erklärung des Herrn Fritz Löwy
angeführten Stellen fehlen in der Fackel lediglich zwei, nämlich:
„… das Schlieferl schreibt …“ und „… armseliges Fach
wissen…“; diese wurden auch nie gesprochen. Die Zeugin HertaGropper gibt an, vier Jahre lang Stenografin gewesen zu sein, um
ihre Glaubwürdigkeit zu bekräftigen. Hätte sie ein Stenogramm an
gefertigt, so wäre dieser Umstand allerdings eine Bekräftigung
der Verlässlichkeit ihrer Angaben. Es ist aber vollkommen ausge
schlossen, dass sie ein Stenogramm gemacht hat, denn dieses könnte
sonst nicht in fast allen Punkten von der Fackel und dem Stenogramm
des Zeugen Fritz Löwy abweichen, das sich in eben diesen Punkten
mit dem Druck der Fackel vollständig deckt.


Ich erstatte daher gegen Frau Herta Gropper
die Strafanzeige wegen falscher Zeugenaussage.


Was den Zeugen Fritz Löwy anlangt, so wäre
wegen der beiden Punkte, in welchen das Stenogramm dieses Zeugen
vom Druck der Fackel abweicht, die Aussage gleichfalls zu überprü
fen und zwar in der Richtung, ob es sich dabei um einen Hörfehler
oder um eine absichtliche Entstellung des Stenogramms handelt.
Der Zeuge Löwy wäre zu verhalten, dieses Stenogramm vorzulegen.
Bei der Tatsache, dass der Zeuge Löwy angegeben hat, ich hätte
von dem Privatankläger als einem „kümmerlichen Schönbergschüler“
gesprochen, obwohl in seinem Stenogramm in Übereinstimmung mit
dem Druck der Fackel die Worte „kümmerliches Fachwissen“ und
„bessere Schönbergschüler haben anders gesprochen“ aufgenommen
waren, wäre zu untersuchen, ob es sich dabei um eine Verwirrung
des Zeugen durch die Fragestellung gehandelt hat oder ob ihm die
Unrichtigkeit seiner Aussage bewusst war. Zum Beweis für die buch
stäbliche Uebereinstimmung des Druckes mit dem Manuskripte, sämtli
chen Korrekturen und dem gehaltenen Vortrage erbiete ich mich und
führe meinen Anwalt Dr. Oskar Samek als Zeugen, der Hörer der
Vorlesungen war, das Manuskript gesehen hat und auch die Korrektur
bögen, welche nicht die geringste sachliche Aenderung des gesproche
nen Textes enthalten, und der auch Zeuge dafür ist, dass ich nicht
etwa ein Wort ausserhalb des Manuskripttextes improvisierend ge
sprochen habe.


Wenn das Gericht trotz dem Antrag, den Akt wegen
Verdachtes der falschen Zeugenaussage an die Staatsanwaltschaft ab
zutreten, dies nicht tat, wiewohl dieser Verdacht schon durch die
Nichtvorlage des Stenogramms, vollends durch die Erklärung der Zeu
gin Gropper, dass es nicht mehr existiere, und evidenter Massen durch
die Widersprüche der vorgelegten Erklärungen gegeben war, so geschah
dies wahrscheinlich deshalb, weil auch der gedruckte Vortragstext
dem Gerichte zur Verurteilung wegen Beleidigung auszureichen schien.
Immerhin aber wäre zu sagen, dass weit über den Rahmen der Ehren
beleidigung die falsche Zeugenaussage ein Delikt vorstellt, das (in
höherem Grade) das Interesse der Justiz gerechtfertigt hätte. Tat
sache ist aber, dass ich, selbst wenn ich wegen des von mir gespro
chenen und durch den Druck und in der Verhandlung zugegebenen Textes
verurteilt worden wäre, die Verurteilung auch erfolgt ist wegen et
licher Stellen, die erweislich niemals gesprochen wurden z.B. „küm
merlicher Schönbergschüler“, eine Bezeichnung, die kombiniert wurde
aus den voneinander entfernten Wendungen: „kümmerliches Fachwissen“
und „bessere Schönbergschüler haben anders über mich gesprochen“.


Aber auch abgesehen davon und die Strafbarkeit jedes tatsächlich
gesprochenen Wortes als möglich angenommen, bleibt es unerträglich,
dass zur Grundlage dieser Verurteilung ein angeblich stenografier
ter Text genommen wird, der nachweislich anders gesprochen wurde.
Ich schliesse mich dem Verfahren als Privatbetei
ligter an.


Karl Kraus.


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